Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(Suppl. Statistik): T 45-T 46
DOI: 10.1055/s-2001-12743
Statistik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Verlaufskurven

R. Bender1 , St Lange 2
  • 1Fakultät für Gesundheitswissenschaften, AG Epidemiologie und medizinische Statistik, Universität Bielefeld
  • 2Abteilung für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie der Ruhr-Universität Bochum
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Korrespondenz

Dr. Ralf Bender

Fakultät für Gesundheitswissenschaften AG3: Epidemiologie und medizinische Statistik Universität Bielefeld

Postfach 100131

33501 Bielefeld

Email: ralf.bender@uni-bielefeld.de

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Publication Date:
25 February 2002 (online)

Table of Contents

Ein häufiges Problem in der biomedizinischen Forschung ist die Analyse von Verlaufskurven. Eine Verlaufskurve ist eine zeitlich angeordnete Datenreihe, gemessen an einem Probanden, zum Beispiel die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) über 2 Jahre im Abstand von 3 Monaten oder eine Blutzuckerkurve über 2 Stunden mit 5minütlichen Blutzuckermessungen. Kennzeichnend für solche Situationen ist also, dass es zu einer Vielzahl von Messwertwiederholungen kommt. Da zur Beurteilung und zum Testen auf Unterschiede von Verlaufskurven keine einfachen statistischen Standardverfahren zur Verfügung stehen, werden Verlaufskurven häufig inadäquat ausgewertet, zum Beispiel durch den Vergleich zu jedem einzelnen Messzeitpunkt.

Solche multiplen Vergleiche können zu inhaltlichen Problemen bei der Interpretation führen, wenn beispielsweise nur bei einem von 10 Messzeitpunkten ein Unterschied auffällt, oder wenn sich die Kurven überkreuzen. Bei den multiplen Vergleichen entstehen auch Probleme, wenn multiple Signifikanztests eingesetzt werden (zum Beispiel 10 verschiedene t-Tests), da bei einer solchen Vorgabe das Signifikanzniveau [2] nicht mehr eingehalten werden kann. Das heißt, die Irrtumswahrscheinlichkeit als Grundpfeiler der statistischen »Sicherheit« ist nicht mehr quantifizierbar. Auf diese besondere Problematik des multiplen Testens und geeignete Lösungsmöglichkeiten werden wir in einem weiteren Beitrag dieser Reihe näher eingehen. Zunächst sei auf die Literatur verwiesen [1].

Je nach Fragestellung und Design kann eine angemessene Analyse von Verlaufskurven sehr komplex werden. Eine vollständige Übersicht über die vorhandenen statistischen Methoden zur Auswertung von Messwertwiederholungen kann hier nicht gegeben werden. Eine sehr gute Übersicht findet man zum Beispiel bei Cowder und Hand [3]

Neben komplizierten Verfahren, wie zum Beispiel Varianz-analyse für Messwertwiederholungen oder Regressionsanalyse mit zufälligen Effekten, kann man oft auf einfachere Methoden zurückgreifen, um Verlaufskurven adäquat auszuwerten. Vor allem bei langen Verlaufskurven interessiert häufig nicht jeder einzelne Datenpunkt, sondern nur gewisse Charakteristiken der gesamten Kurve. Lässt sich der Informationsgehalt einer Kurve sinnvoll durch eine oder wenige Kenngrößen wiedergeben, so kann die Auswertung dadurch vereinfacht werden, dass nicht sämtliche Einzelpunkte, sondern lediglich diese Kenngrößen der Verlaufskurven analysiert werden [7]. Häufig verwendete Kenngrößen sind die Fläche unter der Kurve (AUC), bei monotonen Kurven die Steigung aus der einfachen linearen Regression [5] und bei eingipfligen Kurven das Kurvenmaximum und der Zeitpunkt des Kurvenmaximums.

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Abb. 1 Serum-Insulin-Kurven eines Probanden nach, subkutaner Injektion von Human-Insulin und eines Insulin-Analogons.

Tab. 1 C max. -Werte (in pmol/l) von Serum-Insulin-Kurven gemessen an n = 14 Probanden nach subkutaner Verabreichung eines Insulin-Analogons bzw. eines Human-Insulins [4].

Proband

Insulin-Analogon

Human-Insulin

Differenz

1

510

345

156

2

428

212

216

3

595

329

266

4

456

300

156

5

444

258

186

6

538

344

194

7

472

281

191

8

516

293

223

9

476

201

275

10

785

286

499

11

585

321

264

12

490

294

196

13

442

261

181

14

515

355

160

Mittelwert (SD)

Median

518.0 (92.0)

500

291.4 (47.0)

293.5

226.6 (87.6)

195

Welcher Test zur weiteren Analyse der Kenngrößen geeignet ist, hängt von der Fragestellung und vom Studiendesign ab. Grundsätzlich kommen zur Analyse von Kurvenkenngrößen die üblichen parametrischen und nichtparametrischen Tests in Frage [6]. Man muss lediglich beachten, ob die zu vergleichenden Verlaufskurven in unabhängigen Gruppen (Verfahren für unabhängige Stichproben, zum Beispiel ungepaarter t-Test) oder ob mehrere Verlaufskurven beim gleichen Probanden (Verfahren für abhängige Stichproben, zum Beispiel gepaarter t-Test) gemessen wurden.

Als Beispiel betrachten wir die Serum-Insulin-Kurven von n = 14 Probanden, die in einer Studie zum Vergleich zweier Insulin-Präparate (Insulin-Analogon und Human-Insulin) gemessen wurden [4]. Nach 1 Stunde Vorlaufphase wurde zum Zeitpunkt 0 subkutan je ein Insulin-Präparat verabreicht und über 6 Stunden das Serum-Insulin gemessen. Insgesamt liegen pro Kurve 20 Messwerte vor. Jeder Proband erhielt an 2 verschiedenen Tagen beide Insulin-Präparate. In [Abb. 1] findet man beispielhaft die beiden Serum-Insulin-Kurven eines Probanden (Nr. 7).

Eine sinnvolle Kenngröße zur Beschreibung der maximalen Wirkung der Insulin-Präparate ist das Kurvenmaximum (C max. ). In [Tab. 1] findet man die Cmax.-Werte aller 28 Kurven. Es zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Präparaten bezüglich des Kurvenmaximums. Da es sich um abhängige Stichproben handelt und eine Normalverteilung der Cmax.-Werte nicht angenommen werden kann, ist ein adäquater Test auf Unterschied zwischen den Kurven bezüglich Cmax. der Vorzeichen-Rang-Test von Wilcoxon. Die Anwendung dieses Tests liefert einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Insulin-Präparaten bezüglich der maximalen Wirkung (p<0,001).

kurzgefasst: Verlaufskurven sind zeitlich angeordnete Datenreihen gemessen an einem Probanden. Die richtige Interpretation kann anhand von komplexen Auswertungsverfahren, zum Beispiel Varianzanalyse für Messwertwiederholungen oder Regressionsanalyse mit zufälligen Effekten aber auch anhand einfacherer Kenngrößen, zum Beispiel Fläche unter der Kurve, bei monotonen Kurven die Steigung aus der einfachen linearen Regression oder bei eingipfligen Kurven durch die Bestimmung des Kurvenmaximums bzw. den Zeitpunkt der Kurvenmaximums erfolgen.

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Literatur

  • 1 Bender R, Lange S. Adjusting for multiple testing - when and how?.  J Clin Epidemiol. 2001;  in press
  • 2 Bender R, Lange S. Was ist der P-Wert?.  Dtsch med Wschr. 2001;  126 T39-T40
  • 3 Crowder M J, Hand D J. Analysis of Repeated Measures. Chapman & Hall: London 1990
  • 4 Heinemann L, Heise T, Jorgensen L N, Starke A AR. Action profile of the rapid acting insulin analogue. Human Insulin B28Asp.  Diabetic Med. 1993;  10 535-539
  • 5 Lange S, Bender R. Lineare Regression und Korrelation.  Dtsch med Wschr. 2001;  126 T33-T35
  • 6 Lange S, Bender R. Was ist ein Signifikanztest?.  Dtsch med Wschr. 2001;  126 T42-T44
  • 7 Matthews J NS, Altman D G, Campbell M J, Royston P. Analysis of serial measurements in medical research.  Brit med J. 1990;  300 230-235
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Dr. Ralf Bender

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Literatur

  • 1 Bender R, Lange S. Adjusting for multiple testing - when and how?.  J Clin Epidemiol. 2001;  in press
  • 2 Bender R, Lange S. Was ist der P-Wert?.  Dtsch med Wschr. 2001;  126 T39-T40
  • 3 Crowder M J, Hand D J. Analysis of Repeated Measures. Chapman & Hall: London 1990
  • 4 Heinemann L, Heise T, Jorgensen L N, Starke A AR. Action profile of the rapid acting insulin analogue. Human Insulin B28Asp.  Diabetic Med. 1993;  10 535-539
  • 5 Lange S, Bender R. Lineare Regression und Korrelation.  Dtsch med Wschr. 2001;  126 T33-T35
  • 6 Lange S, Bender R. Was ist ein Signifikanztest?.  Dtsch med Wschr. 2001;  126 T42-T44
  • 7 Matthews J NS, Altman D G, Campbell M J, Royston P. Analysis of serial measurements in medical research.  Brit med J. 1990;  300 230-235
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