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DOI: 10.1055/s-2002-32449
Die Bedeutung von
Emotionen in der modernen
Psychotherapie
Publication History
Publication Date:
25 June 2002 (online)

PiD: Würden Sie bitte kurz die Vorteile der emotionsorientierten Therapie zusammenfassen?
L. Greenberg: Wir haben herausgefunden, dass emotionsfokussierte Therapie vor allem bei der Behandlung
von Depressionen, Ängsten und Traumata hilfreich ist. Darüber hinaus hilft sie Paaren,
bei partnerschaftlichen Krisen ihre Intimität und Nähe zueinander wieder herzustellen.
Ich glaube auch, dass sie Menschen helfen kann, die ihre Gefühle vorwiegend als Körperreaktionen
erleben, also somatisieren.
Meiner Ansicht nach ist besonders hervorzuheben, dass eine psychotherapeutische Intervention,
die sich auf Gefühle bzw. auf emotionale Umstrukturierung oder Veränderung konzentriert,
mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einen Rückfall verhindern wird als eine Therapieform,
die auf die direkte Beeinflussung von Gefühlen verzichtet.
Ich denke, dass die Arbeit mit Emotionen zu einer grundlegenderen Persönlichkeitsveränderung
führt als die Arbeit mit Kognitionen oder Verhalten allein. Wir haben erste empirische
Hinweise dafür, dass sich die höhere emotionale Erregung in unserer emotionsfokussierten
Therapie von Depressionen sowohl positiv auf das Ergebnis als auch auf die 18-monatige
Nachbehandlung auswirkt, was wiederum zeigt, dass eine emotionale Verarbeitung eine
bessere und dauerhaftere Veränderung fördert. In der Paartherapie verbessert die emotionsfokussierte
Therapie die emotionale Bindung und erhöht die Intimität zwischen den Partnern.
PiD: Auf welche empirischen Arbeiten stützen sich Ihre Aussagen?
L. Greenberg: Wir haben frühere Forschungsergebnisse über die Auswirkungen eines emotionsorientierten
Ansatzes erneut überprüft. In der fünften Auflage des „Handbook of Psychotherapy and
Behavior Change” (Hrsg.: Lambert, M., Bergin, A. u. Garfield, S.) sind die Ergebnisse
zusammengefasst (siehe Literaturliste).
Im Bereich der Depressionen wurde das emotionsfokussierte Therapiekonzept ausgiebig
erforscht. Im Vergleich zu anderen Behandlungen erwies sich unser Ansatz gegenüber
anderen Therapien als überlegen, sodass wir von einer sehr gut überprüften Wirkung
der emotionsorientierten Therapie in der Depressionsbehandlung ausgehen können.
Im Bereich der Angstneurosen sind die empirischen Belege gemischt, aber dennoch ausreichend,
um eine Bewertung der emotionsfokussierten Therapie als „möglicherweise wirksam” zu
rechtfertigen. Jedoch legen die inzwischen vorliegenden Forschungsergebnisse zur Behandlung
von Panikstörung und generalisierter Angst auch nahe, dass emotionsbetonte Ansätze
weniger wirksam sein könnten als kognitiv-behaviorale Therapien.
Drittens können wir aufgrund der Forschungsdaten davon ausgehen, dass emotionsorientierte
Therapien eine „spezifische und wirksame” Behandlung darstellen, wenn es darum geht,
Klienten dabei zu helfen, mit den Folgen traumatischer Ereignisse oder von Missbrauch
fertig zu werden.
Viertens gewinnt emotionsfokussierte Therapie für Paare (z. B. Greenberg u. Johnson
1988, Johnson u. Greenberg 1985) zunehmend an Bedeutung als eine erlebnisorientierte
Behandlungsmethode bei Eheproblemen. Dieses Konzept weist die besten Ergebnisse von
allen Erfahrungstherapien auf und wurde in einer auf den Chambless-Hollon-Kriterien
(1998) basierenden neueren Überprüfung (Baucom u. Mitarb. 1998) in der Bewertung von
„möglicherweise wirksam” auf „wirksam und möglicherweise spezifisch” angehoben.
PiD: Sie nutzen in der Therapie das Konzept der primären und sekundären Emotionen. Würden
Sie bitte erläutern, was Sie darunter verstehen?
L. Greenberg: Ich habe die Bedeutung der Unterscheidung zwischen sowohl primären und sekundären Emotionen als auch zwischen adaptiven und maladaptiven emotionalen Erfahrungen immer wieder betont (Greenberg u. Safran 1987, Greenberg u. Mitarb. 1993, Greenberg u. Paivio 1997). Primäre Emotionen sind die fundamentalsten und unmittelbarsten emotionalen Reaktionen einer Person auf eine Situation. Sekundäre Emotionen sind diejenigen Reaktionen, die den eher primären inneren Prozessen folgen und einen Schutz gegen diese darstellen können. Sekundäre Emotionen sind somit Reaktionen auf vorherige Gedanken oder Gefühle oder auf ein komplexes Zusammenspiel dieser Gedanken und Gefühle. Solche sekundären Emotionen sind zum Beispiel das Gefühl des Verärgertseins als Reaktion auf das Gefühl des Verletztseins oder die Angst vor dem Gefühl des Verärgertseins oder Schuldgefühle wegen eines traumatischen Ereignisses durch die Übernahme der Verantwortung für das Ereignis oder Angstgefühle aufgrund von Katastrophenerwartungen. Diese sekundären Emotionen müssen im therapeutischen Prozess erkundet werden, um zu deren eher primären Auslösern zu gelangen.
PiD: Welche Rolle spielen nach Ihrer Ansicht Kognitionen in diesem Prozess?
L. Greenberg: Kognitive Prozesse sind zwar für die meisten Emotionen relevant, aber erst das Bewusstmachen
einiger primärer Emotionen kann den Zugang zu adaptiven Informationsverarbeitungsprozessen
ermöglichen, die ihrerseits die Zielorientierung und Problemlösung von Klienten fördern.
Das ist der Grund, warum gesundes Ärgern über Ungerechtigkeit und Unfairness, die
dem Gefühl der Machtlosigkeit bei Depressionen häufig zugrunde liegt, emotionale Adaptation
bewirken kann oder warum das Zulassen von Schamgefühlen und/oder von Traurigkeit über
den Verlust von Wertschätzung, die häufig dem Wutgefühl zugrunde liegen, Zuneigung
anstelle von Destruktivität fördern kann.
Die nächste, äußerst wichtige Unterscheidung, die getroffen werden muss, ist die zwischen
denjenigen primären Gefühlen, die adaptiv sind und auf die wegen ihrer Nützlichkeit
für den therapeutischen Prozess zugegriffen wird, und denjenigen primären Gefühlen,
die maladaptiv sind und umgewandelt werden müssen.
Maladaptive Emotionen sind diejenigen altbekannten Gefühle, die immer wieder auftreten
und sich nicht verändern. Das kann z. B. ein Grundgefühl der Einsamkeit, Traurigkeit,
Verlassenheit sein oder eines der Wertlosigkeit oder des explosiven Ärgers, der immer
wieder Beziehungen zerstört. Oder es können wiederkehrende Gefühle der beschämenden
Unzulänglichkeit sein, die einen ein ganzes Leben lang plagen. Diese Gefühle verändern
sich weder als Reaktion auf veränderte Umstände noch wenn sie einfach nur ausgedrückt
werden. Sie geben auch keine adaptive Richtung für die Problemlösung vor. Viel eher
geben sie einer Person das Gefühl, nicht weiterzukommen, und oft das Gefühl der Hoffnungslosigkeit,
Hilflosigkeit und Verzweiflung. Es hilft nicht weiter, nur in Kontakt zu diesen Emotionen
zu kommen, sie müssen ersetzt oder umgewandelt werden. Die Unterscheidung zwischen
den verschiedenen Arten von Gefühlen gibt Therapeuten und Therapeutinnen eine Richtschnur
für unterschiedliche Interventionen. Auf adaptive primäre Emotionen muss zugegriffen
werden, weil sie die Selbsterkenntnis fördern und Handlungen auslösen können, während
maladaptive primäre Emotionen reguliert und umgewandelt werden müssen. Sekundäre maladaptive
Emotionen müssen durch intensives Explorieren und Hinterfragen reduziert werden, damit
auf ihre eher zugrunde liegenden primären kognitiven oder emotionalen Auslöser zugegriffen
werden kann. Emotionsfokussierte Arbeit beinhaltet daher einerseits das Zugreifen
auf primäre adaptive Emotionen zur Stärkung individueller Anpassungsprozesse und andererseits
das Hervorrufen von maladaptiven Emotionen, die dadurch, dass sie neuen Informationen
und Erfahrungen ausgesetzt werden, der Veränderung zugänglich gemacht werden.
PiD: Können Sie einige praktische Ratschläge geben, wie ein solcher Umwandlungsprozess
am besten eingeleitet werden kann?
L. Greenberg: Psychovegetative Prozesse spielen eine wichtige Rolle. Zuerst müssen Sie den Menschen
helfen, tief einzuatmen, während diese die belastenden Gefühle der Scham oder Furcht
oder Ärger oder Traurigkeit fühlen. Dieses Atmen hilft bei der Emotionsregulierung
und ist besonders bedeutsam, wenn die problematischen Gefühle intensiv und überwältigend
sind. Sobald Patienten und Patientinnen in der Lage sind, die Gefühlsintensität zu
regulieren, müssen Sie ihnen dabei helfen, herauszufinden, was sie zusätzlich zu ihren
maladaptiven Emotionen oder als Reaktion auf diese fühlen. Dabei gibt es verschiedene
Möglichkeiten, Patienten und Patientinnen auf diesem Weg der Veränderung zu begleiten.
Das Verlagern der inneren Aufmerksamkeit der Betroffenen auf ein Hintergrundgefühl ist eine Schlüsselmethode. Am Rande des Bewusstseins oder im Hintergrund, hinter
der momentan dominanten Emotion, liegt oft eine andere, subdominante Emotion, die
man dann erkennt, wenn man ihr Beachtung schenkt oder sie sucht. D. h., hinter dem
Ärger findet man oft Traurigkeit, Liebe oder Versöhnlichkeit; am Rande der Traurigkeit
ist Ärger, innerhalb des Schmerzes oder der Furcht verbirgt sich der Ärger; hinter
dem Schamgefühl verbergen sich Stolz und Selbstachtung.
Ein zweiter und bisweilen direkterer Weg, mit dem Sie den Klienten helfen können,
auf ihre gesunden, heilenden Gefühle und inneren Ressourcen zuzugreifen, ist, sie
nach ihren Bedürfnissen zu fragen, wenn sie sich in ihrem maladaptiven Zustand befinden. Wenn Menschen Schmerzen
erleiden, wissen sie gewöhnlich recht gut, was sie brauchen, um den Schmerz zu lindern.
Und wenn sie erst einmal wissen, was das ist, entwickeln sie oft das Gefühl, eine
gewisse Kontrolle über die Schmerzen zu haben. Wenn aber Betroffene Schwierigkeiten
haben, auf ihre Bedürfnisse zuzugreifen, ist dies ein Indikator, dass sie mehr empathische
Unterstützung brauchen.
Ein dritter Weg, Gefühle zu aktivieren, ist die Verwendung von Imagination. Imagination ist ein gutes Mittel zur Hervorbringung einer emotionalen Reaktion.
Menschen können ihre Imagination nutzen, um Szenarien oder Bedingungen zu konstruieren,
von denen sie wissen, dass sie ihnen beim Fühlen einer Emotion helfen. Oder sie können
diese Vorstellungskraft auch als Gegenmittel zu einem maladaptiven Gefühl einsetzen,
das sie verändern wollen. Sie können daher verändern, was sie fühlen - und zwar nicht
durch die gezielte Veränderung bestimmter Gefühle an sich, sondern durch die Verwendung
von Imagination zum Hervorrufen neuer Emotionen.
PiD: Bestehen hier nicht große interindividuelle Unterschiede?
L. Greenberg: Menschen unterscheiden sich allerdings in ihrer Fähigkeit, selbst erzeugte Imagination
zu nutzen, um unerwünschte Emotionen durch erwünschtere zu ersetzen. Die Fähigkeit
dazu kann jedoch im therapeutischen Prozess entwickelt werden. Wenn Menschen maladaptiven
Ärger oder deprimierende Einsamkeit fühlen, können sie zum Beispiel dazu ermutigt
werden, sich selbst in Situationen vorzustellen, die positive Gefühle erzeugen. Wenn
das maladaptive Gefühl erst mal erkannt wurde, können Sie sie fragen, ob sie sich
selbst stattdessen in einem starken oder handlungsfähigen Zustand vorstellen können
oder in den Armen geliebter Menschen oder in Begleitung eines Polizisten oder Therapeuten
zu ihrem Schutz. Die Vorstellung von geliebten Menschen kann auch als Gegenmittel
zu Gefühlen schmerzhafter Isolation oder Angst sehr effektiv sein.
Durch Übung kann man lernen, wie man adaptive Emotionen durch Imagination erzeugt
und diese als Gegenmittel zu negativen Emotionen einsetzen. Dies braucht Zeit und
Aufmerksamkeit auf die Atmung, um bei der Entspannung zu helfen. Lassen Sie die Menschen
in eine schreckliche Erinnerung zurückgehen und bitten Sie sie dann, unterstützende
Menschen oder Gefühle aus einer positiven Erinnerung in die schlechte Erinnerung zu
bringen. Dies kann bei der Linderung des schlechten Gefühls helfen.
PiD: Welche Rolle spielt die Empathie in diesem Prozess?
L. Greenberg: Die Erzeugung von Mitgefühl für sich selbst und andere durch Imagination kann durch
therapeutische Empathie gefördert werden. Indem man sich empathisch auf die Seite
des Klienten stellt, kann man ihn zum Beispiel bitten, sich selbst als einen Erwachsenen
vorzustellen, der sein fünfjähriges Selbst gerade tröstet, das sich allein und verletzt
im Kinderzimmer befindet. Oder man kann ihn bitten, sich jemanden vorzustellen, z.
B. den Therapeuten oder eine andere schützende Figur, die gerade in das Kinderzimmer
geht und dem Kind das gibt, was es zu diesem Zeitpunkt braucht, sei es Trost, Unterstützung
oder Schutz. Dabei ist das Ziel, neue emotionale Zustände hervorzurufen, die Alternativen
zu den maladaptiven Zuständen darstellen, in denen die Person steckt, und dann diese
neuen adaptiveren Zustände als Sprungbrett für die Umwandlung der alten maladaptiven
Zustände zu nutzen.
Um dies wirklich ausführen zu können, müssen die Menschen genug Unabhängigkeit von
anderen verinnerlicht haben, und sie müssen ein Selbstgefühl haben, das stark genug
ist, um diese Unabhängigkeit auszuhalten. Können sie dies nicht, so ist das einzige
zur Verfügung stehende Mittel die empathische Einstellung des Therapeuten auf die
vorhandenen Möglichkeiten des Klienten.
Ganz allgemein hat die Empirie gezeigt, dass Empathie ein zentrales Element der therapeutischen
Beziehung ist.
PiD: Gibt es neben den bisher genannten Methoden noch weitere, die Sie einsetzen?
L. Greenberg: Ja, ein anderer Weg, auf wechselnde Emotionen zuzugreifen, ist es, Klienten dazu zu
bringen, ein Gefühl auszudrücken, auch wenn sie es im Moment gar nicht erleben. Dieses
Vorgehen basiert im weitesten Sinne auf der Theorie von William James, der ja sagte,
dass wir uns fürchten, weil wir wegrennen. Beim expressiven Spielen von Gefühlen bitten Sie die Menschen, bewusst die expressive Haltung eines bestimmten Gefühls
einzunehmen und dieses dann zu intensivieren. So können Sie z. B. psychodramatische
Anweisungen verwenden und Ihren Klienten auffordern: „Versuchen Sie, ihm zu sagen:
Ich bin verärgert!.” Sagen Sie es noch einmal, aber lauter. Können Sie Ihre Füße auf
den Boden stellen und gerade sitzen? Ja, noch etwas mehr”. Hier leiten Sie die Person
beim Ausdruck einer Emotion an, so lange, bis sie beginnt, die Emotion zu fühlen.
Dies ist keine Ermutigung zu unechtem Ausdruck, sondern der Versuch, den Zugriff auf
eine unterdrückte, abgelehnte Erfahrung zu erleichtern. Das gleichzeitige Einnehmen
einer traurigen Haltung und das bewusste Ausdrücken trauriger Dinge kann Zugang zur
Traurigkeit gewähren.
Hilfreich ist auch, eine gerade entstehende Emotion genau zu verfolgen. Wenn zum Beispiel
die Augen einer Person nach unten gehen, sprechen Sie das an und leiten Sie die Person
an, diese Bewegung bewusst auszuführen, etwa indem Sie sagen: „Ja, sehen Sie nach
unten und sagen Sie das noch einmal.” Wenn Sie Ihren Klienten bitten, sich zu einem
Ball zusammenzurollen, kann dies die Rückzugstendenzen der Traurigkeit erleichtern.
Allerdings sind dem auch Grenzen gesetzt, denn allzu viel bewusster Ausdruck ohne
Beachtung der damit hervorgerufenen Erfahrung kann zu einer künstlichen Darstellung
anstatt zum Wachrufen der Erfahrung führen.
Schließlich können Sie die Erinnerung an eine andere Emotion fördern, indem Sie den Klienten anweisen, sich an eine Situation zu erinnern, in
der dieses Gefühl vorkam, und die Erinnerung lebendig in die Gegenwart rufen. Das
ist so ähnlich wie die oben beschriebenen Imaginationsprozesse. Erinnerungen an emotionale
Ereignisse sind deshalb ein wichtiges Mittel beim Zugriff auf eine andere Emotion,
die dann helfend verwendet werden kann, um einen maladaptiven Zustand zu verändern.
Emotionen und Erinnerungen sind eng verbunden. Emotionen werden durch Erinnerungen
hervorgerufen und sind bedeutend bei der Umstrukturierung des Emotionsgedächtnisses
und der darauf aufbauenden Schilderungen. Durch das Verändern ihrer Erinnerungen oder
der Zugänglichkeit zu verschiedenen Erinnerungen verändern Menschen die Geschichte
ihres Lebens und ihrer Identität.
Sie können Menschen beim Erkunden einer neuen Emotion aber auch helfen, indem Sie
mit ihnen über die erwünschtere Emotion ausführlich sprechen. Das Sprechen über eine emotionale Episode hilft bei der Erkundung der Gefühle, die
sie in dieser emotionalen Episode hatten. Der Therapeut kann die Emotion auch für den Klienten ausdrücken. Z.B. kann der Therapeut sagen: „Ich fühle mich wütend durch das, was er Ihnen angetan
hat. Sie waren so jung und unschuldig”.
Ebenso wie bei der Hilfe beim Zugang zu neuen Emotionen müssen Sie manchmal Menschen
helfen, sich aus bestimmten Emotionen und emotionalen Erinnerungen loslösen zu können, um von einem emotionalen Zustand in einen anderen übergehen zu können. Wenn Menschen
wissen, dass sie in der Lage sind, sich aus einem emotionalen Zustand heraus zu bewegen,
fürchten sie möglicherweise das betreffende Gefühl nicht so sehr. Menschen können
lernen, von Ärger zu Mitgefühl zu wechseln, von Traurigkeit zu Verständnis, von Neid
zu Akzeptanz, von innerer Angst zum Kontakt mit der beruhigenden Gegenwart. Hierbei
ist wichtig, Patienten und Patientinnen dazu anzuleiten, genau zu beschreiben, was
sie in dem Moment fühlen, wenn sie sich aus einem bestimmten Gefühl heraus bewegen
wollen. Das hilft ihnen dabei, sich zu konzentrieren. Sie müssen zusätzlich die Fähigkeit
einüben, bestimmte Erfahrungen „aufzuheben”, in dem Wissen, später auf sie zurückkommen
und sie weiterverarbeiten zu können.
PiD: Welche intrapsychischen und interpersonellen Ressourcen sind am bedeutendsten für
die therapeutische Veränderung in der emotionsfokussierten Therapie?
L. Greenberg: Eine Person muss eine gewisse Fähigkeit zur Regulierung ihrer Emotionen haben und, noch wichtiger, die Fähigkeit, sich auf ihre Emotionen zu konzentrieren und sie im Körper zu fühlen - im Gegensatz zum reinen Sprechen darüber. Sie muss genug Vertrauen haben, um sich zu öffnen. Menschen, die zu labil oder zu dysreguliert sind, benötigen Mitgefühl und Unterstützung und nicht das Wachrufen von Emotionen.
PiD: Was ist Ihrer Meinung nach die größte therapeutische Herausforderung bei der Arbeit
mit Emotionen in der Therapie?
L. Greenberg: Die größte Herausforderung ist die Arbeit mit Menschen, die emotional völlig blockiert sind. Wenn sie keine Beziehung zu ihren emotionalen Erfahrungen haben, starr und sehr begrifflich denken, können sie sich nicht auf ihr Inneres konzentrieren, und es ist schwierig, mit ihnen emotionsfokussiert zu arbeiten.
PiD: Gibt es weitere therapeutische Ratschläge, die bei der Therapie hilfreich sein könnten?
L. Greenberg: Es ist die vertrauensvolle Beziehung, die zentrale Bedeutung hat. Emotionen brauchen eine empathische warme Bindung und eine echte Beziehung, um zu entstehen, und sie müssen gegenseitig bestätigt werden. Nicht allein die Erfahrung, der Ausdruck oder die Weiterverarbeitung der Emotionen ist wichtig in der Therapie, sondern vor allem eine sichere bestätigende Beziehung, die als zentrales Element zur Veränderung beiträgt. Die Selbstakzeptanz und die Annahme der eigenen Gefühle sind entscheidende Bestandteile der Veränderung.
PiD: Professor Greenberg, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch!
Im Interview erwähnte
Literatur
- 1 Elliott R, Greenberg L S, Lietaer G.
Research on Experiential Psychotherapies. In: Lambert, M., Bergin, A. & Garfield, S. (eds.) Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 5th edition. New York; Wiley - 2 Chambless D, Hollon S D. Defining empirically supported therapies. Journal of Consulting and Clinical Psychology,. 1998; 66/1 7-18
- 3 Greenberg L, Johnson S. Emotionally focused therapy for couples. New York; Guilford Press 1988
- 4 Johnson S, Greenberg L. Emotionally focused couples therapy: An outcome study. Journal of Marital and Family Therapy,. 1985; 11/3 313-317
- 5 Baucom D H, Shoham V, Mueser K T, Daiuto A, Stickle T. Empirically supported couple and family interventions for marital distress and adult mental health problems. Journal of Consulting and Clinical Psychology,. 1998; 66/1 53-88
- 6 Greenberg L S, Safran J D. Emotion in Psychotherapy. New York; Guilford Press 1987
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- 8 Greenberg L, Paivio S C. Working with emotion in psychotherapy. New York; Guilford Press 1997