Einleitung
Unabhängig von der jeweiligen Pathogenese ist das Ulcus cruris in den Industrienationen
eine häufige Diagnose. Auf der Grundlage von insgesamt acht umfangreichen epidemiologischen
Untersuchungen in Schweden, England und Australien wurde eine durchschnittliche Prävalenz
von 0,29 % berechnet. Je nach Studienaufbau waren bei den einzelnen Untersuchungen
Prävalenzen zwischen 0,12 und 0,63 % ermittelt worden [1]. Darüber hinaus finden sich in der Literatur mit 1,0 - 1,3 % auch deutlich höhere
Angaben zur Prävalenz, was sich unter anderem dadurch erklärt, dass bei den entsprechenden
Untersuchungen vereinzelt auch anamnestisch vorhandene Ulzera mit erfasst worden sind
[2]. Innerhalb der Gruppe der Unterschenkelulzera ist das Ulcus cruris venosum mit weitem
Abstand am häufigsten vertreten. Nach Angabe der Alexander House Group sind je nach
ausgewerteter Untersuchung 57 - 80 % aller Unterschenkelulzera auf eine venöse und
10-25 % auf eine arterielle Erkrankung zurückzuführen [4]. Neben den vaskulären Ursachen gibt es zahlreiche weitere Grunderkrankungen, die
sich in seltenen Fällen als Ulcus cruris manifestieren können. Hierzu zählen unter
anderem die Vaskulitiden, das Pyoderma gangraenosum, hämatologische Erkrankungen,
Infektionen, Arzneimittelnebenwirkungen und kutane Malignome [5].
Dabei kann die klinisch-morphologische Abgrenzung zwischen dem Ulcus cruris venosum
und den verschiedenen, in Einzelfällen auch ulzerierten Malignomen der Haut besondere
Schwierigkeiten bereiten. Diese Einschätzung gilt im Übrigen auch für das seltene
Vorkommen der malignen Transformation eines Ulcus cruris venosum [6]
[7]. Somit ist die Situation bei der pathogenetischen Einordnung der Unterschenkelulzera
dadurch gekennzeichnet, dass diese insgesamt häufig vorkommende Erkrankung in den
meisten Fällen auf eine venöse Insuffizienz zurückzuführen ist, während andererseits
jedoch in seltenen Fällen weitere Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen sind, die
für die betroffenen Patienten naturgemäß eine ganz andere Bedeutung erlangen können
als die venös bedingten Unterschenkelulzera. Schwerwiegende Folgen können sich dann
ergeben, wenn ulzerierte Malignome der Unterschenkel zunächst als solche nicht erkannt
werden, was durch die nachfolgende Kasuistik verdeutlicht werden soll.
Kasuistik
Anamnese
Im Mai 2000 bemerkte der damals 54-jährige Patient eine ohne ersichtlichen Grund entstandene
Wunde an der Streckseite des rechten Unterschenkels. Der Befund wurde zunächst von
seinem Hausarzt als ein Ulcus cruris venosum angesehen und mit verschiedenen fibrinolytisch
wirksamen oder antibiotikahaltigen Salben behandelt. Neben einer zusätzlich verordneten
Kompressionstherapie wurde der Befund wiederholt mit einem scharfen Löffel mechanisch
gereinigt. Trotz dieser konsequent durchgeführten Behandlungen nahm das vermeintliche
Ulcus cruris venosum kontinuierlich an Größe zu, so dass der Patient im November 2000
in die Hautklinik Bremerhaven eingewiesen wurde.
In der weiteren Anamnese ergaben sich im Übrigen keine Hinweise für früher aufgetretene
Thrombosen, Phlebitiden oder andere Ursachen bzw. Symptome einer chronisch-venösen
Insuffizienz.
Dermatologischer Befund
Distal an der Streckseite des rechten Unterschenkels fand sich ein ca. 8 -12 cm durchmessender,
aus konfluierenden Knoten zusammengesetzter, oberflächlich erodierter, leicht blutender
und speckig belegter Tumor von derber Konsistenz. Die Randbereiche des Tumors waren
umschrieben wallartig aufgeworfen oder zeigten, bedingt durch einzelne Knoten, eine
polyzyklische, auf die umgebende Haut übergreifende Begrenzung. Die unmittelbare Umgebung
des Tumors zeichnete sich durch bizarr konfigurierte, unscharf begrenzte Hyperpigmentierungen
aus, während klinische Zeichen einer chronisch-venösen Insuffizienz nicht beobachtet
werden konnten (Abb. [1] u. [2]).
Abb. 1 Ulzeriertes Leiomyosarkom Unterschenkelstreckseite rechts.
Abb. 2 Detailaufnahme: In die umgebende Haut infiltrativ einwachsende Knoten.
Histopathologischer Befund
Probebiopsie aus dem Randbereich des Tumors: Das gesamte Exzisat eingenommen von einer
malignen mesenchymalen Neoplasie mit ausgedehnten landkartenförmig begrenzten Tumornekrosen.
Die Tumorzellen abschnittsweise spindelzellig oder epitheloid und von erheblicher
Zellgröße. Sehr große, häufig vesikuläre Zellkerne mit plumpen, pleomorphen Nukleolen.
Relativ helles, leicht eosinophiles Zytoplasma. In zahlreichen Tumorzellen große zytoplasmatische
Vakuolen. Zahlreiche, auch atypische Mitosen.
Immunhistochemie
Expression der Tumorzellen von Vimentin, Zytokeratin und glattmuskulärem Aktin. Keine
Expression von CD 20, CD 30, LCA, EMA und Melan-A. Expression von CD 34 und Faktor
VIII-assoziiertes Antigen durch die Gefäßendothelien, nicht jedoch durch die Tumorzellen
selbst.
Diagnose: Wenig differenziertes, epitheloides Leiomyosarkom.
Ergänzende Untersuchungen
Rö Unterschenkel rechts: Subperiostale Verknöcherung der distalen Tibia. Weichteildichte
Raumforderung prätibial.
CT/MRT Unterschenkel rechts: Solide Raumforderung prätibial ohne Kontakt zum Knochen.
Die solide Periostreaktion oberhalb des Tumors am ehesten durch Lymphabflussstörung
bedingt. Der Tumor hat die Faszien zur Tibialis-anterior-Loge infiltriert.
Ganzkörperszintigraphie: Fleckige Mehranreicherung distaler Unterschenkel rechts.<
CT Thorax/Abdomen: Subdiaphragmal li. ca. 1 cm großer solitärer Rundherd. Übriger
Befund unauffällig.
Sonographie Leisten: Inguinal rechts mehrere, bis zu 2 cm durchmessende, sonomorphologisch
suspekte Lymphknoten.
Rö Thorax und Oberbauchsonographie: Unauffällige Befunde.
Therapie und Verlauf
Aufgrund der Ausdehnung des Tumors erfolgte die Unterschenkelamputation in Verbindung
mit einer Leistenlymphknotenexstirpation rechts. Die histopathologische Aufarbeitung
des Unterschenkels zeigte eine flächenhafte Tumorinfiltration bis in das periostale
Weichteilgewebe der Tibia. Darüber hinaus fanden sich Metastasen in zwei von insgesamt
zehn exzidierten Lymphknoten. Die empfohlene Lungenteilresektion links lehnte der
Patient zunächst ab. Daraufhin erfolgten fünf Zyklen einer Chemotherapie mit Doxorubicin
und Ifosfamid. Bei einem anschließenden Re-Staging zeigte sich bedauerlicherweise
eine Zunahme der intrapulmonalen Metastasierung. Auch eine dann im September 2001
vorgenommene pulmonale Metastasenresektion konnte den Verlauf der Erkrankung nicht
mehr beeinflussen. Der Patient verstarb zwei Monate nach der Thorakotomie.
Diskussion
Zu den verschiedenen, auch an den Unterschenkeln gelegentlich in ulzerierter Form
auftretenden kutanen Malignomen zählen in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit die Basalzellkarzinome,
die Melanome und die Plattenepithelkarzinome sowie vereinzelt auch Kaposi-Sarkome,
Leiomyosarkome und Lymphome [5]
[8]
[16]. Darüber hinaus kommt es vereinzelt zur malignen Transformation vorbestehender venöser
Ulzera oder zur Ausbildung ulzerierter Fistelkarzinome bei chronischer Osteomyelitis
[6]
[9]
[10]. In Einzelfällen müssen die genannten Tumorformen von zahlreichen Unterschenkelulzera
anderer Genese, insbesondere jedoch vom Ulcus cruris venosum, differenzialdiagnostisch
sicher abgegrenzt werden. Dass diese Forderung keineswegs unproblematisch ist, zeigen
verschiedene Kasuistiken, die Patienten mit ulzerierten Malignomen der Unterschenkel
beschreiben, die trotz jahrelanger Verläufe zunächst nicht diagnostiziert worden waren
[11]
[12]
[13]. Dabei lassen sich verschiedene epidemiologische, anamnestische und klinisch-morphologische
Faktoren aufführen, die die Problematik der differenzialdiagnostischen Abklärung zwischen
einem Ulcus cruris venosum und den verschiedenen ulzerierten Malignomen der Unterschenkel
verdeutlichen. Innerhalb der Gruppe der Unterschenkelulzera ist das Ulcus cruris venosum
mit bis zu 80 % am häufigsten vertreten, während ulzerierte Malignome der Unterschenkel
ausgesprochen selten sind [4]
[8]. Darüber hinaus zeigen sowohl das Ulcus cruris venosum als auch einzelne ulzerierte
Malignome der Unterschenkel epidemiologische Gemeinsamkeiten in ihrer Alters- und
Geschlechtsverteilung, so dass die entsprechenden Daten nicht als mögliche Hinweise
für die eine oder die andere Diagnose herangezogen werden können. So findet sich das
Ulcus cruris venosum nur in Ausnahmefällen vor dem 40. Lebensjahr, um anschließend
mit zunehmendem Alter einen kontinuierlichen Anstieg seiner Prävalenz zu zeigen. Dabei
sind Frauen in einem Verhältnis von 1 : 1,5 bzw. von 1 : 3 häufiger betroffen als
Männer [1]. Diese Situation ist durchaus vergleichbar mit den entsprechenden Daten bei ulzerierten
Malignomen der Unterschenkel. In einer von Scholz und Rompel zusammengestellten Statistik
der Hautklinik Kassel konnten innerhalb eines Zeitraumes von 20 Jahren 636 Patienten
mit Malignomen der Unterschenkel erfasst werden, von denen wiederum 96 Patienten ulzerierte
Tumorformen aufwiesen [8]. Innerhalb des Gesamtkollektivs waren Patientinnen sowohl in der Gruppe mit nicht
ulzerierten als auch in der Gruppe mit ulzerierten Malignomen häufiger vertreten als
die männlichen Patienten. Interessanterweise waren die Patienten mit ulzerierten Malignomen
zum Zeitpunkt der Diagnose mit durchschnittlich 68 Jahren älter als die Patienten
mit nicht ulzerierten Tumorformen, hatten darüber hinaus eine längere Anamnesedauer
und einen größeren Tumordurchmesser, was das Problem der Diagnosestellung bei ulzerierten
Malignomen der Unterschenkel noch einmal statistisch unterstreicht.
In der Anamnese der Patienten mit Unterschenkelulzera ergeben sich bisweilen Hinweise,
die an ein ulzeriertes Malignom denken lassen sollten. Dabei sind Krankheitsverläufe
suspekt, bei denen trotz korrekter Therapie eine kontinuierliche Progression der Ulzera
beobachtet werden muss. Auch vollständig fehlende Schmerzen wären für ein Ulcus cruris
venosum eher untypisch. Ferner sollte in Zweifelsfällen - z. B. bei ungewöhnlichen
Lokalisationen der Ulzera - auf möglicherweise vorbestehende Dermatosen geachtet werden,
bei denen erfahrungsgemäß maligne Transformationen vorkommen können. Hierzu zählen
am Unterschenkel atrophische Narben, Fisteln bei chronischer Osteomyelitis, das Radioderm,
die Morphaea und bekannte Naevuszellnaevi [9]
[10]
[14]. Die Länge der Anamnese eines Ulcus cruris und die damit verbundene Einschätzung
des Größenwachstums lassen hingegen kaum Rückschlüsse auf die jeweilige Dignität zu.
Bei ulzerierten Basalzellkarzinomen der Unterschenkel sind Zeiträume von Jahrzehnten
beschrieben worden, bis die Ulzerationen handtellergroße Ausdehnungen erreicht hatten,
während andererseits z. B. Leiomyosarkome - wie auch in dem hier vorgestellten Fall
- nur wenige Monate benötigen, um eine vergleichbare Größe zu entwickeln [15]
[16]
[17].
Bei der Beurteilung der klinischen Morphologie ist zunächst festzustellen, dass auch
bei der Differenzialdiagnose der Unterschenkelulzera keine sicheren Zeichen der Malignität
definiert werden können. Das vermutlich wichtigste morphologische Kriterium ist die
Tatsache, dass ein ulzeriertes Malignom kein Ulkus im eigentlichen Sinne darstellt,
sondern in den meisten Fällen eine knotige Struktur ausbildet, die dann erst sekundär
oberflächlich ulzeriert. Dabei bleibt die ursprünglich knotige Struktur häufig vollständig
oder umschrieben in den Randbereichen des Tumors erhalten, wobei randständige Knoten
infiltrierend in die umgebende Haut einwachsen können [15]. Interessanterweise wurde bei ulzerierten Basalzellkarzinomen der Unterschenkel
vereinzelt darauf hingewiesen, dass diese entgegen der allgemeinen Erwartung keineswegs
immer einen knotigen Randsaum ausbilden müssen, sondern sich vielmehr flach in die
umgebende Haut fortsetzen können [5]
[17]. Dagegen gelten grobknotige, bucklig erscheinende oder verrukös wirkende Granulationsformen
besonders in Verbindung mit fehlender Epithelisierungstendenz als weitere Zeichen
einer möglicherweise bestehenden Malignität [6]
[12]
[18]. Das vermeintliche Granulationsgewebe kann sich dabei durch einen auffallend derben
Palpationsbefund auszeichnen. Auch spontan oder durch Berührung auslösbare, länger
anhaltende Blutungen sollten als suspekt angesehen werden [5]
[12]. Morphologische Besonderheiten einzelner Malignome können sich selbstverständlich
auch bei ulzerierten Varianten dieser Tumorformen wiederfinden. So zeigen sich bei
ulzerierten Melanomen und ulzerierten Kaposi-Sarkomen häufig noch typische Pigmentierungen
in den Randbereichen.
Ein weiterer morphologischer Hinweis, der bei der diagnostischen Einschätzung eines
Ulcus cruris stets berücksichtigt werden sollte, ist der Umstand, dass ein Ulcus cruris
venosum immer in Kombination mit anderen klinischen Symptomen der chronisch-venösen
Insuffizienz auftritt. Vor dem Hintergrund einer möglichen Koinzidenz schließt allerdings
auch das klinische Bild der chronisch-venösen Insuffizienz ein gleichzeitig aufgetretenes
ulzeriertes Malignom keineswegs aus [19].
Bei dem hier vorgestellten Patienten fanden sich anamnestisch und klinisch-morphologisch
verschiedene Hinweise, die für ein ulzeriertes Malignom sprachen. Dabei ist das kutane
Leiomyosarkom sicher eine sehr seltene Differenzialdiagnose zum Ulcus cruris venosum.
Die Häufigkeit der Leiomyosarkome wird innerhalb der Gruppe der malignen Weichteiltumoren
mit 2,3 - 5,3 % angegeben [20]
[21]. Die klinische Morphologie der oberflächlichen Leiomyosarkome ist abhängig vom Ort
ihrer Entstehung innerhalb der Hautstrukturen, wobei kutane und subkutane Formen voneinander
abgegrenzt werden können [20]
[22]. Die kutanen, von den Mm. arrectores pilorum abstammenden Leiomyosarkome wachsen
langsam und bestehen in der Regel aus derben, miteinander verwachsenen Knoten von
rötlicher bis bräunlicher Verfärbung. Hämorrhagische Krusten und Ulzerationen werden
als weitere klinische Merkmale angegeben [23]
[24]. Subkutane Leiomyosarkome, die im Bereich der glatten Muskulatur subkutaner Gefäße
entstehen, zeigen sich klinisch als knotige, in der Tiefe lokalisierte Strukturen,
wobei sich die Oberfläche der Haut häufig unverändert darstellt. Beide Varianten der
oberflächlichen Leiomyosarkome finden sich am häufigsten an den unteren Extremitäten,
seltener am Stamm [25]
[26].
Als Fazit der Kasuistik bleibt abschließend festzustellen, dass die Diagnose eines
ulzerierten Malignoms der Unterschenkel letztendlich davon abhängt, ob man im Einzelfall
die Möglichkeit eines solchen Geschehens überhaupt in Erwägung zieht. Für die Diagnose
entscheidend ist die Durchführung einer histopathologischen Untersuchung.