Einführung
Einführung
Neuere immunologische Untersuchungen zeigen, dass Kaltreize das Immunsystem des Menschen
stimulieren und dass dieses Phänomen durch Körperübungen verstärkt werden kann [1 ]. Dagegen unterdrücken sehr starke Kälteeinwirkungen bei Kleinsäugern eine Reihe
von Immunreaktionen, u. a. die Vermehrung von Lymphozyten, die Bildung von natürlichen
Killerzellen, zytolytische Aktivität, Komplementaktivierung und die Induktion von
Hitzeschutzproteinen [2 ]. Von den Winterschwimmern wurde bekannt, dass deren Abwehrpotenzial gegen oxidativen
Stress erhöht ist [3 ]. Vor diesem Hintergrund gewinnen nahezu in Vergessenheit geratene Erkenntnisse über
die Verbesserung der bei Neurodermitis, neuerdings als atopic eczema/dermatitis syndrome
(AEDS) bezeichnet [4 ], gestörten Gefäßfunktion der Haut durch Kaltreize und deren therapeutische Nutzung
an aktueller Bedeutung. Nachfolgend wird über eine Reihe eigener diesbezüglicher Untersuchungen
unter Nutzung des Nordseeklimas berichtet.
Im Ergebnis seiner Untersuchungen der Neurodermitis hatte Korting [5 ] die veränderte periphere Kreislaufsituation mit fahlem Hautkolorit, weißem Dermographismus
und hypotoner Regulationsstörung herausgestellt. Das Regulationsvermögen des Gefäßsystems
war meist herabgesetzt, „hyporegulativ” und mit Vasokonstriktorentonus, nicht aber
in Starre erloschen. Ähnliche Befunde waren etwa zur gleichen Zeit auch von anderen
Autoren erhoben worden [6 ]. Buschke hatte schon im Jahre1930 geschrieben: „Von anerkanntem Nutzen sind bei
chronischen Ekzemen auch die Seebäder … Während vorangegangene medikamentöse Behandlung
meist nur vorübergehende Besserung hervorbringt, heilen diese Ekzeme unter der balneologischen
Behandlung oft völlig ab, ohne dass Rückfälle auftreten” [7 ].
Wir wollten wissen, ob
die Blutgefäß-Regulations-Störung auch bei Kindern nachweisbar ist,
sich diese gegebenenfalls an der Nordsee günstig beeinflussen lässt,
dieses gegebenenfalls als Zeichen für einen guten Behandlungserfolg verwendet werden
kann und
eventuell weitere günstige Veränderungen im Gefolge der Seeklimabehandlung nachgewiesen
werden können.
Die Ergebnisse der Untersuchungen sollten in therapeutische Maßnahmen einmünden.
Adaptationsmangel
Adaptationsmangel
Der Fluvograph der Firma Hartmann & Braun AG Frankfurt hat einen Messfühler zur Messung
der Wärmeleitzahl (Wärmetransportzahl) von lebendem Gewebe. Die Messung der Hautdurchblutung
wurde mit einem Wärmeleitelement nach Golenhofen, Hensel und Hildebrandt durchgeführt.
Der Wärmetransport wird durch ein konstant aufgeheiztes Goldplättchen erzeugt, das
in ein festes Medium gleicher Temperatur eingelassen ist. Der Messwert ist der Wärmeleitzahl
des Mediums und der Übertemperatur des geheizten Körpers proportional und entspricht
dem Zeitvolumen der Durchblutung. Die Wärmeleitzahl ist die Messgröße für den Wärmetransport
in der Haut, der sich stark mit dem Zeitvolumen der Durchblutung ändert.
Es wurden Korrelationen zur feuchten Abkühlungsgröße nach Robitzsch errechnet mit
der Formel: Af = (0,22 + 0,25 V2,3 ) (123,7-H) [mg/cm2 × sec]. (V = Windgeschwindigkeit in Knoten; H = Äquivalenttemperatur) [6 ]
[8 ]. Die feuchte Abkühlungsgröße nach Robitzsch ist ein Maß für die Abkühlung eines
erwärmten Körpers durch Wind, Luftfeuchtigkeit, Lufttemperatur und Sonnenstrahlung
und gibt damit die bioklimatische Reizstärke an. Die Messungen erfolgten einmal wöchentlich
an 16 Kindern, Jungen und Mädchen im Alter zwischen 7 und 14 Jahren. Wegen des aufwändigen
Messvorganges waren täglich nur drei Messungen möglich. Anders als im Binnenland war
die Hautdurchblutung an der See geringer und sank nach dem Spaziergang in der Strandzone
weiter ab. Als besonders aufschlussreich erwiesen sich die Korrelationen nach zehn
Messungen pro Kind. Je höher die feuchte Abkühlungsgröße war, umso niedriger war auch
die Hautdurchblutung, hier die Wärmeleitzahl. Bei Anordnung nach dem Bestimmtheitsmaß
ergaben sich verschiedene Diagnosegruppen: Einerseits die Neurodermitiker, bei denen
sich keinerlei nachweisbare gerichtete Reaktionen auf die Strandspaziergänge fanden.
Gegensätzlich verhielten sich die Kinder der Diagnosegruppe „vegetative Dysregulation”.
Besonders exakte Abhängigkeit vom Einfluss einer Abkühlung kennzeichnet eine pathologische
Reaktionsbereitschaft [8 ]
[9 ] .
Normalisierungseffekt
Normalisierungseffekt
Eine Untersuchung von Neurodermitiskindern, ebenfalls Jungen und Mädchen im Alter
von 7 bis 14 Jahren, erbrachte ein weiteres anregendes Ergebnis. Vor und nach einem
25-minütigen Spaziergang in der Brandungszone wurde die Wärmescheinleitzahl Lambda
(λ) bestimmt und mit der Wärmeleitzahl Lambda null (λ0) - für die Durchblutung des
Gewebes bei gedrosselter Blutzufuhr - über fünf Wochen dargestellt. Dargestellt sind
die Mittelwerte von drei gleich großen Gruppen (Abb. [1 ]).
In Abb. [1 ] ist eine Tendenz zur Normalisierung der Hautdurchblutung erkennbar. Bei Kindern
mit hohen Ausgangswerten gehen diese im Verlauf der Klimatherapie zurück, bei denen
mit niedrigen Ausgangswerten steigen sie an. Noch deutlicher wird diese Tendenz, wenn
auf die Darstellung der mittleren Gruppe verzichtet wird [10 ]. Aus Abb. [1 ] ist auch ersichtlich, dass bei der Neurodermitis im Kindesalter sowohl vermehrte
Vasokonstriktion als auch verstärkte Durchblutung der Haut vorkommen kann. Das typische
fahle Hautkolorit ist keine angeborene pathophysiologische Eigenheit, sondern durch
den Krankheitsprozess erworben. So wurden ein pastöser Hauttyp mit feuchter, etwas
ödematöser Haut und ein trockener Hauttyp mit leicht schuppender, derber Haut und
nur wenig Unterhautfettgewebe beschrieben [6 ]. Wenn die Ausgangswerte über oder unter dem jeweiligen Normalbereich liegen, sind
solche „Normalisierungseffekte” für viele Messgrößen bei Klimakuren typisch, an der
See wie im Gebirge. So ließ sich eine Normalisierung der Durchblutung sogar am Nagelfalz
des 5. Fingers links nachweisen [11 ].
Abb. 1 Tendenz zur Normalisierung der Hautdurchblutung bei Kindern mit Neurodermitis unter
der Einwirkung des Seeklimas im Verlauf von fünf Wochen. Mittelwerte der Wärmescheinleitzahl
λ und der Wärmeleitzahl λ0 vor und nach einem Spaziergang am Strand. Abhängig von
der Größe der Wärmeleitzahl vor Kurbeginn war die Aufteilung in drei gleich große
Gruppen erfolgt: große, mittlere und kleine Wärmeleitzahl (Kurvenzüge von oben nach
unten).
Vasokonstriktion
Vasokonstriktion
Messungen der Hauttemperatur in verschiedenen Situationen der Klimatherapie an der
See wurden mit dem Gerät „Thermorapid bzw. Lichtgalvanometer” der Firma Netheler und
Hinz durchgeführt. Das Gerät enthält einen elektrisch beheizten Thermostat mit Regler
und Netztransformator für Heizung und Galvanometerbeleuchtung, Schalter zum Wählen
der Betriebsart und die Anschlussbuchsen für Thermoelemente, Temperaturfühler für
Messungen im Rektum, auf der Haut und der Schleimhaut der oberen Atemwege. Ein Beispiel
zeigt bei Neurodermitikern im Gegensatz zu Hautgesunden bei gleichen Ausgangswerten
der Temperatur einen deutlich stärkeren Abfall als Ausdruck der Neigung zur Vasokonstriktion
[12 ] (siehe Abb. [2 ]).
Abb. 2 Veränderungen der Temperaturen nach einem kalten Seebad bei fünf Kindern mit Neurodermitis
und 15 Vergleichskindern. Messorte: rektal, sublingual, an der Stirn und integrale
Hauttemperatur (Kurvenzüge von oben nach unten).
Eindrucksvoll war die Vasokonstriktion bei sehr kalten Seebädern im Monat Februar.
Wegen der Kältebelastung waren zeitlich ausgedehnte Untersuchungen verständlicherweise
nicht möglich. Ein Beispiel mit Gegenbeispiel gibt folgende Situation wieder: Mädchen
mit Neurodermitis und mit Bronchitis hatten etwa gleiche Ausgangswerte, der Temperaturabfall
bei Neurodermitikern war stärker, nach einer halben Stunde fiel die Hauttemperatur
weiter ab, während bei Hautgesunden bereits ein starker Temperaturanstieg zu verzeichnen
war. Trotz des verstärkten Abfalls der Hauttemperatur war bei Neurodermitikern drei
Stunden später ein starker Temperaturanstieg zu verzeichnen, der deutlich höher als
bei Hautgesunden war. Es liegt also keinesfalls eine Starre der Temperaturregelung
in der Haut vor, sondern eine, wenn auch verzögerte, so doch erhebliche Reaktionsfähigkeit.
Diese Eigenheit der Neurodermitis sollte therapeutisch genutzt werden [13 ].
Behandlungsbedarf
Behandlungsbedarf
Messungen verschiedener Art sollten zeigen, welche Veränderungen bei welchen pathologischen
Befunden zu erwarten sind. Es handelte sich um vier Gruppen mit insgesamt 94 Kindern,
Jungen und Mädchen im Alter von 5 bis 16 Jahren: I Kontrollgruppe (n = 38); II latente
Neurodermitis (n = 14); III Ekzema flexuarum (n = 19); IV generalisierte, stark ausgeprägte
Neurodermitis (n = 23). Zur Messung der Hautfeuchte wurde ein Corneometer CM der Firma
Schwarzhaupt verwendet, dessen Messprinzip auf Kapazitätsveränderungen durch den diffusionsabhängigen
Wassergehalt im Messvolumen beruht. Die Stirnfläche des Messkopfes ist als flacher
Kondensator ausgebildet, in dessen Streukapazitätsfeld (Messvolumen) die zu messende
Hautoberfläche gebracht wird. Der unterschiedliche Wassergehalt der Hornschicht macht
sich durch Kapazitätsänderungen bemerkbar. Die Messungen der Hautfeuchte erfolgten
an 17 Hautstellen, von der Stirn bis zum Fußrücken, an den Extremitäten jeweils beidseitig.
Wie zu erwarten, war die durchschnittliche Hautfeuchte bei den Kontrollkindern am
höchsten und bei den Patienten mit generalisierter Neurodermitis sehr niedrig. Bemerkenswert
ist jedoch, dass sich die Befunde bei Kindern mit Beugenekzem und zur Zeit symptomfreien
Ekzemkindern nicht unterschieden [14 ]. In unserem Sinne sind auch letztere behandlungsbedürftig.
Die Alkaliresistenz und die Erythemlatenzzeit (Wiedererwärmung) der Haut änderten
sich in den vier Wochen Nordseeaufenthalt nicht. Der Dermographismus der Haut war
der einzige Parameter, bei dem innerhalb von nur vier Wochen eine Verschiebung der
Befunde zutage trat. Bemerkenswert sind die Unterschiede zwischen Kontrollkindern
und der schwersten Form, der generalisierten Neurodermitis. Bei den Kontrollkindern
dominierte der rote, normale Dermographismus. Bei generalisierter Neurodermitis war
anfänglich überwiegend ein pathologischer weißer Dermographismus zu verzeichnen, der
sich innerhalb von vier Wochen deutlich in Richtung rote Form verschob [14 ]. Als Übergang von weiß zu rot kamen rasch wechselnde Befunde, auch rot mit weißem
Hof oder nicht auslösbarer Dermographismus vor (n = 87, für 4 bis 9 Wochen lückenlos)
[15 ].
Bei hautgesunden Studenten aus Mainz (n = 12, an 25 aufeinander folgenden Messtagen)
überwog in Oberstdorf/Allgäu der weiße Dermographismus mit 59 %, ein Jahr später,
bei denselben Personen und wieder im September, war es auf der Nordseeinsel Norderney
jedoch der rote Dermographismus mit 83 %. Vereinzelt waren Übergangsformen zu verzeichnen
[16 ].
Konsequenzen
Konsequenzen
Aus pathogenetischer Sicht ist Neurodermitis eine komplizierte multifaktorielle Erkrankung.
Deshalb schließt ihre Therapie sehr unterschiedliche Maßnahmen ein, z. B. die Karenz
potenzieller Nahrungsmittelallergene, Pseudoallergene, Kontaktsensibilisatoren und
toxisch wirkender Chemikalien. Neurodermitis ist auch eine Zivilisationskrankheit,
wie immer wieder betont wird. Es sollten aber nicht nur pathologische Befunde behandelt,
sondern dem Krankheitsgeschehen auch der Boden entzogen werden. Hier kann eine Therapie
zur Förderung der Funktionsfähigkeit der Haut ansetzen. Zunächst Vermeidung von Überwärmung,
ab drittem Lebensjahr systematische Gewöhnung an Abhärtung mit kalter Luft und vom
vierten Lebensjahr an mit kaltem Wasser. Abhärtung erfordert psychologisches Geschick
des Therapeuten und darf dem Kranken nicht aufgezwungen werden. Neben der symptomatischen
Behandlung des Ekzems ist die Normalisierung der Hautdurchblutung anzustreben. Das
ist wegen häufiger Reizerscheinungen mit äußerlichen Anwendungen schwer zu erreichen.
Sehr warme Wannenbäder scheiden wegen der Provokation von Juckreiz und Entzündung
aus. Sauna-Bäder sind möglich, wenn der durch Wärme provozierte Juckreiz durch die
sogleich folgende Kälte-Anwendung aufgehoben wird.
Wegen der trockenen Luft wirkt Klimatherapie im Gebirge auf Entzündungen günstig ein.
Die Hyporegulation des peripheren Kreislaufsystems kann jedoch auf diese Weise nicht
normalisiert werden. Klimatherapie an der Nordsee entfaltet gezielte Einwirkungen
auf die Haut durch Wind, insbesondere bei Böen (Windstößen) durch starken Winddruck
auf den ganzen Körper, der auf der großen Körperoberfläche aber gut vertragen wird
[17 ]
[18 ]. Durch mäßigen Winddruck wird nach kurzer Vasokonstriktion eine anhaltende Vasodilatation
erreicht, wie wir experimentell zeigen konnten [8 ]. Kalte Seebäder mit Wellen bedingen durch starke Druckreize eine Haut-Massage. Seebäder
bei Wellengang erfordern körperliche Anstrengungen mit Leistungen von 100 Watt und
weit darüber.
Durch Kälte wird Juckreiz gemildert. Für Kälteanwendungen hat sich die Gruppenbehandlung
von Kindern, Jugendlichen oder Frauen hervorragend bewährt. Gemeinsames Handeln und
gegenseitiges Animieren kann zu ungeahntem persönlichen Einsatz führen, der z. B.
bei sehr kalten Seebädern durch Euphorie belohnt wird [19 ]. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass durch regelmäßige kalte Luft- und Seebäder
auch schwere Krankheitszustände fast regelmäßig und beinahe unmerklich verschwanden
(Tab. [1 ]).
Tab. 1 Wirkungen kalter Brandungsbäder bei Neurodermitis
Faktor
Wirkung
Wassertemperatur
Vasokonstriktion reaktive Vasodilatation Abhärtung
Wellen
Anregung der Blutzirkulation Straffung der Haut
Salzgehalt
Anregung der Durchblutung Desquamation
Besonders bei starkem Wellengang entfalten kalte Brandungsbäder eine intensive Wirkung
auf die Haut des Neurodermitikers. Wer diese Bäder - nach langsamer Eingewöhnung -
vertragen kann, sollte diese vielfältigen Einflüsse wahrnehmen. Diese werden verlängert,
wenn man das Salzwasser auf der Haut trocknen lässt.