Anamnese
Anamnese
Bei der 9 Monate alten Patientin wurde im Alter von 4 Monaten eine Glutarazidurie
Typ I diagnostiziert. Unter lysinarmer und tryptophanreduzierter Diät sowie L-Carnitin-Substitution
waren die Stoffwechseleinstellung und die neurologische Entwicklung des Kindes zufriedenstellend.
Aktuell erfolgte die stationäre Einweisung wegen seit 10 Tagen bestehenden Hustens,
intermittierenden Erbrechens und reduzierter Nahrungsaufnahme sowie ausgeprägter Anämie.
Untersuchungsbefund
Untersuchungsbefund
Neun Monate alter weiblicher Säugling in leicht reduziertem Allgemeinzustand, Gewicht
7280 g (P 25), Länge 73 cm (P 75), Kopfumfang 46,5 cm (P 90-97). Körpertemperatur
38,1 °C rektal. Die Schädelnähte waren klaffend, die Fontanelle tastete sich weich
und im Niveau. Am rechten Unterbauch waren bläuliche derbe Papeln, 0,5 - 1 cm im Durchmesser
messend, sichtbar (Abb. [1 ]). Rachenring leicht gerötet, Atemfrequenz 50/min, grobblasige Rasselgeräusche ubiquitär,
Herzfrequenz 160/min, Leber 1 cm unter dem Rippenbogen palpabel, Milz nicht palpabel.
Instabilität und deutliche muskuläre Hypotonie des Rumpfes mit dyston-dyskinetischen
Bewegungen beim Greifen. Keine Lymphadenopathie.
Labor und technische Untersuchungen
Labor und technische Untersuchungen
Blutbild: Leukozyten 4,9 G/l (Granulozyten 0 G/l, Lymphozyten 4,6 G/l, lymph. Reizformen 0,2
G/l, Monozyten 0,05 G/l, Eosinophile 0 G/l), Erythrozyten 2,4 T/l, Hämoglobin 6,4
g/dl, Hämatokrit 18 %, MCV 76 fl, MCH 27 pg, Retikulozyten 1 0/00, Thrombozyten 255
G/l.
Weitere Laborbefunde: CRP 6,8 mg/l, im Normbereich lagen u. a.: Transaminasen, LDH, Ferritin, Transferrin,
Laktat, Ammoniak, Pyruvat, Carnitin. Bei Aufnahme Glutar- und Hydroxyglutarsäure im
Urin geringfügig erhöht, bei Kontrolle am vierten stationären Tag im Normbereich.
Therapie und Verlauf
Therapie und Verlauf
Eine Pneumonie wurde radiologisch ausgeschlossen. Wir führten die bereits ambulant
initiierte orale Erythromycintherapie und Mukolyse fort. Zur Vermeidung einer katabolen
Stoffwechsellage erhielt das Kind Infusionen mit hohem Glukoseanteil.
Unter dieser Therapie blieb die klinische Symptomatik zunächst unverändert und die
Stoffwechseleinstellung stabil. Es persistierte eine ausgeprägte normozytäre, normochrome
hyporegeneratorische Anämie (minimaler Hämoglobinwert 5,3 g/dl) und die Leukozytenzahlen
waren anhaltend niedrig (4200 - 6500 Leukozyten/μl mit Neutropenie).
Fünf Tage nach Aufnahme kam es zu einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes
mit hochfieberhaften Temperaturen, Lebervergrößerung und Zunahme des Exanthems im
Bereich des Bauchs bei unklarem Infektfokus. Laborchemisch fielen ein nur diskret
erhöhter CRP-Wert (8,2 mg/l) und ein Anstieg der LDH auf 534 U/l auf. Im Knochenmarkpunktat
fanden sich 94 % undifferenzierte Blasten.
Diagnose
Diagnose
Leukämische Hautinfiltrate bei akuter monoblastärer Leukämie (FAB: M 5; monoklonaler
Antikörper 7.1 positiv).
Kommentar
Kommentar
Hautauffälligkeiten werden bei bis zu 50 % der an einer akuten myeloischen Leukämie
erkrankten Patienten beschrieben [1 ]
[2 ]. Jedoch bei nur 2 - 8 % der AML-Patienten treten Hautinfiltrate mit bioptisch nachweisbaren
Tumorzellen auf [2 ]
[3 ]. In der Untergruppe der monozytären und myelomonozytären Formen sind hingegen bis
zu 30 % der Erkrankten betroffen [4 ]
[5 ].
Meist sind derbe bläuliche Infiltrate ohne bevorzugte Lokalisation zu sehen. Diese
können auch generalisiert oder in seltenen Fällen isoliert auftreten. Chlorome treten
v.a. bei myeloischen differenzierten Leukämien auf. Sie erscheinen durch die Myeloperoxidase
grünlich und finden sich bevorzugt an der Kopfhaut und periorbital (Abb. [2 ]). Leukämische Infiltrate der Haut können dem Erscheinen von Blasten im Knochenmark
oder im peripheren Blutbild um Wochen bis Monate vorausgehen [6 ]
[7 ].
Differenzialdiagnostisch kommen in erster Linie Hautmetastasen eines Neuroblastoms
und kutane Mastozytosen infrage. Mittels histologischer Untersuchungen können diese
Erkrankungen von leukämischen Infiltraten abgegrenzt werden. Im Falle leukämischer
Infiltrate sind im Hautbiopsat Blasten nachweisbar (Abb. [3 ]). Das histologische Bild der leukämischen Infiltrate entspricht somit dem Bild bei
Knochenmarkbefall (vergleiche Abb. 3 u. [4 ]).
Eine histologische Untersuchung unklarer Effloreszenzen bei gleichzeitig bestehenden
Blutbildveränderungen sollte daher frühzeitig in Erwägung gezogen werden.
Die Erkrankung an einer akuten monoblastären Leukämie bei gleichzeitig bestehender
Glutarazidurie Typ I ist nach unserem Kenntnisstand bisher noch nicht beschrieben.
Unsere Patientin wurde nach dem AML-BFM-98-Protokoll in modifizierter Form therapiert.
Sie befindet sich derzeit in Dauertherapie bei Remission. Unter der durchgeführten
Therapie war die Stoffwechseleinstellung weitestgehend zufriedenstellend und es kam
zu keiner krisenhaften Verschlechterung des neurologischen Befundes. Die Patientin
macht langsame, aber kontinuierliche Entwicklungsfortschritte.
Abb. 1 Hautbefund bei Aufnahme: Bläuliche derbe Papeln bei gleichzeitig bestehendem Arzneimittelexanthem.
Abb. 2 Periorbitale und die Tränendrüse infiltrierende leukämische Infiltrate bei einem Patienten
mit AML (M 5 n. FAB).
Abb. 3 Nachweis von Blasten im Hautinfiltrat des in Abb. 2 gezeigten Patienten. Das Knochenmark des Patienten (Abb. 4 ) zeigt ein vergleichbares Bild.
Abb. 4 Knochenmark eines Patienten mit AML. Das histologische Bild entspricht dem Bild des
Hautbiopsats.