Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(18): 546
DOI: 10.1055/s-2001-13292
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Einsatz von Neuraminidasehemmern bei der Prophylaxe und Behandlung der Influenza

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Die Influenza ist eine der bedeutendsten epidemisch auftretenden Infektionskrankheiten. Mit einer Morbidität von 100 Millionen Erkrankten jährlich sind die globalen medizinischen und ökonomischen Auswirkungen immens. Besonders problematisch sind pandemische Ausbrüche, die sich in Zyklen von 10 - 40 Jahren ereignen und eine außerordentliche Mortalität aufweisen.

Präventionsprogramme leiden unter der begrenzten und zeitlich limitierten Effektivität der Impfung sowie der immer noch zu geringen Durchimpfungsrate insbesondere bei den Risikopopulationen. Ungeachtet der Fortschritte in der antiviralen Chemotherapie, die zur Entwicklung mehrerer wirksamer Pharmaka für die Behandlung der Influenza geführt haben, müssen in diesem Zusammenhang noch erhebliche medizinische und ökonomische Probleme diskutiert werden.

Das Influenzavirus besitzt an der Oberfläche zwei Glykoproteine, Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase (NA). Neue Virussubtypen entstehen durch Mutationen beider Glykoproteine.

Während Amantadin und Rimantadin durch ihre Bindung an das membranständige M2-Protein die Replikation des Influenzavirus hemmen, inhibieren Neuraminidasehemmer wie das Zanamivir (GlaxoSmithKline) und das Oseltamivir (Hoffmann-La-Roche, in Deutschland noch nicht zugelassen) kompetitiv die virale Neuraminidase, in dem sie die Bindungsstellen der NA besetzen und somit das Andocken an das zelluläre Target, die Sialinsäure, verhindern. Ein wesentlicher Unterschied zu den Amantadin-Derivaten besteht in der Hemmung von Influenza-A- und -B-Virus. Auch scheint die Entwicklung einer Virustatikaresistenz aufgrund des hochkonservierten Genoms der viralen Neuraminidase ein geringeres Problem im Vergleich zu Amantadin und Rimantadin darzustellen [7]. Die Wirksamkeit gegenüber neu auftretenden Virusvarianten wie H5N1 und H9N2 ist belegt [9].

Beide Substanzen erwiesen sich bei der experimentellen Influenza an gesunden Freiwilligen in der Behandlung als wirksam. Es konnte neben der Verkürzung der Symptomdauer bei fieberhaften Patienten um einen Tag (drei Tage bei einem Behandlungsbeginn innerhalb von 30 Stunden) eine Senkung der klinischen Komplikationen (Pneumonie, bakterielle Superinfektion) festgestellt werden (1,4).

Die Datenlage für die Behandlung von Patienten mit Komorbiditäten ist jedoch limitiert. Die wenigen vorliegenden Studien zeigen bei frühzeitiger Intervention (<48 h) einen nur moderaten Rückgang der Symptomdauer (6). Eine gerade veröffentlichte, jedoch retrospektive Studie (8) konnte für Zanamivir einen klaren Vorteil hinsichtlich Krankheitsdauer (2,5 Tage) und Rückkehr zu normalen Aktivitäten für Patienten mit Komorbiditäten und solchen im hohen Lebensalter nachweisen.

Bei der prophylaktischen Anwendung, für deren Rationale sich schon frühzeitig im Tiermodell Hinweise fanden (2), zeigt sich in den vorliegenden Studien für Zanamivir als auch für Oseltamivir eine Reduktion sowohl der Morbidität an Influenza als auch eine um 50 % geringere Nachweisrate von Influenzaviren bei behandelten Personen (3,5). Beide Substanzen sind hierfür bislang nicht zugelassen.

Das von den jeweiligen Autoren gewählte Studiendesign birgt jedoch methodische Nachteile:

der untersuchte Personenkreis beschränkt sich auf Haushaltskontakte, so dass heterogene Patientenpopulationen mit eingeschränkter Vergleichbarkeit untersucht wurden; die zum Beginn der Prophylaxe noch fehlende virologische Sicherung bei den Indexfällen führt zu einer hohen Zahl an unnötig behandelten Personen; unklar ist, ob ein angestrebter Virusnachweis aufgrund der Gabe von NA-Hemmern eine eingeschränkte Sensitivität hat, so dass Influenzavirusinfektionen nicht als solche detektiert werden.

Die sich daraus für zukünftige Präventionsstrategien ergebenen Konsequenzen sind:

die Notwendigkeit schneller verfügbarer und reliabler diagnostischer Tests Beschränkung medikamentös-prophylaktischer Maßnahmen auf genau definierte Risikopopulationen (z. B. Seniorenheime, Pflegeeinrichtungen, medizinisches Personal)

Eine wesentliche Vorraussetzung für eine effektive Prävention der Influenza bleibt nach wie vor die umfassende Vakzinierung der Bevölkerung. Die Neuraminidasehemmer haben ihren Stellenwert in der Prävention lokal begrenzter Ausbrüche bei nicht-vakzinierten Individuen in noch genau zu definierenden klinischen Settings.

Literatur

  • 1 Calfee. et al . Safety and efficacy of intravenous zanamivir in preventing experimental human influenza A virus infection.  Antimicrob Agents Chemother. 1999;  43 1616-1620
  • 2 Fenton. et al . Chemoprophylaxis of influenza A virus infections, with single doses of zanamivir, demonstrates that zanamivir is cleared slowly from the respiratory tract.  Antimicrob Agents Chemother. 1999;  43 2642-2647
  • 3 Hayden. et al. Zanamivir Family Study Group . Inhaled zanamivir for the prevention of influenza in families.  N Engl J Med. 2000;  343 1282-1289
  • 4 Hayden. et al . Use of the oral neuraminidase inhibitor oseltamivir in experimental human influenza: randomized controlled trials for prevention and treatment.  JAMA. 1999;  282 1240-1246
  • 5 Hayden. et al . Use of the selective oral neuraminidase inhibitor oseltamivir to prevent influenza.  N Engl J Med. 1999;  341 1336-1343
  • 6 Jefferson. et al . Neuraminidase inhibitors for preventing and treating influenza in healthy adults.  Cochrane Database Syst Rev. 2000;  2 CD001265
  • 7 Kim C U. et al . Neuraminidase inhibitors as anti-influenza virus agents.  Antivir Chem Chemother. 1999;  10 141-154
  • 8 Lalezari J, Campion K, Keene O, Silagy C. Zanamivir for the treatment of influenza A and B infection in high-risk patients: a pooled analysis of randomized controlled trials.  Arch Intern Med. 2001;  161 212-217
  • 9 Leneva. et al . The neuraminidase inhibitor GS4104 (oseltamivir phosphate) is efficacious against A/Hong Kong/156/97 (H5N1) and A/Hong Kong/1074/99 (H9N2) influenza viruses.  Antiviral Res. 2000;  48 101-115

Korrespondenz

Dr. M. Waizmann
Dr. Th Grünewald

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