Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(9): 226-227
DOI: 10.1055/s-2001-11475
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Therapie der Adipositas - Wo stehen wir heute?

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Wir haben uns offensichtlich längst daran gewöhnt, dass Millionen Deutsche aufgrund ihrer übermäßigen Körperfülle an Atemnot bis hin zu schwerer Hypoventilationssymptomatik leiden, wegen chronischer Gelenksbeschwerken orthopädische Praxen übervölkern und zuhauf Stoffwechselstörungen entwickeln, die ein hohes Herzinfarktrisiko mit sich bringen. Da dies beileibe nicht alle Folgen der Adipositas sind, sind Lebensqualität und Prognose der Betroffenen empfindlich beeinträchtigt [5] [8]. Obwohl dieser Zusammenhang überdeutlich ist, leistet sich die deutsche Gesundheitspolitik weiterhin den Luxus, dieses für die Gesundheit großer Bevölkerungsgruppen zentrale Thema weitgehend zu ignorieren. Dieses Verhalten wird uns teuer zu stehen kommen. Nach eher konservativen Schätzungen belaufen sich die Kosten für die adipositas-assoziierten Krankheiten auf etwa 10 % aller Gesundheitsausgaben. Wer sich zudem den dramatischen Anstieg der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen vor Augen führt, wird rasch erkennen, dass dies erst der Anfang ist.

Was können wir dagegen tun? Selbstverständlich sollte die Prävention den höchsten Stellenwert haben. Dabei handelt es sich aber in erster Linie um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die hier nicht näher ausgeführt werden soll. Hauptzielgruppe der Medizin sind vielmehr die vielen adipösen Menschen mit Risikofaktoren und Komorbiditäten. Trotz oft pessimistischer Kommentare zum Erfolg gewichtsreduzierender Maßnahmen stellen diese die wichtigste pathogenetisch orientierte Therapie dar, die mit einer raschen Verbesserung aller Komorbiditäten verbunden ist. Eine lediglich auf einzelne Komplikationen zielende Therapie, wie sie derzeit die Praxis ist, kann zwangsläufig nur begrenzt wirksam sein, da sie die Hauptursache außer Acht lässt.

Die moderne Adipositastherapie hat heute wissenschaftlich fundierte, evidenzbasierte Strategien zu bieten [2] [3] [6] [8]. Basis jeder Therapie sollte eine Kombination aus Ernährungsumstellung und Bewegungssteigerung sein, gewichtssenkende Pharmaka können adjuvant eingesetzt werden; bei extrem Adipösen kommen chirurgische Methoden in Betracht, die bei korrekter Indikationsstellung und Durchführung sehr effektiv sind. Bereits mit der Basistherapie lassen sich zumindest gute kurz- und mittelfristige Ergebnisse erzielen, während eine langfristige Stabilisierung des Gewichtserfolgs bislang nur unbefriedigend gelingt. Das Problem liegt aber darin, dass viele Therapieprogramme zu kurz angelegt sind. Da die Adipositas ein chronisches Gesundheitsproblem darstellt, ist selbstverständlich - ähnlich wie bei Typ-2-Diabetes oder Hypertonie und dort längst akzeptiert - eine langfristige Betreuung durch ein kompetentes Team zu fordern.

Das häufige Scheitern einer Adipositastherapie hat aber auch mit falschen Erwartungen zu tun. Wir wissen inzwischen gut, dass der menschliche Körper vielfältige, potente Adaptationsmechanismen besitzt, die darauf ausgerichtet sind, das Körpergewicht zumindest kurzfristig stabil zu halten, sei es auf Normalgewichts- oder auf Übergewichtsniveau. Dies ist das Ergebnis der Evolutionsgeschichte des Menschen, die immer stärker durch Hungerperioden geprägt war und den am ehesten überleben ließ, dessen Stoffwechsel in Notzeiten besonders genügsam war. Aus diesem Grund lässt sich in der Regel nur eine Gewichtsabnahme von 5 bis 15 % des Ausgangsgewichts erreichen. Ehrgeizigere Ziele sind unrealistisch und beinhalten von vorneherein ein hohes Risiko des Scheiterns. Die gute Nachricht in diesem Kontext ist, dass eine Gewichtsreduktion in dieser Größenordnung bereits mit einer eindrucksvollen Besserung der Begleiterkrankungen, aber auch der subjektiven Beschwerden und der Lebensqualität einhergeht. Wer seine körperliche Fitness zusätzlich durch regelmäßige körperliche Bewegung steigert, kann sogar gewichtsunabhängig sein Erkrankungs- und Sterberisiko nachhaltig senken [7].

Ein oft vernachlässigter Gesichtspunkt, der viele gut gemeinte Therapien scheitern lässt, ist die fehlende Patientenzentrierung. Es ist unabdingbar, dass ein adipöser Patient geschult wird, in die Therapieplanung einbezogen wird und selbstverständlich nach ausführlicher Beratung selbst über das Therapiekonzept mitentscheidet. Schließlich weiß er am besten, was er im Alltag zu ändern in der Lage und bereit ist. Je maßgeschneiderter die Therapie ist, deso größer sind die Erfolgsaussichten. Der informierte, selbstverantwortlich handelnde Patient ist somit der beste Garant für den Therapieerfolg. Allerdings ist bei vielen Patienten aufgrund persönlicher Umstände ein solcher Ansatz nicht realisierbar oder nicht ausreichend wirksam. In solchen Fällen ist eine adjuvante Therapie mit Pharmaka zu erwägen. Die faszinierenden neuen Erkenntnisse zur Regulation des Körpergewichts haben völlig neue Perspektiven für eine gezielte Pharmakotherapie eröffnet [1]. Neben der pharmakologischen Beeinflussung von Hunger und Sättigung kommen neuerdings auch Strategien in Frage, den Energieverbrauch zu steigern.

Gerade die kürzliche Entdeckung weiterer Entkopplungsproteine (»Uncoupling proteins« = UCPs) bietet hierfür einen interessanten neuen Ansatzpunkt. Der Beitrag von A. Hamann in dieser Ausgabe gibt einen ausgezeichneten Überblick über den aktuellen Kenntnisstand auf diesem Gebiet [4]. Die zurückhaltende Wertung des Autors zu den Möglichkeiten einer pharmakologischen Intervention macht aber auch deutlich, dass noch viele Fragen zu klären sind, bevor an einen therapeutischen Einsatz beim Menschen zu denken ist. In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass Therapieprinzipien, die bei Tiermodellen der Adipositas sehr effektiv waren, beim Menschen nicht funktionieren.

Dennoch wird es nur eine Frage von wenigen Jahren sein, bis die derzeit diskutierten pharmakologischen Ansätze zur Senkung des Körpergewichts ausreichend untersucht sind und wahrscheinlich neue Wirkstoffe für den Einsatz beim Menschen zur Verfügung stehen, die die bereits verfügbaren wie Sibutramin und Orlistat ergänzen. Schließt man sich der Meinung der Scientific Community der Adipositasforschung an, dass sich die heutige medikamentöse Therapie der Adipositas auf dem Stand der Hypertoniebehandlung vor 40 Jahren bewegt, dann bleibt noch viel zu tun. So gibt es bislang keine einzige Endpunktstudie für gewichtssenkende Medikamente. Ungeachtet dessen besteht akuter Handlungsbedarf, um der fortschreitenden Adipositasepidemie und ihren gravierenden Konsequenzen auch in Deutschland besser Einhalt zu gebieten. Dazu müssten vor allem die heutigen Möglichkeiten der Adipositastherapie konsequenter genutzt werden. Gefordert sind aber auch die Kostenträger. Nur wenn die Adipositas als eigenständige Krankheit anerkannt wird, besteht auch eine Chance, deren kostspielige Komplikationen einzudämmen.

Literatur

  • 1 Bray G A, Tartaglia L A. Medicinal strategies in the treatment of obesity.  Nature. 2000;  404 672-677
  • 2 Deutsche Adipositas-Gesellschaft .Leitlinien zur Behandlung der Adipositas. Adipositas-Mitteilungen Heft 16 1998
  • 3 Expert Panel on the Identification, Evaluation, and Treatment of Overweight and Obesity in Adults . Clinical guidelines on the identification, evaluation, and treatment of overweight and obesity in adults. The Evidence Report. National Institute of Health, National Heart, Lung and Blood Institute.  Obesity Res. 1998;  6 515-2105 (1.2)
  • 4 Hamann A, Münzberg H, Tafel J, Ziegler R. Manche mögens heiß: Bedeutung der Thermogenese für den Energiestoffwechsel und die Therapie der Adipositas.  Dtsch Med Wschr. 2001;  126 241-246
  • 5 Hauner H. Gesundheitsrisiken von Übergewicht und Gewichtszunahme.  Dt Ärztebl. 1996;  93 A3405-A3408
  • 6 Hauner H, Westenhöfer J, Wirth A, Lauterbach K. Evidenz-basierte Leitlinie zur Behandlung der Adipositas in Deutschland.  Anwenderversion. 1998; 
  • 7 Wei M, Kampert J B, Barlow C E. et al . Relationship between low cardiorespiratory fitness and mortality in normal-weight, overweight, and obese men.  JAMA. 1999;  232 1547-1553
  • 8 World Health Organization .Obesity - preventing and managing the global epidemic. Reports of a WHO consultation on obesity. Geneva 1997

Prof. Dr. Hans Hauner

Deutsches Diabetes-Forschungsinsitut an der Heinrich-Heine-Universität

Auf’m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf

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