Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(9): 543-544
DOI: 10.1055/s-2000-7093
EDITORIAL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Welchen Stellenwert hat eine Publikation in deutscher Sprache?

G. V. Dietrich, G. Hempelmann
  • Abteilung für Anaesthesiologie und Operative Intensivmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Maleck et al. setzen in ihrem Artikel „deutschsprachige Publikationen deutscher anästhesiologischer Universitätsabteilungen” [1], der in dieser Ausgabe von AINS erscheint, eine Reihe von Artikeln fort, die sich mit Qualität und Anzahl von Publikationen deutscher Universitäten befasst [2] [3]. Sie werfen hierin die Frage auf, ob die Wahl der deutschen Sprache für eine wissenschaftliche Publikation heute noch sinnvoll ist. Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig. Sie wird vor allem vom Standpunkt als Leser, Autor oder Verlag beeinflusst:

Die Leser spalten sich in zwei Gruppen: Breite Fachkreise wünschen eine leicht zugängliche Information über Etabliertes wie auch Innovatives in ihrem Fachgebiet; die deutsche Sprache wird hier bevorzugt. Eine weit geringere Zahl wissenschaftlich tätiger Ärzte ist an den Details des aktuellen Stands der Wissenschaft und Forschung interessiert. Bei letzterem Personenkreis gibt es in der Regel keine derartigen Sprachbarrieren.

Vom Standpunkt des Autors sind das Renommee einer Zeitschrift sowie die Größe des Leserkreises ausschlaggebend. Beide Argumente sprechen für die international verständliche Publikation in englischer Sprache. Der deutsche Autor verfügt jedoch in der Regel nicht über die gleiche Sprachgewandtheit im Englischen. Englische Muttersprachler mit medizinisch-wissenschaftlichem Hintergrund sind hierzulande selten, so dass Übersetzungen entweder sprachlich oder inhaltlich unzureichend sind. Häufig werden solche Artikel von angloamerikanischen Verlagen daher nur aus diesem Grund abgewiesen. Im europäischen Sprachraum dagegen gibt es bereits einige Zeitschriften, die durch fachlich qualifizierte Lektoren helfen, die Sprachbarrieren zu überwinden.

Seitens der Verlage ist der Umsatz entscheidend. Dieser ist wiederum von der Größe des Leserkreises abhängig. Die englische Sprache eröffnet den internationalen Markt. Deutschsprachige Zeitschriften sind häufig nur dann attraktiv, wenn die Umsatzzahlen durch nationale Fachgesellschaften garantiert werden.

Der vom US-amerikanischen Institute for Scientific Information erstellte „Journal Impact Factor” gibt die Häufigkeit an, mit der Artikel einer Zeitschrift durchschnittlich von anderen zitiert werden. Da eine objektive Bewertung der Qualität von Publikationen kaum möglich ist, wird hier in zunehmendem Maße dieser Impact Factor herangezogen [4]. Ohne an dieser Stelle die Diskussion über Bedeutung und Sinn dieser Messgröße führen zu wollen, tritt klar hervor, dass sie Veröffentlichungen in englischer Sprache überbewertet [5]. Natürlich ist Englisch wissenschaftlichen Kreisen der ganzen Welt verständlich. Jedoch hat sicher auch der US-amerikanische Standort Bedeutung, der zwangsläufig von angloamerikanischer Literatur ausgeht. Parallel hierzu hat sich „Medline”, die medizinisch bibliographische Datei der National Library of Medicine, zum Hauptinstrument der Literatursuche für wissenschaftliche Publikation entwickelt. Nicht gelistete Zeitschriften werden somit kaum noch zitiert. Auch hier schneiden rein deutschsprachige Zeitschriften schlecht ab. In der vorliegenden Arbeit von Maleck et al. wird gerade diese Datei zum Analyseinstrument erhoben.

Der Blick zu unseren europäischen Nachbarländern lehrt uns, dass nicht nur in Deutschland der Trend zur englischsprachigen Publikation zunimmt. So gilt in kleinen Sprachgebieten, wie den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden seit langem das Englische als die Sprache der Wissenschaft. Die Übersicht in Tab. [1] belegt, dass wir mit unserem Sprachproblem nicht alleine stehen. Vielmehr liegen die deutschsprachigen Veröffentlichungen mit einem medianen Impact Factor von 0,367 deutlich über dem nicht-englischsprachigen Schnitt. Der überwiegende Teil anderssprachiger Publikationen erscheint in Zeitschriften, die in der Liste des Impact Factors überhaupt nicht erwähnt sind. Die vor einigen Jahren vorgenommene Überlegung unserer französischen Nachbarn, die eigene Landessprache über zu bewerten, hätte so nur zur wissenschaftlichen Isolierung führen können [6].

Tab. 1 Medianer Impact Factor (IF) und Anzahl (n) der in „Medline” gelisteten Publikationen, die im Jahr 1999 erschienen, aufgeteilt nach Herkunftsland der Autoren und Sprache. Nicht in der Liste des IF geführte Zeitschriften wurden mit „0” bewertet. Deutschsprachig: Österreich, Schweiz; englischsprachig: Großbritannien, Canada, Australien, Neuseeland. Sprache Land Deutsch-land % deutschsprachig % USA % englischsprachig % sonstige Länder % deutsch IF 0,367 0 0 0 0   n 4 029 18,4 881 12,2 45 0,0 7 0,0 51 0,0 englisch IF 1,867 1,846 1,842 1,712 1,395 n 17 837 81,5 6 248 86,8 116 969 99,9 42 258 99,6 117 217 87,6 sonstige IF 0 0,303 0 0 0 n 18 0,1 67 0,9 100 0,1 175 0,4 16 565 12,4

Nach Meinung mancher Experten wird die Bedeutung gedruckter Literatur und damit des klassischen Verlagswesens in Zukunft zurückgehen. Elektronische Medien versprechen preiswerte, aktuelle und zugängliche Information. Seit Jahren wird so bereits „Educational Synopsis of Anesthesiology and Critical Care Medicine” [7] herausgegeben. Interessanterweise übersetzten engagierte Ärzte dieses Medium ins Deutsche. Dennoch ist auch hier davon auszugehen, dass auch hier im wissenschaftlich medizinischen Bereich nahezu ausschließlich englische Publikationen wie „The Internet Journal of Anesthesiology” [8] erscheinen werden.

Wenn nun wichtige wissenschaftliche Publikationen ausschließlich in englischer Sprache gehalten sind, welche Aufgabe bleibt den deutschsprachigen Zeitschriften? Sie wenden sich an den Leser, der eine schnelle, breite Information sucht. Die Majorität deutscher Ärzte dürfte in diese Gruppe einzuordnen sein. Gefragt sind Neuerungen der praktischen Medizin wie auch Übersichtsartikel. Eine wünschenswerte Übersetzung der herausragendsten wissenschaftlichen Arbeiten ins Deutsche dürfte allerdings an den Kopierrechten scheitern. Die Zukunft gehört zweifellos den bilingualen Lesern und Autoren.

Literatur

  • 1 Maleck W H, Boldt J, Wickenhäuser R. Deutschsprachige Publikationen deutscher anaesthesiologischer Universitäts-Abteilungen.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2000;  35 559-566
  • 2 Boldt J, Maleck W. Intensivmedizinische Forschung in Deutschland - eine Analyse von Beiträgen in wichtigen internationalen Journalen.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 1999;  34 542-548
  • 3 Boldt J, Maleck W. Beitrag Deutscher anaesthesiologischer Universitäts-Abteilungen am internationalen Schriftgut.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 1999;  34 131-135
  • 4 Lehrl S. Der Impact-Faktor als Bewertungskriterium wissenschaftlicher Leistungen - das Recht auf Chancengleichheit.  Strahlenther Onkol. 1999;  175 141-153
  • 5 Haller U, Hepp H, Reinold E. Tötet der „Impact Factor” die deutsche Sprache?.  Chirurg. 1999;  7 ((suppl)) 39-41
  • 6 Hauteville D. A propos de l'usage de l'anglais dans les publications scientifiques.  Ann Med Interne Paris. 1995;  146 29-32
  • 7 http://www.gasnet.eur.nl/esia/
  • 8 http://www.ispub.com/journals/ija.htm

Dr. med. G. V. Dietrich

Abteilung für Anästhesiologie undOperative Intensivmedizin

Justus-Liebig-Universität

Gießen

Rudolf-Buchheim-Straße 7

35385 Gießen

    >