Suchttherapie 2003; 4(1): 31-32
DOI: 10.1055/s-2003-38102
Versorgung aktuell
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Selbstmanagement-Therapie in einer Kurzzeitentwöhnung für Alkoholabhängige

Das therapeutische Vorgehen und erste Hinweise auf günstige ErgebnisseSelf-management in Brief Abstinence Therapy for Alcohol DependenceTherapeutic Approach an Preliminary Hints for EfficacyPeter Sadowski1 , Jörg Zimmermann1
  • 1Johanna-Odebrecht-Stiftung
Further Information

Peter Sadowski

Lt. Psychologe, Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung

Gützkower Landstraße 49

17489 Greifswald

Publication History

Publication Date:
20 March 2003 (online)

Table of Contents

In der Johanna-Odebrecht-Stiftung in Greifswald wurde im Jahr 1998 begonnen, stationäre Rehabilitation von Alkoholabhängigen im Rahmen einer Kombinationstherapie durchzuführen. Der geplante stationäre Aufenthalt beträgt in der Regel sechs Wochen; anschließend sind 20 Wochen ambulante Behandlung vorgesehen.

Mit der Landesversicherungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern war ein Pilotprojekt mit einer Patientengruppe verabredet worden; mittlerweile ist die Einrichtung als uneingeschränkt belegungsfähig anerkannt worden. Zwei Gruppen sind zurzeit dauerhaft belegt.

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Das psychotherapeutische Vorgehen

Die Behandlung wird auf der Grundlage eines verhaltenstherapeutischen Konzepts [1] durchgeführt; die Forderungen der Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen [2] werden erfüllt.

Aus der Menge der Überlegungen, die dem Konzept zugrunde liegen, sollen in diesem Zusammenhang nur drei genannt werden:

  • Eine dauerhafte Veränderung intrapsychischer Bedingungen braucht mehr Zeit, als in einer kurzen stationären Entzugsbehandlung zur Verfügung steht (deshalb sind Patienten zu fortdauerndem Selbstmanagement zu motivieren) [3, 4].

  • Die Entwicklung der Störung und ihre Bewältigung werden gesehen in engem Zusammenhang mit den individuellen Fähigkeiten zur Selbststeuerung (deshalb sind die relevanten Ressourcen zu verbessern) [4, 5].

  • Für alkoholabhängige Patienten ist Abstinenz anzustreben [6, 7].

Vor Aufnahme in den stationären Behandlungsteil wird ein Vorgespräch geführt. Hier werden Patienten über den geplanten Ablauf der Behandlung informiert. Sie lernen Mitarbeiter der Einrichtung und Räumlichkeiten kennen. Hausregeln und Therapievertrag werden zum Sichten mitgegeben. Als Hausaufgabe bis zum Therapiebeginn wird eine Selbstanalyse [8] erbeten.

Die stationäre Behandlung wird als Gruppentherapie durchgeführt. Einzelgespräche stützen den intendierten therapeutischen Prozess. Jeder Patient wird im Rahmen einer individualisierten Problemlösetherapie an die Aufgabe herangeführt, ein individuelles plausibles Modell der Störungsentwicklung zu erarbeiten und daraus Teiltherapieziele abzuleiten. Das plausible Modell klärt, welche automatisiert ablaufenden Prozesse des Erlebens und/oder Verhaltens eng mit dem Konsum von Suchtmitteln verbunden sind [3].

Teiltherapieziele sind Einstellungen oder Verhaltensmöglichkeiten, die anstelle des gewohnten Alkoholkonsums treten sollen. Während der stationären Rehabilitationsphase wird begonnen, eine Annäherung an diese Teiltherapieziele zu betreiben; in der ambulanten Rehabilitationsphase wird diese Arbeit fortgesetzt.

Die Bewältigung der Alkoholabhängigkeit durch den Patienten wird als Teilmenge (komplexer) Lebensprobleme verstanden. Zur Verbesserung dieser Fähigkeiten wird ein Problemlösetraining als psychoedukative Veranstaltung eingesetzt. Hier werden Zusammenhänge zwischen einem trainierbaren Lösungsprozess und selbst gesetzten Standards zur Lebenszufriedenheit aufgezeigt. Beispielhaft wird dem Patienten der Unterschied zwischen Selbstregulation und Selbstkontrolle (als Sonderfälle der Selbststeuerung) [9] aufgezeigt. Alle therapeutischen Mitarbeiter der Einrichtung (Ärzte, Bezugstherapeuten, Sozialarbeit, Co-Therapeuten, Therapeuten aus der Ergo-, Physio- und Sport-Therapie) stützen und fördern den therapeutischen Prozess. Zusätzliche psychoedukative Angebote zu Informationen über Abhängigkeit, zur Gesundheitsvorsorge und Angebote zur gemeinschaftlichen Gestaltung der Freizeit vervollständigen unser Angebot.

Eine weitere Besonderheit unseres Vorgehens ist das therapeutische vor- und nachbereitete Realitätstraining: Die Patienten können ihre individuellen Entwicklungsstände an jedem Wochenende in ihrem gewohnten sozialen Umfeld überprüfen.

Am Ende der stationären Behandlungsphase von auswärtigen Patienten wird in der Regel der erreichte Therapiestand gemeinsam vom Therapeuten und Patienten an diejenige Beratungsstelle übergeben, die die ambulante Rehabilitationsphase durchführt. Die Beratungsstellen der Johanna-Odebrecht-Stiftung haben ausdrücklich das Fortführen der Selbstmanagement-Therapie in ihren Konzepten zur ambulanten Rehabilitation festgeschrieben [10]. Die Vernetzung mit den Beratungsstellen der Region ist durch gemeinsame Supervision und durch gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen sehr solide geworden.

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Ergebnisse

Die Aufnahmejahrgänge wurden jährlich nachbefragt. Als Erhebungsinstrument diente der Fragebogen des Instituts für Therapieforschung, München [11]. Berechnungsgrundlage ist der gesamte Jahrgang. Nichtantworter werden als rückfällig gewertet.

Die günstigen Tendenzen aus den ersten Nachbefragungen (Erfahrungsberichte 1 bis 3) haben sich im Jahr 2001 [12] stabilisiert:

  • Durchschnittlich zwölf Monate nach der Entlassung waren aus dem Aufnahmejahrgang 2000 noch 41 % der Patienten nach eigenen Angaben durchgehend abstinent; 27 % bezeichneten sich als abstinent nach Rückfall.

  • Aus den Aufnahmejahrgängen 1998 und 1999 beschrieben sich im Jahr 2001 insgesamt 34 % der ehemaligen Patienten als durchgehend abstinent und 20 Prozent als abstinent nach Rückfall.

  • Für die Teilmenge derjenigen Patienten, die nach der sechswöchige stationären Rehabilitationsphase an der ambulanten Rehabilitationsphase in unserem Haus teilnahmen, zeigen sich wesentlich günstigere Zahlen (gut 60 %); wegen der relativ kleinen Fallzahl können diese günstigen Zahlen zurzeit nur als Tendenzen angesehen werden.

Die weichen Hinweise zur Patientenzufriedenheit (hohe Rate regulärer Behandlungsbeendigungen, hoher Rücklauf der Nachbefragungen, geringe Rückfallrate) deuten auf gute Akzeptanz unserer Vorgehensweise. Qualitätssichernde Nachbefragungen vom Kostenträger weisen auf eine überdurchschnittlich hohe Patientenzufriedenheit hin [13]. Die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben verläuft relativ günstig. Die Erwerbssituation in unserem Bundesland ist zu berücksichtigen.

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Zusammenfassung

Es haben sich erfreuliche Ermutigungen gezeigt, im psychotherapeutischen Prozess zur Bewältigung der Alkoholabhängigkeit eine enge Anbindung an die Selbstmanagement-Therapie zu suchen. Das Verfahren wird als Basistherapie verstanden. Patienten treffen mit therapeutischer Unterstützung eigene stabile Entscheidungen zur Störungsbewältigung und zu bearbeitungswürdigen Teiltherapiezielen. Wir bauen dabei auf motivierende Interventionen auf und intensivieren diese Ansätze.

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Ausblick

Im Weiteren wird zu überlegen sein, ob über weitere psychoedukative Angebote (z. B. zu Themen wie Selbstsicherheit und/oder soziale Kompetenz) den Patienten zusätzliche Erlebnisfelder zu eröffnen sein werden, um definierte Teiltherapieziele effektiver anstreben zu können.

In der praktischen Arbeit hat sich gezeigt, dass die Alkoholabhängigkeit häufiger von psychischen Auffälligkeiten mit Krankheitswert begleitet wird (Komorbidität). Die Zusammenhänge werden genauer untersucht werden. Für diese Patienten wird eine effektivere Versorgung zu organisieren sein.

Das Vorgehen war von Anfang an auf wissenschaftliche Begleitung ausgelegt. Die Intensität der Evaluation hatte sich an die Ressourcen anzupassen, die in der Etablierungsphase der Einrichtung zur Verfügung standen; diese Potenziale werden vergrößert werden.

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Literatur

  • 1 Sadowski P, Kirchner C. Konzept zur stationären Rehabilitation von Abhängigkeiten. Greifswald; Johanna-Ode- Brecht-Stiftung 2001
  • 2 Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen. 
  • 3 Kanfer F H, Reineker H, Schmelzer O. Selbstmanagement-Therapie. Ein Lehrbuch für die klinische Praxis. Dritte überarbeitete Auflage Berlin, Heidelberg; Springer Verlag 2000
  • 4 Kanfer F H. Beiträge eines Selbstregulationsmodells zur psychotherapeutischen Praxis.  Praxis der Klinischen Verhaltensmedizin und Rehabilitation. 1988;  1 289-300
  • 5 Dilling H, Mombour W, Schmidt M H. (Hrsg) .Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD 10. Bern, Göttingen Toronto; Huber 1991
  • 6 Körkel J. Kontrolliertes Trinken.  Suchttherapie. 2002;  2 87-96
  • 7 Schneider R. Kontrolliertes Trinken oder Kontrollierter Rückfall. Landesstelle gegen Suchtverfahren Schleswig-Holstein Selbstregulation und Drogenwirkung Kiel; Selbstverlag 2001
  • 8 Schneider R. Further Fragebogen zur Abhängigkeit, überarbeitete Version, unveröffentlicht.  1996; 
  • 9 Kuhl J. Wille und Freiheiterleben: Formen der Selbststeuerung. Kuhl J, Heckhausen H Motivation, Volition und Handlung Göttingen; Hogrefe 1996
  • 10 Niemann I, Sadowski P. Konzept zur ambulanten Rehabilitation von Abhängigkeiten. Greifswald; Johanna-Odebrecht-Stiftung 2002
  • 11 IFT - Institut für Therapieforschung .Katamnesebogen. München; IFT 1994
  • 12 Sadowski P, Kirchner C. Vierter Erfahrungsbericht. Greifswald; Johanna-Odebrecht-Stiftung 2001
  • 13 Ergebnisbericht für die Klinik 02 029 (Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung). Rückmeldung an die Klinik über den Entlasszeitraum 2/2001-1/2002 im Rahmen des Reha-Qualitätssicherungsprogramms der gesetzlichen Rentenversicherung. Neubrandenburg: Landesversicherungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern 2002. 

Peter Sadowski

Lt. Psychologe, Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung

Gützkower Landstraße 49

17489 Greifswald

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Literatur

  • 1 Sadowski P, Kirchner C. Konzept zur stationären Rehabilitation von Abhängigkeiten. Greifswald; Johanna-Ode- Brecht-Stiftung 2001
  • 2 Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen. 
  • 3 Kanfer F H, Reineker H, Schmelzer O. Selbstmanagement-Therapie. Ein Lehrbuch für die klinische Praxis. Dritte überarbeitete Auflage Berlin, Heidelberg; Springer Verlag 2000
  • 4 Kanfer F H. Beiträge eines Selbstregulationsmodells zur psychotherapeutischen Praxis.  Praxis der Klinischen Verhaltensmedizin und Rehabilitation. 1988;  1 289-300
  • 5 Dilling H, Mombour W, Schmidt M H. (Hrsg) .Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD 10. Bern, Göttingen Toronto; Huber 1991
  • 6 Körkel J. Kontrolliertes Trinken.  Suchttherapie. 2002;  2 87-96
  • 7 Schneider R. Kontrolliertes Trinken oder Kontrollierter Rückfall. Landesstelle gegen Suchtverfahren Schleswig-Holstein Selbstregulation und Drogenwirkung Kiel; Selbstverlag 2001
  • 8 Schneider R. Further Fragebogen zur Abhängigkeit, überarbeitete Version, unveröffentlicht.  1996; 
  • 9 Kuhl J. Wille und Freiheiterleben: Formen der Selbststeuerung. Kuhl J, Heckhausen H Motivation, Volition und Handlung Göttingen; Hogrefe 1996
  • 10 Niemann I, Sadowski P. Konzept zur ambulanten Rehabilitation von Abhängigkeiten. Greifswald; Johanna-Odebrecht-Stiftung 2002
  • 11 IFT - Institut für Therapieforschung .Katamnesebogen. München; IFT 1994
  • 12 Sadowski P, Kirchner C. Vierter Erfahrungsbericht. Greifswald; Johanna-Odebrecht-Stiftung 2001
  • 13 Ergebnisbericht für die Klinik 02 029 (Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung). Rückmeldung an die Klinik über den Entlasszeitraum 2/2001-1/2002 im Rahmen des Reha-Qualitätssicherungsprogramms der gesetzlichen Rentenversicherung. Neubrandenburg: Landesversicherungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern 2002. 

Peter Sadowski

Lt. Psychologe, Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung

Gützkower Landstraße 49

17489 Greifswald