Einleitung
Neben den Tuberkulose- und Leprabakterien gibt es eine Gruppe von Mykobakterien, die
als atypische, nichtklassifizierbare oder nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM) oder
auch MOTT (mycobacteria other than tubercule bacilli) bezeichnet werden. Sie kommen
ubiquitär vor und werden nicht von Mensch zu Mensch übertragen.
Durch die Zunahme immunsupprimierter Patienten im Zeitalter von AIDS haben die atypischen
Mykobakteriosen an Bedeutung gewonnen, da generalisierte Formen, die insbesondere
den Gastrointestinaltrakt sowie die Lunge betreffen, hauptsächlich bei Immunsupprimierten
vorkommen. Dennoch sind auch lokalisierte Hautinfektionen bei immunkompetenten Patienten
bekannt, wie beispielsweise das durch Mycobacterium marinum verursachte Schwimmbadgranulom,
das nach Inokulation großer Bakterienmengen entsteht. Dieses Mykobakterium zählt unter
den knapp vierzig bekannten zu den potenziell pathogenen Erregern, denen etwa die
Hälfte zuzuordnen ist [1]
[2].
Das im Erdboden und Wasser weit verbreitete Mycobacterium gordonae besitzt hingegen
eine sehr geringe Pathogenität. Bei Gesunden ist eine saprophytäre Besiedlung der
Schleimhäute häufiger als mit jedem anderen bekannten Mykobakterium nachweisbar [3], deren Ursache möglicherweise in der häufigen Kontamination des Trinkwassers zu
suchen ist und dem Mycobacterium gordonae den Beinamen „water bacillus” eingebracht
hat [4]
[5]. Infektionen sind selten und bisher ausschließlich in Einzelfällen in der Literatur
berichtet worden, die meist Immunsupprimierte oder Patienten mit schwerem Grundleiden
betreffen [6]. Viel seltener sind immunkompetente Individuen erkrankt [6]
[7]
[8]. Bisher wurden drei Fälle chronischer Keratitiden durch Mycobacterium gordonae nach
Verletzungen beschrieben [9]
[10]
[11].
Im Folgenden berichten wir über einen 41-jährigen immunkompetenten Patienten mit einer
Hautinfektion durch Mycobacterium gordonae.
Fallbericht
Anamnese und Hautbefund
Ein 41-jähriger Güterwaggon-Lokführer stellte sich ambulant mit seit zwei Jahren bestehenden
7 × 7 cm großen, erythematösen sowie feinlamellär schuppenden Hauläsionen mit deutlicher
Infiltration und Induration im Bereich des linken Schienbeins vor, die dem klinischen
Aspekt eines mikrobiellen Ekzems, eines Granuloma anulare oder einer Necrobiosis lipoidica
ähnelten (Abb. [1]).
Abb. 1 Infiltrierte erythematöse Plaques als klinischer Aspekt der atypischen Mykobakteriose.
Grunderkrankungen oder Infektionskrankheiten sowie andere Hauterkrankungen waren nicht
eruierbar.
Der Patient berichtet über häufigen Hautkontakt zu Pfützenwasser auf dem Güterbahnhof
aufgrund durchnässter Arbeitskleidung. Ein Trauma oder eine Hautläsion in diesem Areal
sind ihm nicht erinnerlich.
Histologie/direkte Immunfluoreszenz
Die histologische Untersuchung zeigte ein psoriasiformes, lichenoides plasmazelluläres
Infiltrat und eine spongiotische Interface-Dermatitis, jedoch keine Granulombildung
(Abb. [2]).
Abb. 2 Spongiotische Interface-Dermatitis bei atypischer Mykobakteriose.
In der Ziehl-Neelsen-Färbung waren keine säurefesten Stäbchen nachweisbar. Die PAS-Reaktion
wies keine Pilzmyzelien nach. Auch die Alzianblau-Färbung zum Nachweis von Muzinablagerungen
fiel negativ aus.
Ausschließlich in der mikrobiologischen Kultur wurde Mycobacterium gordonae nachgewiesen.
Ausgehend von der Kultur wurde eine Typendifferenzierung durch Nachweis von Mykobakterien-DNA
mittels spezifischer Gensonde für M. gordonae in der PCR (Polymerasekettenreaktion)
nachgewiesen.
Weitere Befunde
Sowohl Routinelaboruntersuchungen, mykologische und bakterielle Kulturansätze, die
Borrelien- und Luesserologie und der HIV-Test erbrachten keinerlei auffälligen Befunde.
Die sonographische Untersuchung des Abdomens sowie der Röntgen-Thorax zeigten keinerlei
Hinweise auf eine zugrunde liegende Erkrankung. Die Stuhl-, Urin- und Sputumuntersuchungen
zum Nachweis von Mykobakterien waren unauffällig.
Diagnose
Atypische Mykobakteriose durch Mycobacterium gordonae.
Therapie und Verlauf
Der Patient erhielt unter dem Verdacht des Vorliegens eines Ekzems extern hochpotente
Steroide, unter welchen sich die Hauterscheinungen deutlich verschlechterten.
Trotz anfänglich negativer Untersuchungsbefunde wurde mangels Nichtansprechen externer
Medikamente und bei ausbleibender Spontanheilung ein Therapieversuch mit Doxyzyklin
(200 mg/d) und Trimethoprim /Sulfamethoxazol (160/800 mg/d) unternommen. Die Hautveränderungen
blieben unverändert in Größe, Farbe und Infiltrationsgrad.
Zu einer Regression der Läsionen kam es jedoch erst mit Umstellung der Therapie auf
Clarithromycin (500 mg/d) und Moxifloxacin (400 mg/d), die sich laut Antibiogramm
als sensibel erwiesen. Eine Abnahme der Infiltration und eine Abblassung des Erythems
waren zu verzeichnen (Abb. [3]).
Abb. 3 Atypische Mykobakteriose vier Monate nach Therapiebeginn.
Eine tuberkulostatische Therapie mit Rifampizin oder Isoniazid wurde daher nicht für
notwendig erachtet.
Besprechung
Die Hautinfektion durch Mycobacterium gordonae bei Patienten ohne Immundefizienz ist
aufgrund der geringen Pathogenität des Erregers sehr selten. Weyers (1996) beschrieb
eine kutane Infektion durch M. gordonae bei einem Patienten, der sich bei der Gartenarbeit
verletzt hatte und nachfolgend am Zeigefinger einen erythematösen, infiltrierten Plaque
entwickelte [6]. Über einen weiteren Patienten, der nicht immunsupprimiert war, mit Hautveränderungen
im Bereich der linken Fußsohle und ähnlichem Erscheinungsbild wurde berichtet [12]. Einige andere Autoren beschrieben Hautinfektionen durch M. gordonae bei zugrunde
liegender Immunsuppression [13] oder iatrogener Immunsuppression durch die Gabe systemischer Kortikosteroide [14].
Andere Organsysteme sind bei immunkompetenten Patienten ebenso selten, jedoch häufiger
als die Haut, betroffen. Das Spektrum der Erkrankungen durch M. gordonae reicht bei
Patienten ohne Immundefizienz von Keratitiden [10]
[11]
[15] über Pneumonien [8]
[16]
[17]
[18] bis hin zur zervikalen Lymphadenitis [19].
Die Diagnostik der M. gordonae bedingten Hautinfektionen ist häufig sehr schwierig,
da Abstriche aufgrund der ubiquitären Verbreitung sehr unzuverlässig sind und M. gordonae
in der Ziehl-Neelsen-Färbung fast nie nachweisbar ist. Die Histologie, wie in unserem
Fall, ist häufig unspezifisch und lässt keinen Rückschluss auf das Vorliegen einer
atypischen Mykobakteriose zu. Die Gewebekultur aus dem Hautbioptat kann ebenso wie
die In-situ-Hybridisierung falsch negativ oder falsch positiv infolge von Kontamination
sein [6].
Aufgrund dieser Problematik hat Jenkins 1959 vier Kriterien formuliert, um die Diagnosestellung
zu erleichtern: Die Abwesenheit anderer Mykobakterien, der Nachweis in der Biopsie
sowie wiederholte Isolierung des gleichen Mykobakteriums in Kombination mit dem übereinstimmenden
klinischen Bild und dem Ansprechen auf die Therapie sind ausschlaggebend für die Diagnosesicherung
(Tab. [1]).
Tab. 1 Diagnosekriterien für atypische Mykobakteriosen nach [21]
Abwesenheit anderer Mykobakterien |
Nachweis in der Biopsie |
wiederholte Isolierung des gleichen Mykobakteriums in Übereinstimmung mit dem klinischen
Bild |
Ansprechen auf Therapie |
In dem von uns geschilderten Fall waren alle Kriterien zutreffend. Der Patient wies
charakteristische Hautveränderungen entlang des Lymphabflusses auf. Allerdings können
sich, wie bei anderen Mykobakteriosen auch, multiple Läsionen manifestieren. Trotz
mehrer Gewebekulturen wurde ausschließlich M. gordonae wiederholt nachgewiesen, auch
wenn der histologische Befund unspezifisch blieb.
Die Behandlung einer Hautinfektion durch M. gordonae gestaltet sich mindestens ebenso
schwierig wie die Diagnose selbiger. Kleinere Läsionen können exzidiert und mittels
Dehnungsplastik verschlossen werden. Für größere Hautveränderungen, bei denen die
operative Intervention nicht infrage kommt, sollte die medikamentöse Therapie in Abhängigkeit
von der Erregerresistenzbestimmung erfolgen.
Als mögliche Therapieoptionen werden die Gabe von Rifampizin über 6 Monate [14] oder die Kombinationstherapie mit Trimethoprim (640 mg), Sulfamethoxazol (3200 mg),
Ethambutol (800 mg) und Cycloserin (500 mg) über neun Monate [20] oder die Gabe von Doxycyclin in Kombination mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol [20] genannt. Der alternative Einsatz von Ciprofloxazin, Ofloxacin, Clarithromycin [6] oder Moxifloxacin ist möglich.
Differenzialdiagnostisch sollten das Vorliegen einer Tuberkulose, einer Sporotrichose,
eines hypertrophen Lichen ruber und je nach Ausprägung der Hauterscheinungen eine
Verucca vulgaris in Betracht gezogen werden.
Obwohl atypische Mykobakteriosen durch Mycobacterium gordonae selten bei Patienten
ohne Immundefizienz vorkommen und sich sowohl durch einen komplizierten Diagnoseweg
als auch durch eine außergewöhnliche Therapieresistenz auszeichnen, sollte man beim
Vorliegen von infiltrierten, erythematösen Plaques bei Nichtansprechen externer Medikamente
in Assoziation mit einem vorangegangenen Trauma dieses Krankheitsbild nicht außer
Acht lassen.