Die überbewertete Hypoxämie
Wenn man in Interlaken die höchste Zahnradbahn Europas zum Jungfraujoch besteigt,
erreicht man in relativ kurzer Zeit etwa eine Höhe von 3500 m. Dort herrscht ein Sauerstoffpartialdruck
von 510 mm Hg, was bezogen auf Meereshöhe etwa einer Sauerstoffkonzentration von 14
% entsprechen würde. Gesunde haben dort einen pO2 von etwa 55 mm Hg entsprechend einer Sättigung von etwa 86 %. Obwohl sie mit diesen
Messwerten die Indikation zur Sauerstofflangzeittherapie in allen Empfehlungen weltweit
erfüllen würden, fühlen sich die meisten Besucher kaum beeinträchtigt. Es gibt allerdings
einige, die infolge Hyperventilation mit Hypokapnie entsprechende Symptome bekommen.
Eine noch dramatischere Situation erleben wir bei vielen Patienten mit Übergewicht
und oft nur leichter Obstruktion, wenn sie im Schlaf hypoventilieren. Nicht wenige
dieser Patienten haben zusätzlich eine obstruktive Schlafapnoe, manche gehören aber
allein nur in die Hypoventilationsgruppe. Man fasst diese Patientenentität heute als
Obesitas-Hypoventilations-Syndrom zusammen. Besonders die schwereren Fälle zeigen
nachts oft dramatische Entsättigungen, wie in Abb. [1] schematisch dargestellt. Die meisten Pulsoxymeter beenden ihre Messung bei einer
Sättigung von 50 %, die neueren gehen auch darunter. In unserer Klinik haben wir einzelne
Patienten, die jede Nacht eine Sauerstoffsättigung von 30 % oft über einen längeren
Zeitraum aufweisen (ohne Therapie). Trotzdem sind sie am nächsten Morgen wenig kompromittiert.
Würde man den Sauerstoffpartialdruck online messen, so hätten diese Patienten im ungünstigsten
Falle pO2-Werte um 20 mm Hg (Abb. [2]). Damit unterschreiten sie deutlich alle Empfehlungen der Notfallmedizin für eine
akute Intubation mit Beatmung.
Abb. 1 Verlauf der Sauerstoffsättigung im Schlaf bei einem Patienten mit erheblichem Übergewicht
und mittelgradiger chron. obstruktiver Bronchitis (Obesitas-Hypoventilations-Syndrom).
Da der Sauerstoffsättigungssensor unterhalb von 50 % ungenau misst, wird in diesen
Bereichen die Messung nicht aufgezeichnet. Sie ist exemplarisch unter der Lupe dem
wirklichen Verlauf entsprechend weitergeführt.
Abb. 2 Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins mit den drei exemplarischen Messpunkten nach
Abb. [1]. Angegeben ist der aus der Sättigung resultierende Sauerstoffpartialdruck.
Wir haben also hier auf der einen Seite Zustände mit schwerer Hypoxämie ohne akute
Beeinträchtigung der Patienten. Auf der anderen Seite wissen wir aber vor allen Dingen
aus den in den 80er Jahren durchgeführten Studien zur Sauerstofflangzeittherapie (Abb.
[3]), dass etwa eine Verdoppelung der Lebenserwartung durch Sauerstoffgabe über 16 h
bei diesen Patienten erreicht werden kann. Diese beiden Studien [1]
[2] waren bereits damals randomisiert und plazebokontrolliert, so dass sie auch nach
heutigen Kriterien den höchsten Evidenzgrad haben. Es scheint also so zu sein, dass
die Korrektur auch einer milden Hypoxämie einen Benefit hat. Betrachtet man jedoch
die Studien zur Sauerstofflangzeittherapie genauer, so fällt auf, dass man möglicherweise
bei alleiniger pathophysiologischer Betrachtungsweise der Korrektur der Hypoxämie
(und deren Folgeerkrankungen wie pulmonaler Hochdruck) auf das falsche Pferd gesetzt
hat.
Abb. 3 Schematische Darstellung der plazebokontrollierten randomisierten Studie zur Sauerstofflangzeittherapie
MRC und NOTT. Angegeben sind die Mittelwerte des Sauerstoffpartialdrucks für beide
Kollektive sowie die gemessene Verdoppelung der Lebenserwartung durch die Langzeitsauerstoffgabe.
Zusätzlich angegeben sind die PCO2-Werte, die in beiden Kollektiven im hyperkapnischen Bereich lagen.
Die erwähnten beiden Studien zur Sauerstofflangzeittherapie zeigen aber auch, dass
insbesondere Patienten mit stabiler Hyperkapnie von der Sauerstofflangzeittherapie
profitieren. Nachfolgestudien aus neuerer Zeit bestätigen diese Sichtweise, denn die
Zunahme der Überlebenswahrscheinlichkeit ist viel strenger an das pCO2 gekoppelt als an das pO2 [3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]. Ihre wesentlichen Ergebnisse sind in Tab. [1] zusammengefasst. Sauerstoffgabe führt zu einer Reduktion der Ventilation mit konsekutiver
Entlastung der Atempumpe, sichtbar an einer Zunahme der Hyperkapnie. Möglicherweise
führt das zu einer besseren Chance, eine Exazerbation der COPD zu überstehen, was
sich deutlich in einer Zunahme der Lebenserwartung zeigen würde. Die vor einigen Jahren
von Gorecka et al. [3] erschienene Studie mit einer Kontrollgruppe ohne Therapie bei geringer hypoxämischen
Patienten zwischen 55 und 60 mm Hg, jedoch ohne Hyperkapnie, zeigte denn auch überhaupt
keinen Überlebensvorteil für die Sauerstoffbehandlungsgruppe. Diese neuen pathophysiologischen
Gesichtspunkte sind inzwischen auch in die gerade erschienenen Leitlinien zur Sauerstofflangzeittherapie
in Deutschland eingeflossen [9].
Tab. 1 Nachfolgestudien zur Sauerstofflangzeittherapie aus den letzten Jahren. Allein in
der Arbeit von Gorecka et al. wurde eine Kontrollgruppe ohne Therapie verwendet. Beide
Patientengruppen mit COPD und milder Hypoxämie zeigten keinen Unterschied in der Überlebensrate.
Die Studien von Chailleux, Veale und Aida sind multivariate Analysen zur Sauerstofflangzeittherapie
auf verschiedene Einflussvariablen. Allen Studien gemeinsam ist die Feststellung,
dass eine stabile Hyperkapnie mit einer verlängerten Lebenserwartung gekoppelt ist
bzw. dass die Lebenserwartung steigt, wenn die Hyperkapnie unter Sauerstofftherapie
zunimmt. Sliwinski et al. hatten untersucht, ob der Einfluss der Sauerstofflangzeittherapie
auf den Pulmonalisdruck prognostische Bedeutung hat. Überraschenderweise wurde das
nicht beobachtet. Subjektive Einflüsse der Sauerstofftherapie wurden in der Studie
von Okubadejo et al. nicht beobachtet. Näheres siehe Text
Autor |
Anzahl |
pO2
(mm Hg) |
pCO2
(mm Hg) |
Parameter |
Evidenzgrad |
Ergebnisse |
Challeux 1996
|
ca. 24 000 |
53 |
48 |
survival |
III |
pCO2↑ unter O2 RR 0.75 |
Gorecka 1997
|
67 68 |
59 59 |
40 39 |
survival |
Ib |
keine Differenz |
Veale 1998
|
1425 6275 |
>60 <60 |
44 47 |
survival |
III |
keine Differenz |
Aida 1998
|
COPD 4552 post TBC 3028 |
50 50 |
49 53 |
survival |
III |
RR pCO2 < 35 : 1,7 35 - 40 : 1,0 45 - 55 : 0,75 |
Sliwinski
|
46 |
57 |
49 |
Pap-Abfall unter O2 auf survival |
IIb |
keine Differenz |
Okubadejo 1996
|
19 17 |
54 63 |
52 46 |
Lebensqualität |
Ib |
keine Differenz |
Geht man nun der Frage nach, ab wann eine Hypoxie gefährlich ist, so wundert man sich,
dass die aktuelle Literatur seit 1965 (Medline Recherche) praktisch nichts für die
Klinik Verwertbares bietet. In den Empfehlungen zur Sauerstofflangzeittherapie werden
übrigens weltweit immer nur zwei Studien dazu zitiert, und zwar die von Levine et
al. [10] sowie von Krop et al. [11]. Bei der ersten handelt es sich um eine Verträglichkeitsstudie zur Sauerstofflangzeittherapie
bei nur 6 hypoxämischen Patienten. Die zweite hat neuropsychologische Effekte der
Sauerstofftherapie gefunden, allerdings nur bei 12 hypoxämischen Patienten, wobei
10 Parameter gemessen wurden. Beide Arbeiten hätten nach heutigen statistischen Gesichtspunkten
kein positives Ergebnis gezeigt. Es ist daher erstaunlich, dass diese wichtige Frage
- ab wann eine Hypoxie unter Normaldruckbedingungen relevant ist - in den letzten
35 Jahren nur sehr unzureichend untersucht worden ist. Es gibt zwar einige Studien
aus der Höhenmedizin zum neuropsychologischen Einfluss von extremen Bergsteigertouren
im Himalaya sowie Experimente aus Unterdruckkammern, diese sind jedoch wegen der gleichzeitigen
Dekompression mit Luftembolien neben der Hypoxie nur bedingt zu verwerten [12]
[13]. Bei isobarer Hypoxämie wird dieses erst bei Sauerstoffkonzentrationen unter 5 -
6 % beobachtet [14]
[15]
[16]
[17].
Eine praktische Lösung der klinisch sehr relevanten Frage, ab wann ein Sauerstoffpartialdruck
kritisch wird bzw. wie die Widersprüche in den Ergebnissen zur Sauerstofflangzeittherapie
zu erklären sind, ergibt sich aus einer neueren Betrachtung langjährig bekannter pathophysiologischer
Zusammenhänge. Entscheidend für den Energiestoffwechsel des Organismus ist nämlich
nicht der Sauerstoffpartialdruck, sondern die Zahl der Sauerstoffmoleküle. Diese Größe
spiegelt sich aber nur im Sauerstoffgehalt wider. Die Beziehungen untereinander sind
in der Berechnung des Sauerstoffangebotes (DO2 = Oxygen Delivery) in Abb. [4] dargestellt. Das Sauerstoffangebot errechnet sich aus der Herzleistung (z. B. cardiac
index oder HZV) × Sauerstoffgehalt. Der Sauerstoffgehalt selber errechnet sich aus
dem Hämoglobin × Sauerstoffsättigung × Korrekturfaktor 1,3. Erst über die Sauerstoffbindungskurve
erhält man dann über die Sauerstoffsättigung den Sauerstoffpartialdruck, der üblicherweise
gemessen und angegeben wird. Der Sauerstoffpartialdruck ist also nur eine tertiäre
Größe (sekundär wäre die Sauerstoffsättigung). Näher an der wirklichen Sauerstoffversorgung
der Mitochondrien und damit der ATP-Produktion ist die Sauerstoffsättigung; direkt
proportional aber erst der Sauerstoffgehalt. Damit ist natürlich noch nichts ausgesagt
über die Diffusionsstrecke in die Peripherie. Diese Größen sind jedoch schwer messbar,
so dass hier kaum verwertbare Daten existieren. Allein aber die Betrachtung des Sauerstoffgehalts
in der Hypoxiefrage eröffnet neue Einsichten in bekannte klinische Erfahrungen.
Abb. 4 Berechnung des Sauerstoffangebotes (DO2), das der Organismus als Führungs- bzw. Stellgröße für die Regulation der Herz- und
Atmungsleistung nimmt. Wesentlich dabei ist der Sauerstoffgehalt, der die Zahl der
Sauerstoffmoleküle widerspiegelt. Der Sauerstoffpartialdruck ist nur eine tertiäre
Größe. Die Beziehungen sind hier abgeleitet. Das Herzminutenvolumen selbst wird in
Beziehung zur Ventilation als Ventilations-/Perfusionsquotient ebenfalls als zentrale
Größe geregelt. Näheres siehe Text.
In Abb. [5] sind die Verhältnisse zwischen Sauerstoffpartialdruck, -sättigung und -gehalt noch
einmal anschaulich dargestellt: Links ein Normalfall mit einer grenzwertig niedrigen
Sauerstoffsättigung. Daneben das Beispiel einer jüngeren Frau mit Menorrhagie, die
eine leichte Anämie hat. Die Blutgase sind unverändert. Der Sauerstoffgehalt ist aber
durch das reduzierte Hb etwa 15 % niedriger. Legt man nun den gleichen Sauerstoffgehalt
zugrunde und nimmt beispielhaft einen Patient mit Obesitas-Hypoventilations-Syndrom
(Dritter von links), so ergibt sich mit der häufig kompensatorisch vorhandenen Polyglobulie
eine deutliche Erniedrigung der Sauerstoffsättigung und eine noch größere des Sauerstoffpartialdrucks.
Trotzdem hat der Patient mit Obesitas-Hypoventilations-Syndrom und die junge Frau
mit Menorrhagie im Prinzip die gleiche Sauerstoffversorgung in der Peripherie.
Abb. 5 Anschauliche Darstellung der Beziehung zwischen Zahl der Sauerstoffmoleküle (Sauerstoffgehalt),
Sauerstoffsättigung und Sauerstoffpartialdruck. Die beiden Abbildungen links zeigen
den Einfluss einer leichten Anämie (Menorrhagie) auf den Sauerstoffgehalt, ohne dass
sich dabei Partialdruck und Sättigung ändern. Bezieht man diese Reduktion des Sauerstoffgehaltes
von 13,7 % auf ein anderes Krankheitsbild (Obesitas-Hypoventilations-Syndrom) (drittes
Reagenzglas) und nimmt - wie bei diesen Patienten häufig beobachtet - eine Polyglobulie
an, so zeigt sich eine dramatische Reduktion des Sauerstoffpartialdrucks. Diese Hypoxämie
spiegelt sich aber nicht als Hypoxie im Gewebe wider, denn der Sauerstoffgehalt ist
nur gering reduziert. Das rechte Reagenzglas zeigt einen eigenen klinischen Fall mit
schwerer Anämie bei einer langsamen Ulkusblutung und zusätzlicher schwerer ventilatorischer
Insuffizienz infolge einer Skoliose. Dieses Beispiel zeigt, wie weit der Sauerstoffgehalt
sinken kann, ohne dass ein unmittelbar lebensbedrohlicher Zustand resultiert. Würde
man diesen Sauerstoffgehalt bei einem angenommenen normalen Hb auf die Bindungskurve
umrechnen, so käme man etwa auf Sauerstoffpartialdrücke von unter 15 mm Hg.
Der letzte Fall stellt eine Extremvariante aus eigener Erfahrung dar. Es handelt sich
um eine Patientin mit schwerer, aber stabiler Restriktion (Skoliose), die mit nasaler
Heimbeatmung eingestellt war. Sie kam in das Krankenhaus mit einer schweren Anämie
infolge einer chronischen Ulkusblutung. Der Sauerstoffgehalt war dramatisch erniedrigt.
Die Patientin konnte zwar nur noch wenige Schritte infolge der Luftnot gehen, hatte
aber keine sonstigen Organausfälle, weder zerebral noch renal. Würde man in diesem
Falle den Sauerstoffgehalt auf ein normales Hämoglobin beziehen, so wäre der Sauerstoff-Partialdruck
etwa bei 10 mm Hg gewesen.
Einige neuere Daten aus der Intensivmedizin bzw. Kardiologie unterstützen diesen Hintergrund.
Wir haben zeigen können [18], dass bei Patienten mit ventilatorischer Insuffizienz und stabiler Anämie die Atemarbeit
deutlich sinkt, wenn das Hb durch Blutgabe (im Mittel 2,2 Erythrozytenkonzentrate)
angehoben wird. Die Sauerstoffsättigung bzw. der PaO2 ändert sich nicht. Infolge der Anhebung des Hämoglobins steigt allerdings naturgemäß
der Sauerstoffgehalt. Patienten mit Anämie ohne Lungenerkrankung zeigen diese Reduktion
der Atemarbeit nicht. Die Atemarbeit selbst ist ohne Ösophaguskatheter nicht genau
zu messen. Sie korreliert aber im Einzelfalle ausgezeichnet mit dem Atemminutenvolumen,
so dass man den Effekt auch am Rückgang des Atemminutenvolumens darstellen kann.
Eine kürzlich erschienene Arbeit von Wu et al. [19] hat 80 000 ältere Patienten mit akutem Myokardinfarkt untersucht, die aus unterschiedlichen
Gründen Blut bekommen haben. Dabei fand sich eine außerordentlich strenge positive
Korrelation der 30-Tage-Mortalität von der Blutgabe bei entsprechender Anhebung des
Hämatokrits, wenn dieser erniedrigt war. In einer anderen Studie von Silberberg et
al. [20] bei Patienten mit schwerer kongestiver Herzinsuffizienz (NYHA III-IV) wurde der
Effekt der Blutgabe untersucht. Dabei fand sich eine deutliche Besserung der Belastbarkeit
(NYHA-Klassenrückgang von 3,8 auf 2,2), eine deutliche Reduktion der Krankenhaustage
von etwa 14 auf 3 Tage sowie Rückgang des Diuretikaverbrauchs und Besserung der Nierenwerte.
Dieses alles sind indirekte Hinweise, dass dem Sauerstoffgehalt die zentrale Rolle
in der Beurteilung der Energieversorgung der Organe zukommt. Was als kritische Grenze
des Sauerstoffpartialdruck bei Gesunden bzw. bei Kranken mit chronischen respiratorischen
Problemen anzusetzen ist, bleibt offen. Es gibt weder Sollwerte noch vernünftig verfügbare
Daten aus der Literatur. Aus eigener Erfahrung kann man abschätzend sagen, dass bei
vorher gesunden Patienten ein Abfall um die Hälfte kritisch werden könnte. Bei Patienten,
die genug Zeit haben, Kompensationsmechanismen infolge Hypoxämie wie Polyglobulie,
Veränderung der 2,3-DPG-Konzentration in den Erythrozyten, Expression von sauerstoffresistenteren
Isoenzymen der Atmungskette, Aktivierung des Glukosetransportes usw. [21] zu entwickeln, ist der Wert sicher niedriger. Kritisch wird es wahrscheinlich erst,
wenn ein Drittel des Normalwertes unterschritten wird.
Die vorläufigen Untersuchungen zeigen deutlich, dass der üblicherweise hergestellte
Zusammenhang in Notfallsituationen zwischen einem häufig erniedrigten PaO2 und dem Allgemeinzustand des Patienten nicht mit einer Kausalität gleichzusetzen
ist. Die zugrunde liegende Erkrankung führt i. d. R. zu einer Reduzierung des Allgemeinzustandes
und auch häufig zu einem reduzierten PaO2. Jeder kennt aber aus der Notfallmedizin Patienten, die bei oft normalem Sauerstoffpartialdruck
schwer erkrankt waren und umgekehrt. Daher sollte auch in der akuten Notfallsituation
angestrebt werden, die Pathophysiologie der aktuellen Situation zu ergründen und die
daraus relevanten therapeutischen Schlüsse zu ziehen. Wird das konsequent durchgesetzt,
kann man oft feststellen, dass üblicherweise zu viel Aufwand getrieben wird, um den
Sauerstoffpartialdruck anzuheben. Da Sauerstoff ab 40 - 45 % im Inspirationsfluss
zu einem Sistieren der mukoziliären Clearance und bei höheren Konzentrationen zu einer
erhöhten Leckage des respiratorischen Epithels führt, werden dadurch Folgeerkrankungen
wie Atelektase, Pneumonie und insbesondere Schocklunge begünstigt. Unter Berücksichtigung
eines ausreichenden Sauerstoffgehaltes ist es daher oft gar nicht erforderlich, entsprechend
viel Sauerstoff zu applizieren bzw. bei beatmeten Patienten die Beatmungsdrucke unnötig
zu erhöhen, um z. B. eine PaO2 über 80 mm Hg oder gar eine Sättigung von 95 % zu erreichen - wie es in vielen Lehrbüchern
der Anästhesiologie noch vermerkt ist. Dieses erzeugt bei nicht wenigen Patienten
mehr Schaden als die zugrundeliegende Erkrankung, die zur Krankenhausaufnahme geführt
hat.