Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(4): 213-214
DOI: 10.1055/s-2003-38214
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

50 Jahre DGAI - zur Situation unseres Fachgebietes

50th Anniversary of the German Society of Anaesthesiology and Intensiv Care Medicine (DGAI) - A Status Assessment of our DisciplineH.  A.  Adams, G.  Hempelmann, C.  Krier, J.  Schulte am Esch
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Publication Date:
26 March 2003 (online)

Die am 10. April 1953 von ebenso weitblickenden wie entschlossenen Persönlichkeiten gegründete „Deutsche Gesellschaft für Anaesthesie” - zwischenzeitlich „Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Wiederbelebung” und nunmehr „Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin” (DGAI) genannt - feiert an ihrem Gründungsort München im Rahmen des Deutschen Anästhesie Congress (DAC) 2003 den 50. Jahrestag ihres Bestehens.

AINS - Organ der DGAI - würdigt dieses Ereignis und gratuliert mit einem Jubiläumsheft, in dem nach der Darstellung der Geschichte der deutschen, österreichischen und schweizerischen anästhesiologischen Fachgesellschaften die vier Säulen der Anästhesiologie aus dem Blickwinkel des Gestern, Heute und Morgen betrachtet werden.

Es ist kein Zufall, dass die österreichische (19. Oktober 1951), schweizerische (5. Juli 1952) und zunächst gesamtdeutsche Fachgesellschaft (10. April 1953) in so kurzer Folge gegründet wurden - erst nach dem Bau der Berliner Mauer wurde in der DDR am 25. Oktober 1963 die „Sektion Anaesthesiologie” der „Deutschen Gesellschaft für Klinische Medizin” gegründet, die nach Umbenennung in „Gesellschaft für Anaesthesiologie und Reanimation der DDR” bzw. „Gesellschaft für Anaesthesiologie und Intensivtherapie der DDR” bis 1990 bestand. In Deutschland und in Österreich war die Entwicklung des Fachgebiets weitgehend gleichartig und in der Schweiz kaum anders verlaufen. Ein Fachgebiet Anästhesiologie war als solches weder definiert noch etabliert. Im Gegensatz zur Entwicklung in den angelsächsischen Ländern und auch in Skandinavien verharrte das Fach in der organisatorischen, personellen und materiellen Abhängigkeit vom Mutterfach Chirurgie - oft genug als Schwesternaufgabe betrachtet und nicht immer mit den besten Ärzten bedacht. Es gehörte schon eine Menge Mut dazu, einen Schnitt zu machen und sich von der dominanten Mutter zu lösen. Die Gründungsmitglieder haben diesen verdienstvollen Schritt getan, der dann vor Ort in den sich bildenden Abteilungen umgesetzt und ausgestaltet werden musste - der Dank für diese Lebensleistungen muss der heutigen Generation Verpflichtung und nicht Formalität sein.

Es ist bemerkenswert, wie eng die Verbindungen zwischen den deutschsprachigen anästhesiologischen Fachgesellschaften - wobei die Schweizer Kollegen diese Teil-Vereinnahmung verzeihen mögen - seit der Gründungszeit bis noch vor wenigen Jahren gewesen sind. Der Zentraleuropäische Anästhesiekongress war Symbol für die besondere Ausprägungsform der Anästhesiologie in unserem Sprachraum, die trotz ihrer frühen und unersetzlichen internationalen Verflechtungen manches anders machte als die englisch- oder auch französischsprachige Anästhesiewelt - man denke nur an den frühzeitigen und breiten Einsatz kolloidaler Volumenersatzmittel sowie die ärztliche Mitwirkung im Rettungsdienst. Dieser Aspekt einer „deutschsprachigen Anästhesiologie” ist in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. Es ist nicht zuletzt Aufgabe der anästhesiologischen Fachorgane, hier gegenzusteuern und den Zusammenhalt zu stärken. Vielleicht ergibt sich ja nach den schwierigen Einigungsverhandlungen der verschiedenen europäischen Dachgesellschaften wieder Interesse und Bedarf für einen zentraleuropäischen deutschsprachigen Fort- und Weiterbildungskongress - die unverzichtbare Einbindung in den großen internationalen Kontext wird dadurch nicht beeinträchtigt.

Im zweiten Teil des Heftes werden die vier Säulen unseres Fachgebiets - Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie - zunächst im Blick zurück von bedeutenden Zeitzeugen mit durchaus persönlicher Note beschrieben. Es schließt sich die Darstellung des mittlerweile erreichten Standes durch heute in der Verantwortung stehende Fachvertreter an. Abschließend legen jüngere Kollegen ihre Sicht der Zukunft dar.

Insgesamt wird eine beeindruckende Entwicklung deutlich, die uns mit Stolz auf das Erreichte erfüllen darf, aber auch nicht sorgenfrei lässt. Vor allem außerhalb der klinischen Anästhesiologie sind deutliche Erosionserscheinungen zu bemerken. Die Arbeitsfelder Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie - überwiegend durch unser Fachgebiet aufgebaut und wissenschaftlich unterbaut - wecken Begehrlichkeiten und stehen mancherorts zur Disposition. Hier kann unser Fachgebiet mit Recht auf seinen traditionell interdisziplinären Ansatz verweisen, der wesentlich zur Integration der klinischen Disziplinen beigetragen hat. Dieser integrative Ansatz ist aus medizinischen und ökonomischen Gründen aus dem OP-Bereich (man denke nur an die vielerorts den Anästhesisten übertragene OP-Organisation), den Intensivstationen sowie der Notfallmedizin und Schmerztherapie nicht mehr wegzudenken.

Auch unser eigenes Fachinteresse darf hier einmal dargestellt werden. Die Intensiv- und Notfallmedizin sowie die Schmerztherapie haben dem Anästhesisten erst den intensiveren Umgang mit Patienten und Angehörigen und damit ein ganzheitliches ärztliches Wirken ermöglicht, das über das „Narkosemachen im Auftrag” hinausgeht. Die Sekundärposition im Bereich der Anästhesie trägt neben manchen täglichen Querelen wohl zu der immer noch augenfälligen Sucht- und Suizidproblematik in unserem Fach bei. Die einschränkende Aufteilung in eine Kernkompetenz „Klinische Anästhesiologie” und „Randbereiche” verbietet sich damit von selbst; und nicht zuletzt ist die Erhaltung des breiten und anspruchsvollen Arbeitsfeldes mit seinen vier Säulen eine Voraussetzung, um in der derzeitigen Konkurrenzsituation weiterhin qualifizierten Nachwuchs gewinnen zu können.

Hierher gehört auch die Forderung, die akademische Stellung unseres Fachgebietes in Forschung, Lehre und Klinik zu stärken. Eine Ent-Akademisierung des Bereichs Anästhesie würde unausweichlich zu einem drastischen Kompetenzverlust und zur Stagnation des wissenschaftlichen und klinischen Fortschritts mit allmählicher Aushöhlung aller 4 Säulen führen. Leidtragende dieser Entwicklung - im vollen Wortsinn - wären die Patienten, die doch im Zentrum aller Bemühungen stehen müssen. Darüber hinaus wäre nicht nur der Fortschritt in unserem Fach, sondern auch in den operativen Disziplinen bedroht, die in den 50 Jahren des Bestehens der DGAI ihre Indikationsstellung gerade aufgrund der anästhesiologischen Entwicklung in einem zuvor undenkbaren Maß ausdehnen konnten.

Die besten Methoden zur Erhaltung des erreichten Standes sind vorbildliche ärztliche und medizinische Leistung und faire Partnerschaft - wer stete Leistungsbereitschaft und Kollegialität zeigt, dessen Wort wird eher beachtet als das des notorischen Fachlobbyisten. So steht denn zu hoffen, dass der weitere Weg unseres Fachgebietes es einmal überflüssig machen wird, die genannten vier Säulen immer wieder zu bemühen, und eines Tages das Fachgebiet „Anästhesiologie” wissenschaftlich und klinisch ganz selbstverständlich mit allen heutigen und zukünftigen Arbeitsbereichen - wie perioperativer und Palliativmedizin - assoziiert wird.

H. A. Adams, G. Hempelmann, C. Krier, J. Schulte am Esch

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