Suchttherapie 2003; 4(2): 93-97
DOI: 10.1055/s-2003-39568
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

HEANTOS - Medikamentenentwicklung auf der Basis traditioneller vietnamesischer Medizin in der Behandlung von Drogenabhängigkeit

HEANTOS - Development of a Pharmalogical Treatment of Drug Addiction based on Traditional Vietnamese MedicineTran van Sung, Lutz Baehr, Anne Karow, Michael Krausz1
  • 1Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS)
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Prof. Dr. M. Krausz

c/o Zentrum für Psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im UKE

Martinistr. 52

20246 Hamburg

Publication History

Publication Date:
28 May 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Sucht und die Behandlung Suchtkranker sind eine internationale Herausforderung, die in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen unterschiedlich angegangen und gelöst wird. Gerade im Zusammenhang mit den begrenzten Ressourcen vieler sich entwickelnder Länder entsteht die Notwendigkeit einer Besinnung auf nationale Erfahrungen und der Entwicklung von eigenen Ressourcen und Strategien.

Dies wird in dem HEANTOS-Projekt exemplarisch in Vietnam verwirklicht. Auf der Grundlage von Erfahrungen der traditionellen Medizin wurde ein aus pflanzlichen Wirkstoffen bestehendes Medikament zur Behandlung der Drogenabhängigkeit im Rahmen der Entgiftung entwickelt, welches zurzeit intensiv klinisch erprobt wird. Die weitere wissenschaftliche Entwicklung von HEANTOS geschieht in Zusammenarbeit der vietnamesischen Projektgruppe mit der UNOPS (dem Projektträger der Vereinten Nationen), der UNESCO und verschiedener internationaler Arbeitsgruppen.

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Abstract

Addiction and treatment of addiction are international challenges approached and solved in various ways by different cultures and countries. Taking the limited resources of less developed countries into account, progress of national experiences and strategies is especially in those areas increasingly required.

The HEANTOS project in Vietnam integrates traditional experiences in a new treatment concept. On the basis of traditional vietnamnese medicine a herbal treatment for opiate addiction has been developed and is currently been investigated under clinical conditions intensively. Further scientific development of HEANTOS occurs under cooperation of the vietnamnese Project with the UNESCO and different international partners.

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Einführung

Heroinabhängigkeit und schädlichen Konsum psychotroper Substanzen gibt es nicht nur in Europa oder den USA. Sucht und ihre Behandlung sind eine internationale Herausforderung. Diese wird von den Gesellschaften entsprechend ihrer Kultur, Tradition und Möglichkeiten beeinflusst und unterschiedlich gestaltet [1]. Trotzdem bleiben die Diskussionen über Behandlungssettings und Interventionsstrategien im Rahmen der Suchttherapien in der Regel auf die lokalen oder bestenfalls nationalen Erfahrungen begrenzt. Viele wichtige Erkenntnisse gerade auch aus den sich entwickelnden Staaten finden zu wenig internationale Aufmerksamkeit und Verbreitung.

In verschiedenen Bereichen der Medizin gibt es ein zunehmendes Interesse, nicht zuletzt gefördert durch die Wünsche der Patienten, an „alternativen Heilmethoden” zur „klassischen Medizin”, z. B. in den Bereichen der Akupunktur, Homöopathie oder auch verschiedenen körperlichen Entspannungstechniken und Meditation. Dies kann wissenschaftlich und klinisch durch den Austausch von Erfahrungen und den Vergleich verlaufsbeeinflussender Faktoren zu einem umfassenderen Verständnis der Störungen, ihrer biologischen, kulturellen und sozialen Anteile beitragen und helfen, die Behandlung in den beteiligten Kulturen zu verbessern. Die Pflanzenheilkunde, die seit Jahrhunderten neben den genannten Methoden einen festen Platz in der traditionellen fernöstlichen Medizin einnimmt, findet in westlichen Nationen noch wenig Anwendung. Insbesondere in der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen gibt es, neben der bereits weitgehend etablierten Pharmakotherapie mit Johanniskraut, bislang kaum Versuche einer wissenschaftlich fundierten Anwendung pflanzlicher Wirkstoffe oder alternativer Methoden, auch wenn der klinische Alltag zeigt, dass alternative Medizin von vielen Patienten gewünscht wird und verschiedene Wirkstoffe, z. B. Vitaminpräparate in der Behandlung psychotischer Störungen, bereits jetzt jedoch in teilweise zweifelhafter und unprofessioneller Weise Anwendung finden.

Ziel dieser Arbeit ist es, anhand des Berichts über ein aktuelles Entwicklungsprojekt in Vietnam die Optionen transkultureller Forschung und der Integration traditioneller Medizin in die Suchttherapie zu erörtern.

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Traditionelle Medizin und westliche Medizin in Südostasien

Die traditionelle vietnamesische Medizin geht ähnlich wie die traditionelle chinesische Medizin von der Bedeutung des inneren Gleichgewichts in natürlichen Systemen aus, welches im Fall von Krankheiten gestört ist. Die Mobilisierung von natürlichen Ressourcen zur Therapie ist eine wesentliche Grundannahme. Die traditionelle Medizin versucht, die Natur bei dem Versuch des Ausgleichs der Defizite systematisch zu unterstützen [2]. Die traditionellen Heiler waren und sind in Südostasien in vielen Regionen, nicht zuletzt aus Gründen der Verfügbarkeit und Kostengründen, die Träger der Primärversorgung. In Vietnam, Korea und China gibt es neben den an der westlichen Medizin ausgerichteten Facharztausbildungen eine systematische Weiterbildung zum Facharzt für traditionelle Medizin. Seit Jahrzehnten bemüht man sich in Vietnam, die traditionelle Medizin in das öffentliche Gesundheitssystem zu integrieren. Mit dem Ziel, Risiken bei der Anwendung traditioneller Präparate zu minimieren und zu überwachen, werden aus staatlicher Initiative regulative Verordnungen erlassen.

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Opiatkonsum und Abhängigkeit in Vietnam

Vietnam liegt in der Region Opium anbauender Staaten. Es blickt damit auf eine jahrhundertealte Kultur des Opiumkonsums zurück [3] und einige ethnische Minderheiten, wie z. B. die Mongs in den Bergen Nordvietnams und Laos, haben den Opiumkonsum aus eigenem Anbau fest in ihre Kultur integriert. Damit verfügen sie über viele Erfahrungen im Umgang mit Opiumkonsum, Abhängigkeit und auch Entzugssituationen.

Heute ist in Vietnam der Anbau von Schlafmohn, aus dem Opium gewonnen wird, strengstens verboten. Schmuggel und Handel mit Drogen stehen unter schwerer Strafe. Ein Umstand, der in den vergangenen Jahren auch zu einigen Todesurteilen geführt hat. Trotz harter Strafen hat der Konsum von Drogen, insbesondere in den großen Städten, ständig zugenommen. Eine wesentlich Ursache für die Ausbreitung des Heroinkonsums mag an einer Verknüpfung von Drogen mit der für junge Vietnamesen erstrebenswerten „westlichen Lebensweise” liegen. Die Bestrafung der Drogenkonsumenten ist im Vergleich zu den Nachbarstaaten von Vietnam jedoch immer noch eher mild. Kleinere Vergehen werden zunächst mit einer polizeilichen Verwarnung und Registrierung geahndet. Fallen Konsumenten ein zweites Mal auf, greifen Therapieauflagen. Opiate sind in Vietnam relativ leicht zu erwerben und stammen in der Regel aus Laos. Die Kosten für den durchschnittlichen Tagesbedarf belaufen sich auf etwa 50 000 Dong (ca. 3 €). Ein durchschnittliches Monatsgehalt beträgt in Vietnam ca. 50-80 €.

Im Gegensatz zu den westlichen Erfahrungen scheinen vietnamesische Abhängige trotz langjähriger Abhängigkeit in einem höheren Maße beruflich und familiär integriert zu sein. Ein Umstand, der der traditionellen Lebensweise entspricht. Die meisten Konsumenten inhalierten Opium bis Mitte der 90er-Jahre, seitdem hat ein gravierender und Besorgnis erregender Wechsel stattgefunden. Mittlerweile ist das Heroin mit 80-90 % die Hauptkonsumpräferenz. Zusätzlich hat, entgegen den europäischen Entwicklungen, ein Trend zur intravenösen Applikation stattgefunden, verbunden mit einer dramatischen Zunahme der HIV-Infektionen. Nationale Zahlen waren nicht verfügbar, aber in Bezirksdrogeneinrichtungen liegen die Infektionsraten bei 40-90 %. Dies korreliert mit den Konsumgewohnheiten in der Gruppe, einem ausgeprägten „Needle-sharing”. Aufgrund polizeilicher Sicherstellungen und Behandlungsprävalenzen gehen Fachleute insgesamt von ca. 400 000 Opium- und Heroinabhängigen bei einer Bevölkerung von 78 Millionen aus. Die staatlichen Rehabilitationseinrichtungen behandeln pro Jahr ca. 42 000 Patienten. Kokainkonsum wird in den Hafenstädten, wie Haiphong, beobachtet, spielt jedoch insgesamt eine eher untergeordnete Rolle. Synthetische Substanzen sind zunehmend verfügbar und ein Problem. Frauen sind mit ca. 20 % unter den Heroinabhängigen vertreten.

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Behandlungssystem für Opiatabhängige in Vietnam

Angesichts des stärker werdenden Problems der Heroinabhängigkeit insbesondere in den beiden Millionenstädten Hanoi und Ho-Chi-Minh-City (Saigon) gibt es in Vietnam eine erste mündliche Debatte über die Entwicklung eines angemessenen Steuerungs- und Hilfesystems. Das bisherige Suchthilfesystem steckt noch in den Anfängen und besteht aus folgenden Elementen:

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Spezialisierte Entgiftungstherapie in Einrichtungen in der Region

In den verschiedenen Bezirken Vietnams gibt es zentralisierte Einrichtungen zur Entgiftung und Rehabilitation, in welche die Betroffenen überwiegend gegen ihren Willen durch Therapieauflagen auf Initiative der Polizei oder auch auf Bestreben ihrer Familien eingewiesen werden. Diese Einrichtungen sind in der Regel geschlossen und behandeln zuweilen 200 und mehr Abhängige gleichzeitig unter Aufwendung einer sehr geringen Anzahl von Ärzten und Pflegekräften. Die Behandlung dort erfolgt in den Bereichen Entgiftung, Arbeitsrehabilitation und Unterstützung bei der Wiedereingliederung. Das Standardverfahren der Entgiftung basiert auf der Verabreichung von Neuroleptika im Sinne des in Europa früher durchgeführten „kalten Entzugs”. Eine somato-medizinische Behandlung findet kaum statt. Diese Einrichtungen sind in der Regel außerhalb der Städte oder in Randgebieten aufzufinden und die Drogenabhängigen verbringen dort zwischen 3 und 9 Monaten unter strenger Kontrolle.

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Substitution

Offiziell gibt es in Vietnam keine reguläre Substitution, diese ist sogar analog zu anderen Staaten verboten. Erfahrungen gibt es in Vietnam mit einem längeren Projekt der Originalstoffvergabe (Opium) an ehemalige Kriegsteilnehmer und Veteranen sowie mit einem vor kurzem begonnenen Pilotprojekt zur Methadonsubstitution an ca. 100 Patientinnen und Patienten. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass es im Rahmen des regionalen Opiumanbaus immer wieder zu „Substitutionsbehandlungen” gekommen sein muss. Zusätzlich basierten viele der traditionellen Behandlungsrezepte der Opiatabhängigkeit und des -entzugs, aus denen HEANTOS letztlich entstanden ist, zunächst auf Opium.

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Das HEANTOS-Projekt

„HEANTOS” steht für ein Medikament und eine Behandlung, die ihren Ursprung in den Erkenntnissen der traditionellen Medizin in Vietnam hat. Das Medikament wurde in den 80er-Jahren aus insgesamt 13 verschiedenen Arzneipflanzen entwickelt (siehe „Die Geschichte des Herrn Dan”) und als erstes Medikament zur Behandlung von Drogenabhängigkeit 1991 vom vietnamesischen Gesundheitsministerium überprüft und als sicher und wirksam bewertet. Dennoch wurde es nicht für die öffentliche Verwendung zugelassen, da es u. a. Defizite in der Standardisierung aufwies. Zu dieser Zeit bestand HEANTOS nur in flüssiger Form, wie die Mehrzahl der Medikamente der traditionellen Medizin [4] [5] [6].

Das Interesse der Vereinten Nationen an HEANTOS, das zu einem internationalen Projekt mit Vietnam führte, war Mitte der 90er-Jahre in erster Linie von der Überlegung bestimmt, eine medizinisch wirksame und zugleich kosteneffektive Behandlung der Drogenabhängigkeit zu entwickeln und diese international verfügbar zu machen. Diese Ausrichtung erklärt das Bestreben, die wissenschaftlichen Voraussetzungen für die internationale Anwendung zu schaffen. Diese Möglichkeit wurde durch Hinweise verstärkt, die sich aus der erfolgreichen Entgiftung mehrerer tausend Heroinabhängiger in Vietnam, die mit HEANTOS behandelt worden waren, ableiteten. Außerdem gab es Hinweise auf geringere Rückfallraten im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden. Eine weitere Bedeutung in diesen Überlegungen wurde dem Befund beigemessen, dass HEANTOS keinerlei opiathaltige Substanzen im Sinne einer Substitutionsbehandlung enthält. Schließlich eröffnete die Zusammenarbeit in diesem Projekt die Möglichkeit, Erkenntnisse und Methoden für die wissenschaftliche Entwicklung erprobter traditioneller Medizin abzuleiten. Die Kooperation mit der UNOPS besteht seit Anfang 1996, nachdem die Regierung Vietnams, repräsentiert durch das Nationale Forschungszentrum für Chemie, Naturwissenschaften und Technologie, eine offizielle Anfrage an das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) mit dem Ziel einer internationalen Unterstützung für die Entwicklung von HEANTOS richtete. Während der vergangenen sieben Jahre wurde unter der Leitung des Nationalen Forschungszentrums für Chemie, Naturwissenschaften und Technologie an der weiteren Standardisierung und Verbesserung der Komposition von HEANTOS gearbeitet, die Inhaltsstoffe wurden an internationalen Normen ausgerichtet und HEANTOS wird mittlerweile in Kapselform hergestellt [7]. Leider wurden die bisher durchgeführten zahlreichen Behandlungen nur zu einem geringen Teil für die wissenschaftliche Auswertung ausreichend dokumentiert. Eine Auswertung des Verlaufs der Entgiftungsbehandlung von ca. 400 Opiatabhängigen ist jedoch in Arbeit.

Die Geschichte des Herrn Dan
Herr Dan repräsentiert aufgrund seiner Problemlösungsstrategien viele gute vietnamesische Tugenden. Auf der Basis der Erfahrungen in der eigenen Familie mit langjähriger Opiumabhängigkeit von Vater und Bruder sowie der entsprechenden Folgen für die Gesundheit und die soziale Situation begann Herr Dan mit der Suche nach geeigneten Behandlungsstrategien. Vor dem Hintergrund seiner Verbundenheit mit der traditionellen vietnamesischen Medizin und seiner beruflichen Tätigkeit als Heilpflanzen-Apotheker war er davon überzeugt, dass zwei Wege für die Entwicklung eines Medikamentes zur Behandlung von Abhängigkeit wichtige Informationen liefern könnten. Einerseits führte er eine intensive Untersuchung der Erfahrungen nordvietnamesischer, ethnischer Minderheiten mit ihrem kulturellen Opiumkonsum durch und trug vor diesem Hintergrund über 115 verschiedene Rezepturen für Heilkräuter und entsprechende Mischungen zusammen. Zusätzlich verfügte er selbst über jahrelange Erfahrungen eigener Opiatabhängigkeit und testete die traditionellen Behandlungsmethoden verschiedentlich auch an sich selbst, um schließlich zu der Entwicklung des Vorläufers der jetzt vorliegenden HEANTOS-Mischung zu kommen.

Seit 2001 liegt HEANTOS IV als einheitliches Präparat vor. Eine Kapsel des Präparats enthält 500 mg des Extraktes. Die Entzugsbehandlung mit HEANTOS erfolgt über 7 Tage, wobei die ersten 72 Stunden der eigentlichen Entgiftung dienen, die folgenden Tage der Stabilisierung. Die erste Dosis HEANTOS (20 Kps) wird ca. 5-6 h nach dem letzten Opiatkonsum gegeben, im günstigsten Fall am frühen Nachmittag. Ca. 8 h nach der ersten Gabe bzw. 8 h nach der zweiten Gabe erfolgt die zweite bzw. dritte HEANTOS-Dosis (je 20 Kps). Der Zeitpunkt der dritten Dosis sollte abhängig vom körperlichen Zustand und dem Grad des Entzugs gewählt werden. Bei stark ausgeprägter Entzugssymptomatik und starken Einschlafschwierigkeiten wurde in einigen Fällen zusätzlich einmalig Phenothiazin 25 mg zur Nacht gegeben. Die Dosierungen der folgenden Tage können dem Schema entnommen werden.

Tab. 1 Dosierungsschema HEANTOS IV
1. Tag2. Tag3. Tag4. Tag5. Tag6. Tag7. Tag
1. Dosis2. Dosis3. Dosis4. Dosis5. Dosis6. Dosis7. Dosis8. Dosis9. Dosis10. Dosis11. Dosis
Einnahmezeit gerechnet ab
letztem
Opiatkonsum
5-6 h14-15 h23-24 h32 h40-41 h52-53 h60-71 hzur Nachtzur Nachtzur Nachtzur Nacht
HEANTOS (Kps)2020201015101520201010

Erfahrungsbericht eines Internationalen Expertengremiums mit HEANTOS
Eine Gruppe internationaler Experten u. a. aus Skandinavien und den USA besuchte im Jahre 1999 Hanoi. Während ihres Aufenthalts begleitete diese Gruppe während mehrerer Tage den Entzug von insgesamt 12 vietnamesischen Opiatabhängigen, die in der Entzugseinrichtung Hoa Binh mit HEANTOS behandelt wurden, und fünf Drogenabhängiger (z. T. Mehrfachabhängiger) aus den USA, der Schweiz, Italien und Dänemark, die in Hanoi mit HEANTOS behandelt wurden. Die Entzugseinrichtung in Hoa Binh liegt ca. 100 km entfernt von Hanoi und ist dem Ministerium für Arbeit, Invalidität und Soziales (MOLISA) zugehörig. Diese Expertenkommission beschrieb die von ihr beobachteten Patienten als langzeitopiatabhängig (3-15 Jahre). Die Mehrzahl der Patienten wies verschiedene Entzugsbehandlungen in ihrer Vorgeschichte auf. Der Entzug, unter der Gabe von HEANTOS, wurde übereinstimmend von den Patienten und den Experten als milde beschrieben. Keine ausgeprägte körperliche Entzugssymptomatik wurde beobachtet und lediglich ein Patient der vietnamesischen Gruppe wurde zusätzlich aufgrund nicht näher beschriebener psychiatrischer Symptome einmalig mit Diazepam behandelt. Im Gegensatz dazu wurden die ausländischen Patienten zusätzlich mit Barbituraten und neuroleptisch behandelt. Als Begründung für diese Zusatzbehandlung wurde von den vietnamesischen Behandlern eine von ihnen vermutete größere Schmerzempfindlichkeit westlicher Abhängiger angegeben. Die Expertengruppe schlussfolgerte aus ihren gesamten Beobachtungen, dass 1. HEANTOS im Vergleich zu der in Vietnam üblichen Standardbehandlung mindestens besser abschneide, 2. unter der Behandlung nur sehr wenige Entzugssymptome beobachtet werden konnten oder von den Patienten angegeben wurden, 3. kein Craving durch die Patienten berichtet wurde, jedoch keine Aussagen über den weiteren Verlauf getroffen werden konnten, 4. weitere wissenschaftliche Untersuchungen sich vor allem auch mit der Anwendbarkeit in westlichen Ländern beschäftigen sollten [8].

In der Verfolgung der genannten Zielsetzungen, insbesondere der internationalen Anwendung und Verbreitung von HEANTOS, wurde in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen ein Konzept entwickelt, das im Wesentlichen:

  1. einen wissenschaftlichen Nachweis über die Sicherheit und Effektivität von HEANTOS erbringen will;

  2. eine wissenschaftliche Erklärung für die medizinische Effektivität durch eine entsprechende Erforschung der bioaktiven Wirkungen der einzelnen und der Kombination der organischen Bestandteile von HEANTOS verfolgt und

  3. die wissenschaftliche und technologische Standardisierung und Entwicklung des Produkts hinsichtlich Uniformität und Reinheit zum Inhalt hat.

Bis zum heutigen Zeitpunkt konnten in einem Zeitraum von sieben Jahren im Rahmen dieser Zusammenarbeit u. a. folgende Ergebnisse erzielt werden:

  1. Die Erwartungen an die Sicherheit und Wirksamkeit von HEANTOS konnten sowohl durch toxikologische und pharmakologische Untersuchungen wie auch durch klinische Anwendungen in Vietnam bestätigt werden. Unterstützt werden diese Ergebnisse durch wissenschaftliche Überprüfungen und Untersuchungen der Zusammensetzung von HEANTOS und der einzelnen Wirkstoffe, die im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Vietnam und Deutschland durchgeführt worden sind.

  2. Ohne eine Veränderung der Zusammensetzung konnten durch die Anwendung neuer Produktionsverfahren die Wirksamkeit von HEANTOS erhöht und die Administration von HEANTOS in der Behandlung erleichtert werden. Unter Berücksichtigung der Standardisierung entspricht HEANTOS heute Vietnams Normen bzw. bezüglich der Reinheit des Produkts den Normen der Europäischen Union.

  3. Dem Eigentümer von HEANTOS, dem Institut für Chemie von Hanoi, wurde ein nationales Patent in Vietnam zuerkannt. Dieses Patent bietet heute eine zusätzliche Gewähr für die notwendige wissenschaftliche Weiterentwicklung von HEANTOS

Diese Notwendigkeit besteht insbesondere im Hinblick auf eine stärkere internationale klinische Absicherung, die Entwicklung von langfristigen Therapien in Verbindung mit Entzugsbehandlungen mit HEANTOS, die auch den unterschiedlichen soziokulturellen Bedingungen bei der internationalen Anwendung Rechnung trägt. Weiterer Klärungsbedarf leitet sich aus den wissenschaftlichen Erfahrungen mit den Pflanzensubstanzen von HEANTOS ab, die insbesondere für die weitere Produktentwicklung von Bedeutung sind. Hierbei ist es wichtig, dass die wissenschaftliche Weiterentwicklung auch in Zukunft von einer internationalen Zusammenarbeit unabhängiger wissenschaftlicher Institute getragen wird.

Kasuistik zu Konsummuster und Lebensbedingungen - Herr H.
Herr H. konsumiert Opiate seit über 20 Jahren, beginnend mit gelegentlichem Opiumrauchen bis zum heutigen mehrfach täglichen intravenösen Konsum in die Vena femoralis. Alkohol konsumiert er nach eigenen Angaben mäßig, andere Substanzen gar nicht. Der Aufnahmestatus zeigt einen hageren, etwas ungepflegten Mann mit sehr schlechtem Zahnstatus, einer leichten, normotonen Tachykardie und nur einer verkrusteten Injektionsstelle in der Leiste. Zeichen vegetativer Übererregung, Einstellnystagmus, leichte Koordinationsstörungen, Zungenfaszikulationen. Abgesehen von einer lokalen Infektion des Mittelfingers, war kein weiterer auffälliger Befund bei der körperlichen Untersuchung festzustellen. Der Urinbefund war positiv für Opiate, ansonsten negativ, EKG und Thorax waren ohne pathologischen Befund.
Herr H. konnte bis zur Entgiftung seinen Konsum mit einer verantwortlichen beruflichen Tätigkeit als Ingenieur und Leiter einer Arbeitsgruppe verbinden. Seine Ehefrau und die Familie wurden, nach seinen Angaben, erst mit Beginn der Behandlung über seine Drogenabhängigkeit informiert. Nach Einschätzung der vietnamesischen Ärzte stellt Herr H. unter dem Aspekt der Dauer und des Umfangs des Heroinkonsums einen besonders schweren Fall dar, von denen es unter den Konsumenten höchstens 15 % gäbe. Herr H. wird nach ärztlicher Voruntersuchung in das HEANTOS-Entgiftungsprogramm aufgenommen. Er wird zusammen mit einem anderen Patienten von zwei Ärzten und einem ambulanten Suchthelfer mit einschlägiger Erfahrung engmaschig betreut. Die erste HEANTOS-Dosis erhält Herr H. ca. 6 h nach dem letzten Heroinkonsum. Der Entzug ist bei reinem Opiatkonsum in 72 Stunden überstanden. Als Begleitmedikation erhält er am ersten Tag einmalig zum Schlafen 100 mg Phenothiazin. Er entwickelt im Verlauf leichte Entzugssymptome, vor allem berichtet er über Müdigkeit und Erschöpfungsgefühl. Weitere körperliche und psychische Entzugssymptome werden erfragt und von Herrn H. verneint. Er bewältigt die Entgiftung komplikationslos, ist nicht gereizt oder hat besondere Beschwerden und fühlt sich nach eigenen Angaben wohl. Während des dritten Tages der Entgiftung ist Herr H. bereits deutlich wacher, im Kontakt sehr zugewandt und entspannter.

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Diskussion

Jedes Land, jede Gesellschaft und jede Kultur muss sich bei der Lösung seiner sozialen und gesundheitlichen Probleme der vorhandenen Ressourcen besinnen und bedienen. Der Umgang mit der traditionellen Medizin in Vietnam, aber auch in anderen asiatischen Ländern ist Ausdruck einerseits der nationalen und regionalen Erfahrungen, aber auch der medizinischen Tradition. Überwiegend in Grenzsituationen wird die so genannte „westliche Medizin” auch durch das Interesse der Patientinnen und Patienten offener für diese Wurzel medizinischer Heilkunst und ihrer Erfahrungen im Zusammenhang mit z. B. der Krebstherapie, der schonenden Stärkung der Immunkraft auch durch Akupunktur unter Nutzung von Naturstoffen für die Pharmakotherapie. Oft wird vergessen, dass nahezu alle bahnbrechenden Medikamentenentwicklungen nicht in den Hightech-Labors großer Unternehmen entstanden sind, sondern durch das aufmerksame Studium der Natur und des Umgangs mit Ungleichgewichten menschlicher Systeme. Angefangen von Digitalis über Atropin, Vincristin, Vinblastin über Antibiotika - alle diese Substanzen der Natur waren und sind durch aufmerksame und systematische wissenschaftliche Betrachtung abgerungene Medikamente höchster Wirksamkeit, die quasi prototypisch aus der Evolution einerseits und dem wissenschaftlichen Umgang damit andererseits hervorgegangen sind.

Genauso wenig wie die Heilkraft der Natur und die wissenschaftliche Medizin westlicher Prägung gegeneinander stehen, sollte und könnte dies bei dem Umgang der traditionellen Medizin mit der Wissenschaft sein.

Das HEANTOS-Projekt ist in bester Tradition ein Entwicklungsprojekt auf der Grundlage der traditionellen Opiumproblematik, den therapeutischen Defiziten in Vietnam, wie sich aus der Entwicklungsgeschichte des Produkts, aber auch ihres einmaligen Erfinders, Herrn Dan, verdeutlichen lässt. Mit großer Beharrlichkeit und Zähigkeit ist nunmehr die vietnamesische Forschung, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft, dabei, die Effektivität und Sicherheit des Produkts zu evaluieren und eine Einführung in die Drogentherapie zu verwirklichen. Es ist nicht nur angemessen, sondern auch für die europäische Suchtmedizin äußerst produktiv, sich mit dieser Entwicklung konstruktiv auseinander zu setzen und die Übertragbarkeit dieser Erfahrungen z. B. auf deutsche Bedingungen zu erarbeiten sowie die pharmakologische Potenz des Produkts im Rahmen der Suchttherapie zu untersuchen. Es ist insofern ein Rest der relativ wenigen Beispiele guter internationaler Zusammenarbeit unter verschiedenen beteiligten Partnern, die deutlich machen, dass es möglich ist, beidseitig von den Erfahrungen des jeweils Anderen zu profitieren.

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Literatur

  • 1 Uchtenhagen A, Zieglgänsberger W. (Hrsg) .Suchtmedizin - Konzepte, Strategien und therapeutisches Management. München, Wien; Urban und Fischer 2000
  • 2 Do Tat Loi. Nhuog cay thuoc va vi thuoc Viet Nam, NxB Choa hoc va Ky thuat,. (Arzneipflanzen und traditionelle Medikamente in Vietnam, Verlag für Wissenschaft und Technik, Hanoi 1986, 16-24) Hanoi; 1986 tz. 16-24
  • 3 Westermeyer J. Poppies, Pipes and People - Opium and its Use in Laos. Berkeley, Los Angeles, London; University of California Press 1982
  • 4 Nguyen T hi Hoang Anh, Van Tran S ung, Porzel A. et al . Homoisoflavonoids from Ophiopogon japonicus Ker-Gawler.  Phytochemistry.
  • 5 Nguyen T hi Hoang Anh, Van Tran S ung, Wessjohann L. et al . Some Hydroxycinnmic acid ester of phenylethylalcohol glycosides from Rehmannia glutinosa Libosch.  Vietnamese Journal of Chemistry. 2002;  40 (Special Number) 175-179
  • 6 Nguyen T hi Hoang Anh, Van Tran S ung, Wessjohann L. et al . Iridoidand iridoid glycosides from the roots of Rehmannia glutinosa Libosch.  Vietnamese Journal of Chemistry. 2002;  40 (4) 17-22
  • 7 Van Tran S. Traditionelle Medizin in der Suchttherapie. UNESCO-Tagung Hanoi; Bericht 2001
  • 8 Baehr L. Projektbericht: Expertenkommission.  1999; 

Prof. Dr. M. Krausz

c/o Zentrum für Psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im UKE

Martinistr. 52

20246 Hamburg

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Literatur

  • 1 Uchtenhagen A, Zieglgänsberger W. (Hrsg) .Suchtmedizin - Konzepte, Strategien und therapeutisches Management. München, Wien; Urban und Fischer 2000
  • 2 Do Tat Loi. Nhuog cay thuoc va vi thuoc Viet Nam, NxB Choa hoc va Ky thuat,. (Arzneipflanzen und traditionelle Medikamente in Vietnam, Verlag für Wissenschaft und Technik, Hanoi 1986, 16-24) Hanoi; 1986 tz. 16-24
  • 3 Westermeyer J. Poppies, Pipes and People - Opium and its Use in Laos. Berkeley, Los Angeles, London; University of California Press 1982
  • 4 Nguyen T hi Hoang Anh, Van Tran S ung, Porzel A. et al . Homoisoflavonoids from Ophiopogon japonicus Ker-Gawler.  Phytochemistry.
  • 5 Nguyen T hi Hoang Anh, Van Tran S ung, Wessjohann L. et al . Some Hydroxycinnmic acid ester of phenylethylalcohol glycosides from Rehmannia glutinosa Libosch.  Vietnamese Journal of Chemistry. 2002;  40 (Special Number) 175-179
  • 6 Nguyen T hi Hoang Anh, Van Tran S ung, Wessjohann L. et al . Iridoidand iridoid glycosides from the roots of Rehmannia glutinosa Libosch.  Vietnamese Journal of Chemistry. 2002;  40 (4) 17-22
  • 7 Van Tran S. Traditionelle Medizin in der Suchttherapie. UNESCO-Tagung Hanoi; Bericht 2001
  • 8 Baehr L. Projektbericht: Expertenkommission.  1999; 

Prof. Dr. M. Krausz

c/o Zentrum für Psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im UKE

Martinistr. 52

20246 Hamburg