Eine von der Norm abweichende Thoraxaufnahme stellt einen häufigen Grund für eine
Überweisung des Patienten zum Kardiologen oder Pneumologen dar. Eine parakardiale
Verschattung beim asymptomatischen oder nur leicht dyspnoischen Patienten wird zunächst
einem entzündlichen Infiltrat zugeschrieben. Nach einer erfolglosen antibiotischen
Therapie folgen dann weitere diagnostische Schritte zum Ausschluss eines Bronchialkarzinoms
als Ursache der vermeintlichen Atelektase. Die folgende Fallbeispiele sollen darauf
hinweisen, dass es sich bei Verschattungen im rechten Unterlappen auch um die erste
Manifestation einer angeborenen Gefäßanomalie handeln kann.
Fallbeispiele
Patient Nr. 1
Ein asymptomatischer 66-jähriger Mann kam zur Untersuchung, da in der Röntgenaufnahme
des Thorax ein Infiltrat befundet wurde, das unter antibiotischer Therapie keine Resorptionstendenz
aufwies. Die Thoraxaufnahme zeigte prominente Zentraläste der Pulmonalarterie (PA)
mit normalem Kaliber in der Peripherie sowie eine typische scimitarförmige Verschattung
in der rechten Lunge (Abb. [1], Pfeile). Bei der Herzauskultation wurde ein leises Ejektionssystolikum über der
Pulmonalklappe und ein leises Strömungs-Mesodiastolikum über dem unteren Sternum gehört,
welches den Verdacht auf einen Links-rechts-Shunt erweckte. Der zweite Herzton wies
jedoch eine normale respirationsabhängige Spaltung auf. Echokardiographisch wurde
ein dilatierter rechter Ventrikel (RV) mit normaler Kinetik und ein systolischer Gradient
von 25 mm Hg zwischen dem rechten Ventrikel und dem rechten Vorhof nachgewiesen; ein
Vorhofseptumdefekt konnte ausgeschlossen werden. Der linke Ventrikel und alle Klappen
waren unauffällig. Die ultraschnelle, EKG-getriggerte 16-Zeilen-Multislice-Computertomographie
(CT, Somatom Sensation Cardiac) mit Kontrastmittel zeigte eine dilatierte PA (Stammdurchmesser
36 mm), einen dilatierten RV, eine normale arterielle Versorgung beider Lungen und
eine Scimitarvene (SV) mit Mündung in die untere Hohlvene (IVC) (Abb. [2 a]). In der Frontalebene (Abb. [2 b]) ist die SV in ihrem ganzen Verlauf bis zur IVC dargestellt; die Abbildung zeigt
auch die dilatierte PA. Die dreidimensionale Rekonstruktion der CT-Bilder (Abb. [2 c] u. [d]) wies eindeutig nach, dass nahezu die gesamte venöse Rückkehr aus der rechten Lunge
über die anomale Scimitarvene in die IVC knapp über dem Zwerchfell geleitet wurde.
Die linksseitigen Lungenvenen mündeten normal in den linken Vorhof (LA) hinein (Abb.
[2 d]). Die Katheteruntersuchung bestätigte die anomale venöse Rückkehr über die Scimitarvene
mit einem Links-rechts-Shunt von 48 %. Angesichts der Symptomlosigkeit, der Abwesenheit
anderer kardiovaskulärer Anomalien oder einer pulmonalen Hypertonie wurde von einer
Korrekturoperation abgesehen.
Abb. 1 Röntgenaufnahme des Thorax von Patient Nr. 1 mit einer scimitarförmigen Verschattung
im rechten Unterfeld (Pfeile).
Abb. 2 Multislice-CT von Patient Nr. 1. a) Horizontalebene auf Höhe der Zwerchfellkuppel, b) Frontalebene, c) und d) dreidimensionale Rekonstruktion von ventral und dorsal betrachtet. PA - Lungenarterie;
PV - Lungenvene; SV - anomale pulmonale Scimitarvene; RV - rechter Ventrikel; RA -
rechter Vorhof; LA - linker Vorhof; IVC - untere Hohlvene; Ao - Aorta.
Patientin Nr. 2
Bei dieser Patientin wurde am 8. Lebenstag aufgrund pathologischer Atemgeräusche bei
der Auskultation der Verdacht auf eine Pneumonie in den Raum gestellt. Wegen der -
trotz antibiotischer Therapie - ausbleibenden radiologischen Besserung wurde in der
sechsten Lebenswoche eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, die einen kleinen
Vorhofseptumdefekt (vom Secundum-Typ), einen hypoplastischen rechten Pulmonalisast,
eine arterielle Versorgung des rechten Lungenunterlappens aus der Aorta abdominalis
(ähnlich der Lungensequestration) und eine anomale Mündung der rechten unteren Lungenvene
in die untere Hohlvene knapp vor deren Mündung in den rechten Vorhof nachweisen konnte.
Das Verhältnis des pulmonalen zum systemischen Flusses (Qp/Qs) betrug 2,03 : 1, der
Pulmonalisdruck war normal. Es wurde beschlossen, in einem Zeitabstand den Vorhofseptumdefekt
zu verschließen und eine Ligatur der aberranten Arterie zum rechten Unterlappen durchzuführen.
Im weiteren Verlauf gedieh jedoch das Kind sehr gut und wiederholte echokardiographische
Untersuchungen zeigten einen normalen Pulmonalisdruck mit normal großem rechten Ventrikel.
Bei der letzten ambulanten Kontrolle fand sich in der Röntgenaufnahme des Thorax (Abb.
[3] links) eine leichte kardiale Dextroposition, eine leichte Hypoplasie der rechten
Lunge, das typische Scimitarzeichen und ein prominenter, zur Peripherie hin schmäler
werdender linker Pulmonalisast sowie leichte Rezirkulationszeichen. Ein Katheter-Vorhofseptumverschluss
oder eine komplette chirurgische Korrektur wurde von der mittlerweile bereits 24-jährigen
asymptomatischen Frau abgelehnt.
Abb. 3 Röntgenaufnahme des Thorax von Patientin Nr. 2 (links) und Nr. 3 (rechts). In beiden
Fällen eine Dextroposition des Herzens (welche die Scimitarvene teilweise überdeckt)
und eine leichte Hypoplasie der rechten Lunge.
Patientin Nr. 3
Bei einer 20-jährigen asymptomatischen Frau ohne eine relevante Vorgeschichte wurde
bei einer Routineröntgenuntersuchung (Abb. [3] rechts) eine Dextroposition des Herzens, eine leichte Hypoplasie der rechten Lunge,
ein angedeutetes Scimitarzeichen mit sonst normaler Pulmonalisverästelung und leichten
Rezirkulationszeichen festgestellt. Bei der Katheteruntersuchung wurde eine Scimitarvene
als einzige Ursache eines Links-rechts-Shunts von 55 % nachgewiesen; der Pulmonalisdruck
war normal. Die Patientin wurde in der Folge operiert, auf eigenen Wunsch unter Anwendung
eines minimalinvasiven Zugangs aus einer Thorakotomie rechts anterolateral. Nach dem
Anschluss des Extrakorporalkreislaufes aus diesem Zugang wurde die Mündung der anomalen
Lungenvene in die untere Hohlvene auf Zwerchfellebene identifiziert und mittels eines
Tunnels aus einer aufgeschnittenen Goretex-Prothese mit einem neu erschaffenen Vorhofseptumdefekt
verbunden. Am dritten postoperativen Tag kam es zu einer rasch progredienten Verschattung
der rechten Lunge mit Zeichen der rechtsventrikulären Überlastung; echokardiographisch
konnte (im Unterschied zur unmittelbaren postoperativ durchgeführten Untersuchung)
kein Fluss im Tunnel nachgewiesen werden. Bei der Herzkatheteruntersuchung konnten
nach der Kontrastverabreichung in den rechten Pulmonalisast alle Arterienäste bis
in die Peripherie dargestellt werden, jedoch keine kapillare oder venöse Phase. Das
Kontrastmittel bewegte sich in diesem Bereich hin und her, bis es allmählich in den
linken Pulmonalisast abfloss. Nach der Injektion des Kontrastmittels in den linken
Vorhof konnte das Tunnelostium, aber keine Verbindung zum rechten Vorhof oder zu einer
Lungenvene dargestellt werden; auch mittels selektiven Katheters gelang es nicht,
in den Tunnel einzudringen. Bei der unmittelbar folgenden Reoperation, diesmal aus
medialer Sternotomie, wurde - wie bereits aufgrund der Angiographie angenommen - ein
thrombotischer Tunnelverschluss festgestellt. Der Tunnel wurde reseziert, die Scimitarvene
präpariert und mittels einer breiten Anastomose mit der lateralen rechtsatrialen Wand
verbunden; von hier aus wurde über einen neuen Goretex-Tunnel die Verbindung mit dem
linken Vorhof hergestellt. Der weitere Verlauf war komplikationslos, die Patientin
wurde 3 Monate lang oral antikoaguliert und ist ein Jahr nach der Operation beschwerdefrei.
Patient Nr. 4
Bei einem 45-jährigen asymptomatischen Mann wurde bei einer Allgemeinuntersuchung
im Rahmen einer Blutspende eine Hypoplasie der rechten Lunge mit Dextroposition des
Herzens und einer parakardialen scimitarförmigen Verschattung festgestellt. Die digitale
Subtraktionsangiographie mit Kontrastmittelinjektion in die linke PA (Abb. [4]) zeigte eindeutig die Verschattungsursache. Von einer Korrekturoperation wurde bei
diesem Patienten abgesehen.
Abb. 4 Röntgenaufnahme des Thorax und DSA mit Kontrastmittelinjektion in die linke PA beim
Patienten Nr. 4. DSA der venösen Phase zeigt die anomale Mündung der Scimitarvene
in die untere Hohlvene (IVC) knapp unterhalb des Zwerchfells. RA - rechter Vorhof.
Diskussion
Das Scimitarsyndrom stellt eine Sonderform der partialen anomalen Lungenvenenmündung
dar. Eine oder mehrere Venen der rechten Lunge münden über eine Sammelvene in die
untere Hohlvene oder die Portalvene hinein. Dies führt in der Regel zu einem charakteristischen
radiologischen Bild einer breiten gewölbeartigen Verschattung entlang des rechten
Herzrandes bis zum Zwerchfell (Abb. [1] u. [4]). Dieser Schatten erinnert an den türkischen Säbel - Scimitar - und daher kommt
auch die Bezeichnung. Das Scimitarzeichen im posterior-anteriorem Thoraxröntgenbild
ist für das Scimitarsyndrom jedoch nicht spezifisch: außer der inkompletten anomalen
Lungenvenenmündung (d. h. dem eigentlichen Scimitarsyndrom) kann es auch die Folge
von pulmonalen arteriovenösen Malformationen, einer Lungenvarix, einer pulmonalen
Meandervene oder einer anomalen intrapulmonalen Verbindung von normal mündenden Lungenvenen
sein. Bei kardialer Dextroposition (Abb. [3]) muss das Scimitarzeichen jedoch nicht typisch ausfallen, so dass weitere bildgebende
Verfahren nötig werden. Die Scimitarvene drainiert in der Regel die gesamte rechte
Lunge, bei einigen Patienten allerdings nur den Unterlappen, ggf. den Mittellappen
(in diesen Fällen werden die oberen Bereiche normal in den linken Vorhof drainiert).
Angesichts signifikanter Unterschiede in der Morbidität und Mortalität wird zwischen
zwei Scimitar-Syndrom-Typen unterschieden: dem infantilen Typ (diagnostiziert im Säuglingsalter)
und dem „Erwachsenentyp” (diagnostiziert nach dem ersten Lebensjahr) [1]
[2]. Bei der infantilen Form liegt häufig auch eine anomale arterielle Versorgung der
rechten Lunge direkt aus der Aorta vor (wie bei unserer Patientin Nr. 2), die rechte
Lunge ist oft hypoplastisch mit Anomalien des Bronchialbaumes und gelegentlichen Sequestrierungen
[2]
[3]. Das Herz ist nach rechts disloziert, das Vorhofseptum jedoch zumeist normal. Häufig
liegt auch eine pulmonale Hypertonie vor, die auf mehrere Faktoren zurückgeführt wird,
z. B. einen Links-rechts-Shunt bei anomaler Lungenvenenmündung oder assoziierten Defekten,
eine Versorgung der Lunge über eine Systemarterie, eine Lungenhypoplasie mit folgender
Restriktion des Lungengefäßbettes, eine pulmonalvenöse Obstruktion oder anhaltende
pulmonale Hypertonie bei Neugeborenen [4]. Die Kinder leiden an häufigen respiratorischen Infekten.
Bei der sog. „Erwachsenenform” (die per Definitionen sowohl Kinder als auch Erwachsene
beinhaltet) liegt oft ein Vorhofseptumdefekt vor. Viele Erwachsene sind asymptomatisch
und die Anomalie wird zufällig bei einer Röntgenuntersuchung entdeckt [1]
[5]; symptomatische Patienten sind überwiegend Kinder mit einem großen Links-rechts-Shunt
und assoziierten Herzfehlern.
Der Volumendatensatz und die dreidimensionale Bildrekonstruktion der Multislice-CT-Angiographie
weisen eindeutig die anomale Scimitarvene und deren anomale Mündung nach (Abb. [2]). Die Magnetresonanztomographie wird wahrscheinlich eine Alternative werden, da
sie nichtinvasiv und strahlenbelastungsfrei ist und ähnlich wie die CT ein breites
Betrachtungsfeld in multiplen Ebenen bietet; zudem ermöglicht sie eine Berechnung
des Links-rechts-Shunts durch die direkte Blutflussmessung in der Aorta, dem Pulmonalisstamm
und der aberranten Lungenvene. Allerdings bietet die CT-Angiographie zusätzlich Information
über die Lungenanatomie (was in der Differenzialdiagnostik der Lungesequestration
von besonderer Bedeutung ist) und sie ist somit zur Zeit der Magnetresonanz-Angiographie
überlegen. Die Magnetresonanz-Angiographie ist aufgrund der fehlenden Strahlenexposition
für die Beurteilung pädiatrischer Patienten im Allgemeinen vorzuziehen. Die Herzkatheteruntersuchung
mit Lungenangiographie (klassisch oder DSA) in der venösen Phase ist nur bei einer
Operationserwägung unumgänglich, vor allem zum Ausschluss assoziierter angeborener
Anomalien.
Im Erwachsenenalter ist die Operation eines unkomplizierten Scimitar-Syndroms mit
größeren Links-rechts-Shunt nur bei Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie oder rechtsventrikulären
Dilatation notwendig; beide können unschwer bei echokardiographischen Verlaufskontrollen
festgestellt werden. Die Korrektur besteht in der Anbindung der anomalen Vene mittels
einer direkten Anastomose an den linken Vorhof oder mittels eines Tunnels zwischen
der Venenmündung und einem neu geschaffenen Vorhofseptumdefekt (wie bei unserer Patientin
Nr. 3) oder mittels eines Perikardpatches, der von der unteren Hohlvene ausgehend
an der Wand des rechten Vorhofs entlang über das offene Foramen ovale in den linken
Vorhof mündet [4]. Diese Operation kann technisch schwierig sein; ein gelegentlicher postoperativer
thrombotischer (trotz Antikoagulation) oder fibrotischer Verschluss der Vene wird
u. a. einem unzureichenden Blutfluss über die Lungenarterie zugeschrieben [3]. Die Erfahrung mit unserer Patientin Nr. 3 untermauert die überwiegende Meinung
von Kardiologen, nach der der derzeitige Modetrend zur minimalinvasiven Chirurgie
bei technisch schwierigen Operationen trotz guten kosmetischen Ergebnissen nicht immer
die optimale Methode sein muss.
Die vorliegenden Fallbeispiele demonstrieren, dass beim Befund einer gekrümmten Gefäßverschattung
rechts parakardial auf der postero-anterioren Aufnahme an eine inkomplette Lungenvenenmündung
gedacht werden sollte. Diese Anomalie kann bis ins Erwachsenenalter asymptomatisch
bleiben.