Radiologie up2date 2001; 1(3): 205
DOI: 10.1055/s-2001-17423
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ohne Diagnose keine Therapie

W. Steinbrich
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Publication Date:
26 September 2001 (online)

Dieses Dogma der modernen Medizin hat einerseits sehr die Durchsetzung rationaler Therapiekonzepte begünstigt, andererseits nachdrücklich die Entwicklung diagnostischer Methoden forciert. Die Forderung impliziert zudem die klare Unterscheidung zwischen Diagnostik und Therapie, was sich bis in Abläufe und strukturelle Konzepte hinein ausgewirkt hat. So ist die Herausbildung rein oder überwiegend diagnostischer Fachdisziplinen neben der zunehmenden Spezialisierung auch Ausdruck dieser strukturellen Trennung. Auf dem Hintergrund solcher Überlegungen wird verständlich, dass die Entwicklung therapeutischer Konzepte seitens so genannt diagnostischer Fächer stets kritisch beobachtet wurde und zwar nicht nur aus „turf”-Gründen. Die im Rahmen der „diagnostischen” Radiologie entstandene interventionelle Radiologie ist diesbezüglich wahrscheinlich das prominenteste Beispiel.

So wichtig das Dogma einer klaren Trennung von Diagnostik und Therapie für die Entwicklung der modernen Medizin war, so deutlich sind heute in einigen Bereichen die hierdurch verursachten Limitationen. Die Stärke der interventionellen Radiologie aber auch der interventionellen Techniken in der Inneren Medizin liegt nämlich grade in der konsequenten Anwendung bildgebender = „diagnostischer” Methoden zum Nutzen eines therapeutischen Konzeptes. Die Integration diagnostischer Gerätschaften in therapeutische Abläufe wird zweifellos in den nächsten Jahren noch erhebliche Fortschritte machen, wobei aktuell die Chirurgie den größten Nachholbedarf anmeldet. Bei der Suche nach einem optimalen Sicht- und Navigationsfenster unter gleichzeitig kleinstmöglicher Schädigung durch den Zugang wird die Chirurgie zweifellos nicht bei der Laparaskopie stehen bleiben, sondern sich zunehmend auch komplexerer radiologischer „Landkarten” bedienen. Dass dabei die Geräte allein nicht den erhofften Gewinn bringen, sondern auch die notwendige Fachkompetenz und kumulierte Erfahrung von Nöten ist, wissen wir allzu gut vom intraoperativen Ultraschall. Schon heute aber sollte sich die klinische Radiologie überlegen, welchen Beitrag sie leisten kann und muss, wenn erst CT und MRI Eingang in den Operationssaal gefunden haben. Hier wird nämlich vor Ort die gesamte Kompetenz der Radiologie auf MTRA- und Ärztin/Arzt-Niveau in Schichtbild- und Navigationstechniken benötigt.

In einigen Bereichen hat sich die Trennung von Diagnostik und Therapie auch hinsichtlich der Abläufe als hinderlich erwiesen. Im Rahmen der Traumatologie spielt der Faktor Zeit besonders für die Versorgung polytraumatisierter Patientinnen und Patienten eine herausragende Rolle. Zeitkonsumierende wiederholte Umlagerungen waren bisher aber bereits zwischen verschiedenen radiologischen Gerätschaften erforderlich, ganz zu schweigen von den notwendigen Patiententransporten zwischen Radiologie und Chirurgie. Wie die Arbeit zu einem zeitgemäßen Polytrauma-Management im vorliegenden Heft zeigt, kann mit der Entwicklung der Multi-Slice-CT inzwischen auf die konventionelle Röntgendiagnostik weitgehend verzichtet werden. Dies stellt einen erheblichen Fortschritt im Ablauf dar. Ideale Versorgungsbedingungen sind aber erst gegeben, wenn in einer mit einem CT ausgestatteten Versorgungseinheit auch direkt operiert werden kann. Gerade in solchen operativ/radiologischen Einrichtungen aber wird die maximale radiologische Kompetenz rund um die Uhr erforderlich sein.

W. Steinbrich

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