Einleitung
Einleitung
In der alten Hafenstadt Cochin im südindischen Staat Kerala fand die 30. Nationale
Konferenz der IADLV unter Beteiligung von mehr als 3000 Teilnehmern statt. Sie bot
einen ausgezeichneten Überblick über aktuelle Aspekte und Entwicklungen der Dermatologie
auf dem indischen Subkontinent.
HIV und AIDS
HIV und AIDS
Indien hat eine Population von 1 Mrd. Menschen und die zweitgrößte Zahl von HIV-Infizierten
in der Welt. Geschätzt werden ca. 10 Mio. HIV-Infizierte mit einem Inzidenz-Peak in
der Altersgruppe der 25 - 35-Jährigen. Hauptinfektionswege sind sexuelle Kontakte
(88,5 %) und Transfusionen (5,5 %). Unter den HIV-Serotypen dominiert HIV-1 (86 %)
vor HIV-1/HIV-2-Mischinfektionen (10 %). Die klinische Symptomatik wird durch Fieber
unklarer Ursache (95 %), Gewichtsverlust (89 %), Dermatosen (72 %), Anämie (68 %),
HSV-Infektionen (65 %), Husten (62 %), ZNS-Symptome (55 %) und orale Candidosen (54
%) bestimmt. Ein Herpes zoster wird noch bei 38 % der Patienten beobachtet, Ulcera
cruris sind mit 0,5 % selten. An der Spitze der opportunistischen Infektionen stehen
Tuberkulose (92 %), Candidosen (70 %), Herpes simplex (49 %), Varizella-Zoster (42
%), orale Haarzell-Leukoplakie (31 %), Dermatophytosen (15 %) und Pyodermien (13 %)
(J. K. Manibar). In einer Studie bei 121 Patienten in Trivandrum waren 77 % der HIV-Infizierten
verheiratet. Zwei Drittel sind Männer (S. P. Nair et al.). Wichtigster Übertragungsweg
ist der heterosexuelle Kontakt mit Prostituierten.
Das HIV-assoziierte Kaposi-Sarkom ist Dank der neuen antiretroviralen Therapeutika
(HAART-Regime) deutlich seltener geworden. Für seine Pathogenese sind 3 tumorigene
Faktoren verantwortlich: a) die HIV-Infektion, häufiger auch mit Virämie, b) die Immundefizienz
und c) die Herpesvirus-8-Infektion. In den Entwicklungsländern ist die antiretrovirale
Therapie jedoch ein finanzielles Problem, so dass mit einer raschen Eradikation des
Kaposi-Sarkoms nicht zu rechnen ist (C. E. Orfanos).
Die Verwirklichung präventiver Strategien ist nicht einfach. Überbevölkerung, Bildungsstand
und Infrastruktur lassen eine rasche Lösung des HIV/AIDS-Problems nicht erwarten.
Die Behandlung stellt auch ein finanzielles Problem dar. Weniger als 3 % der HIV-Infizierten
erhalten eine retrovirale Therapie. Andererseits ist die Altersgruppe der 25 - 35-Jährigen
für die sozio-ökonomische Entwicklung des Landes von besonderer Bedeutung. Da in Indien
LKW-Fahrer als wichtige Gruppe der Übertragung von HIV und anderen STD gelten, sind
Aufklärungsmaßnahmen hier besonders dringlich.
Weniger als 40 % wussten über den Gebrauch von Kondomen Bescheid und gerade 13 % gaben
an, Kondome regelmäßig zu verwenden (J. V. Manjunath et al.). Männer, die regelmäßig
Prostituierte aufsuchten, weisen in 73 % STD auf. Nur etwa 10 % dieser Männer verwendeten
Kondome (S. Chaitanya). Sie stellen somit eine Risikogruppe für die Übertragung von
STD einschließlich HIV dar. Eine Umfrage unter 200 Medizinstudenten im Alter von 18-23
Jahren ergab einen Kondomgebrauch in 10 % der sexuell Erfahrenen. Die meisten vertraten
die Auffassung, dass AIDS lediglich ein Problem der „Risikogruppen” darstelle. Nur
17 % waren der Auffassung, dass AIDS auch sie selbst betreffen könnte und unter 30
% gaben an, dass die AIDS-Aufklärung - soweit verfügbar - ihr Sexualverhalten beeinflusst
habe (K. J. P. S. Puri & B. Gulati). Die Untersuchung zeigt, dass selbst in medizinisch
vorgebildeten Kreisen AIDS-Aufklärung dringend erforderlich ist.
Lepra
Lepra
In Indien ist die Lepra häufig. Nach Schätzungen der WHO sind 60 - 70 % der weltweit
auftretenden Leprafälle in Indien beheimatet (S. K. Nordeen). In der Vergangenheit
hat die WHO in diversen Programmen Strategien zur Diagnostik, Therapie und Prävention
der Lepra entwickelt. Sie scheinen trotz guter Erfolge in anderen Teilen der Welt
für Indien eine begrenzte Übertragbarkeit zu besitzen. Noch immer sind hohe Inzidenzraten
zu beobachten, auch in den Regionen, in denen Eradikationsprogramme durchgeführt wurden.
Für die paucibazilläre Lepra wird eine 6-monatige Therapie mit Dapson 100 mg/d empfohlen.
Mit dieser Monotherapie entwickeln bis zu 21 % der Patienten Spätreaktionen. Durch
Verlängerung der Therapie über mehr als 6 Monate und Zugabe von Clofazimin für 6 Monate
kann die Rezidivrate innerhalb von 5 Jahren auf nahe Null reduziert werden.
Bei Einzelläsionen hatte die WHO eine Einzeldosis ROM (Rifampizin, Ofloxazin, Minozyklin)
empfohlen. Nach 18 Monaten Follow-up sind jedoch mehr als 50 % der Patienten nicht
als geheilt anzusehen. Deshalb empfiehlt sich zumindest für Indien die Dapson/Clofazimin-Kombination.
Bei multibazillärer Lepra wird eine Dreierkombination für mindestens 2 Jahre mit Rifampizin,
Dapson und Clofazimin empfohlen. Obwohl viele Patienten ausheilen, benötigen jene
mit sehr hohen Bakterienzahlen bis zu 6 Jahre Therapie (V. M. Katoch; K. Katoch).
Unter den neueren Medikamenten sind die Chinolone, Ansamyzine, Makrolide, Minozyklin
und Dapsonanaloga zu nennen. Zusätzlich laufen Studien zur kombinierten Antibiose
plus Immuntherapie. Interleukin-2 und Gamma-Interferon scheinen erfolgversprechend
zu sein.
Die sensorische Polyneuropathie geht bei allen Lepraformen der Paralyse voran. Deshalb
ist ihre frühzeitige Diagnose von erheblicher praktischer Relevanz. Eine rein neuritische
Form der Lepra ist in 5 % der Fälle zu beobachten. Sie tritt dann meist als Mononeuritis
oder Mononeuritis multiplex auf. Der Ulnarnerv ist am häufigsten betroffen (M. Madhusudanan).
Bei Kindern und Jugendlichen mit einer Lepra ist an Infektionen durch Familienmitglieder
zu denken. In einer Studie aus Orissa fanden sich bei ⅔ aller infizierten Kinder weitere
Personen innerhalb des Haushaltes (Eltern und Geschwister zumeist), die an einer Lepra
erkrankt waren (S. Mishra et al.).
STD
STD
Ein häufiges Alltagsproblem stellen Patienten mit einer persistenten VDRL-Reaktivität
dar. Eine latente Syphilis ist zu vermuten, wenn sich zusätzlich ein reaktiver TPHA/FTA-ABS-Test,
jedoch keine klinisch manifeste Syphilis in der Anamnese findet. Bei positiver Syphilis-Anamnese
ist ein vierfacher Titeranstieg des VDRL indikativ für eine latente Infektion.
Bei Schwangeren wird die Gabe von 2,4 Mega Benzathinpenizillin empfohlen. Problematisch
ist die Diagnose bei HIV-Infizierten. Hier können sowohl abnorm hohe Titer als auch
falsch negative Reaktionen auftreten. Eine klinisch inapperente ZNS-Manifestation
ist möglich. Hierbei ist die Liquoranalyse erforderlich. Nach Behandlung sollten VDRL-Titerkontrollen
nach 3, 6 und 12 Monaten erfolgen. Es wird eine Abnahme der Reaktivität um mind. 4
Titerstufen erwartet (L. V. Nair). STD stellen die häufigste Schwangerschaftskomplikation
dar. In der Behandlung sind Risiken und Erfolgsaussichten besonders kritisch zu bedenken.
In der Therapie der Frühsyphilis stellt Penizillin das Medikament der ersten Wahl
dar. In einer Studie bei 33 Graviden entwickelten alle Patientinnen mit einer primären
Infektion, 60 % mit einer sekundären Syphilis, jedoch keine mit Lues latens eine Herxheimer-Reaktion.
Die Syphilisserologie spricht bei Schwangeren langsamer an, was für die Nachbeobachtung
wichtig ist.
Bei der Donovaniose besteht ein Übertragungsrisiko auf das Neugeborene. Eine prophylaktische
Erythromycinbehandlung ist möglich. Die Donovaniose der Mutter wird post partum mit
Cotrimoxazol, Doxyzyklin oder Gentamyzin behandelt. Diese Medikamente sind während
der Gravidität kontraindiziert.
Schwangere mit einem Chancroid sollten mit einer täglichen Dosis von 1 g Erythromoyzin
über 7 Tage oder einer Einmaldosis von Ceftriazon 250 mg i. m. behandelt werden. Nachteilige
Folgen für den Fetus sind durch diese Infektion nicht beobachtet worden.
Die Prävalenz einer Gonorrhö bei Schwangeren liegt bei 0,5 - 7 %. In 40 % der Fälle
liegt gleichzeitig eine Chlamydieninfektion vor. Ceftriaxon 250 mg i. m. oder Cefotaxim
500 mg i. m. als Einzeldosis werden empfohlen (A. C. Inamadar).
Bei HIV-Infizierten entwickelt sich eine Syphilisinfektion innerhalb der ersten zwei
Jahre häufiger direkt zur Neurosyphilis. Auch die okuläre Syphilis sowie die syphilitische
Aortitis sind vermehrt zu beobachten (D. M. Thappa).
Dermato-Onkologie
Dermato-Onkologie
Kutane T-Zell-Lymphome (CTCL) sind die häufigsten kutanen Lymphome. Ihre Behandlung
hat stadienabhängig zu erfolgen, um eine Überbehandlung zu vermeiden. In den Stadien
I und IIa sind Kombinationen lokaler Steroide mit UVB oder PUVA sehr erfolgreich.
Die extrakorporale Photopherese erzielt besonders bei den erythrodermatischen CTCL
und beim Sezary-Syndrom Ansprechraten von 50 bis zu 88 %. Neuere Entwicklungen stellen
die Kombination der Photopherese mit Interferon-α (Stadium II) und der Einsatz liposomal
verkapselter Anthrazykline (Stadium II - IV) dar. Hierbei können teilweise erstaunlich
lange rezidivfreie Intervalle bei Komplettremission erzielt werden (U. Wollina). P.
Kanthilath et al. stellten den ungewöhnlichen Fall eines Non-Hodgkin-Lymphoms vor,
das sich bei einem 26-jährigen Mann in Form multipler subkutaner Knoten entwickelte,
die an Lipome denken ließen. Über ungewöhnliche Dermatitis-Fälle mit positiver HTLV-1-Serologie
wurde aus Zentral-Kerala berichtet (K. Ajithkumar et al.). Ob es sich dabei um indische
Fälle des HTLV-1-Lymphoms handelt, konnte bisher nicht abgeklärt werden.
Melanome sind in Indien ausgesprochen selten, so dass deren Auftreten immer eine Kasuistik
wert ist. J. P. Swain berichtete über das Auftreten eines okulären Melanoms mit Lebermetastasen
bei einem 17-jährigen Jungen mit Xeroderma pigmentosum. Hingegen sind die epithelialen
Hauttumoren etwas häufiger anzutreffen. Basalzellkarzinome weisen eine deutliche Prädominanz
des weiblichen Geschlechts auf (5 : 3). Das Auftreten bei Kindern ist meist mit einem
Xeroderma pigmentosum vergesellschaftet. Etwa 12 % der Patienten mit einem Basalzellkarzinom
sind jünger als 40 Jahre (K. G. Mamatha et al.). Lupuskarzinome werden aufgrund der
extremen UV-Exposition sowohl bei Patienten mit Lupus vulgaris (A. A. Parikh et al.)
als auch bei denen mit einem chronisch-diskoiden Lupus erythematodes beobachtet (R.
R. Gupta et al.).
Sonstige Themen
Sonstige Themen
Einen breiten Raum nahm die Behandlung der Pigmentstörungen (Melasma, Vitiligo) ein.
Weitere wichtige Themenkreise umfassten Psoriasis und atopisches Ekzem, Autoimmundermatosen,
Phakomatosen, Allergologie, Alopezie, Mykosen und die Dermatotherapie einschließlich
Laser und Dermatokosmetik.
Die 30. Nationale Konferenz der Indischen Gesellschaft für Dermatologie, Venereologie
und Leprologie zeigte einen hohen Standard der klinischen Dermatologie und Venerologie.
Im Vergleich zu Deutschland sind einige Besonderheiten offensichtlich. Eine grundlagenorientierte
Forschung fehlt. Klinische Studien sind in der Regel unkontrolliert monozentrisch
angelegt. Phlebologie, Andrologie und Dermatochirurgie spielen entweder keine oder
nur eine sehr geringe Rolle. Dennoch können wir von unseren indischen Kollegen und
Kolleginnen lernen, denn sie verfügen über einen sehr reichen klinischen Erfahrungsschatz.
Ihre Gastfreundschaft ist überwältigend (Abb. [1 ]).
Abb. 1 Kongresszentrum in Cochin, Kerala.