Die Gicht ist eine Krankheit, die meist als akute Monarthritis beginnt,
nach symptomfreien Intervallen rezidiviert und allmählich
in eine chronische destruierende Gelenkerkrankung übergeht.
Tophi, Gichtgeschwüre, Uratnephropathie mit Hypertonie
sowie Harnsäurenephrolithiasis sind weitere klinische Manifestationen.
Pathogenese
Ursache der Gicht ist die Hyperurikämie, das heißt
eine Serumharnsäurekonzentration oberhalb 6,4 mg/dl,
der Löslichkeitsgrenze von Natriumurat im Plasma. Ist die
Harnsäurekonzentration auf Werte oberhalb dieser Grenze
erhöht, liegt eine übersättigte Lösung
mit der Neigung zur Harnsäureausfällung bei Auftreten
entsprechender physikalischer Voraussetzungen vor. Eine Hyperurikämie
entsteht, wenn Harnsäure vermehrt gebildet oder verringert
ausgeschieden wird. In seltenen Fällen kombinieren sich
beide Mechanismen ([Tab. 1] [1]
[4]).
Die familiäre Hyperurikämie ist bei Männern
wesentlich häufiger als bei Frauen (vor allem vor der Menopause [5]
), und beruht bei der Mehrzahl der Patienten (ca. 99 %)
auf einer Störung der renalen Harnsäureausscheidung,
nämlich der tubulären Harnsäuresekretion.
Eine vermehrte endogene Harnsäuresynthese wird lediglich
bei ca. 1 % aller Patienten beobachtet (verminderte
Aktivität der Hypoxanthinguaninphosphoribosyl-Transferase = Kelley-Seegmiller-Syndrom;
Überaktivität
der Phosphoribosylpyrophosphat-Synthetase). Von diesen familiären
Hyperurikämien zu unterscheiden sind sekundäre
Formen.
Diagnostik
Die Diagnose der Gicht beruht auf der typischen Anamnese, der
Gelenkentzündung, gegebenenfalls dem Ansprechen des Gichtanfalls
auf Colchicin sowie dem Nachweis von Uratablagerungen und einer
Hyperurikämie [1].
Tab. 1 Einteilung
der Hyperurikämien.
<TD VALIGN="TOP">
Familiäre (primäre) Hyperurikämie
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Sekundäre Hyperurikämie
-
Vermehrte Harnsäurebildung
(z. B. bei Blutkrankheiten oder bei vermehrter Purinzufuhr
mit der Nahrung)
-
Verminderte renale Harnsäureausscheidung, z. B.
bei Niereninsuffizienz, unter saluretischer Therapie mit Thiaziden
oder bei Ketoazidose (z. B. bei Fasten oder entgleistem
Diabetes mellitus)
-
Vermehrte Harnsäurebildung und verminderte
renale Harnsäureausscheidung (z. B. bei Glykogenspeicherkrankheit
Typ I oder bei reichlicher Alkoholzufuhr)
</TD>
Die Bestimmung der Serumharnsäure (2 - 3
Bestimmungen an verschiedenen Tagen zur Bestätigung der
Diagnose Hyperurikämie) sollte aus dem Nüchternblut
erfolgen. Bei der Bewertung des Befundes muss die bisherige Arzneimitteltherapie
berücksichtigt werden [Tab. 2]. In den Tagen vor der Blutentnahme sollte sich der Patient
wie gewohnt ernähren (einschließlich der Flüssigkeitszufuhr).
Wird eine Hyperurikämie festgestellt, müssen weitere
Maßnahmen zur Erkennung der Ursache der Hyperurikämie
sowie zur Erkennung von klinischen Komplikationen einer erhöhten
Serumharnsäurekonzentration getroffen werden [Tab. 3]. Bei jugendlichen
Gichtpatienten, schwerer Verlaufsform einer Gicht oder rezidivierender
Harnsäurenephrolithiasis sollte zur weiteren Abklärung
einer Hyperurikämie (Nachweis einer vermehrten Harnsäuresynthese) neben
der Serumharnsäure auch die Harnsäureausscheidung im
24 h-Urin gemessen werden (Normalbereich unter Normalkost
500 - 600 mg/d).
Tab. 2 Einfluss
von Arzneimitteln auf die Serumharnsäurekonzentration [2] [3]
.
<TD VALIGN="TOP">
Senkung der Serumharnsäure
durch
</TD><TD VALIGN="TOP">
Erhöhung der
Serumharnsäure durch
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Xanthinoxidasehemmer (Allopurinol)
</TD><TD VALIGN="TOP">
Saluretika
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Urikosurika
</TD><TD VALIGN="TOP">
Cyclosporin A
</TD>
<TD VALIGN="TOP"></TD><TD VALIGN="TOP">
Zytostatika
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Salicylate (über 3 g/die)
</TD><TD VALIGN="TOP">
Salicylate (unter 3 g/die)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Phenylbutazon in höherer Dosierung
</TD><TD VALIGN="TOP">
Phenylbutazon in niedriger Dosis
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Oxyphenbutazon in höherer Dosierung
</TD><TD VALIGN="TOP">
Oxyphenbutazon in niedriger Dosis
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Phenylindandion
</TD><TD VALIGN="TOP">
Probenecid in niedriger Dosis
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Cumarine
</TD><TD VALIGN="TOP">
Niridazol in niedriger Dosis
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Corticoide
</TD><TD VALIGN="TOP">
Nicotinsäure
L-Dopa
Pyrazinamid
Ethambutol
Fructose-,
Sorbit-, Xylit-Infusionen
</TD>
Tab. 3 Wichtige
Untersuchungen bei Hyperurikämie [3].
<TD VALIGN="TOP">
1. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss
sekundärer Hyperurikämien
</TD><TD VALIGN="TOP">
Familienanamnese, gesamtes Blutbild Nierendiagnostik,
Arzneimittelanamnese, gegebenenfalls spezielle Untersuchungen
wie z. B. Lactatbestimmung im Serum.
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
2. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss
von Enzymdefekten
des Purinstoffwechsels
bei familiärer
Hyperurikämie
</TD><TD VALIGN="TOP">
Renale Tagesharnsäureausscheidung unter
Normalkost oder standardisierten Ernährungsbedingungen,
eventl. unter isoenergetischer purinfreier Formeldiät. Bestimmung
der Aktivität von Schlüsselenzymen des Purinstoffwechsels (Hypoxanthinguaninphosphoribosyltransferase,
5-Phosphoribosylpyrophosphat-Synthetase) aus Erythrozyten (Speziallaboratorien).
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
3. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss
von Komplikationen
einer Hyperurikämie
</TD><TD VALIGN="TOP">
Anamnese: Gichtanfälle? Nephrolithiasis? Befunde:
Tophi (Weichteile, Knochen)? Uratnephropathie? Nephrolithiasis?
(Blutdruck, Harnstatus, Kreatinin, Harnstoff und Elektrolyte
im Serum, Sonographie der Nieren, eventl. i. v.-Pyelogramm,
Steinanalyse)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
4. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss
von weiteren Stoffwechselstörungen
</TD><TD VALIGN="TOP">
Cholesterin und Triglyzeride im Serum, Blutzucker,
HbA1c, evtl. orale Glucosebelastung
</TD>
Bei jeder akuten Monarthritis des Erwachsenen besteht der Verdacht
auf eine Gicht, besonders wenn eine schmerzhafte Gelenkschwellung
vor Wochen, Monaten oder Jahren bereits einmal aufgetreten und abgeheilt
ist sowie ein Großzehengrundgelenk, ein Sprunggelenk, ein
Kniegelenk oder ein Gelenk der Hand betroffen ist. Die Inspektion
der Gelenkgegend zeigt eine Schwellung und Rötung; das
Gelenk ist hochgradig schmerzhaft, jede Bewegung, Erschütterung
oder Berührung kann unerträglich sein. Nur selten
fehlen die allgemeinen Zeichen der Entzündung. Der therapeutische
Effekt einer ausreichenden und am 1. Tag einsetzenden Colchicintherapie
gilt als diagnostisch beweisend.
Eine Gelenkpunktion mit dem Nachweis von Harnsäurekristallen
in den polymorphkernigen Leukozyten der Gelenkflüssigkeit
kann gelegentlich diagnostisch notwendig sein. Im Polarisationsmikroskop
ist der Harnsäurekristall bei Rotpolarisation negativ doppelbrechend
und parallel zur Kompensatorachse gelb, senkrecht dazu blau.
Besondere diagnostische Bedeutung kommt auch dem Nachweis von
Tophi zu, die in der Regel in einem fortgeschrittenen Stadium der
Gicht zu beobachten sind. Weichteiltophi finden sich vor allem im
Bereich der Ohrmuscheln, der Bursa olecrani und der Sehnenscheiden
an der Streckseite der Finger. Knochentophi kommen bevorzugt im
Bereich der Großzehengrund- und Fingergelenke, meist in
Form runder Defekte ohne sklerosierten Randsaum vor. Sie sitzen
zunächst subchondral, erreichen aber bald die Gelenkflächen.
Wichtig bei einer Hyperurikämie ist auch die Untersuchung der
Niere. Proteinurie, Leukozyturie, Hämaturie und Blutdruckerhöhung
weisen auf eine Beteiligung der Niere bei Hyperurikämie
hin [1]. Wiederholte Untersuchungen des Urins auf Eiweiß und
pathologische Sedimentbestandteile sowie die Bestimmung der renalen
Retentionswerte und der Serumelektrolyte sind notwendig. Eine Sonographie
der Nieren ist immer empfehlenswert. Bei Hämaturie sowie
bei der Vorgeschichte von Nierensteinkoliken oder Steinabgängen
sollte eventuell eine Pyelographie durchgeführt werden.
Abgegangene Steine sind zu analysieren.
Hyperurikämie und Gicht sind häufig mit dem
sog. metabolischen Syndrom assoziiert, das als Zusammentreffen von
Adipositas mit androider Fettverteilung, Dyslipoproteinämie,
essentieller Hypertonie und Glucosetoleranzstörung bzw.
Typ-2-Diabetes mellitus definiert ist, wobei jede dieser Komponenten
die Entstehung einer Arteriosklerose fördert. Bei jedem
Patienten mit einer Hyperurikämie bzw. Gicht ist deshalb
die Bestimmung von Serum-Cholesterin und -Triglyzeriden sowie des
Blutzuckers zu empfehlen. Die Hyperurikämie selbst ist
zumindest als Risikoindikator anzusehen; inwieweit sie einen Risikofaktor
darstellt, ist nicht geklärt.
kurzgefasst: Die Diagnose der Gicht
beruht auf der typischen Anamnese, der Gelenkentzündung,
gegebenenfalls dem Ansprechen des Gichtanfalls auf Colchicin sowie
dem Nachweis von Uratablagerungen und einer Hyperurikämie.
Die Diagnostik muss auch sicher unterscheiden können zwischen
einer primären Hyperurikämie bzw. Gicht und sekundären
Formen, damit keine behandlungsbedürftigen Grund- oder
Begleiterkrankungen übersehen werden. Dabei muss der (unbeabsichtigte)
Einfluss einer vorbestehenden Arzneimitteltherapie auf die Serumharnsäurekonzentration
berücksichtigt werden.
Differentialdiagnosen
Hyperurikämie
Differentialdiagnostisch ist die familiäre Hyperurikämie
von sekundären Formen abzugrenzen. Zum Nachweis eines angeborenen
Stoffwechseldefektes dienen die Familienanamnese und Verwandtenuntersuchungen.
Zum Nachweis sekundärer Hyperurikämieformen sollten
ein vollständiges Blutbild angefertigt sowie Harnstoff,
Kreatinin und Elektrolyte im Serum bestimmt werden. Weiterhin ist
ein Harnstatus anzufertigen. Empfehlenswert ist auch eine Oberbauchsonographie.
Unerlässlich ist eine präzise Arzneimittelanamnese.
Gichtanfall
Im Vordergrund steht die Differentialdiagnose der akuten Mono-
oder Oligoarthritis. Nahezu alle rheumatischen Erkrankungen können
in einer dieser beiden Formen beginnen. Arthritis bei Gonorrhoe
und anderen bakteriellen Infekten inklusive Borelliose und bei Viruserkrankungen
sind ebenfalls in die Differentialdiagnose einzubeziehen. Gezielte
anamnestische Fragen zu Hautveränderungen (z. B.
Psoriasis, Erythema nodosum), Durchfällen und Sehstörungen
(Iridocyclitis) können differentialdiagnostisch hilfreich
sein. Differentialdiagnostische Probleme bereiten gelegentlich Schmerzen, Schwellungen,
Rötungen und Überwärmungen, die nicht
von einem Gelenk ausgehen, jedoch in der Nähe eines für
einen Gichtanfall sehr typischen Gelenks lokalisiert sind. So kann eine
Phlegmone am medialen Vorfuß oder Fußrücken
einem akuten Gichtanfall ähnlich sein. Eine Bursitis an
der Medialseite eines Großzehengrundgelenkes, hervorgerufen
durch mechanische Irritation, oder ein Zustand nach Trauma ist ein weiteres
Beispiel.
Tophus
Der Tophus ist durch die klinische Untersuchung sowie durch Lokalisation
und radiologische Charakteristika differentialdiagnostisch von Rheumaknoten
(chronische Polyarthritis), Kalkknoten (Sklerodermie, Dermatomyositis),
Xanthomen (familiäre Hypercholesterinämie), Fingerknöchelpolstern
sowie Heberden-Knötchen (Fingerpolyarthrose) abzugrenzen.
Harnsäurenephrolithiasis und Uratnephropathie
Bei der Differentialdiagnose der Nephrolithiasis geben Serum-
und Harndiagnostik sowie Ausscheidungsurographie wichtige Aufschlüsse.
Bei röntgennegativen Konkrementen sind neben Harnsäuresteinen
auch 2,8-Dihydroxyadenin- sowie Xanthinsteine differentialdiagnostisch
in Erwägung zu ziehen. Jeder abgegangene Stein sollte infrarotspektrometrisch
analysiert werden, um eine gezielte Rezidivprophylaxe zu ermöglichen.
Die Differentialdiagnose der Uratnephropathie umfasst in erster
Linie die Nierenfunktionseinschränkung infolge Hypertonie,
die chronische Glomerulonephritis, die chronische Bleinephropathie
sowie die Niereninsuffizienz bei HGPRTase-Mangel [Tab. 3].
kurzgefasst: Die Differentialdiagnose
muss im Einzelfall jeweils für die Hyperurikämie,
den Gichtanfall, den Tophus und die Harnsäure-Nephrolithiasis
bzw. die Uratnephropathie getrennt erfolgen. Besonders wichtig ist
die sorgfältige Untersuchung der Nieren auch bei bisher
fehlender Symptomatik.