Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(3): 103
DOI: 10.1055/s-2003-36655
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Behandlungsgebot und Behandlungsbegrenzung:

- Einflussfaktoren klinischer Entscheidungsprozesse- Einfluss des Patientenwillens und Prioritäten in der palliativen VersorgungZu den Beiträgen aus DMW 31 - 32/2002, S. 1633, und 33/2002, S. 1690
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Publication Date:
29 April 2004 (online)

Ausgangspunkt der beiden Beiträge [1] [2] zum Thema „Behandlungsgebot und Behandlungsbegrenzung“ sind die bisher „nur andeutungsweisen Kenntnisse“ über ärztliche Entscheidungsprozesse. Die Autoren verwenden einen Fragebogen, der sich auf die Problematik des „Unterschiedes von ‚Tun’ und ‚Lassen’ beim klinischen Entscheidungskonflikt“ konzentriert; 503 Rücksendungen wurden ausgewertet. Einen anderen Ansatz wählte E. Kuhlmann mit einer Kombination aus Interview und Fragebogen; bei einem weit geringeren Rücklauf von 132 Fragebogen wurde allerdings kein Anspruch auf Representativität erhoben [3].

Bei Baberg et al. ist der Modus der Verteilung und Rücksendung von Fragebogen über die hierarchische Schiene wenig befriedigend: Es besteht die Gefahr unbewusster Einflussnahme und der Zurückhaltung von „kritischer“ Einstellung auf der anderen Seite. Immerhin liegen jetzt erstmals wichtige Daten zur Einstellung von Klinikärzten bei ihren Behandlungsentscheidungen vor, differenziert nach dem klinischen Status. Hervorzuheben ist die bislang fehlende Quantifizierung der Einflüsse von internationalen und lokalen Standards, der klinischen Erfahrung, des Patientenwillens und nicht zuletzt der Intuition auf die ärztliche Entscheidungsfindung.

Ob die vorgelegten Daten allerdings die Schlussfolgerung erlauben, dass Kosten-aspekte bei klinischen Entscheidungen von geringer Bedeutung sind, dieses sogar „nachgewiesen“ sei [2], darf bezweifelt werden. In beiden Beiträgen kommen - durchaus denkbare - unterschwellige Einflüsse von „wissenschaftlichem Druck oder ökonomischem Zwang“ auf die ärztliche Entscheidung [4] nicht zum Ausdruck. Dementsprechend sind die komplexen Wechselwirkungen zwischen beiden Bereichen, aktuell sozusagen zwischen EBM und DRGs und Budgets nicht abgebildet. Kuhlmann zeigte dagegen empirisch, dass in der aktuellen Rationalisierungspraxis ökonomische Motive bewusst oder unbewusst (beides!) hinter medizinischen Begründungen verborgen sein können. Bei allen diagnostischen wie therapeutischen Indikationen geht es nur vordergründig um „gesicherte“ Entscheidungsabläufe im Rahmen vorhandener technischer Möglichkeiten oder anhand von Guidelines. Differentialdiagnostische und -therapeutische Kalkulation und Intuition sind mindestens ebenso wichtig - und nicht zuletzt bewusste und unbewusste ökonomische Motive [4].

Man mag das alles bedauern. Sicherlich ist es jedoch besser, „unausweichlichen Interessenkonflikten“ und „Anreizen zu konfliktvermeidender Informationsvorenthaltung“ (Kuhlmann) [3] bewusst entgegenzusehen als ihnen auszuweichen.

Baberg et al. belegen die „offiziell“ hohe Bedeutung der Orientierung am Patientenwillen, stellen aber selbst in Frage, ob „die abgebildeten Meinungen der Ärzte in jedem Fall auch ihren Handlungen entsprechen“. Für „höhere Einflussfaktoren“ bedürfe es weiterer Studien. Dem kann man nur zustimmen.

Literatur

  • 1 Baberg H T, Kielstein R, de Zeeuw J, Sass H -M. Behandlungsgebot und Behandlungsbegrenzung: Einflussfaktoren klinischer Entscheidungsprozesse.  Dtsch Med Wochenschr. 2002;  127 1633-1637
  • 2 Baberg H T, Kielstein R, de Zeeuw J, Sass H -M. Behandlungsgebot und Behandlungsbegrenzung: Einfluss des Patientenwillens und Prioritäten in der palliativen Versorgung.  Dtsch Med Wochenschr. 2002;  127 1690-1694
  • 3 Kuhlmann E. Im Spannungsfeld von Informed Consent und konfliktvermeidender Fehlinformation: Patientenaufklärung unter ökonomischen Zwängen. Ergebnisse einer empirischen Studie.  Ethik Med. 1999;  11 146-161
  • 4 Praetorius F, Sahm S. Ethische Aspekte der Regularisierung ärztlichen Handelns.  Ethik Med. 2001;  13 221-242

Autor

Dr. med. Frank Praetorius

Internist/Kardiologe

Lauterbornweg 27

63069 Offenbach am Main

Email: e.u.f.praetorius@t-online.de

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