Das humane Genom besitzt nach derzeitigem Kenntnisstand zwischen 30000- 40000 Gene
und somit weniger als ursprünglich angenommen [2 ]
[5 ]. Seine Komplexität resultiert jedoch nicht allein aus der Zahl der Gene, sondern
aus der Kombination verschiedenster Regulations- und Kontrollmechanismen, die auf
der Ebene der Transkription, der mRNA-Prozessierung, der Translation und der Proteinprozessierung
ansetzen. Um diese Komplexität bei der Steuerung physiologischer oder pathophysiologischer
Prozesse in Geweben oder Zellen adäquat zu erfassen, bedarf es biotechnologischer
Hochdurchsatzmethoden wie der DNA-Chip/Array-Technologie.
So erlaubt es diese Technologie, die Aktivität einer Vielzahl von Genen simultan in
einem einzelnen Untersuchungsschritt zu bestimmen. Nicht nur für die Grundlagenforschung,
sondern auch für die molekulare und klinische Medizin - insbesondere auf dem Gebiet
der Onkologie -, werden diese Analysen wertvolle Erkenntnisse liefern.
Technologischer Hintergrund
Technologischer Hintergrund
Das Prinzip der DNA-Chip/Array-Analyse beruht ähnlich wie das der „Northern-” oder
„Southern-Blot”-Analysen auf der Eigenschaft von Nukleinsäuren, mit Komplementärsträngen
passender Sequenz sehr spezifisch stabile Doppelstränge auszubilden. Für die Herstellung
der Arrays werden mithilfe von Robotersystemen kurze Sequenzabschnitte für jedes zu
untersuchende Gen in hoher Dichte und nach präzisen Mustern auf festen Oberflächen
immobilisiert. Als Trägermaterialien dienen in der Regel speziell beschichtete Glasobjektträger
(„DNA-Chips” im engeren Sinne) oder Nylonmembranen, seltener Kunststoffoberflächen.
Die Genfragmente werden entweder in Mikrotiterplatten vorgelegt und von Präzisions-Robotern
auf das Trägermaterial übertragen („Spotting”; [Abb. 1 ]) oder in Form von kurzen Oligonukleotiden auf chemischem Wege direkt auf dem Träger
synthetisiert. Das Ergebnis sind regelmäßige Anordnungen (so genannte „Arrays”) von
immobilisierten ungepaarten Genfragmenten, die im Falle von Glas-Chips eine Dichte
von bis zu 10000 Genen pro cm2 erreichen können.
Für die als Expressionsprofil-Analyse bezeichnete Untersuchung von Zellen oder Geweben
wird der gesamte mRNA-Bestand der Probe präpariert, mit Fluoreszenzfarbstoffen oder
radioaktiven Isotopen markiert und in einem als Hybridisierung bezeichneten Prozess
mit dem Array inkubiert. Bei der Hybridisierung bilden die markierten Nukleinsäuremoleküle
mit ihren auf dem Array immobilisierten Gegenstücken stabile Doppelstränge aus. Sie
können mithilfe eines Fluoreszenz- oder Radioaktivitäts-Scanners detektiert werden.
Im Ergebnis erhält man für jedes auf dem Array repräsentierte Gen ein Signal, dessen
Intensität proportional zu der in der analysierten Probe vorhandenen mRNA-Menge für
dieses Gen ist. Die Expressionsprofil-Analyse liefert also ein Maß für die transkriptionelle
Aktivität der auf dem Array repräsentierten Gene und damit in erster Näherung ein
Maß für die biologische Aktivität der zugehörigen Proteine.
Suche nach Zielgenen
Suche nach Zielgenen
Eine konzeptionell sehr nahe liegende Einsatzmöglichkeit für die Array-Technologie
in der Onkologie besteht in der Suche nach einzelnen Zielgenen für neue Ansätze in
der Diagnostik und Therapie von Tumoren. Aus der Vielzahl von Genen, die in Expressionsprofil-Analysen
parallel untersucht werden können, lassen sich mit einfachen statistischen Verfahren
sehr schnell Gene identifizieren, die überwiegend oder sogar ausschließlich in Tumorgeweben,
nicht aber in Normalgeweben aktiviert sind.
Aus diagnostischen Gesichtspunkten sind zum Beispiel onkofötale Gene von besonderem
Interesse. Ein Beispiel ist das in unserer eigenen Arbeitsgruppe mithilfe von Expressionsprofil-Analysen
isolierte KOC-Gen, das für ein neuartiges RNA-bindendes Protein kodiert [4 ]. In ersten klinischen Studien mit Material aus Feinnadelpunktionen und Sekreten
konnten wir zeigen, dass PCR-basierte (PCR = „polymerase chain reaction”) diagnostische
Tests zum Nachweis der Aktivität dieses Gens mit einer Spezifität von etwa 91 % und
einer Sensitivität von ungefähr 97 % maligne Zellen im Punktionsmaterial detektieren.
Besonders bei zytologisch nicht eindeutigen Befunden kann dies die Diagnosestellung
entscheidend verbessern.
Therapeutische Zielgene müssen zusätzlich zur tumorspezifischen Expression Angriffspunkte
für potenzielle Interventionsstrategien bieten. Anhand von Expressionsprofil-Analysen
des Pankreaskarzinoms konnten wir kürzlich belegen, dass das Gen für das „Tight-Junction”-Protein
Claudin-4 im Pankreaskarzinom stark überexprimiert wird. Im normalen Pankreas ist
eine Aktivität dagegen nicht nachweisbar. Das normalerweise im Darmepithel lokalisierte
Claudin-4-Protein dient neben seiner physiologischen Funktion auch als Rezeptor für
das zytotoxische Clostridium-perfringens-Enterotoxin (CPE), dem Auslöser von Reisediarrhöen.
Im Tierversuch mit subkutan implantierten Claudin-4-exprimierenden Pankreastumoren
in immundefizienten Mäusen war zu beobachten, dass die intratumorale CPE-Injektion
zur effizienten Lyse der Tumorzellen und zu einer deutlichen Verkleinerung der Tumore
führt. Claudin-4-negatives Gewebe dagegen wird nicht geschädigt ([Abb. 2 ]; [3 ]). Damit ist Claudin-4 eines der ersten therapeutischen Zielgene, das über Expressionsprofil-Analysen
identifiziert wurde.
Eine Vielzahl wertvoller Informationen
Eine Vielzahl wertvoller Informationen
Die Möglichkeiten der Array-Technologie gehen jedoch weit über die Anwendung als bloßes
Kandidatengen-Screening hinaus. In der Analyse der enormen Datenmengen, die in Array-Experimenten
typischerweise erzeugt werden, können auch komplexe Zusammenhänge sichtbar gemacht
werden. Mit konventionellen Verfahren lässt sich diese Aufgabe allerdings nicht bewältigen,
sodass in zunehmenden Maße Verfahren zur Mustererkennung und Datenklassifikation aus
der Informatik zum Einsatz kommen.
Im Bereich der Onkologie eignen sich solche komplexen bioinformatischen Verfahren
zur Expressionsprofil-Analyse vor allem in der molekularen Klassifizierung von Tumoren.
Aus der Analyse von Biopsaten oder chirurgischen Resektaten werden typische Genexpressionsmuster
extrahiert, anhand derer sich die Proben bekannten Subtypen von Tumoren zuordnen lassen
(„class prediction”). Zusätzlich können diese Muster in Verbindung mit klinischen
Patientendaten zur Entdeckung neuer, bislang diagnostisch nicht differenzierbarer
Tumor-Subtypen mit prognostisch oder therapeutisch relevanten Eigenschaften führen
(„class discovery”).
Klassifizierung von Tumoren
Klassifizierung von Tumoren
Der routinemäßige Einsatz von genomweiten DNA-Chips/Mikroarrays ist jedoch - sowohl
analytisch als auch finanziell - sehr aufwändig. Daher ist man bestrebt, durch eine
Vorauswahl relevanter Gene spezialisierte „Diagnose-Chips” zu entwickeln, die in der
Analyse klinischer Tumorbiopsate die Aufgaben der „class prediction” und „class discovery”
erfüllen können. Abhängig von der Auswahl der auf dem Array repräsentierten Gene lässt
sich auf diese Weise prinzipiell bestimmen, von welchem Gewebe oder Zelltyp ein Tumor
abstammt. So können Primärtumore von Metastasen unterschieden bzw. die ungefähre Lokalisation
eines noch nicht identifizierten Primärtumors vorhergesagt werden.
Relevanz gewinnt diese Fragestellung vor allem vor dem Hintergrund, dass mit herkömmlichen
diagnostischen Methoden 15-20 % aller Raumforderungen in der Leber (das entspricht
etwa 3 % der insgesamt diagnostizierten Karzinome) als „cancers of unknown primary”
(CUP-Syndrom) klassifiziert werden, die mangels spezifischer Behandlungsstrategien
mit einer sehr ungünstigen Prognose einhergehen.
Auch die differenzialdiagnostisch oftmals schwierige Abgrenzung von malignen gegenüber
benignen oder entzündlichen Prozessen lässt sich mit einer geeigneten Genauswahl bewerkstelligen.
In diesem Zusammenhang konnten wir in ersten klinischen Studien mit einem in unserer
eigenen Arbeitsgruppe entwickelten 500-Gene-Array zur differenziellen Diagnose von
Tumoren des Gastrointestinaltrakts nachweisen, dass dieser Array zuverlässig zwischen
malignen und entzündlichen Raumforderungen im Pankreas differenziert ([Abb. 3a ] und [3b ]).
Individualisierung von Therapieoptionen
Individualisierung von Therapieoptionen
Über die rein diagnostische Anwendung hinaus liegt jedoch ein großes Potenzial dieser
Technologie in der Konzipierung spezifischer, auf jeden Patienten individuell abgestimmter
Therapien. Mit den Methoden der Array-Technologie lässt sich in einem einzelnen Detektionsschritt
simultan eine Vielzahl verschiedener prognostischer Marker erfassen, die Informationen
über den zu erwartenden Verlauf der Erkrankung liefern können.
Zum Beispiel weist eine Überexpression von Wachstumsfaktoren oder ihren Rezeptoren
bzw. die Ausbildung von so genannten „autocrine loops” auf ein ausgeprägtes proliferatives
Potenzial des Tumors hin, während eine Deregulation von Matrix-Metalloproteinasen
und ihren Inhibitoren Rückschlüsse auf die Neigung zur Metastasierung zulassen. Gleichzeitig
lässt sich das stetig zunehmende Wissen über die an der Resistenzbildung gegen bestimmte
Chemotherapeutika beteiligten Gene dazu nutzen, um im Zusammenspiel mit weiteren klinischen
Parametern bereits im Vorfeld einer Therapie die jeweils Erfolg versprechendste Kombination
verschiedener therapeutischer Verfahren und Nachsorgemaßnahmen zu ermitteln.
Geringe Mengen von Biopsiematerial reichen aus
Geringe Mengen von Biopsiematerial reichen aus
Die größte Herausforderung für die routinemäßige klinische Anwendung der Array-Technologie
liegt in der häufig sehr begrenzten Menge des zur Verfügung stehenden Untersuchungsmaterials.
Für die Studien mit unserem oben beschriebenen Diagnose-Chip setzen wir ein so genanntes
lineares Amplifikations-Verfahren ein. Dieses erlaubt es uns, aus geringen Materialmengen
- wie sie zum Beispiel aus Feinnadelpunktionen gewonnen werden - zuverlässige Expressionsprofile
zu erstellen. Unsere Ergebnisse zeigen am Beispiel des Pankreaskarzinoms, dass sonografisch
oder endosonografisch gesteuerte Feinnadelbiopsien mit anschließender Expressionsprofil-Analyse
eine präzise Diagnose solider Tumore erlauben ([Abb. 3a ] und [3b ]).
Ein besonders interessanter Ansatz besteht in der Isolierung zirkulierender Tumorzellen
aus peripherem Blut. Dies ist eine äußerst attraktive Möglichkeit, aus einfach zu
gewinnenden Blutproben wertvolle Informationen über das Vorhandensein und die Eigenschaften
eines Tumors zu generieren. Jüngst publizierte Ergebnisse von Klein und Mitarbeitern
[1 ] zeigen, dass es mithilfe spezieller Amplifikationsverfahren möglich ist, sogar aus
einzelnen disseminierten Tumorzellen aus peripherem Blut und/oder Knochenmark sowohl
Genom- als auch Expressionsprofil-Analysen durchzuführen - die bis zu einem gewissen
Grad Rückschlüsse auf den zugrunde liegenden Tumor zulassen.
Insgesamt hat die DNA-Chip/Mikroarray-Technologie also ein enormes Potenzial für die
Entwicklung neuer diagnostischer, prognostischer und therapeutischer Verfahren in
der Onkologie. Aus der onkologischen Grundlagenforschung ist sie bereits heute kaum
mehr wegzudenken. Auch wenn DNA-Arrays bis auf wenige Ausnahmen noch ein gutes Stück
von der Anwendung der klinischen Routine entfernt sind, ist zu erwarten, dass diese
Technologie in der nahen Zukunft zum diagnostischen Standardrepertoire des Onkologen
gehören wird.
Abb 1. Genfragmente in Mikrotiterplatten (a), Roboter-Druckkopf mit Präzisionsnadeln zur
Übertragung der Genfragmente (b), puffergetränkte Nylonmembranen zur Immobilisierung
der Genfragmente (c) (zentrale Chip-Facility des Universitätsklinikums Ulm)
Abb 2. Zu sehen sind die Pankreastumore nach der Injektion von normaler Saline (a) und C.-perfringens-Enterotoxin
(b). CPE führt zur Tumorzelllyse und zu einer deutlichen Verkleinerung des Tumors
(Pfeile)
Abb 3a. Überblenddarstellung von Beispielhybridisierungen mit chronischer Pankreatitis- und
Pankreaskarzinom-Proben auf dem „Diagnose-Chip”. Gene, die in der chronischen Pankreatitis
stärker exprimiert sind, erscheinen grün, karzinomspezifische Gene rot und gleichmäßig
exprimierte Gene gelb
Abb 3b. Ausschnitt aus der „Cluster-Analyse” einer Serie von Expressionsprofil-Analysen von
Pankreasgeweben mit dem „Diagnose-Chip”. Die farbigen Zellen repräsentieren die Expressionsstärke
der Gene (Kennzeichnung nach Position auf dem Array, z.B. „I01a”) in den verschiedenen
Geweben. Grün bedeutet niedrige, rot hohe und schwarz mittlere Expressionsstärke.
Pankreaskarzinom- und Pankreatitis-Proben lassen sich eindeutig voneinander differenzieren.
Die mit Sternchen gekennzeichneten Proben stammen aus Feinnadelbiopsien von Pankreaskarzinomen