Epidemiologie
In Deutschland rauchen aktuell ca. 16,7 Mio. Personen im Alter von 18 bis 59 Jahren.
8,2 % (3,9 Mio.) der Befragten sind gemäß DSM-IV nikotinabhängig (12-Monats-Prävalenz);
das sind 22 % der Raucher [3]. Auffälligste Veränderung der letzten Jahre ist der Wiederanstieg der Raucherquote
bei Frauen seit 1995, nachdem der Konsum zuvor deutlich zurückgegangen war.
Raucher sterben im Schnitt 8 Jahre früher als Nichtraucher. In Deutschland gehen pro
Jahr schätzungsweise 90 000 bis 140 000 Todesfälle auf tabakbedingte Erkrankungen
zurück. Für eine breite Palette von Erkrankungen und Todesursachen ist ein Zusammenhang
mit Rauchen zweifelsfrei festgestellt [4 7]. Die krankheitsbedingten Kosten des Rauchens addieren sich jährlich auf geschätzte
17,3 Mrd. € [8].
Junge und Nagel [9] berichten, dass in Deutschland 35 % der rauchenden Männer und 33 % der rauchenden
Frauen in den letzten 12 Monaten mindestens einmal versucht haben aufzuhören. Auf
der Basis des transtheoretischen Stufenmodells von Prochaska & DiClemente [10] beurteilten Kraus und Augustin [3] die Änderungsbereitschaft der von ihnen befragten Raucher und kommen zu dem Ergebnis,
dass 36,8 % von ihnen aktuell mit dem Gedanken spielen, mit dem Rauchen aufzuhören
(Stadium der Absichtsbildung), und weitere 2,1 % darüber hinaus die Absicht haben,
dies in den nächsten 30 Tagen umzusetzen (Stadium der Vorbereitung). Leider sind alle
diese Berichte beschränkt auf die Erlangung von Abstinenz als Ziel. Über den Wunsch zu reduzieren oder über Kontrollversuche wird nichts mitgeteilt.
Dass 71,8 % aller aktuellen Raucher schon mindestens einen ernsthaften Abstinenz-
oder Reduktionsversuch unternommen haben, berichten Meyer et al. [11], differenzieren aber auch nicht zwischen beiden Zielen. Für eine epidemiologische
Beurteilung der Verbreitung von Erfahrungen mit kontrolliertem Nikotinkonsum (wer
hat wie oft Kontrollversuche unternommen und welche Strategien und Hilfsmittel wurden
dabei mit welchem Erfolg eingesetzt?) fehlt die Datenbasis. Auch die Verbreitung von
Wünschen nach reduziertem oder kontrolliertem Konsum - bis hin zur Frage, wie viele
und welche Raucher sich durch entsprechende Hilfsangebote zum Handeln motivieren ließen
- ist derzeit mangels Daten nicht angemessen zu beurteilen.
Kontrolliertes Rauchen - reduzierter Konsum
Zum Begriff des kontrollierten Rauchens
Ursprünglich geprägt wurde der Begriff des kontrollierten Rauchens in den 70er Jahren
von Frederiksen [19 21] für ein komplexes Behandlungspaket, das sich speziell an Raucher richtet, die nicht
willens oder nicht in der Lage sind, mit dem Rauchen aufzuhören. Ihnen wurden wirksame
Hilfen angeboten, ihren Zigarettenkonsum, wenn nicht zu stoppen, dann doch zu reduzieren
und darüber ihr Gesundheitsrisiko zu verringern.
Für die Folgezeit ist eine Begriffsaufweichung und -diffusion festzustellen, die zu
einer entsprechenden Konfusion in der wissenschaftlichen Diskussion geführt hat. Neben
kontrolliertem (controlled, attenuated smoking) ist auch von reduziertem Rauchen (reduced smoking), von der Reduktionsmethode (reduction method, cigarette fading), von schrittweiser Reduktion (stepwise reduction), von Schadensbegrenzung (harm reduction) etc. die Rede. Dabei sind zwei Richtungen der Begriffsverwendung unterscheidbar:
eine psychologisch-kontrolltheoretisch orientierte, die die Entwicklung individueller
Kompetenzen im Auge hat, und eine eher pragmatisch-messmethodische. Letztere sieht
„kontrolliertes” oder reduziertes Rauchen vor allem als ein alternatives Zielkriterium
zur Abstinenz und definiert kontrolliert Rauchende meist als Personen, die wenig oder
weniger rauchen (z. B.[22]). In metaanalytischen und sonstigen Übersichtsarbeiten werden Studien zum kontrollierten
Rauchen (als Ergebnis einer spezifisch auf persönliche Kontrolle über das eigene Rauchverhalten
ausgerichteten Intervention) häufig in einen Topf geworfen mit Studien, die die schrittweise Reduktionsmethode zur Erlangung von Abstinenz benutzen.
Um angesichts der gerade beschriebenen Situation in der wissenschaftlichen Diskussion
zu begrifflicher und konzeptueller Klarheit zurückzufinden, wird hier der folgende
Definitionsvorschlag gemacht (Tab. [1]): Von „kontrolliertem Rauchen” ist dann zu sprechen, wenn eine Person Verzicht leistet,
indem sie ihren Tabakkonsum an einem zuvor festgelegten Plan oder einer Regel ausrichtet.
Die Selbstkontrolle kommt darin zum Ausdruck, dass im Konflikt zwischen zwei als attraktiv
angesehenen Konsequenzen (kurzfristig Genuss vs. langfristig Gesundheit) die positiver
bewertete, aber erst später eintretende Alternative gewählt und das Verhalten danach
ausgerichtet wird (delayed gratification) [23].
Tab. 1 Definition des Konstrukts „kontrolliertes Rauchen” (kR)
Kernintensionen:
|
Kontrolliertes Rauchen liegt vor, wenn eine Person Verzicht leistet, indem sie ihren
Tabakkonsum an zuvor festgelegten Plänen oder Regeln ausrichtet. |
Randintensionen, Charakteristika:
|
Konsumreduktion als Folge des kR |
souveräne Selbstbestimmung über Regeln und Pläne |
Zieloffenheit von Programmen zum kR (Abstinenz als Ziel möglich) |
Die Regeln und Pläne können eine Begrenzung der pro Zeiteinheit konsumierten Menge vorsehen oder eine Reduktion der Nikotinaufnahme durch Änderung des Konsummusters
regeln. Der Plan kann konsumfreie, d. h. abstinente Phasen beinhalten. Deren Dauer kann variieren von einigen Stunden über Tage oder Wochen
bis hin zu Jahren, so dass der Unterschied zu unbegrenzter oder lebenslanger Abstinenz
in dieser Sicht lediglich ein gradueller ist. Schließlich kann die Kontrolle darin
bestehen, dass Randbedingungen festgelegt werden, die den Konsum regeln. Diese Festlegungen können als Ziel eine
Konsumreduktion haben, müssen es jedoch nicht: Es würde gemäß der vorgeschlagenen
Definition auch als kontrolliertes Rauchen gelten, wenn jemand den Vorsatz umsetzt,
nicht mehr in der Gegenwart von Kindern zu rauchen, um sie vor den Folgen des Passivrauchens
zu bewahren, unter dem Strich aber nicht weniger raucht als zuvor. Bedingungen, die
geregelt werden, können sich wie im Beispiel auf die Anwesenheit anderer Personen
beziehen, auf Orte, auf Zeiten, auf Stimmungen oder auf umschriebene Situationen.
Bei Umsetzung solcher Restriktionen ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine Konsumreduktion
zu erwarten, und auch wenn diese nicht definitorisch sein soll für kR, so ist sie
doch charakteristisch und erwünscht.
Die mit dem kR assoziierten Menschenbildannahmen legen nahe, dass der Klient in Anerkennung
seiner Souveränität, seines Expertenstatus sowie zur Förderung seiner Selbstkontrolle
seine Regeln und Pläne so weit wie möglich selbst bestimmt. Auch in der Interaktion
mit Professionellen sollte er zumindest mit entscheiden, welche Regeln zu seinem Alltag
und zu seiner Person passen. Von professioneller Seite ist hier vor allem Ermunterung
zum Ausprobieren gefragt und evtl. Unterstützung bei der Klärung, mit welchen Zielsetzungen
die besten Erfolgsaussichten verbunden sein könnten. Externe Restriktionen, wie Rauchverbote
am Arbeitsplatz, können zur Selbstkontrolle motivieren oder gar zwingen, sind für
sich allein genommen jedoch nicht als Selbstkontrollmaßnahmen zu sehen.
Wenn auch nicht zwingend aus der Definition ableitbar, so ist die Zieloffenheit von
Programmen zum Erlernen des kR doch im Sinne eines charakteristischen Merkmals wichtig.
Teilnehmer werden nicht von vornherein auf das Abstinenzziel (oder ein anderes) verpflichtet,
sondern die Zielfestlegung, Zielüberprüfung und dynamische Zielanpassung gelten gerade
als ein zentraler therapeutischer Baustein. Zieloffenheit impliziert bereits eine
Offenheit auch gegenüber dem speziellen Ziel der Abstinenz. Eine Reihe fachlicher
Gründe spricht dafür, dem Abstinenzziel gegenüber stets offen zu bleiben und ihm immer
dann den Vorrang einzuräumen, wenn es für einen Klienten erwünscht und erreichbar
erscheint.
Interventionsmethoden zum kontrollierten Rauchen
Die Methoden, die eingesetzt wurden, um das kR zu vermitteln und aufrechtzuerhalten,
unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen, die auch in abstinenzorientierten
Raucherentwöhnungsprogrammen zum Einsatz kommen (vgl. [12]
[17]). In der Vergangenheit wurde pragmatisch vorgegangen und alles eingesetzt, was Nutzen
versprach. Nützlichkeit wurde allerdings überwiegend als Beitrag zu einer angestrebten
Konsumreduktion gesehen (konnte also z. B. auch Fremdkontrollmaßnahmen enthalten),
seltener als expliziter Beitrag zur Steigerung der Selbstkontrolle. Ein Nikotin-Nasenspray
z. B. kann sehr wohl helfen, den Zigarettenkonsum zu reduzieren, sein Einsatz wird
die Selbstkontrolle eines Rauchers aber vermutlich nur dann erhöhen, wenn es gelingt,
die Nikotinsubstitution durch entsprechende Aufklärung und Veränderungsplanung als
vorübergehend hilfreiches Instrument in die Selbstkontrollstrategie der Person zu
integrieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Raucher sich gegenüber dem Spray
als ähnlich außengesteuert und abhängig erlebt wie zuvor gegenüber dem Rauchen und
spätestens beim Absetzen des Sprays mit größerer Wahrscheinlichkeit rückfällig wird.
Psychologisch entscheidend ist, ob die verschiedenen Hilfen zunächst die subjektiv
wahrgenommenen eigenen Kontrollmöglichkeiten erhöhen und dann in der Erprobung und
Etablierung dazu führen, dass (zumindest partiell) Kontrolle erfahren wird, Zuversicht
und Selbstwirksamkeit steigen sowie die entsprechenden Verhaltensroutinen sich verfestigen
und in das Selbstkonzept der Person eingebaut werden.
Im deutschen Sprachraum ist das Programm, das in den 70er Jahren von J. C. Brengelmann
am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München entwickelt und evaluiert sowie später
durch die BZgA verbreitet wurde [24], erwähnenswert. Es markiert die Wende hin zu einer lernpsychologisch fundierten
Rauchertherapie, die neben Abstinenz auch Konsumreduktion als Ziel akzeptierte und
in der auch Selbstkontroll-Elemente vermittelt wurden [25]: Die Teilnehmer der sich über 6 Wochen bzw. 12 Sitzungen erstreckenden Gruppentherapie
protokollierten zum einen bis zum Nachkontrolltermin ein Jahr lang täglich ihren Zigarettenkonsum.
Außerdem mussten sie aus einer Liste mit 37 Selbstkontrollstrategien pro Sitzung 3
bis 5 neue Regeln ausprobieren (z. B. „2. Lehnen Sie alle angebotenen Zigaretten ab.”,
„9. Rauchen Sie nicht mehr auf der Straße.”, „29. Inhalieren Sie nur jeden zweiten
Zug.”) [26]. In einer späteren Selbstlernvariante mit regelmäßigen „Therapiebriefen” und mit
Kontrakten, die mit „Mediatoren” aus dem sozialen Umfeld der Klienten abzuschließen
waren, sollte der Klient „ ... in jedem Kontrakt (zweimal pro Woche) je fünf neue
Verhaltensvorschriften auswählen, auswendig lernen und durchführen. Nach Beendigung
der 37 Schritte konnten dann jeweils die wirksamsten beibehalten werden” [27]. Hier kommen also ansatzweise schon Self-Monitoring, Selbstkontrollpläne und Kontraktmanagement
zum Einsatz, wie sie heute in weiter entwickelter Form zum Standardrepertoire der
Selbstkontrolltechniken gehören. Mit einer Reihe von Interventionsstudien wurden seinerzeit
empirische Wirksamkeitsnachweise erbracht [26 29]. Die dabei dokumentierten Therapieerfolge waren beeindruckend (z. B. [27]): Im Schnitt reduzierten die Klienten im Laufe der Therapie von 31,9 auf 7,0 Zigaretten,
mit ansehnlicher Stabilität zur 1-Jahres-Katamnese (11,5). Ein nicht unerheblicher
Teil erlangte Abstinenz (45 % zu Therapieende, 39 % nach 1 Jahr).
In der Folgezeit ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Ansatz deutlich
zurückgegangen, so dass er inzwischen auch in der wissenschaftlichen Diskussion keine
prominente Rolle mehr spielt. Von der BZgA ist das Programm noch einige Jahre weiter
propagiert worden, bevor es von einem rein abstinenzorientierten („Rauchfrei in 10
Schritten”) abgelöst wurde.
Dort, wo heute innerhalb des Selbstmanagement-Ansatzes [23]
[30]
[31] kR trainiert wird, gehören die folgenden Interventionsmethoden zum bewährten Inventar
(Tab. [2]).
Tab. 2 Therapeutische Elemente des Selbstmanagement-Ansatzes zum kontrollierten Rauchen (kR)
- Information, Aufklärung (z. B. zu Nikotinabhängigkeit, Gesundheitsfolgen, Nikotinersatzpräparaten) - Selbstbeobachtung, Protokollierung (des Rauchverhaltens und seiner Bedingtheit) - Analyse, Bewertung (evtl. Feedback, z. B. des CO-Status oder der Nikotinaufnahme) - Zielsetzung und -operationalisierung - Kontrollstrategien und Alternativverhalten wählen, erproben, umsetzen, bewerten
(z. B. Stimulus- oder Situationskontrolle) - Kontingenzmanagement, inkl. Selbstverstärkung und evtl. -bestrafung, Verträge, Integration
sozialer Unterstützung - dynamische Zielanpassung - Stabilisierung, Rückfallprophylaxe, „Notfall”-Vorbereitung |
In schwierigen Fällen empfiehlt sich die Vorschaltung einer Verhaltens- und Problemanalyse
[32]. Auch die im Folgenden genannten Einzeltechniken sind in - oft multimethodal angelegten -
Selbstmanagement-Programmen zum kR zu finden. Im Sinne des Selbstkontrollansatzes
ist ihre Verwendung legitim, wenn gewährleistet ist, dass sie, wie oben beispielhaft
dargelegt, von einer Person sinnvoll in ihre persönlichen Selbstkontrollstrategien
integriert werden können. Auf dem Hintergrund gesicherter Wirksamkeitsnachweise kann
etwa über Nikotinersatzpräparate, über aversive Techniken (rapid smoking, offene oder verdeckte Sensibilisierung), über die Vorteile von Gruppenprogrammen
(programminterne soziale Unterstützung) sowie den Einsatz von allgemeinen Problemlösungsmodellen
informiert werden [13]. Auch Ernährungsfragen, Gewichtsregulation, sportlicher Betätigung und Entspannungsverfahren
kann bewährtermaßen Beachtung geschenkt werden.
Argumente für und gegen kontrolliertes Rauchen
Zusammenstellungen von Pro- und Kontra-Argumenten zum Konzept des kR [32 35] (Tab. [3]) führen auf der Pro-Seite u. a. ins Feld, dass durch Programme, die auch kR als
Zieloption anbieten, die Zugangsschwelle gesenkt wird und Raucher erreicht werden
können, die sich allein auf Abstinenz nicht einlassen würden - sei es, weil sie nicht
wollen oder weil sie vielleicht trotz dringender gesundheitlicher Gründe (noch) nicht
aufhören können. Verlässliche epidemiologische Daten, die diese These belegen würden,
fehlen allerdings. Hier ist man bislang auf positive Berichte aus Institutionen angewiesen,
die entsprechende Angebote vorhalten (z. B. [36]).
Tab. 3 Argumente für und wider kontrolliertes Rauchen (kR)
Pro-kR-Argumente
|
P1: Mehr Raucher mit Änderungswunsch werden erreicht. |
P2: kR kann ein „Sicherheitsnetz” für rückfällige Abstinente sein. |
P3: Schadensbegrenzung (harm reduction) ist sinnvoll. |
P4: kR kann den Einstieg in den Ausstieg bedeuten. |
P5: Kontrollierter Konsum ist nachgewiesenermaßen möglich. |
Kontra-kR-Argumente
|
K1: Kompensatorisches Verhalten ist zu erwarten. |
K2: Rückfälle sind wegen dauernder Vigilanz wahrscheinlich. |
K3: Abstinenzfähige Personen werden durch kR zum Rauchen verführt. |
Ein zweites Pro-Argument knüpft an den üblichen Rückfallraten von oft 80 % und mehr
nach einem Jahr selbst bei zunächst wirksamen abstinenzorientierten Programmen an
[13]
[14]
[37]. Nach einem Rückfall kontrolliert weniger statt unkontrolliert genau so viel wie
zuvor zu rauchen kann für die Gesundheit der Betroffenen (und ihre Umgebung) Vorteile
bedeuten. Angesichts der Tatsache, dass sehr viele Raucher schon einen oder mehrere
Beendigungsversuche hinter sich haben (s. o.) und dass Rückfallprävention und -vorbereitung
in allen Programmen einen wichtigen Punkt darstellen, wäre ein solches „Sicherheitsnetz”
eine sinnvolle Einrichtung. Drittens ist das Argument der Schadensbegrenzung (harm reduction) jedoch nicht nur für Rückfallsituationen von Belang, sondern stellt auch in der
Argumentation für kR an sich einen zentralen Stützpfeiler dar [38]
[39]. Belege dafür, dass die Reduzierung des Nikotinkonsums nachweisbare und nennenswerte
physiologische Effekte zeitigen kann, liegen durchaus vor, sei es für kardiovaskuläre
[36]
[40], pulmonologische Parameter [41]
[42] oder die Tumorentwicklung [43]
[44]. Allerdings gibt es nicht immer eine lineare Beziehung zwischen dem Ausmaß, in dem
der Zigarettenkonsum verringert wird, und dem Ausmaß, in dem sich das Gesundheitsrisiko
reduziert. Kompensatorisches Verhalten - etwa indem die wenigen noch gerauchten Zigaretten
bis näher an den Filter und/oder mit mehr Zügen geraucht werden, indem tiefer inhaliert
wird etc. - ist ein Erklärungsbaustein dafür, dass zuweilen die gesundheitlichen Verbesserungen
geringer ausfallen als erwartet [40]. In der Diskussion um den Wert sog. Light-Zigaretten hatte dieser Effekt ein besonderes
Gewicht [45]. Aus psychologischer Sicht sind Kompensationseffekte umso wahrscheinlicher, je unreflektierter
und fremdbestimmter eine Entscheidung zur Konsumreduktion zustande gekommen ist. In
manchen Fällen wird die Kompensation ein kurzfristiges und passageres Phänomen sein,
das zudem mit der Nutzung von Nikotinersatzpräparaten eingedämmt werden kann. Unter
dem Strich kann man angesichts der genannten Belege sowie vielerorts nachgewiesener
Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen Konsummenge und Gesundheitsfolgen von möglichen
Verbesserungen durch reduzierten Konsum ausgehen, d. h. die Möglichkeit der Schadensbegrenzung
anerkennen. Allerdings ist auch Fiore et al. [13] zuzustimmen, dass die Befundlage dazu noch unbefriedigend ist.
Ein viertes Argument zugunsten des kR betont die Chance, dass das kR sich als Zwischenstation
auf dem Weg zur Abstinenz erweisen könnte. Unter dem Schlagwort „Einstieg in den Ausstieg”
(start people stopping) wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, eine - vorher vielleicht nicht für möglich
gehaltene - Erfahrung von persönlicher Kontrolle über das eigene Rauchverhalten könnte
zu weitergehenden Zielsetzungen ermutigen und letztlich bei einigen Betroffenen den
Weg in die Abstinenz ebnen. Neben der Ermutigung könnte ein weiteres Motiv dadurch
entstehen, dass kontrolliert Rauchende ihre Pläne und Regeln selbst bei erfolgreicher
Umsetzung als so einschränkend und mühselig erleben, dass ihnen völliger Verzicht
als „kleineres Übel” bzw. als ein Gewinn an persönlicher Freiheit und Lebensqualität
erscheint.
Unter den Argumenten, die gegen kR vorgebracht wurden, ist zunächst das bereits diskutierte
Kompensationsphänomen zu nennen. Hierbei handelt es sich aber wohl kaum um einen grundsätzlichen
Einwand, sondern eher um ein Bedenken gegen die Robustheit des Konzepts „kR”. Es fehlen
Untersuchungen, die klären, welche Bedingungen Kompensationsverhalten mehr oder weniger
wahrscheinlich machen und mit welchen Interventionsbestandteilen sie am besten zu
verhindern sind. Als weiteres Argument gegen das kR wurde eingewandt, dass es nur
zu kurzfristigen Reduktionseffekten führt, die später aber wegen der ständig gegebenen
Vigilanz und der dauerhaft notwendigen Kontrollanstrengung nicht aufrechterhalten
werden. Unter den Pro-Argumenten wurde diese Schwierigkeit ebenfalls angeführt, dort
allerdings als ein mögliches Motiv, um zur Abstinenz (statt zum alten Niveau) zu wechseln.
Letztlich ist es aber eine empirisch zu klärende Frage, ob kontrollierter Konsum langfristig
möglich ist und in welche Richtung sich diejenigen entwickeln, denen der Kontrollweg
zu mühsam ist. Dass reduzierter Konsum auch langfristig möglich ist, und zwar mit
ähnlichen Erfolgsraten wie beim Kriterium Abstinenz, konnte wiederholt gezeigt werden
(vgl. [46]
[47]). Welche Rolle dabei jeweils Kontrollstrategien im Sinne des kR gespielt haben,
war in diesen Studien jedoch nicht thematisch. Ebenso liegen bislang kaum Daten dazu
vor, in welche Richtung sich kontrolliert Rauchende verändern, wenn sie das kontrollierte
Rauchen beenden: Von 44 Personen (59 %), die in der Katamnese-Studie von Colletti
et al. [46] nach selbstkontrollorientierter Verhaltenstherapie reduziert geraucht hatten (> 0 und ≤ 50 % von Baseline), waren nach 4 Jahren immerhin 18 %
zur Abstinenz gewechselt, 18 % erfüllten weiterhin das Reduktionskriterium und 64
% waren dahinter zurückgefallen.
Das vielleicht gewichtigste Argument gegen kR könnte sein, durch seine Propagierung
würden Raucher, die eigentlich zur Abstinenz motivierbar und in der Lage wären, davon
abgehalten werden, weil ihnen ein kontrollierter Konsum als das attraktivere Ziel
erscheint. Schlimmer noch, es könnten Personen, die Abstinenz bereits erlangt haben
(oder nie geraucht haben), dazu verführt werden zu rauchen, weil sie das Suchtpotenzial
und die Gesundheitsgefahren, die damit verbunden sind, zu gering schätzen. Die empirische
Basis dieser Befürchtung ist bislang nicht geklärt. Motiv- und entscheidungsanalytische
Untersuchungen fehlen ebenso wie epidemiologische Daten, die eine solche „Verführungs”-Hypothese
stützen würden. Werden Interessenten für reduktions- und abstinenzorientierte Programme
verglichen, dann erweisen sich Erstere oft als die älteren und stärkeren Raucher mit
mehr Abhängigkeitssymptomen, mehr Aufhörversuchen in der Vergangenheit und mehr gesundheitlichen
Problemen (z. B. bei [48]). Das schließt zwar nicht aus, dass auch „verführte” Raucher, die eigentlich zu
Abstinenz in der Lage wären, darunter sind, macht es jedoch unwahrscheinlich. Die
Schwere der Verführungsgefahr relativiert sich auch angesichts der wiederholt beobachteten
Ergebnisäquivalenz in vergleichenden Untersuchungen: Glasgow et al. [34] etwa verglichen die Effekte zweier kognitiv-verhaltenstherapeutischer Programme,
von denen eines nur abstinenzorientiert war und das andere auch die Option „kR” bot.
Nach 6 Monaten waren die erzielten Effekte weitgehend äquivalent: Die über CO-Messungen
extern validierte Abstinenzquote lag bei 22 bzw. 20 % und die Gruppe der nicht abstinenten
Teilnehmer hatte ihren Konsum von 25,7 Zigaretten pro Tag auf 21,4 bzw. von 24,6 auf
16,1 gesenkt.
Wirksamkeitsnachweise
Für die Beurteilung der Wirksamkeit von Programmen zum kR im engeren Sinne fehlen
bislang metaanalytische Überblicke - und werden wohl auch noch eine Zeit lang fehlen,
weil zu wenige Evaluationsstudien vorliegen, v. a. solche mit guter methodologischer
Qualität. Vorhandene Metaanalysen zur Behandlung von Rauchern, wie die von Fiore et
al. [13], berücksichtigen allenfalls Studien zur sog. Reduktionsmethode (die vor dem definitiven
Aufhören eine Reduktionsphase vorsieht - in Gegenüberstellung zur Schlusspunktmethode,
bei der auf eine solche verzichtet wird) und sind einzig auf den Endpunkt „Abstinenz”
gerichtet, nicht jedoch auf das Zielkriterium „kontrollierter Konsum”. Gelegentlich
findet man „zu geringe Effektstärken” als Argument gegen die Wirksamkeit von kR zitiert
[5], wobei aber wohl meist die abstinenzorientierte Reduktionsmethode gemeint sein dürfte,
denn metaanalytische Bilanzen zum reduktionsorientierten kR liegen wie gesagt bislang
nicht vor. Untersuchungen, die als Evaluationsstudien zum kR richtungsweisend sein
könnten, gibt es aber durchaus (zum Überblick vgl. [35]), sei es in Form von Einzelfall- [42]
[49]
[50] oder Multiple-Baseline-Studien [51], sei es in Form von Gruppenstudien, z. T. mit Zufallszuweisung [34], mit großer Stichprobe, doppelblind und plazebokontrolliert [36]
[52] oder mit Langzeitverlaufsdaten [46]. Für die noch einen Schritt weitergehende und praktisch interessante Frage, welche
Personen am ehesten vom kR profitieren werden (differenzielle Indikation und Prognose),
fehlen bislang Studien.