Geburtshilfe Frauenheilkd 2000; 60(11): 536-543
DOI: 10.1055/s-2000-8069
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Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sexualität in der Schwangerschaft: Risiko- oder Schutzfaktor?

Sexual Activity During Pregnancy: Risk Factor or Protection?B. Leeners1 , U. Brandenburg2 , W. Rath1
  • 1 Universitätsfrauenklinik der RWTH Aachen
  • 2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der RWTH Aachen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

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Zusammenfassung

Gespräche und Informationen über Sexualität sollten integrativer Bestandteil der Schwangerenberatung sein. Dies setzt neben der beiderseitigen Bereitschaft zur Thematisierung vor allem ein aus bisherigen Erkenntnissen aus der Literatur gewonnenes und weniger von subjektiven Einschätzungen des Frauenarztes/der Frauenärztin geprägtes Wissen voraus, das in den gängigen Lehrbüchern nur lückenhaft oder gar nicht vermittelt wird. Die überwiegende Anzahl insbesondere der methodisch akzeptablen Untersuchungen kommt zu dem Ergebnis, dass Geschlechtsverkehr bei einer komplikationslosen Schwangerschaft ungefährlich ist. Befürchtungen, den Fetus durch Geschlechtsverkehr zu verletzen, sind vor diesem Hintergrund unberechtigt. Grundsätzlich kann in der komplikationslosen Schwangerschaft jede Form von Sexualität: genital, nichtgenital, oral, manuell, anal etc. praktiziert werden - sofern von beiden Partnern gewünscht. Zu Empfehlungen hinsichtlich des sexuellen Verhaltens bei klassischer Anamnese einer Risikokonstellation in der laufenden Schwangerschaft fehlt bisher eine wissenschaftlich gesicherte Grundlage. Eine akute lebensbedrohliche Situation kann durch eine Luftembolie bei kraftvollem Einbringen von Luft in die Scheide ausgelöst werden. Schwangerschaft ist keine Zeit reduzierter sexueller Risiken. Geburtshelfer sollten auf „safer sex“ in der normalen Schwangerschaftsvorsorge, z. B. der Anwendung von Kondomen bei Risikogruppen für sexuell übertragbare Erkrankungen, hinweisen. Sexualität spielt auch in der Schwangerschaft und im Wochenbett eine große bisher nur ansatzweise wissenschaftlich erforschte Rolle als partnerschaftsstabilisierender Faktor. Dabei hat Sexualität heute im Gegensatz zu früher eine größere Bedeutung für das mittel- und damit auch langfristige Weiterbestehen einer Beziehung. Sie bietet in einer Phase multipler Veränderungen die Möglichkeit, den eigenen Körper und die Schwangerschaft positiv zu erleben, sich durch die körperlichen Veränderungen zu neuen sexuellen Varianten inspirieren zu lassen und einer Entfremdung der Partner entgegenzuwirken. Eine gute sexuelle Beziehung bedeutet jedoch nicht zwangsläufig eine aktivere Sexualität bzw. eine bestimmte Quantität sexueller Kontakte. Im Rahmen der Schwangerenvorsorge sollten Paare nach der Vermittlung von praktischen Informationen in der Entwicklung einer für sie adäquaten Sexualität in der Schwangerschaft unterstützt werden.

Summary

Prenatal care should include discussions of sexuality and sexual activity during pregnancy. These discussions should be based on evidence in the medical literature rather than on personal opinion, but many obstetric textbooks contain little information on sexuality during pregnancy. Most studies have concluded that sexual intercourse is not a risk factor for a normal pregnancy. Genital, non-genital, oral, manual, anal or other sexual activity can be practiced. There are few data on which to base recommendations for patients with complicated pregnancies. Pregnancy is not a period of reduced sexual risk. Obstetricians should advise patients at risk for sexually transmitted diseases to use condoms. About 16 cases of life-threatening air insufflation due to oral-genital contact have been reported. Sexual activity may help stabilize a relationship during pregnancy and beyond delivery. In a phase of multiple modification, sexual activity facilitates a positive body image and acceptance of the pregnancy and pregnancy-associated changes. Sexual activity may help counteract mutual estrangement. A good sexual relationship does not necessarily mean active sexual activity or a certain frequency of sexual activity. Expectant parents should be encouraged to maintain adequate individual sexuality during pregnancy and beyond.

Literatur

Dr. med. Brigitte Leeners

Universitätsfrauenklinik RWTH Aachen

Pauwelsstraße 30

52057 Aachen