Rofo 2000; 172(3): 301-303
DOI: 10.1055/s-2000-113
DER INTERESSANTE FALL
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Intraossäres Meningeom - Fallbericht und Differentialdiagnose

A. Pfatschenbacher, H. Novak, K. Hergan
  • Zentrales Institut für Radiologie LKH Feldkirch
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Table of Contents

Meningeome sind mit 14 - 20 % aller primärer, intracranieller Tumoren häufige Entitäten, welche gewöhnlich im Subduralraum lokalisiert sind. Weniger als 1 % aller Meningeome entstehen extradural als ektope Meningeome in der Subcutis, den Nasen- bzw. Nasennebenhöhlen, der Orbita, dem Hals, den Speicheldrüsen sowie der Diploe von Schädelknochen. In letzterem Fall werden sie auch als intraossäre Meningeome bezeichnet, eine Prädilektionsstelle hierbei ist der große Keilbeinflügel. Wir berichten über ein intraossäres Meningeom, dessen Häufigkeit unter den primär extraduralen Meningeomen (PEM) in der Literatur (Daffner RH et al., Skeletal Radiol 1998; 27: 108) mit nur 14 % angegeben wird, und wollen die Differentialdiagnosen sowie Entstehungsmechanismen diskutieren.

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Fallbericht

Eine 55-jährige Frau suchte vorerst die Augenambulanz auf und klagte über eine seit Monaten wechselnde Protrusio bulbi rechts. Die ophthalmologische Untersuchung ergab einen Exophthalmus von 7 mm, eine leichte afferente Pupillenstörung als Zeichen einer Opticusläsion sowie einen mäßig reduzierten Visus rechts. Die Augenmotilität war frei, die Bulbi bds. reizfrei, der Fundus bis auf eine leicht prominente Papille unauffällig. Die Magnetresonanztomographie (MRT) mit der Fragestellung einer retrobulbären Raumforderung ergab folgendes Ergebnis:

Im T2-gewichteten Bild zeigte sich eine hypointense Raumforderung (Abb. [1]) der lateralen Orbitawand und des dorsalen Orbitadaches rechts, welche T1-gewichtet mäßig heterogen Kontrastmittel aufnahm. Es fand sich eine Aufweitung der Diploe bzw. eine Knochenverdickung, weiterhin eine Verdickung sowie ein Kontrastmittelenhancement der angrenzenden Dura, jedoch keine intracerebrale lnfiltration (Abb. [2] [3]). Durch die raumfordernde Wirkung kam es zu einer Ventral- und Medialverdrängung des Bulbus oculi sowie der conalen Strukturen.

Es folgte eine orbitale Computertomographie, die eine diffuse Volumenzunahme sowie Sklerosierung des Os sphenoidale und des dorsalen Anteiles des Os frontale re. mit mäßiger Einengung der Orbitaspitze ergab. Es fanden sich zudem lrregularitäten entlang des intracraniellen Randes der Läsion sowie angedeutete, feine, radiäre Spikulae (Abb. [4]).

Operativ wurde über eine laterale Orbitotomie ein Großteil des „irregulären” Knochens entfernt; die im Orbitadach gelegenen Veränderungen konnten nicht vollständig reseziert werden.

Nach Aufarbeitung des histologischen Materials stand die Diagnose eines intraossären endotheliomatösen Meningeoms fest. Dieser histologische Typ ist der häufigste unter den intradiploischen Meningeomen (Spraul CW et al.; Klin Monatsbl Augenheilkd 1996; 209: 322) und zeichnet sich durch wirbelartige Anordnung relativ monomorpher, spindeliger bzw. ovaler Zellelemente aus.

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Diskussion

In der Literatur (Daffner RH et al.; Skeletal Radiol 1998; 27: 108) sind bisher knapp über 70 intraossäre Meningeome beschrieben worden. Sie treten gehäuft in der Nähe von Schädelnähten (Keilbeinflügel!) oder nach Schädelhirntraumen im Bereich von ehemaligen Frakturen auf (Arana E et al.; Acta Radiol 1996; 37: 937).

Ätiologisch werden intrauterine Versprengungen von Meningozyten beim Schluss von Mittellinienstrukturen, Proliferationen von Meningozyten in der Nähe von Suturen und Foramina, Differenzierungen von Schwann'schen Zellen zu Meningozyten und pluripotente, mesenchymale Zellen für ihre Entstehung verantwortlich gemacht (Spraul CW et al.; Klin Monatsbl Augenheilkd 1996; 209: 322).

Zumeist präsentieren sie sich hyperostotisch, in selteneren Fällen auch als gemischte Läsionen; rein osteolytische Veränderungen sind Raritäten (Arana E et al.; Acta Radiol 1996; 37; 937). Gerade im letzteren Fall ist die Wahrscheinlichkeit einer malignen Form hoch.

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CT

Es handelt sich um eine osteoplastische Läsion mit Auftreibung des Knochens, evtl. einer Weichteilkomponente und radialen Spikulae. Die Lamina interna ist typischerweise irregulär. Die Dichte ist je nach Typ unterschiedlich zwischen 65 - 85 HE, nach Kontrastmittelapplikation findet sich eine Dichtezunahme um ca. 20 - 40 HE.

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MRT

Das Signalverhalten ist im T2-gewichteten Bild variabel und im nativen T1-gewichteten Bild zumeist zum umgebenden Hirngewebe iso- bis hypointens. Das Kontrastmittelenhancement ist in der Regel stark und heterogen. Das Fettmark wird verdrängt und es besteht eine gute Beurteilungsmöglichkeit der Dura mater. Diese kann auch bei intraossären Meningeomen, abhängig von der Krankheitsdauer, involviert sein und zeigt dann ein Enhancement. Durabeteiligungen sind meist durch entzündlich-reaktives Geschehen oder direkt durch (Mikro-)Infiltrationen bedingt.

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Angiographie

Meningeome stellen in der Regel hypervaskularisierte Tumoren dar, welche meist von Ästen der A. carotis externa versorgt werden. Die Tumorperipherie kann durch piale Gefäße versorgt werden (Osborn AG; Diagnostic Cerebral Angiography; 326). Charakteristisch sind ausgeweitete mengingeale Arterien, mögliche radiäre Gefäßversorgung von einem Gefäßnidus ausgehend, ein dichter, prolongierter, homogener Blush in der arteriellen und kapillären Phase und gelegentlich arteriovenöse Shunts mit früher venöser Drainage. Als Zeichen einer extraduralen Läsion kommt es zudem zur Abhebung meningealer Arterien und venöser Sinus.

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Differentialdiagnose

Intraossäre Meningeome sind definierbar als neoplastische Läsionen mit größtem Tumoranteil im Knochen ohne oder mit mäßiger Durakomponente. Differenzialdiagnostisch ist in erster Linie an die fibröse Dysplasie und das Meningeoma en plaque zu denken. Weiters sind osteoplastische Metastasen (meist bekanntes Primum), der Morbus Paget und das Osteom zu erwähnen. Sowohl die fibröse Dysplasie als auch das intraossäre Meningeom können im CT eine milchglasartige Verdichtung darstellen und beide führen zu einer Knochenexpansion (Hansen-Knarhoi M et al.; J Craniomaxillofac Surg 1994; 22: 226). Bei der fibrösen Dysplasie ist jedoch die Lamina interna charakteristischerweise glatt begrenzt, beim intraossären Meningeom ist sie in der Regel irregulär begrenzt.

Die fibröse Dysplasie tritt eher im Kindes-, Jugend- und frühen Erwachsenenalter auf (5 - 20 Jahre). Das intraossäre Meningeom hat einen durchschnittlichen Altersgipfel um das 45. Lebensjahr. Darüber hinaus endet das Wachstum der fibrösen Dysplasie im Erwachsenenalter.

Visuelle Symptome sowie Exophthalmus finden sich eher beim Meningeom. Die fibröse Dysplasie führt häufig durch eine frontal-ossäre Beteiligung zur Prominenz der Stirn und, dadurch bedingt, auch zu einer Caudalverlagerung des Bulbus; ein Exophthalmus kann fehlen oder ist gering ausgeprägt. Beide Patientengruppen klagen über Kopf-, Klopf- und Palpationsschmerzen. Bietet ein Meningeom eine Weichteilkomponente, ist eine sichere Differenzierung zur fibrösen Dysplasie möglich (Hansen-Knarhoi M et al.; J Craniomaxillofac Surg 1994; 22: 226).

Das Meningeoma en plaque ist eine besondere Form des Meningeoms und führt bei typischem, flächenhaften Wachstumsmuster zu einer ausgeprägten Hyperostose im angrenzenden Knochen; es kommt zu einer sekundären Knocheninfiltration. Das durale Enhancement ist gewöhnlich stärker ausgeprägt als beim intraossären Meningeom, ein begleitendes, perifokales Hirnödem wird häufiger angetroffen. Beide Tumorarten, das intraossäre Meningeom und Meningeoma en plaque, haben allerdings dieselbe Therapie: totale Tumorresektion sowie Biopsie oder Exzision der angrenzenden Dura (Arana E et al.; Acta Radiol 1996; 37: 937).

A. Pfatschbacher, Feldkirch

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Abb. 1Intraossäres Meningeom in typischer Lage (Os sphenoidale - T2-gewichtet hypointens).

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Abb. 2Heterogene Kontrastmittelaufnahme mit Enhancement der angrenzenden Dura, ohne Nachweis einer intracerebralen Komponente. (b) Subtraktion der nativen und kontrastverstärkten, T1-gewichteten Spin-Echo-Bilder.

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Abb. 3Signalarme Auftreibung des rechten großen Keilbeinflügels mit angrenzendem Duraenhancement und ohne Beteiligung des Temporallappens (kontrastverstärktes, axiales, T1-gewichtetes Spin-Echo-Bild).

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Abb. 4Deutliche Konturunregelmäßigkeiten des intracraniellen Läsionsrandes, feine Spikulierungen, Sklerosierung mit Milchglasaspekt und Volumsvermehrung.

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Abb. 1Intraossäres Meningeom in typischer Lage (Os sphenoidale - T2-gewichtet hypointens).

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Abb. 2Heterogene Kontrastmittelaufnahme mit Enhancement der angrenzenden Dura, ohne Nachweis einer intracerebralen Komponente. (b) Subtraktion der nativen und kontrastverstärkten, T1-gewichteten Spin-Echo-Bilder.

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Abb. 3Signalarme Auftreibung des rechten großen Keilbeinflügels mit angrenzendem Duraenhancement und ohne Beteiligung des Temporallappens (kontrastverstärktes, axiales, T1-gewichtetes Spin-Echo-Bild).

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Abb. 4Deutliche Konturunregelmäßigkeiten des intracraniellen Läsionsrandes, feine Spikulierungen, Sklerosierung mit Milchglasaspekt und Volumsvermehrung.