In Deutschland gibt es jährlich circa 200 000 Erkrankungsfälle an nosokomialer
Pneumonie. Die Sterblichkeit kann - vor allem bei Patienten, die auf einer Intensivstation
behandelt werden - bis zu 50 % betragen. Dabei kann die direkt auf die Pneumonie
zurück zu führende Letalität ebenfalls bei bis zu 50 % liegen [1]
[2]. Eine allgemein akzeptierte Standardtherapie der beatmungsassoziierten Pneumonie
gibt es nicht. Die initiale antimikrobielle Therapie muss in Unkenntnis des zugrundeliegenden
Erregers immer als kalkulierte Therapie begonnen werden. Für die initiale antibiotische
Therapie ist von großer Bedeutung, ob eine nosokomiale Pneumonie früh, also
innerhalb der ersten 4 Tage nach der stationären Aufnahme (Erregerspektrum: Staphylococcus
aureus, Haemophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae, Enterobacteriaceae)
oder später (Erregerspektrum: zusätzlich MRSA, Pseudomonas spp., Acinetobacter
spp., Enterobacter spp., Proteus vulgaris und Serratia spp.) entsteht. MRSA (multiresistenter
Staphylococcus aureus) spielt in der Regel nur bei spät auftretenden Pneumonien
eine Rolle. Bei einer örtlichen Häufigkeit von mehr als 15 % MRSA sollte primär
die Gabe eines Glykopeptids, eines Streptogramins oder eines Oxazolidinons erwogen
werden. Tab. [1] zeigt Erreger bakterieller beatmungsassoziierter Pneumonien, die in mehreren
Studien evaluiert werden konnten.
Besondere Bedeutung und allgemeine Akzeptanz für die Therapie nosokomialer Pneumonien
hat die Klassifizierung der American Thoracic Society (ATS) aus dem Jahre 1995
erhalten (Abb. [1]). Hier werden primär leichte bis mittelschwere von schweren Pneumonien unterschieden
[3].
Tab. 1 Keime, die bei Patienten mit beatmungsassoziierten Pneumonien isoliert wurden
<TD VALIGN="TOP">
Pathogen
</TD><TD VALIGN="TOP">
Rello et al.
n = 129
</TD><TD VALIGN="TOP">
Torres et al.
n = 78
</TD><TD VALIGN="TOP">
Fagon et al.
n = 52
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Aerobe Gram positive Keime:
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Staphylococcus aureus
</TD><TD VALIGN="TOP">
25 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
20 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Streptococcus pneumoniae
</TD><TD VALIGN="TOP">
4 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD><TD VALIGN="TOP">
3 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Enterococcus spp.
</TD><TD VALIGN="TOP">
2 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
4 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
andere
</TD><TD VALIGN="TOP">
2 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
4 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
14 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Aerobe Gram negative Keime:
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Haemophilus influenzae
</TD><TD VALIGN="TOP">
18 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD><TD VALIGN="TOP">
6 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Pseudomonas aeruginosa
</TD><TD VALIGN="TOP">
21 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
22 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
19 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Acinetobacter spp.
</TD><TD VALIGN="TOP">
3 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
39 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Proteus spp.
</TD><TD VALIGN="TOP">
3 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
4 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Serratia spp.
</TD><TD VALIGN="TOP">
4 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
4 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Klebsiella spp.
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD><TD VALIGN="TOP">
2 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Escherichia coli
</TD><TD VALIGN="TOP">
3 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD><TD VALIGN="TOP">
5 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
andere
</TD><TD VALIGN="TOP">
7 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
8 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Anaerobe Keime
</TD><TD VALIGN="TOP">
3 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD><TD VALIGN="TOP">
1 %
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Fungi
</TD><TD VALIGN="TOP">
3 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
4 %
</TD><TD VALIGN="TOP">
nicht genannt
</TD>
Die beatmungsassoziierte Pneumonie gehört definitionsgemäß zu den schweren Verlaufsformen,
daher wird im Folgenden nur auf die Klassifikationen der schweren Pneumonien
aufgeführt (Gruppe 1 und Gruppe 3). Bei schwerer Erkrankung ohne Risikofaktoren
und frühem Manifestationszeitpunkt („early onset“, innerhalb der ersten
4 Tage nach Aufnahme) erfolgt die Einteilung in die Therapiegruppe 1. Patienten
ohne Risikofaktoren mit spätem Erkrankungsbeginn („late onset“) werden der Gruppe
3 zugeordnet. Patienten mit Risikofaktoren fallen unabhängig vom zeitlichen Beginn
in die Gruppe 3. Für die nosokomialen Pneumonien, die entsprechend der Therapieempfehlungen
für Gruppe 1 behandelt werden sollen (mittelschwere Erkrankungen, ohne Risikofaktoren,
Beginn zu jeder Zeit sowie schwere Erkrankungen ohne Risikofaktoren, „early onset“),
werden Cephalosporine der 2. Generation ohne Pseudomonas-Wirksamkeit oder Amino-
bzw. Acylureidopenicilline in Kombination mit einem Betalaktamase-Inhibitor vorgeschlagen
(Abb. [2]).
Abb. 1 Klassifizierung der nosokomialen Pneumonien durch die American Thoracic Society
1995 [3]. Patienten mit beatmungsassoziierter Pneumonie werden definitionsgemäß den
schweren Verlaufsformen (Gruppe 1 oder Gruppe 3) zugeordnet.
Abb. 2 Erreger nosokomialer Pneumonien und Therapie bei Patienten, die der Gruppe 1
zugeordnet werden (in Anlehnung an das Consensus Statement der American Thoracic
Society [3]). Patienten mit beatmungsassoziierter Pneumonie werden definitionsgemäß den
schweren Verlaufsformen zugeordnet.
Die der Gruppe 3 zugeordneten Patienten bekommen nach den Richtlinien der American
Thoracic Society eine Kombinationsbehandlung bestehend aus einem pseudomonaswirksamen
Betalaktam-Antibiotikum in Kombination mit einem Fluorchinolon oder einem Aminoglykosid.
Als Betalaktam-Antibiotika mit Pseudomonasaktivität stehen Piperacillin/Tazobactam,
Ceftazidim, Cefepim, Imipenem/Cilastatin oder Meropenem zur Verfügung. Bei den
Fluorchinolonen wird von der American Thoracic Society Ciprofloxacin empfohlen
(Abb. [3]).
|
kurzgefasst: besondere Bedeutung und allgemeine Akzeptanz für die Therapie nosokomialer Pneumonien
hat die Klassifizierung der American Thoracic Society (ATS) aus dem Jahr 1995.
Die beatmungsassoziierte Pneumonie gehört definitionsgemäß zu den schweren
Verlaufsformen.
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Diese bisher vorliegenden Therapieempfehlungen der ATS haben das Problem der
Differentialtherapie dargestellt und wichtige Therapieoptionen publiziert. In
der täglichen Praxis erweist es sich jedoch als schwierig, diese auch umzusetzen.
Aus diesem Grunde haben die Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG) und die Deutsche
Gesellschaft für Pneumologie (DGP) neue Therapieempfehlungen erarbeitet [4]. Ziel dieser Empfehlungen ist es, einen auch für den nicht speziell infektiologisch
ausgebildeten Kliniker verständlichen Leitfaden zu definieren. Es wurden 3
Therapieoptionen festgelegt, die aufgrund eines Punktesystems zum Einsatz kommen
(Tab. 2).
Faktoren, die einer unterschiedlichen Gewichtung unterliegen (1-4 Punkte) sind:
Alter, strukturelle Lungenerkrankung, antibiotische Vorbehandlung, später Manifestationszeitpunkt
sowie der Schweregrad der Pneumonie. Beim Vorliegen mehrerer Einflussfaktoren
werden die Punktwerte der Einzelfaktoren addiert. Aus der errechneten Punktzahl
erfolgt eine Zuordnung der Patienten in drei unterschiedliche Therapieoptionen,
wobei aufgrund der Punktwertung für die beatmungsassoziierte Pneumonie nur die
Therapieoptionen II und III zur Anwendung kommen.
-
In der Therapieoption II (3-5 Punkte) stehen Acylaminopenicilline in Kombination
mit einem Betalaktamase-Inhibitor (Aufgrund der aktuellen Datenlage sollte
in der Indikation respiratorassoziierte Pneumonie die fixe Kombination von
Piperacillin mit Tazobactam bevorzugt zur Anwendung kommen, da nur diese in
der Indikation nosokomiale Pneumonie durch eine Vielzahl von klinischen Studien
gut dokumentiert ist), Cephalosporine der Gruppe 3b und Fluorchinolone der
Gruppe 2 und 3 zur Verfügung.
-
In der Therapieoption III (6 Punkte und mehr) ist grundsätzlich eine Kombinationstherapie
erforderlich. Hier werden Cephalosporine der Gruppe 3b, Acylaminopenicilline
in Kombination mit einem Betalaktamase-Inhibitor (s. o.) oder Carbapeneme vorzugsweise
mit einem Fluorchinolon der Gruppe 2/3 oder mit einem Aminoglykosid kombiniert.
Abb. 3 Erreger nosokomialer Pneumonien und Therapie bei Patienten, die der Gruppe 3
zugeordnet werden (in Anlehnung an das Consensus Statement der American Thoracic
Society [3]). Patienten mit beatmungsassoziierter Pneumonie werden definitionsgemäß den
schweren Verlaufsformen zugeordnet (BLI: Betalaktamase-Inhibitor).
Tab. 2 Kalkulierte Antibiotikatherapie der nosokomialen Pneumonie unter Berücksichtigung
von Risikofaktoren.
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Therapie
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
I (bis 2 Punkte)
</TD><TD VALIGN="TOP">
II (3-5 Punkte)
</TD><TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
III (ab 6 Punkte)
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Aminopenicillin/BLI
Cephalosporin 2/3a
Fluorchinolon 3/4
</TD><TD VALIGN="TOP">
Acylamino- penicillin/BLI
Cephalosporin 3b
Fluorchinolon 2/3
</TD><TD VALIGN="TOP">
Cephalosporin 3b
Acylamino- penicillin/BLI +
Carbapenem
</TD><TD VALIGN="TOP">
Fluor- chinolon 2/3 oder Aminoglykosid
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
BLI: Betalaktamase-Inhibitor, DIC: Disseminierte intravasale Gerinnung, ANV:
Akutes Nierenversagen, ALV Akutes Leberversagen
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="3">
Risikofaktoren
</TD><TD VALIGN="TOP">
Punkte
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="3">
Alter > 65 Jahre
</TD><TD VALIGN="TOP">
1
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="3">
Strukturelle Lungenerkrankung
</TD><TD VALIGN="TOP">
1
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="3">
Antiinfektive Lungenerkrankung
</TD><TD VALIGN="TOP">
2
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="3">
„Late onset“ (Erkrankung ab dem 5. Tag Krankenhausaufenthalt)
</TD><TD VALIGN="TOP">
3
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="3">
Schwere Respiratorische Insuffizienz mit oder ohne Beatmung (maschinell oder
nicht-invasiv)
</TD><TD VALIGN="TOP">
3
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="3">
Schwere Pneumonie, extrapulmonales Organversagen (Schock, DIC, ANV, ALV)
</TD><TD VALIGN="TOP">
4
</TD>
|
kurzgefasst: Die neuen von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG) und der Deutschen Gesellschaft
für Pneumologie (DGP) entwickelten Therapieempfehlungen erlauben es auch einem
nicht speziell infektiologisch ausgebildeten Kliniker, nosokomiale Pneumonien
patientengerecht zu klassifizieren und zu behandeln. Hierbei handelt es sich um
eine kalkulierte Therapie vor bzw. ohne Erregernachweis.
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Diese Therapieempfehlungen beziehen sich ausschließlich auf die kalkulierte Antibiotikatherapie
vor oder ohne Erregernachweis. Bei Nachweis von Pseudomonas spp. oder Acinetobacter
spp. sollte abweichend von diesem Schema immer eine geeignete Kombinationstherapie
durchgeführt werden. Traditionell sind Aminoglykoside die bevorzugten Kombinationspartner
für Betalaktamantibiotika. Die neue Option, Fluorchinolone als bevorzugte
Kombinationspartner für Betalaktamantibiotika einzusetzen, ist durch pharmakokinetische
Vorteile, eine geringere Toxizität und die fehlende Notwendigkeit von regelmäßigen
Spiegelbestimmungen trotz höherer direkter Therapiekosten begründet. In den Therapieoptionen
II und III müssen alle Antibiotika parenteral und in hoher Dosierung appliziert
werden, da weder die Empfehlung einer Sequenzialtherapie noch einer Dosisreduktion
in dieser Indikation durch Studien belegt sind [5]
[6].