Luxationsverletzungen des Karpus ohne Frakturen sind seltene Ereignisse. Ursächlich
sind erhebliche axiale Gewalteinwirkungen gegen die extendierte Hand, z. B. nach einem
Sturz aus großer Höhe oder einem Verkehrsunfall. Häufig findet sich eine perilunäre
Luxation in Kombination mit Frakturen des Os scaphoideum (DeQuervainsche Luxationsfraktur),
des Os capitatum und des Os triquetrum. Seltener sind isolierte Luxationen ohne knöcherne
Beteiligungen. Von besonderem klinischen Interesse sind avaskuläre Nekrosen und begleitende
Bandverletzungen, deren Defektheilung zur karpalen Instabilität führen können. Eine
frühzeitige Reposition ggf. mit operativer Freilegung ist unabdingbare Voraussetzung
für eine erfolgreiche Behandlung. Vorgestellt wird eine ungewöhnliche Luxationsverletzung
von Os lunatum und Os scaphoideum.
Fallbericht
Ein 27-jähriger Arbeiter stürzte von einem Baugerüst aus 7 Meter Höhe. Der Sturz wurde
durch den wiederholten Anprall an das Gerüst abgebremst. Die Hand und das Handgelenk
links waren erheblich geschwollen. Bei deutlicher Krepitation bestand der klinische
Verdacht einer Luxationsfraktur des Radiokarpalgelenkes. Konventionell radiologisch
fand sich eine kombinierte Luxation der Os lunatum und des Os scaphoideum (Abb. [1 a]). Das Os lunatum war ca. 5 mm proximal des Radiokarpalgelenkes um seine proximale
Gelenkfläche in die palmaren Weichteile des Unterarmes rotiert. Das Os scaphoideum
war aus seiner radialen Position gelöst und nach palmar bzw. ulnar verlagert. Knöcherne
Verletzungen waren nicht nachweisbar.
Da eine geschlossene Reposition nicht möglich war, wurde unmittelbar über einen palmaren
Zugang eine operative Einrichtung durchgeführt. Das Os lunatum wurde in einem bis
zum Karpaltunnel reichenden Hämatom dargestellt. Während die Ligamenta radiolunata
zerrissen waren, gelang es, das Ligamentum ulnolunatum, welches um das Os lunatum
rotiert war, mit einem kleinen Gefäßstiel zu erhalten. Das Os scaphoideum konnte geschlossen
reponiert werden. Das Repositionsergebnis wurde mit 4 Kirschnerdrähten gehalten (Abb.
[1 b]), die dargestellten Bandstrukturen durch Nähte adaptiert und die transartikuläre
Drahtfixation mit einer dorsalen Gipsschiene gesichert.
Eine postoperativ durchgeführte CT der Handwurzel zeigte eine korrespondierende Ausrichtung
der Gelenkflächen. Nach 6-wöchiger Gipsbehandlung wurden die Kirschnerdrähte entfernt.
Eine ligamentäre Instabilität konnte weder in den klinischen noch in den konventionell
radiologischen Verlaufskontrollen nachgewiesen werden. Bei einem guten funktionellen
Ergebnis fanden sich auch 4 Monate später keine Hinweise für eine ischämische Nekrose
(Abb. [2]).
Diskussion
Eine Dislokation des Os lunatum und des Os scaphoideum ohne knöcherne Beteiligung
ist ein seltenes Verletzungsmuster, das in der Literatur auch in großen Kollektiven
nur als Einzelfälle beschrieben wurde und ein komplexes ligamentäres Trauma mit funktioneller
Trennung von Radiokarpal-, lntrakarpal- und Lunotriquetralgelenk impliziert (Taleisnik
et al., Palmar carpal instability secondary to dislocation of scaphoid and lunate:
report of a case and review of literatur. J Hand Surg 1982; 7: 606 - 612). Die Lig.
radiocarpale palmare und dorsale, das Lig. capitatoscaphoideum, die Gelenkkapsel des
mediokarpalen Kompartimentes und das Lig. lunotriquetrum sind rupturiert. In Abhängigkeit
vom Zustand des Lig. radio-scapholunatum können das Os lunatum und das Os scaphoideum
als Einheit oder unabhängig von einander dislozieren. Eine Verletzung des Lig. radio-scapho-lunatum
bedeutet dabei zwangsläufig auch eine Verschiebung der scapholunären Gelenkflächen.
Eine mögliche Erklärung für dieses Verletzungsmuster könnte eine progressive Dorsalextension
des Handgelenkes sein, die zuerst zu einer perilunären Dislokation des Handgelenkes
und anschließend zu einer palmaren Dislokation des Os lunatum führte. In dieser Position
folgt das proximale Ende des Os scaphoideum dem Os lunatum. Bei zusätzlicher Ulnardeviation
des Handgelenkes ist das Os scaphoideum dann nur noch gering von der distalen Konkavität
des Radius abgedeckt und kann so nach palmar dislozieren (Gordon et al., Scaphoid
and lunate dislocation. Report of a case in a patient with peripheral neuropathy.
J Bone Joint Surg 1972; 54: 1769 - 1772).
Voraussetzung für eine funktionell komplette Ausheilung ist eine frühzeitige Reposition
und Retention der Luxation. Die exakte Ausrichtung der Gelenkflächen kann postoperativ
durch eine Dünnschicht-CT gesichert werden, die parallel zur Längsachse des Unterarmes
ausgerichtet ist (Schmitt et al., Imaging and staging of avascular osteonecroses at
the wrist and hand. Europ J Radiol 1997; 25: 92 - 103). Eine gefürchtete Komplikation
stellt die ischämische Nekrose der zum Teil von Endarterien versorgten Handwurzelknochen
dar (Freedman et al., Vascularity of the carpus. Clin Orthop 2001; 383: 47 - 59).
Die Vitalität der Handwurzelknochen kann schon frühzeitig in einer Kontrastmittel-unterstützten
MRT überprüft werden. Neben T1- und T2-gewichteten Sequenzen wird die Durchführung fettunterdrückter Sequenzen empfohlen
(Schmitt et al.). Im weiteren Krankheitsverlauf kann sich eine radiokarpale bzw. intrakarpale
Instabilität einstellen, für die sich häufig schon in den konventionell-radiologischen
Übersichtsaufnahmen Hinweise finden (Metz et al., Ligamentous instabilities of the
wrist. Europ J Radiol 1997; 25: 104 - 111). Funktionsaufnahmen bzw. Schnittbilduntersuchungen
können in diesen Fällen die Diagnose sichern. Karpale Instabilitäten werden chirurgisch
mit transartikulären Bohrdrähten oder transfixierenden Platten bzw. Zugschrauben mit
Spongiosaplastik und adaptierenden Nähten der identifizierbaren Bandstrukturen behandelt.
In unserem Fall fand sich weder im klinischen noch im radiologischen Verlauf ein Hinweis
auf eine karpale Instabilität. Der komplette Faustschluss war schon zwei Monate nach
der Metallentfernung möglich.
F. Schellhammer, J. Isenberg,
H. G. Brochhagen, Köln
Abb. 1 Konventionell radiologische Untersuchung des linken Handgelenkes (a) im postero-anterioren und (b) im lateralen Strahlengang (Gipsaufnahme). Das Os lunatum ist proximal des Radiokarpalgelenkes
in die palmaren Weichteile des Unterarmes rotiert. Das Os scaphoideum ist nach palmar
bzw. ulnar verlagert.
Abb. 2 Konventionell radiologische Untersuchung des linken Handgelenkes (a) im postero-anterioren und (b) im lateralen Strahlengang (Gipsaufnahme). Die Luxationsverletzung wurde offen reponiert
und mit Kirschnerdrähten gehalten.