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DOI: 10.1055/s-2002-32048
Etablierung eines menschlichen Hautorgan-Kulturmodells zur Untersuchung der Wundheilung
Establishment of a Human Skin Organ Model for the Research in Wound HealingHerrn Prof. Dr. E. G. Jung zum 70. Geburtstag gewidmet.Zusammenfassung
Akute und chronische Wunden stellen vielfältige verbreitete medizinische Probleme dar mit zunehmend steigender Inzidenz. Bei akuten, großflächigen Verbrennungen haben sich im vergangenen Jahrzehnt Transplantationen von autologen Keratinozyten, gezüchtet in der Zellkultur (sog. Keratinozyten-sheets), weltweit gut etabliert, auch in Langzeitbeobachtungen. Bei chronischen Wunden, oft Ulcera crurum, wird diese Methodik seit Jahren ebenfalls angewandt, allerdings werden vorwiegend allogene Keratinozyten-„sheets” transplantiert. Diese allogenen Zellen werden innerhalb von 2 Wochen abgestoßen und durch körpereigene ersetzt. Die Reepithelialisierung erfolgt vor allem beschleunigt von den Rändern aus. Daher postuliert man, dass die von den Keratinozyten sezernierten Wachstumsfaktoren und Zytokine von zentraler Bedeutung für die beschleunigte Abheilung von den Wundrändern aus sind. Aufgrund dieser Erkenntnisse begannen wir, autologe Keratinozyten, frisch isoliert aus Haarfollikeln, auf Ulzera zu transplantieren ohne intermittierende aufwändige Zellkulturphase. Zum standardisierten Vergleich des Effektes der frisch isolierten Keratinozyten wurde von uns ein menschliches Hautorgan-Kulturmodell eingesetzt.
Abstract
Research in wound healing is important in medical as well as in social aspects due to the enormous increase in leg ulcers and their costs in all industrial countries. To continuously study the early regeneration of human epidermis we have established a skin organ culture model. Skin samples were specially (6 mm diameter) trimmed, the central epidermis (3 mm diameter) was removed and the samples were cultured under defined conditions. Early reepithelialization can be studied for ten days. Most samples have healed spontaneously after seven days of culture. Application of allogenic freshly isolated outer root sheath keratinocytes accelerated reepithelialization and differentiation as well. It was demonstrable that the allogenic keratinocytes are integrated into the neoepithelium including its basal layer. Even more these cells undergo mitoses and start to form proper cell-cell-junction within a few hours. Thus a human model has become available to study reepithelialization under a variety of influences and pharmaceutical substances
Die Wundheilungsforschung stellt sowohl medizinisch als auch sozial- und volkswirtschaftlich ein wichtiges Forschungsprojekt dar wegen der deutlichen Zunahme des Ulcus cruris mit hohen Kosten durch Arbeitsausfälle und Therapien sowie multiplen Langzeitrisiken. Daher haben wir ein menschliches Hautorgan-Kulturmodell zur Untersuchung der frühen Regeneration der menschlichen Epidermis etabliert. In einheitliche Hautproben wird zentral ein Defekt gesetzt und unter speziellen Bedingungen kultiviert. Damit lässt sich die Reepithelialisierung für ca. 10 Tage verfolgen. In einem Großteil der Fälle erfolgt innerhalb von 7 Tagen eine spontane Reepithelialisierung, die sich durch die Zugabe allogener, frisch isolierter Keratinozyten aus der äußeren Wurzelscheide beschleunigen und besser differenzieren lässt. Anhand dieses Modells konnte gezeigt werden, dass die allogenen Keratinozyten in hoher Zahl in das Neoepithel integriert werden, und sich teilen. Somit steht ein menschliches Modell zur Untersuchung der Reepithelialisierung unter dem Einfluss vielfältiger Pharmaka und Verbandsmaterialien zur Verfügung.
In den vergangenen Jahren wurden Untersuchungen auf dem Gebiet der Wundheilung in sehr breitem Umfang an Tieren durchgeführt, vor allem an Mäusen, Ratten, Kaninchen und Schweinen. Diese meist langwierigen Experimente sind für die Tiere sehr belastend und aufgrund von Unterschieden in der Morphologie, Physiologie und Pathologie der Haut einzelner Spezies oft nur sehr eingeschränkt für die Human-Medizin verwertbar. Lediglich die Haut des Schweins scheint relevante Ergebnisse zu liefern [1].
Untersuchungen mit Hilfe von Zellkulturen aus Hautzellen (z. B. Keratinozyten, Fibroblasten, Endothelzellen) oder Kokulturen (Mischkulturen aus den verschiedenen Zelltypen) sind sehr verbreitet und liefern wichtige Vorergebnisse für die Wundheilung, beispielsweise um die Effekte verschiedener Wachstumsfaktoren und Zytokine auf verschiedene Zelltypen zu erforschen [2]. Sie können allerdings meist nur als Vorstudie für nachfolgende Experimente angesehen werden, da es sich bei der Wundheilung um ein sehr komplexes Geschehen unter Einschluss vieler Wachstumsfaktoren handelt. Der definierte Zusammenhalt der Zellen in einem Gewebe beeinflusst die Abläufe jedoch nachhaltig und ist selbst mit Kokulturen in der Zellkultur nur annähernd zu imitieren. Eine Vielzahl der Effekte von Wachstumsfaktoren, die aus Zellkulturen stammten, waren im klinischen Einsatz bisher enttäuschend.
Aus diesen Gründen - zur Vermeidung von Tierexperimenten und wegen der Insuffizienz der Zell-Kulturmethoden - haben wir ein humanes Hautorgan-Kulturmodell zur Untersuchung der Wundheilung angewandt.
In diesem Modell wird menschliche Haut, die bei Operationen anfällt (z. B. Tumormetastasen-Exzision, Mammareduktion etc.) und üblicherweise im Rahmen der Hautplastiken verworfen wird, verwendet. Daraus werden einheitliche Stanzbiopsien (Durchmesser 6 mm) entnommen und anschließend mit verschiedenen Kulturmedien unter Luftkontakt (Air-Liquid-Interphase) kultiviert. Man kann diese Hautorgan-Kulturmodelle in der Zellkultur bis zu 10 Tage kultivieren und variable Experimente damit durchführen (Abb. [1]). Ursprünglich bewährte sich dieses Modell für lichtbiologische Fragestellungen. Unter variierenden Bedingungen konnten wir in diesem Kulturmodell nach UV-Bestrahlung demonstrieren, dass die zellulären Veränderungen der Keratinozyten, die Entstehung der sehr typischen sunburn cells dosis- und zeitabhängig erhalten bleiben [3] und sich von Pharmaka beeinflussen lassen [4]. Interessanterweise ließen sich auch UV-typische Änderungen der Zytokeratinexpressionen, nämlich das Anschalten der Expression von Zytokeratin 17 in suprabasalen Keratinozyten, nachweisen (Abb. [2] u. [5]).

Abb. 1 Menschliches Hautorgan-Kulturmodell (Durchmesser 6 mm) zur Untersuchung der Wundheilung mit einer Wunde (Durchmesser 3 mm) im Zentrum.

Abb. 2 Immunperoxidase-Färbung der Epidermis mit Antikörper gegen Cytokeratine 17 (Klon E3, Progen Biotechnics, Heidelberg) 24 h nach UVB-Exposition des Organkultur-Modells. Suprabasale Keratinozyten sind positiv.
Die schon erwähnten Experimente an diesem humanen Hautorgan-Kulturmodell zur Reepithelialisierung im Rahmen der Wundheilung waren erfolgreich. Die Epidermis regeneriert sich in diesem Modell unter definierten Kulturbedingungen komplett, d. h. nach ca. 7 Tagen sind die meisten Wunden (3 mm Durchmesser) mit einer mehrschichtigen Epidermis mit sehr dünnem Stratum corneum zugeheilt (Abb. [3]). Verwendet man Hautproben von Patienten mit bekanntermaßen verzögerter Wundheilung (z. B. älteren Patienten, Diabetespatienten), verläuft die Reepithelialisierung im Modell genauso verzögert, d. h. nach 7 Tagen sind nur wenige Wunden geheilt, was gut korreliert mit der In-vivo-Situation. Während dieser Regenerationsphase konnten wir an unserem Modell verschiedene Mechanismen der Wundheilung untersuchen, z. B. die Proliferationsaktivität der Zellen am Wundrand, in den Wundzungen und im Zentrum der sich regenerierenden Epidermis. Eine hohe Zellproliferation sahen wir in deutlichen Abständen von den Wundrändern (Abb. [4 a]) und nach 2 - 4 Tagen in den basalen Keratinozyten der Neoepidermis (Abb. [4 b]).

Abb. 3 Neugebildete Epidermis nach 7 Tagen im Hautorgan-Kulturmodell (HE-Färbung). Die Epidermis ist mehrschichtig, unverhornt und sehr unregelmäßig geschichtet. Am Bildrand rechts ist der ursprüngliche Wundrand erkennbar.


Abb. 4 a und b Immunperoxidase-Färbung der Wundzunge nach 24 h in Kultur (a) und der neugebildeten Epidermis nach 7 Tagen (b) mit einem Antikörper gegen Ki 67 (Klon MIB 1, Dianova, Hamburg). Markiert sind Zellkerne proliferierender Zellen, die anfangs von den Wundrändern entfernt (a), später auch in der neugebildeten Epidermis der Wunde (b) angehäuft sind.
Eine andere Studie betraf die Ausbildung von Zell-Zell-Verbindungen der Keratinozyten. Bereits in frühen Phasen der Regeneration der Epidermis sind alle desmosomalen Cadherine, Desmoglein 1 - 3 und Desmocollin 1 - 3 nachweisbar, jedoch noch sehr schwach und heterogen verteilt. Interessanterweise war in den basalen Keratinozyten der Neoepidermis eine starke Desmoglein 2-Reaktion nachweisbar, die der normalen Epidermis fehlt [6]. Anhand des Modells gelang es zu zeigen, dass die Applikation von Keratinozyten sowohl aus der Zellkultur als auch frisch isoliert aus der äußeren Wurzelscheide der Haare die Wundheilung von den Rändern aus stark beschleunigt. Ein Ergebnis in vitro, das unseren Beobachtungen bei chronischen Ulzera entspricht, die wir in entsprechender Weise behandelt hatten [7] [8] [9] und Beobachtungen nach Transplantation allogener Keratinozyten-sheets bestätigte [10]. Darüber hinaus gelang es uns durch In-situ-Hybridisierung zu zeigen, dass die transplantierten Keratinozyten zumindest temporär in die Epidermis auch in die basale Schicht integriert werden und somit nicht ausschließlich als sehr kurzzeitiges „Wachstumsfaktor-Reservoir” dienen [6]. Diese Befunde eröffnen die Möglichkeit, Vitalität, Lebensdauer und Proliferations- und Differenzierungspotenzial von gentechnologisch modifizierten Keratinozyten in den ersten Tagen nach der Transplantation zu studieren, z. B. von Keratinozyten, die einen Wachstumsfaktor überproduzieren (Abb. [5]).

Abb. 5 Schema der Applikation von transgenen Zellen auf das Organkultur-Modell.
Mit dem Modell lässt sich auch der Einfluss weiterer Substanzen und Materialien auf die Wundheilung testen, die so präklinisch vorgeprüft werden können.
Auch Eigenschaften und Wechselwirkungen von Wachstumsfaktoren, die meist aus der Zellkultur bekannt sind, sind im Gewebeverband der Epidermis weiter zu untersuchen. Dies ist von Bedeutung, da in der Wundheilung eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren zeitlich streng koordiniert involviert sind. Detaillierte Kenntnisse dieser Abläufe ermöglichen eine geeignete Zugabe solcher Faktoren in optimaler Konzentration und Darreichungsform.
Ein anderer Aspekt sind die modernen Wundauflagen. Bereits seit langem wird von modernen Wundauflagen mehr erwartet als nur Verbände. Das Sekret soll aufgenommen, der Wundgrund soll optimiert werden, die Wundheilung gefördert und die Narbenbildung verringert bzw. verhindert werden. Zytotoxische Zusätze oder Milieus sind zu vermeiden.
Die Limitierung des Modells, nämlich das Fehlen einer systemischen Beteiligung, z. B. des Immunsystems bzw. des Blutpfropfs in der ersten Wundheilungsphase, kann z. T. durch entsprechende externe Zugaben ausgeglichen werden. In gewisser Weise spiegelt das Modell - durch Abwesenheit oder Reduktion wichtiger Agenzien der spontanen Wundheilung - auch die Situation bei chronischen schlecht durchbluteten Wunden wider. Dort sind oft die Entzündung und ihre Mediatoren unterdrückt. Im Hautorgan-Kulturmodell fehlt sowohl die optimale Nährstoffzufuhr über das Blut als auch die Entzündung und Immigration hämatogener Zellen. Es ist somit auch geeignet für die Untersuchung chronischer Wunden und vor allem für die Entwicklung von Strategien, diese mangelnde Nährstoffzufuhr extern zu überwinden, u. a. durch Neoangigenese.
Eine Zukunft im Studium der epidermalen Wundheilung werden auch die menschlichen Hautäquivalente haben, ein Gebiet, dessen Erforschung wir ebenfalls großen Raum beimessen. Allerdings ist der Nachteil bei den bisher entwickelten und zum Teil auch kommerziell erhältlichen Hautäquivalenten, dass sie weder Hautanhangsgebilde, z. B. Haare, Schweißdrüsen und Talgdrüsen, noch nicht-keratinozytäre epidermale Zellen (Melanozyten, Merkelzellen, Langerhans-Zellen) enthalten und somit die Situation in vivo auch nur begrenzt widerspiegeln [11]. Geht man doch davon aus, dass die Anwesenheit von Haarfollikeln in der Nähe einer Wunde zur starken Beschleunigung der Heilung führt; ähnliches gilt für die Schweißdrüsen. Bevor die Hautäquivalente gleichwertig zu menschlicher Haut in der Wundheilungsforschung eingesetzt werden können, müssen diese Einschränkungen erst beseitigt werden.
Unser System ist im Moment ein praktikables, um relativ nahe an der In-vivo-Situation der menschlichen Epidermis die Aspekte der epidermalen Wundheilung zu untersuchen und wundheilungsfördernde Pharmaka, Wachstumsfaktoren oder Wundverbände vorzutesten und auf diese Weise wichtige Fragestellungen unserer Zeit zu bearbeiten.
Literatur
- 1 Sullivan T P, Eaglstein W H, Davis S C, Mertz P. The pig as a model for human wound healing. Wound Rep Reg. 2001; 9 66-76
- 2 Moulin V. Growth factors in skin wound healing. Eur J Cell Biol. 1995; 68 1-7
- 3 Bohnert E, Moll I, Jung E G. Formation and quantitation of SBGs in UV-irradiated, short term primary, and organotypic keratinocyte cultures. Arch Dermatol Res. 1993; 285 70
- 4 Simics E, Mahunka M, Horkay I, Bohnert E, Moll I, Jung E G. Effect of pentoxifyline on sunburn cell formation in a novel supravital human skin model. Photodermatol Photoimmunol Photomed. 2000; 16 278-280
- 5 Moll I, Bohnert E, Treib U, Jung E G. Effects of ultraviolet B radiation on cytoskeletal and adhesion molecules in human epidermis. Photodermatol Photoimmunol Photomed. 1994; 10 26-32
- 6 Moll I, Houdek P, Schmidt H, Moll R. Characterization of Epidermal Wound Healing in a Human Skin Organ Culture Model: Acceleration by Transplanted Keratinocytes. J Invest Dermatol. 1998; 111 251-258
- 7 Schönfeld M, Moll I, Maier K, Jung E G. Keratinozyten aus der Zellkultur zur Therapie von Hautdefekten. Hautarzt. 1993; 44 281-289
- 8 Moll I, Schönfeld M, Jung E G. Applikation von Keratinozyten in der Therapie von Ulcera crurum. Hautarzt. 1995; 46 548-552
- 9 Moll I, Houdek P, Schäfer S, Nuber U, Moll R. Diversity of desmosomal proteins in regenerating epidermis: immunohistochemical study using a human skin organ culture model. Arch Dermatol Res. 1999; 291 437-446
- 10 Phillips T, Kehinde O, Gree H, Gilchrest B A. Treatment of skin ulcers with cultured epidermal allografts. J Am Acad Dermatol. 1989; 21 191-199
- 11 Dolynchuk K, Hull P, Guenther L, Sibbald R G. et al . The Role of Apligraf in the Treatment of Venous Leg Ulcers. Wound Management. 1999; 45 34-43
Prof. Dr. Ingrid Moll
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie · Universitätsklinikum Eppendorf
Martinistraße 52 · 20246 Hamburg
Literatur
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Prof. Dr. Ingrid Moll
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie · Universitätsklinikum Eppendorf
Martinistraße 52 · 20246 Hamburg

Abb. 1 Menschliches Hautorgan-Kulturmodell (Durchmesser 6 mm) zur Untersuchung der Wundheilung mit einer Wunde (Durchmesser 3 mm) im Zentrum.

Abb. 2 Immunperoxidase-Färbung der Epidermis mit Antikörper gegen Cytokeratine 17 (Klon E3, Progen Biotechnics, Heidelberg) 24 h nach UVB-Exposition des Organkultur-Modells. Suprabasale Keratinozyten sind positiv.

Abb. 3 Neugebildete Epidermis nach 7 Tagen im Hautorgan-Kulturmodell (HE-Färbung). Die Epidermis ist mehrschichtig, unverhornt und sehr unregelmäßig geschichtet. Am Bildrand rechts ist der ursprüngliche Wundrand erkennbar.


Abb. 4 a und b Immunperoxidase-Färbung der Wundzunge nach 24 h in Kultur (a) und der neugebildeten Epidermis nach 7 Tagen (b) mit einem Antikörper gegen Ki 67 (Klon MIB 1, Dianova, Hamburg). Markiert sind Zellkerne proliferierender Zellen, die anfangs von den Wundrändern entfernt (a), später auch in der neugebildeten Epidermis der Wunde (b) angehäuft sind.

Abb. 5 Schema der Applikation von transgenen Zellen auf das Organkultur-Modell.
