Zusammenfassung
Fragestellung: In der Bundesrepublik Deutschland steigt die Rate der kinderlosen Frauen. Während
das Thema der ungewollten Kinderlosigkeit in der Frauenheilkunde breite Beachtung
findet, beschäftigt man sich kaum mit der Frage des (temporär?) gewollten Verzichtes
auf Schwangerschaft und Geburt. Für die ehemalige DDR waren ein niedriges Alter bei
der Erstgeburt und eine hohe Mütterrate typisch. Nach der „Wende” kam es zu gravierenden
Veränderungen der Geburtenrate in Ostdeutschland. Material und Methode: Die vorliegende Studie untersuchte 1996 Motive für und gegen ein Kind bei 554 aktuell
gewollt kinderlosen Frauen in einem Ost- und Westberliner Stadtbezirk (bevölkerungsbezogenen
Stichprobe). Im Fragebogen wurden neben soziodemographischen Daten Informationen zu
eigener Kindheit, Partnerschaft, Beruf, Lebenszufriedenheit und zur Kinderwunschmotivation
erhoben. Ergebnisse: Neben dem schulischen und beruflichen Abschluß erwiesen sich Vorstellungen über das
Alter bei der Erstgeburt eines Kindes, über Nachteile für ein Leben mit Kind und Wertehierarchien
für Partnerschaft und Familie als bedeutsam für die Beschreibung des Dilemmas von
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ostsozialisierte Frauen halten eine Vereinbarkeit
eher für möglich. Schlußfolgerungen: Ziele für berufliche Entwicklung und verantwortliche Elternschaft geraten für junge
Frauen zunehmen in Konflikt. Das zeitliche Aufschieben des Kinderwunsches führt zu
einer Zunahme gewollter und ungewollter Kinderlosigkeit mit vielfältigen (psychosomatischen)
Auswirkungen auf den gynäkologisch-geburtshilflichen Alltag.
Child or career? Fertility desire in East- and West-Berlin
Summary
Objective: In the Federal Republic of Germany the rate of the childless women rises. While the
topic of unwanted childlessness among gynecologists receives broad attention among
gynecologists, the question of (temporaryly?) intended renouncement of pregnancy and
birth is of little interest. For the former GDR a low age with the firstborn and a
high mother rate were typically. After the “turn” serious modifications of the birth
rate in East Germany happend. Material and methods: The available study examined 1996 motives for and against a child with 554 up-to-date
wanted childless women in East- and West-Berlin (population-referred sample). In the
questionnaire, besides sociodemographic data, information was raised to own childhood,
partnership, occupation, satisfaction with life and for child desire motivation. Results: Apart from the school and vocational termination conceptions on the age with the
firstborn, disadvantages for a life with child and value hierarchies for partnership
and family were important for the description of the dilemma of compatibility of occupation
and family. Eastsocialized women consider a compatibility rather possible. Conclusions: Targets for vocational development and responsible parenthood for young women come
into conflict. Temporal delaying of the child desire leads to an increase of intended
and unwanted childlessness with various (psychosomatic) effects on obstetrics and
gynecology.
Schlüsselwörter
Kinderwunsch - Kinderlosigkeit - psychosozial - Rollenerwartungen
Key words
Fertility desire - childlessness - psychosocial - sex-role expectations
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Dr. med. Martina Rauchfuß
AG Psychsoziale Frauenheilkunde Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin Universitätsklinikum Charité Berlin Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften
Luisenstr. 57
D-10117 Berlin