Rofo 2000; 172(1): 98-99
DOI: 10.1055/s-2000-8180
DER INTERESSANTE FALL
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Dreifache Nabelschnurumschlingung als Ursache einer generalisierten Sinusthrombose

O. Stengele, A. Beck, E. Hagel, T. Thieme
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

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Eine Nabelschnurumschlingung führt häufig erst im Rahmen der Wehentätigkeit zu einer verminderten Sauerstoffzufuhr des Fötus und entsprechend zu pathologischen Veränderungen im Kardiotokogramm (CTG). Sporadische Dezelerationen können schon vor Beginn der Wehentätigkeit auftreten und werden auf Kindsbewegungen zurückgeführt. Die kontinuierliche Kardiotokographie erfaßt frühzeitig potentielle Gefahrenzeichen. Durch die großzügige Indikationsstellung zur Sectio caesarea wurde die perinatale Mortalität deutlich gesenkt. Ernsthafte Komplikationen sind vor der eigentlichen Geburtsperiode nicht zu erwarten.

Eine Thrombose des Sinus transversus geht häufig von einer akuten oder chronischen Otitis media aus (Garcia RD et al., Pediatr Infect Dis J 1995; 14: 617). Weitere Ursachen sind eine Enzephalitis oder Meningitis. Eine Thrombose des Sinus sagittalis superior entwickelt sich selten bei stark dehydrierten Säuglingen. Als seltene Ursachen beim Erwachsenen finden sich ein Trauma, eine neck dissection, eine Koagulopathie, ein Nephrotisches Syndrom, Malignome, extrakranielle Infektionen und Autoimmunerkrankungen wie der Lupus erythematodes (Provenzale JM et al., Am J Roentgenol 1998; 170: 499; Reddingius RE et al., Med Pediatr Oncol 1997; 29: 296). Eine Sinusthrombose im Rahmen einer Nabelschnurumschlingung ist aus der Literatur nicht bekannt.

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Fallbericht

Bei einer 32jährigen Erstgebärenden wurde auf grund eines pathologischen Kardiotokogramms (CTG) in der 38. Schwangerschaftswoche eine primäre Sectio durchgeführt. Hierbei zeigte sich eine dreifache, straffe Nabelschnurumschlingung. Das Kind war primär vital bei einem APGAR von 7-9-9 und einem Geburtsgewicht von 2140 g. Der Kopfumfang war mit 33,5 cm in der 60. Perzentile gelegen. Äußere Mißbildungszeichen lagen nicht vor, Herz und Lunge waren auskultatorisch unauffällig. Bei der Labordiagnostik waren massenhaft Normoblasten und eine Leukozytose von 120.000 bei einer normalen Erythrozytenzahl und einem normalen Hämoglobinwert aufgefallen. Die starke LDH-Erhöhung auf 3880 U/L und Bilirubinerhöhung auf 8,2 mg% mit einem Anteil von nur 0,2 mg% direktem Bilirubin waren hinweisend auf eine hämolytische Anämie, wobei der direkte Coombs-Test negativ war.

Im weiteren Verlauf war das Bilirubin auf maximal 13,3 mg% angestiegen. Die Leukozytose, bedingt durch die Normoblastenvermehrung, normalisierte sich spontan ohne spezifische Therapie.

Bei der Sonographie des Schädels fand sich eine deutliche Asymmetrie der Seitenventrikel mit zusätzlichen Zeichen einer intraventrikulären Einblutung und einer diffusen periventrikulären Leukomalazie.

Die kernspintomographische Untersuchung erfolgte am 7. Lebenstag. Hierbei fand sich bei der T1-gewichteten Sequenz in der transversalen und sagittalen Schnittführung eine konstante Signalanhebung im Sinne eines fehlenden flow void im Sinus sagittalis superior, im Sinus rectus und transversus sowie zumindest von Teilen der V. cerebri interna (Abb. [1]). Die V. cerebri magna war deutlich dilatiert. Die anschließend angefertigte MR-Angiographie in der Phasenkontrasttechnik (TR 16, TE 8, Flipwinkel 15°, Flußsensitivität 20 cm/s) zeigte in den korrespondierenden Gefäßprovinzen keinen Fluß (Abb. [4]). Deutlich abgrenzbar war hierbei der Kollateralkreislauf intern über den Sinus cavernosus und extern nach frontobasal in das Stromgebiet der V. jugularis externa.

Paraventrikulär waren zusätzlich polyzyklisch begrenzte, fast das gesamte Marklager einnehmende, bei der T1-Gewichtung überwiegend signalintensive Areale abgrenzbar (Abb. [1]). Zentral waren noch hypointense Regionen zu erkennen. Bei der T2-gewichteten Sequenz war die Signalgebung heterogener. Frontal fand sich überwiegend eine Signalauslöschung mit ringförmiger Signalanhebung im Randbezirk. Okzipital zeigte sich außer dem signalintensiven Ring eine Signalzunahme in den zentralen Anteilen (Abb. [2]). Bei der Gradientenechosequenz waren Signalabschwächungen und Signalanhebungen zu sehen (Abb. [3]). Die Seitenventrikel ließen eine deutliche Aufweitung erkennen.

Zusammenfassend ließ sich also kernspintomographisch und MR-angiographisch ein typischer Befund einer ausgedehnten Sinusthrombose sowie ausgedehnter Parenchymblutungen nachweisen.

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Diskussion

Bei einem pathologischen CTG wurde in der 38. Schwangerschaftswoche eine primäre Sectio durchgeführt. Hierbei fand sich eine dreifache straffe Nabelschnurumschlingung. Der perinatale Verlauf war komplikationslos, das Kind hatte sich rasch erholt. Unmittelbar postnatal zeigte sich eine ausgeprägte Normoblastose mit Zeichen einer Hämolyse, die sich im weiteren Verlauf spontan normalisierte. Kernspintomographisch fand sich eine generalisierte Sinusthrombose mit intraparenchymatösen Blutungen und einem hämorrhagischen Verschlußhydrozephalus, der die Implantation eines Rickham-Resorvoirs erforderlich machte.

Zum Verständnis des Pathomechanismus war der mutmaßliche Zeitpunkt der Hirnblutung von entscheidender Bedeutung:

Im frühen subakutem Stadium eines Hämatoms (etwa 3 Tage nach dem Ereignis) wird Deoxyhämoglobin zu Methämoglobin umgewandelt. Methämoglobin ist paramagnetisch wirksam. Durch die Dipol-Dipol Wechselwirkung kommt es zu einer T1-Verkürzung und somit zu einem Signalanstieg auf den T1-gewichteten Aufnahmen. Solange das Methämoglobin noch intrazellulär liegt, ist aufgrund der T2-Verkürzung eine Signalminderung bis Signalauslöschung auf den T2-gewichteten Aufnahmen nachzuweisen. Beim späten subakuten Stadium (nach etwa 7 Tagen) kommt es zu einer Lyse der Erythrozyten und somit zu einer Freisetzung von Methämoglobin. Eine T1-Verkürzung bleibt bestehen, es findet sich somit weiterhin ein hohes Signal auf den T1-gewichteten Aufnahmen. Der T2-Verkürzungseffekt herrscht jedoch nicht mehr vor, so daß die Signalintensität in diesem Stadium auf den T2-gewichteten Aufnahmen ansteigt. Diese Signalintensitätsverteilung mit Übergang zum späten subakuten Stadium korreliert relativ gut zu dem geschilderten Fall.

Die kernspintomographische Untersuchung erfolgte am 7. Lebenstag. Es ist somit davon auszugehen, daß es perinatal zu den hirnparenchymalen Blutungen gekommen ist, möglicherweise im Rahmen einer akuten Zunahme der Hypoxämie und der venösen Abflußbehinderung bei bekannter straffer Nabelschnurumschlingung und Sinusthrombose.

Die massive extramedulläre Erythropoese und konsekutive Normoblastose kann durch rezidivierende intrauterine Hypoxien erklärt werden. Die dadurch bedingte Viskositätserhöhung und die Kompression der Halsvenen sind sicherlich die Hauptfaktoren für die Ausbildung einer so ausgedehnten Sinusthrombose.

Während des bis jetzt überschaubaren Zeitraumes von 4 Monaten fand eine unauffällige Entwicklung des Kindes statt. Es kam zu einer normalen Gewichts- und Längenentwicklung. Bei täglichen Punktionen des Rickham-Reservoirs war der Kopfumfang im Normbereich gelegen. Die spontanen Bewegungen waren symmetrisch, pathologische Reflexe waren nicht aufgetreten.

Da jedoch beim Neugeborenen und in den ersten Lebensmonaten die Hirnrinde nicht voll ausgereift ist, dominiert die Funktion des Stammhirns. Dies könnte ein Grund für den primär klinisch unauffälligen Verlauf sein. Bei den vorliegenden Befunden sind jedoch deutliche psychomotorische Störungen zu erwarten.

O. Stengele, A. Beck, E. Hagel, T. Thieme, Konstanz

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Abb. 1Bei der T1-gewichteten Sequenz zeigt sich in der transversalen (a) und sagittalen ( b) Schnittführung eine Signalanhebung im Sinus sagittalis superior (Pfeil), in der V. cerebri magna (Pfeilkopf) und im Sinus rectus (doppelter Pfeilkopf). Paraventrikulär Nachweis von ausgedehnten intrazerebralen Blutungen.

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Abb. 2Die intrazerebralen Blutungen sind in den T2-gewichteten Aufnahmen überwiegend signalarm, links parietookzipital ist ein Übergang in das signalintensive (späte subakute) Stadium zu erkennen (Pfeil).

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Abb. 3Bei der Gradientenechosequenz zeigt sich an den Blutungen beidseits frontal eine deutliche Signalabschwächung mit einer in der T2-gewichteten Sequenz vergleichbaren Ausdehnung. Links parietookzipital ist das Signal hingegen angehoben. Durch Hämosiderin bedingte Suszeptibilitätsartefakte liegen somit noch nicht vor.

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Abb. 4Die Phasenkontrastangiographie zeigt in der a. p. (a) und seitlichen (b) Projektion einen Verschluß sämtlicher großer venöser Blutleiter, der Sinus sagittalis superior (Pfeil) und der Sinus rectus (Pfeilkopf) geben keinerlei Signal.

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Abb. 1Bei der T1-gewichteten Sequenz zeigt sich in der transversalen (a) und sagittalen ( b) Schnittführung eine Signalanhebung im Sinus sagittalis superior (Pfeil), in der V. cerebri magna (Pfeilkopf) und im Sinus rectus (doppelter Pfeilkopf). Paraventrikulär Nachweis von ausgedehnten intrazerebralen Blutungen.

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Abb. 2Die intrazerebralen Blutungen sind in den T2-gewichteten Aufnahmen überwiegend signalarm, links parietookzipital ist ein Übergang in das signalintensive (späte subakute) Stadium zu erkennen (Pfeil).

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Abb. 3Bei der Gradientenechosequenz zeigt sich an den Blutungen beidseits frontal eine deutliche Signalabschwächung mit einer in der T2-gewichteten Sequenz vergleichbaren Ausdehnung. Links parietookzipital ist das Signal hingegen angehoben. Durch Hämosiderin bedingte Suszeptibilitätsartefakte liegen somit noch nicht vor.

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Abb. 4Die Phasenkontrastangiographie zeigt in der a. p. (a) und seitlichen (b) Projektion einen Verschluß sämtlicher großer venöser Blutleiter, der Sinus sagittalis superior (Pfeil) und der Sinus rectus (Pfeilkopf) geben keinerlei Signal.