Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(4): 237-240
DOI: 10.1055/s-2003-38208
Anästhesie Gestern - Heute - Morgen
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anästhesie gestern. Mainzer Lehrjahre der Anästhesie

Anaesthesia Yesterday. My Years of Apprenticeship in Anaesthesiology in MayenceK.-H.  WeisIm Gedenken an Herrn Prof. Dr. Rudolf Frey (1917 - 1981), Inhaber des ersten Lehrstuhls für Anästhesie in der BRD.
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Publication Date:
26 March 2003 (online)

Während einer Bahnfahrt von Karlsruhe nach Mainz im Februar 1957 - an der Landesfrauenklinik Karlsruhe war mir zum Jahresende eine Stelle als Assistent zugesagt, denn ich wollte Geburtshelfer werden und hatte mich deshalb während meiner über zweijährigen Tätigkeit am Pathologischen Institut in Mainz bereits etwas in die Pathologie der Fächer Gynäkologie und Geburtshilfe eingearbeitet, und außerdem war ich dabei, demnächst ein Jahr Innere Medizin an der dortigen Med. Poliklink abzuschließen - dachte ich über den Vorschlag des zukünftigen Chefs nach, der mir empfohlen hatte, während einer vorgesehenen, etwa sechs Monate dauernden Lehrzeit in der Chirurgie, mich dort über moderne Methoden der Anästhesie zu informieren. Als Student hatte ich erstmals davon gehört, dass es in England Spezialisten für Narkose gibt, deren Ausbildungsgang langwierig und durch Studien in der Physiologie und Pharmakologie sehr kompliziert sei. Ein Gedanke, dieses Fach sei für mich erstrebenswert oder gar, ich sei für dieses Fach geeignet, lag mir allerdings meilenweit fern. Aktuell schien mir jedoch angebracht, dem Wunsch des zukünftigen Chefs zu entsprechen und einige Erfahrungen mit den Methoden der modernen Anästhesie zu erwerben.

So meldete ich mich einige Tage später im Vorzimmer von Herrn Prof. G. Brandt, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik in Mainz und konnte sogleich mein Anliegen vortragen, ob ich denn auch für ca. 6 Monate in seiner Klinik ausschließlich in der Anästhesie arbeiten könnte. Sein spontanes „ja” überraschte mich ebenso wie meine sofortige Präsentation bei seiner Fachanästhesistin Frau Dr. L. Riedemann, die damals im ganzen Klinikum einzig ausbildungsberechtigt war sowie seine unmittelbare Vereinbarung mit Herrn Prof. A. Duesberg, Direktor der Med. Poliklinik, über meinen Wechsel von dieser in die Chirurgische Klinik zum 1. April 1957.

Ich ahnte nicht, dass mit einem Privatdienstvertrag „als Verwalter der Dienstgeschäfte eines wissenschaftlichen Assistenten” und einer Vergütung von 600 DM pro Monat in der Tasche, mit dem Dienstantritt an diesem 1. April 1957 mein Berufsleben als Anästhesist begonnen hatte.

Kam ich dann spät abends nach Hause, meinte meine Frau, ich hätte wohl wieder viele oder lange dauernde Äthernarkosen verabreicht. Eben diese hatte ich zu erlernen mit der Schimmelbuschmaske nach Chloäthylvorgabe bis der Patient sein Bewusstsein verlor, gefolgt von zuerst großen und dann kleinen Tropfen, in angepasster Tropffrequenz, aus der Ätherflasche der Firma Höchst; ich hatte zu lernen, wie selbst bei kräftigen Männern das Exzitationsstadium zu überwinden war, oft durchaus mit brachialer Unterstützung von Op.-Pflegern, die den Kranken oder Verletzten zuvor schon mit breiten Lederriemen über dem Leib und die Handgelenke in Ledermanschetten am Op.-Tisch festgeschnallt hatten; ich musste lernen, wie die Pupillen reagieren, um beurteilen zu können, in welches Narkosestadium nach Guedel ich den Patienten „getropft” hatte und hielt, was zu tun sei, wenn einer in der nur langsam abklingenden Äthernarkose anfängt zu regurgieren oder zu erbrechen (letzteres war gefürchtet bei der Narkoseeinleitung). Der Schreckmomente waren viele, nicht zuletzt dasjenige, beim Einüben der endotrachealen Intubation!

Ich erlernte die Apparat-Masken-Äthernarkose mit den Draegergeräten „Romulus” und „Sulla” mit Sauerstoff und Lachgas als Gasgemisch unter Spontanatmung oder nach endotrachealer Intubation unter Relaxation durch Curare und manueller Beatmung. Äther war allein nach klinischer Wirkung zu dosieren. Und eingebläut wurde mir, mich vor einer Relaxation durch Succinylcholin stets zu überzeugen, ob ich einen Patienten über Maske auch effektiv zu beatmen vermochte. Die Voraussetzung hierfür war in der Regel die intravenöse Narkoseeinleitung durch Evipan (Hexobarbital) oder meist durch Trapanal (Thiopental), deren initial atemdepressiver Effekt sich für eine Beatmung über die Maske anbot.

Was stand zur damaligen Zeit an apparativer Überwachung zu Verfügung? Kein automatisch arbeitendes Gerät! Der Blutdruck wurde von Hand nach Riva Rocci gemessen und kontrolliert, die Pulsfrequenz wurde mit der Stoppuhr (am Romulus) gezählt; im Kreissystem befand sich ein Beatmungsdruckmesser, weshalb hier darauf zu verweisen ist, dass nur durch manuelle Kompression des Atembeutels eine Überdruckbeatmung möglich war (der Anästhesist konnte deshalb den Patienten nicht verlassen!), später wurde in das Kreissystem eine mechanische Gasuhr (Volumeter) eingesetzt, die das Exspirationsvolumen anzeigte. Selten fand man in einem Op. ein Einkanal-EKG-Gerät mit Registrierung. Wir Adepten der modernen Anästhesie wurden geschult im sorgfältigen Beobachten des Patienten, seines Kreislaufes anhand des Blutdruckes, der Qualität eines peripheren Pulses (z. B. der A. temporalis oder radialis), der Beschaffenheit der Stirnhaut, ihrer Wärme, Feuchtigkeit und Durchblutung sowie der Reaktion der Pupillen auf Licht.

Selbstredend mussten chirurgische Assistenten Narkosen geben. Jeder hatte seine eigenen Erfahrungen und variablen Methoden und erteilte mir, gut meinend, seine Ratschläge zumal in den Zeiten, in denen meine Lehrmeisterin abwesend war. Die Narkose musste jeder eigenhändig vorbereiten, da Narkoseschwestern zu den unbekannten Wesen gehörten. Pfleger oder Op.-Schwestern („Springer”) halfen einem (was nicht zu ihren Aufgaben gehörte), die notwendigen Medikamente in Spritzen aufzuziehen, das Laryngoskop zu prüfen, den Cuff des endotrachealen Tubus zu testen und den „Romulus” oder „Sulla” aufzurüsten, den Gasdruck in den Flaschen und die Funktion der Rotameter zu prüfen. Ersatzflaschen mussten bereit stehen, da eine zentrale Gasversorgung noch ein ferner Wunschtraum blieb. Sie halfen einem bei der Narkoseeinleitung, indem sie Spritzen, Laryngoskop und Tubus reichten und bei einer schwierigen Intubation die Lage des Kopfes hielten. Ich revanchierte mich gelegentlich, wenn es darum ging, einen Patienten vom Bett auf den Op.-Tisch zu heben.

Nach einer Anleitung von etwa 6 Wochen wurde ich als „Anästhesist” der Neurochirurgie zugeordnet, die Herr Prof. K. Schürmann aufzubauen begonnen hatte. Eine strenge Zeit der fachlichen Herausforderungen und Bewährung nahm ihren Anfang: Stunden dauernde Intubationsnarkosen bei Erwachsenen und Kindern in Bauchlage - Eingriffe in der hinteren Schädelgrube - unter Spontanatmung in Thiopental-Lachgasnarkose, hatte ich zu führen, nachdem ich einige Tage bei dem Anästhesisten Prof. O. Loenneken an der Neurochirurgischen Klinik in Köln hospitiert hatte. In mancher Nacht vor einer Narkose dieser Art blieb trotz Müdigkeit mein Schlaf unruhig! Auf der neurochirurgischen Station war ich mit eingeteilt und verantwortlich, anstehende Verbandwechsel, aber auch diagnostische Lumbal- und Suboccipitalpunktionen, durchzuführen.

Über meine Arbeit im Operationssaal hinaus wurde mir jegliche Unterstützung zuteil, um den Facharzt für Anästhesie zu erreichen, für den ich mich inzwischen entschieden und dessen Curriculum die Landesärztekammer festgelegt hatte. Vorgeschrieben war damals eine Tätigkeit in den Fächern Physiologie oder Pharmakologie für wenigstens 6 Monate. Der Direktor des Pharmakologischen Instituts Prof. G. Kuschinsky gehörte in der Mainzer Fakultät zu den entschiedensten Befürwortern, das Fach Anästhesie zu fördern und zur Selbständigkeit zu führen. Er und Prof. G. Brandt vereinbarten, dass ich Montag, Dienstag und Mittwoch in dessen Institut ganztägig arbeiten konnte mit der Planstelle in der Chirurgie.

Überraschend und hart traf mich eines Tages die Information, dass Frau Dr. Riedemann im Laufe des Jahres 1958 die Klinik verlassen würde; niemand konnte mir mehr meine Ausbildung zum Facharzt garantieren. Wohin sollte ich wechseln? Prof. Brandt jedoch riet mir diskret und väterlich, abzuwarten, da in der Fakultät eine für die Anästhesie bedeutende Entscheidung sich anbahne.

Die Mainzer Medizinische Fakultät war auf dem Weg, als erste in der Bundesrepublik, einen eigenständigen Lehrstuhl für Anästhesie einzurichten! Den Ruf erhielt 1959 Prof. Rudolf Frey aus Heidelberg, den Lehrstuhl übernahm er 1960.

Die Ära Frey hatte in Mainz bereits vor seiner Berufung begonnen. In einem Zwischenzeugnis vom 1. August 1959 bescheinigte er mir, dass ich unter seiner Leitung arbeitete. Als Gastdozent gab er der Anästhesie neue Impulse. So erinnere ich mich sehr gut, wie er eines Tages aus England das neue Inhalations-Narkosemittel „Fluothane” der Firma ICI und einen „Fluotec”, den ersten nach Volumenprozenten geeichten Fluothaneverdunster, mitbrachte (bis dato kannten wir nur den einzigen in Vol.% geeichten Ätherverdunster „EMO” aus Oxford, England). Wir glaubten, die Dosierung von Fluothane sei mit dem Fluotec quantitativ gesichert, was uns allerdings nicht davon abhielt, Fluothane in „Äthergläsern” ohne Dochte, jedoch mit einem Tupfer auf dem Glasboden zur Vergrößerung der Verdunstungsfläche, anzuwenden und nach klinischer Wirkung zu dosieren. Wir tropften Fluothane analog dem Äther auf die Schimmelbuschmaske und stellten ein „Guedelschema” für Fluothane auf.

Fluothane revolutionierte die Narkose für Säuglinge und Kleinkinder: mit einem durch Fluothane befeuchteten Tupfer vor die kleinen Gesichter gehalten, schliefen sie nach wenigen Atemzügen ruhig ein (Säuglinge meist schmatzend, als lutschten sie an einem süßen Schnuller), und mit dem „Kuhn-System” konnte die Narkose mit Maske oder nach Intubation optimal geführt werden. Äther verschwand buchstäblich über Nacht aus unserem Repertoire. Eine kurzzeitige Renaissance erlebten wir mit Chloroform, da uns aus England ein „Chlorotec” zukam. Doch rasch wurde klar, dass die kardio- und lebertoxischen Eigenschaften des, für eine Narkoeeinleitung angenehmen Chloroforms, auch bei einer genaueren Dosierung erhalten blieben.

Fluothane und nachfolgend das chemisch identische Halothan der Firma Hoechst in Kombination mit dem später von Draeger entwickelten Halothanverdunster „Vapor”, der unabhängig von den Werten Temperatur, Beatmungsdruck im System und Gasflussmenge, wie sie für eine Narkose gebräuchlich waren, die in Volumenprozenten eingestellte Dosis lieferte (was der Fluotec zunächst nicht zu leisten vermochte), setzten für Jahrzehnte neue Maßstäbe in der Narkoseführung. Die Narkose wurde für den Patienten sicherer, zugleich angenehmer und leichter zu ertragen.

Mit R. Frey wurde die Anästhesie in Mainz zu einem Zentrum in der BRD: Anästhesisten aus vielen Ländern der Erde, in denen das Fach als gleichberechtigt anerkannt war, besuchten ihn und unterstützten seine Aufbauarbeit. Zu den ersten und oft wiederkehrenden Besuchern gehörte Prof. J. Lassner aus Paris. Den deutschen Ordinarien der Chirurgie wurde mit diesen Besuchen zum einen gezeigt, welchen Stellenwert in vielen Ländern außerhalb Deutschlands die Anästhesie im Kanon der operativen Fächer inzwischen innehatte, und zum anderen wurde damit die zukunftsweisende Entscheidung der Mainzer Fakultät gewürdigt und begrüßt, die im Einvernehmen mit ihrem chirurgischen Ordinarius Prof. G. Brandt, den ersten Lehrstuhl für Anästhesie mit dem international anerkannten Anästhesisten Prof. R. Frey besetzt hatte.

Mit R. Frey meldete sich in Mainz verstärkt die medizinorientierte Industrie, das im Bau von Narkose- und Beatmungsgeräten führende Drägerwerk und die Pharmaindustrie. In regem Gedankenaustausch veränderte sich der operative Arbeitsplatz des Anästhesisten binnen weniger Jahre in einem nicht erwarteten Maß. Zweifelsfrei wurde die Narkose sicherer, weil der Anästhesist zunehmend von gemessenen und kontinuierlich registrierten Werten eines Patienten ausgehen, sich auf die ebenfalls messbaren Werte von Sauerstoff, Kohlendioxyd und schließlich Halothan im Kreissystem zurückgreifen und sich auf apparatimmanente Sicherheitsysteme (z.B. Lachgasfalle, Dekonnektionsalarm) verlassen konnte. Diese technischen Neuerungen hier im einzelnen, gar chronologisch hinsichtlich ihrer Entwicklungen nachzuzeichnen, würde den Rahmen und die Intention meines Beitrages sprengen.

In Mainz expandierte unter Frey die Anästhesie, bis schließlich alle operativen Fächer zentral versorgt wurden. Hierbei war die gezielt angewandte Strategie, für möglichst alle operativen Eingriffe, auch diejenigen, die für eine regionale Anästhesie durchaus geeignet waren, die Narkose anzubieten. Die Patienten nahmen dieses Angebot meist dankbar an, während die Operateure sich fügten und das eigene Interesse an der Anästhesie zunehmend verloren, indem sie sich auf ihr operatives Arbeiten konzentrierten. Ausnahmen blieben länger bestehen, etwa in den Fächern Handchirurgie, Orthopädie, Geburtshilfe und Urologie, in Fächern, in denen der Operateur selbst eine Leitungs- oder rückenmarksnahe Anästhesie setzte, die aber auch ein personell sich vergrößerndes Institut unter Frey's Leitung noch nicht bedienen konnte.

Mit Beginn der zweiten Hälfte der 60iger Jahre hatten sich die personellen Voraussetzungen verbessert, und die „Narkoseärzte” begannen die Lokal- und Regionalanästhesie für sich zu entdecken. Hierbei wirkten wiederum Frey's Kontakte zu Anästhesisten in den USA richtungsweisend: dort hatte u. a. Bonica die Lokalanästhesie mit der Schmerztherapie verbunden. Frey erkannte die Chancen und zugleich die klinische Notwendigkeit, auch hierin internationalen Anschluss zu gewinnen. Er förderte H. Nolte, der 1964 nach Mainz kam und sich besonders für die Regionalanästhesie engagierte und große Verdienste um deren weitere Entwicklungen und Verbreitung erwarb (Habilitation 1967), desgleichen förderte er H.-U. Gerbershagen, der sich etwas später der Schmerztherapie verschrieb (Habilitation 1972). Zu ergänzen ist, dass Frey die Besonderheit der „Neurolept-Anästhesie”, deren Entwicklung und Verbreitung W. F. Henschel (Bremen) wirkungsvoll vorantrieb, sofort erkannte und in seinem Institut die Arbeit von H. Kreuscher auf diesem Feld unterstützte (Habilitation 1966).

1959 bahnte sich eine Kooperation mit dem Bundeswehrlazarett in Koblenz an, da die Bundeswehr von dort F. W. Ahnefeld für die Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie an das sich unter Frey entwickelnde Institut delegierte. Ahnefeld konnte sich 1964 extern an der Mainzer Fakultät habilitieren.

1962 erhielt ich von der DFG ein Habilitationsstipendium und arbeitete für ein Jahr im Pharmakologischen Institut unter Prof. G. Kuschinsky. Meine Tierversuche waren dort noch nicht abgeschlossen, als ich eines Tages 1963 von Prof. H. Herken, Klinischer Pharmakologe an der FU Berlin, gefragt wurde, ob ich nach dem Wechsel von Prof. O. Just nach Heidelberg, dessen in Berlin vakante Stelle als Leiter der Anästhesie übernehmen könnte. Mir war jedoch klar, dass ich zuerst meine Habilitation abschließen musste, ehe ich die klinische Verantwortung für eine universitäre Anästhesie-Abteilung übernehmen konnte.

Zeitgleich in diesem Jahr 1963 lief in Mainz bereits das Habilitationsverfahren eines Frey-Schülers aus dessen Heidelberger Zeit, dasjenige von E. Kolb. Wie schnell sich die Anästhesie in der alten Bundesrepublik nach dem Signal aus Mainz entwickelte, wie stark das Interesse und auch die Bereitschaft manch anderer Medizinischen Fakultät inzwischen gewachsen war, die Anästhesie als eigenständiges Fach aufzunehmen, zeigte geradezu exemplarisch die Berufung von E. Kolb auf den Lehrstuhl an der FU Berlin. Als er in Mainz 1963 zum Abschluss seines Habilitationsverfahrens die öffentliche Probevorlesung hielt, trug er bereits in einer Brusttasche seine Berufung nach Berlin!

Mein eigenes Habilitationsverfahren endete mit der öffentlichen Probevorlesung im Juni 1964. Die klinische und verwaltungstechnische Verantwortung für das Institut als Vertreter von R. Frey lastete seit Mitte 1963 schon längst wieder auf meinen Schultern. Die Zahl der Mitarbeiter war rasch gestiegen, partikulare Interessen begannen sich allenthalben zu regen, und die zu lösenden Aufgaben mehrten sich, etwa mit dem Aufbau einer Intensivtherapie durch M. Halmagyi (Habilitation 1968). Eine Freundschaft, die R. Frey und P. Safar (Pittsburgh USA) miteinander pflegten, führte dazu, dass sich in Mainz ein weiterer Schwerpunkt um die Reanimation und Notfallmedizin entwickelte, ein Gebiet, das heute besonders mit dem Namen F.W. Ahnefeld verknüpft wird.

Zweifelsohne legte R. Frey Grundsteine für die vier Säulen des Fachgebietes: Anästhesie, Intensivtherapie, Schmerztherapie und Notfallmedizin.

Die Medizinische Fakultät in Mainz entwickelte schon zu Beginn der 60iger Jahre anspruchsvolle Bauprojekte, denn die alten Pavillonbauten des einst Städtischen Krankenhauses waren für die Bedürfnisse eines expandierenden Universitätsklinikums viel zu klein. Dem Neubau einer chirurgischen Klinik kam die Priorität zu; Frey übertrug mir die Planungen für die Anästhesie, was ich gerne übernahm. Er selbst pflegte intensiv seine ausländischen Verbindungen, durchaus auch im Interesse der Fakultät und der Stadt, da seine vielen internationalen Tagungen vor Ort fraglos mit halfen, das Ansehen beider in der Welt zu vermehren. In den ersten Jahren lagen seine Verbindungen vorwiegend im anglo-amerikanischen Raum, später in den 70iger Jahren knüpfte er sie mehr und mehr im Osten, in den Ländern hinter dem „Eisernen Vorhang”.

Mich überraschte keineswegs, als mir Frey eines Tages im Frühjahr 1965 mitteilte, er gehe für drei Monate nach Amerika. Und eben in dieser Zeit seiner Abwesenheit bahnte sich für mich eine Entscheidung an, bot sich mir die Chance, die ich sofort ergriff: an der Chirurgischen Universitätsklinik in Würzburg sollte ich unter dem Direktorat von Prof. W. Wachsmuth eine Anästhesie-Abteilung aufbauen. Der Platz dort war auch für die Medizinische Fakultät völlig unerwartet vakant geworden, da K. Rehder, den sie zuvor als ersten für Anästhesie habilitiert hatte, nach Rochester/Minnesota (USA) zurückkehrte an den Ort, von dem ihn zuvor Wachsmuth geholt hatte, um von seiner Klinik aus die Anästhesie für die Fakultät aufzubauen.

Im Dezember 1965 schulterte ich einen Rucksack voll der verschiedenartigsten Erfahrungen aus meinen überaus abwechslungsreichen Mainzer Lehrjahren und barg diesen in einer Ecke eines kleinen Dienstzimmers unterm Dach der Würzburger Chirurgischen Klinik, ehe ich mich am 1. Januar 1966 zur ersten klinischen Morgenvisite mit Prof. W. Wachsmuth einfand. Und wiederum konnte ich nicht ahnen, dass mit diesem 1. Januar 1966 für mich eine noch reichere Zeit des Mitgestaltens der Anästhesie in der Würzburger Medizinischen Fakultät und in der „DGAW” (heute DGAI) begonnen hatte.

K. H. Weis

Weinbergstraße 10

97273 Kürnach

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