Pneumologie 2003; 57(6): 335-339
DOI: 10.1055/s-2003-40046
Serie: Asthma am Arbeitsplatz (2)
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Asthma durch Getreidestaub

Asthma due to Grain DustX.  Baur1 , A.  Preisser1 , R.  Wegner1
  • 1Ordinariat und Zentralinstitut für Arbeitsmedizin Hamburg
Wir danken Herrn Dr. Linsel von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin für die Endotoxinanalysen, Frau Nern und Frau Johannsen für die Durchführung der Hauttestungen und Arbeitsplatzsimulationen
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Prof. Dr. med. Xaver Baur

Ordinariat und Zentralinstitut für Arbeitsmedizin Hamburg

Adolph-Schönfelder-Str. 5

22083 Hamburg

eMail: xaver.baur@bug.hamburg.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
18. Juni 2003 (online)

Inhaltsübersicht

Zusammenfassung

Eine aktuelle Literaturübersicht sowie zwei im Einzelnen dargestellte Erkrankungsfälle belegen die Auslösung nicht allergischer asthmatischer Reaktionen und ODTS-Symptome durch Getreidestäube. Diagnostisch wegweisend sind arbeitsplatzbezogene Expositionstests, während die Allergiediagnostik meist nicht weiterführt. Als krankheitsursächlich sind v. a. Endotoxine anzusehen, die in den Getreidestäuben in hoher Konzentration nachgewiesen werden können. Zur Vermeidung irreversibler Lungenfunktionsstörungen sind eine eingehende Frühdiagnostik anzustreben sowie grundsätzlich eine wesentliche Reduktion der in der Landwirtschaft nach wie vor vielerorts anzutreffenden hohen inhalativen Belastung durch Endotoxin-reiche Stäube.

Abstract

The actual literature as well as two case reports described in detail show that grain dust induces asthmatic reactions and ODTS which are obviously not of allergic origin. For diagnosis occupational-type exposure tests are decisive whereas allergological testing usually is not. Endotoxins which are present in the grain dust samples in high concentrations have to be regarded as the major causative components. To avoid irreversible lung function impairment a comprehensive early diagnosis is necessary. Generally, a remarkable reduction of exposure to dust with high levels of airborne endotoxin in agriculture has to be achieved since in many workplaces corresponding exposures are still rather high.

Einleitung

Getreidestaub besteht aus einem heterogenen Gemisch von Getreidehülsen, Kornfragmenten, Samen verschiedener Pflanzen, Pollen, Vorratsmilben, Insekten, Bakterien, Schimmelpilzen, Pestiziden, Insektiziden, anorganischen Partikeln wie Quarz und dergleichen mehr. Zu massiven Expositionen gegenüber einatembaren und aveolengängigen Staubfraktionen kommt es beim Dreschen, Verladen und Transportieren von Getreide in Silos und auf Schiffen. Dabei können gesundheitsbasierte Luftgrenzwerte deutlich überschritten werden [1] [30].

Sowohl beim Menschen als auch im Tierversuch durchgeführte Expositionsstudien haben gezeigt, dass die für gesundheitsadverse und biologische Effekte wesentlichen Komponenten des Getreidestaubs Endotoxine gramnegativer Bakterien darstellen [12] [15] [35].

Organic Dust Toxic Syndrome

Intensiver Kontakt mit Getreidestaub führt bei bis zu einem Drittel der Kontaktpersonen zu einem Organic Dust Toxic Syndrome (ODTS; unter Dresch- und Getreidearbeitern als Drescherfieber bezeichnet) [10]. Es handelt sich um ein nach mehrstündiger Exposition beginnendes und langsam zunehmendes, Stunden bis zwei Tage anhaltendes Krankheitsbild mit Kopfschmerzen, Gesichtsrötung, allgemeinem Krankheitsgefühl, Muskelschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, Brennen im Rachen und Kehlkopf, Husten, Auswurf, Brustenge, z. T. auch Luftnot. Die Beschwerden sind verbunden mit Leukozytose und Linksverschiebung der Granulozyten. In der Lungenfunktion findet sich in einem Teil der Fälle eine obstruktive Ventilationsstörung. Bemerkenswerterweise treten diese Reaktionen bereits bei der ersten Exposition auf [11] [15] [16] [25].

Asthmatische Krankheitsbilder und schichtbezogene akute und chronische Lungenfunktionsänderungen

Schon bei relativ niedriger Belastung sind schichtbezogene und während einer Arbeitswoche auftretende reversible Einschränkungen der Lungenfunktion festzustellen [7] [9] [13] [18] [22] [29] (Tab. [1]). Diese können symptomarm oder sogar asymptomatisch verlaufen. Weiterhin sind aber auch typische asthmatische Krankheitsbilder nach Einwirkung von Getreidestaub (Getreidestaubasthma) beschrieben [4] [6] [11] [12] [14] [21] [38] [39]. Chan-Yeung u. Mitarb. [10] grenzen dem zufolge von dem seltenen allergischen Getreideasthma ein nicht-allergisches „Asthma-like syndrome” ab, das durch akute Lungenfunktionseinschränkungen mit oder ohne respiratorische Beschwerden gekennzeichnet ist. Wie im Folgenden dargestellt wird, gibt es Asthmaerkrankungen, die nicht-allergischer Genese sind.

Tab. 1 Getreidestaub-bedingte Lungenfunktionsänderungen bei Dock- und Getreidearbeitern während einer Arbeitsschicht oder einer Arbeitswoche im Vergleich zu den Ergebnissen von Sägewerkarbeitern und nicht belasteten Kontrollen (in Anlehnung an Chan-Yeung u. Mitarb. [10])
Gruppe n FEV1-Änderung (ml)
während Schicht
FEV1-Änderung (ml)
während Arbeitswoche
Dockarbeiter 24 - 291 n. e.
Getreidearbeiter 248 - 8 n. e.
Kontrollen 192 + 36 n. e.
Getreidearbeiter 485 - 22 - 34
Sägewerkarbeiter 65 + 71 + 100
Getreidearbeiter 582 n. e. - 87
Kontrollen 153 n. e. + 82
Getreidearbeiter 47 signifikante Abnahme von MEF50 und MEF75 am Montag und Mittwoch;
signifikante Abnahme des FVC in der Arbeitswoche
n. e.
Kontrollen 15 keine Veränderungen n. e.
n. e. = nicht erfasst.

Längsschnittuntersuchungen zeigen eine zunehmende Abnahme der Lungenfunktionsparameter (Tab. [2]) mit dem Bild einer COPD, wobei starke cross-shift-Verschlechterungen mit einer schlechteren Langzeitprognose einhergehen [19] [24] [26] [27] [32] [33] [34] [36] [37].

Tab. 2 Durchschnittliche Lungenfunktionsabnahme im Längsschnitt bei Beschäftigten, die gegenüber endotoxinreichen Stäuben in der Futtermittelindustrie exponiert waren. Angegeben sind die jährlichen Abnahmen von FVC, FEV1 und MMEF, adjustiert nach Alter und Rauchgewohnheiten (0/1) [24]
n = 51 Grad der Exposition Rauchereffekt (0/1)
immer niedrig
n = 18
niedrig (86)
hoch (91)n = 8
hoch (1986)
niedrig (1991)
n = 14
immer hoch
n = 11
FVC (ml/Jahr) - 2,6 - 43,6* + 9,4 - 41,8* - 27,6*
FEV1 (ml/Jahr) - 7,0 - 50,6* - 6,6 - 26,8* - 26,8*
MMEF (ml/Jahr) - 75,2 - 125,0* - 51,3 - 5,6 + 11,0
*p < 0,01 (einseitig)

Allergie-Diagnostik und Fallbeispiele

Die allergologische Diagnostik ist in den meisten Fällen von Getreidestaub-bedingten Atembeschwerden nicht weiterführend. Nur in Einzelfällen wurden IgE-vermittelte Sensibilisierungen gegen Vorratsmilben oder Getreidestaubbestandteile als Ursache einer allergischen Rhinitis oder eines Asthmas gefunden [10].

Über diagnostisch eingesetzte arbeitsplatzbezogene Expositionsteste wurde bisher nur vereinzelt berichtet [8] [14] [18] [39]. Dabei fanden sich sowohl Sofort- als auch verzögerte und duale asthmatische Reaktionen.

Fallbeschreibungen

Im Folgenden geben wir die Krankengeschichten und die eingehende Diagnostik eines Landwirts und eines Lagerhausarbeiters wieder, die leichte ODTS-Symptome sowie nach langjährigem saisonalen, zum Teil auch darüber hinaus gehendem Umgang mit Getreide expositionsbezogene Asthmaanfälle und chronische Atemwegsbeschwerden entwickelten.

Fall 1 (K. H., 60 Jahre, männlich)

Berufsanamnese: Nach Absolvierung einer landwirtschaftlichen Lehre und anschließender weiterer Tätigkeit auf dem elterlichen Hof (15 Hektar; Milchkühe, Schweine, Pferde, Getreideanbau) übernahm der Patient 1966 den in Mecklenburg gelegenen Hof. 1970 erfolgte die Enteignung (LPG). Seitdem war er als Traktorist und Mähdrescherfahrer eingesetzt. Stallarbeiten wurden nicht verrichtet. Auch nach der Wende, als es zu einer Umwandlung der LPG in eine GmbH kam, erfolgte bis zur Entlassung 1998 die Weiterbeschäftigung als Traktorist. Danach war er bis Februar 2001 im Landhandel mit folgenden Tätigkeiten beschäftigt: Ein- und Auslagern sowie Pflege verschiedener Getreidearten (Roggen, Weizen, Gerste, Raps, Hafer) und von Dünger mittels Radlader, Gabelstapler; unter Verwendung von Ladeschaufeln und Schleudereinrichtungen wurde das Getreide im Freien und in einer Halle gereinigt und getrocknet. Beim Einlagern mit Schleudern, Umlagern des Getreides und bei der Gebäudereinigung mit Schaufel und Kehrbesen traten hohe Staubbelastungen auf. Absaugeinrichtungen waren nicht vorhanden, gelegentlich wurden Atemschutzmasken (P1) getragen. Das Be- und Entladen von Fuhren war mit erheblichem physischen Einsatz verbunden. Zu etwa 50 % der Zeit war der Patient im Außendienst ohne wesentliche Exposition eingesetzt. Er hatte nur über etwa ein Jahr während der Jugendzeit geraucht. Es werden jetzt noch im privaten Bereich Federvieh und drei Rinder gehalten.

Eigenanamnese: Es bestanden keine wesentlichen Vorerkrankungen. 1996 kam es zu tachykarden Herzrhythmusstörungen. 1997 erfolgte ein operativer Eingriff wegen Sinusitis frontalis. Seit 2 Jahren wird Dyspnoe unter körperlicher Belastung angegeben, meist während der Arbeit, insbesondere während erhöhter Exposition gegenüber Roggenstäuben. Letzteres war auch mit Husten und Niesreiz verbunden. Es kam dabei auch zu Kopf- und Gliederschmerzen.

Zum Untersuchungszeitpunkt wurde über Kurzatmigkeit bei leichter körperlicher Belastung (1 Etage, bergan Fahrrad fahren) geklagt. Es bestanden wenig Husten, gelegentlich etwas Auswurf, z. T. gelblich, leichter Kopfschmerz, kein Fieber. Außerdem wurde über rezidivierende linksthorakale Schmerzen berichtet.

Medikation: Budecort 200 2 × 1, Sotalex mite 2 × 1 (nicht an den Untersuchungstagen), Digitoxin 1 × 1, ASS 100 1 × 1.

Körperliche Untersuchung: unauffällig, vesikuläres Atemgeräusch, kein Giemen.

EKG: Linkstyp, präterminal negative T-Wellen in III. T-Abflachung linkspräkordial.

Echokardiographie: geringgradige Aortenklappeninsuffizienz, mäßiggradige Mitralinsuffizienz, leichte Trikuspidalinsuffizienz.

Allergietests: Im Pricktest Sofortreaktion auf Graspollen und Vorratsmilbe Tyrophagus putrescentia, diskrete Reaktion auf Maiskorn und Acarus siro; Reibtest mit Getreidespreu (Weizen) und Getreidemischstaub negativ; im EAST kein Nachweis spezifischer IgE-Antikörper gegen Getreidemischstaub, Getreidespreu (Weizen), Hausstaub- und Vorratsmilben, Schimmelpilze. Graspollen grenzwertig positiv (Tab. [3]).

Tab. 3 Klinische Befunde der beiden untersuchten Patienten
Pat. Anamnese Basis-
Lungenfunktion
Hauttest (Prick)-Reaktionen
(Lösungsmittel Ø)
(Histamin+++)
IgE (EAST) arbeitplatzbezogener Expositionstest
Substanz Änderung
K.H. seit 2 J. Getreidestaubbezog. Atemnotzustände und Allgemeinsymptome sRt 1,51 kPa · s
nach β2 0,82 kPa · s
FEV1 2,61 L (76 %)
VC 4,14 L (90 %)
FEV1 %VCmax 63 %
Tyrophagus putrescentia ++
Acarus siro +
Graspollen ++
Maiskorn +
Getreidemischstaub (Reibtest) Ø
D. pteronyssinus Ø
D. farinae Ø
Acarus siro Ø
Euroglyphus maynei Ø
Weizenmehl Ø
Roggenmehl Ø
Sojabohne Ø
Alpha-Amylase Ø
Cladosporium herbarum Ø
Aspergillus fumigatus Ø
Schimmelpilzmischung Ø
Pollenmischung +
Getreidespreu (Weizen) Ø
Roggenkornstaub Ø
patienteneigener Roggenkornstaub ΔsRt+ 100 % (sofort)
ΔFEV1 -12 % (sofort)
ΔPa, O2 - 7 mm Hg (sofort)
Husten (sofort, 1 h)
Niesen (6 h)
Kopfschmerzen, Schlappheit,
reduzierter AZ (bis 24 h)
W.E. seit 6 J. Getreidestaubbezog. Atemnotzustände,
Belastungsdyspnoe,
leichte Allgemeinsymptome
sRt 0,86 kPa · s
FEV1 3,15 L (82 %)
VC 4,71 L (100 %)
FEV1 %VCmax 67 %
MCH-Test negativ
D. pteronyssinus +
Tyrophagus putrescentia ++
Acarus siro ++
Roggenmehl +
Hafermehl +
Sojabohne +
Rhizopus nigricans +
Getreidemischstaub (Reibtest) Ø
D. pteronyssinus Ø
D. farinae Ø
Acarus siro Ø
Euroglyphus maynei Ø
Weizenmehl Ø
Roggenmehl Ø
Sojabohne Ø
Alpha-Amylase Ø
Cladosporium herbarum Ø
Aspergillus fumigatus Ø
Schimmelpilzmischung Ø
Pollenmischung Ø
Getreidespreu (Weizen) Ø
Roggenkornstaub Ø
patienteneigener Getreidespreustaub (Weizen)Acarus siro
(wässriger Extrakt)
Δ;sRt+ 294 % (sofort)
ΔFEV1 - 24 % (sofort)
ΔPa,O2 - 10 mm Hg (1 h),
-7 mm Hg (24 h)
Atemnot u. Husten (sofort)
Frösteln und
reduzierter AZ (6 - 8 h)
Kopfschmerzen (bis 24 h)negativ

Lungenfunktionswerte: Unter Ruhebedingungen mäßiggradige, teilreversible Bronchialobstruktion; im arbeitsplatzbezogenen Expositionstest mit Roggenkornstaub (durchgeführt durch kräftiges Schütteln von ca. 0,5 kg mitgebrachtem Roggenkorn in einer Glasschüssel) leichte bronchialobstruktive Sofortreaktion mit Verteilungsstörung und bis zu 24 Stunden anhaltenden leichten Allgemeinsymptomen (Tab. [3]).

Gesamt-IgE 45 kU/L (Norm < 100 kU/L).

Röntgenthoraxbefund: keine Besonderheiten.

Endotoxinaktivität im abspülbaren Staub des patienteneigenen Roggenkorns: 5,3 EU/mg Roggenkorn (Limulus-Amöbozyten-Lysat-Test; Dr. Linsel, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin).

Fall 2 (W. E., 60 Jahre, männlich)

Berufsanamnese: Nach einer Lehre als Landwirt und Bankkaufmann übernahm der Patient 1963 in einem Lagerhaus als kaufmännischer Angestellter die Funktion des Geschäftsführers. Dort wurden große Mengen Getreide in Silos und Hallen gelagert. Bei der vorwiegend in den Erntemonaten Juli - September, in geringerem Umfang aber ganzjährig stattfindenden An- und Auslieferung des Getreides, kam es zu massiver Staubentwicklung. Jeden Abend war der Boden mit Getreideabfall und Staub bedeckt. Das frisch gedroschene Getreide wurde zunächst pneumatisch und über Siebe gereinigt, dann in Silos transportiert und dort bis zum Weiterverkauf zwischengelagert. Abends wurde regelmäßig der Boden der Halle in Handarbeit gereinigt, der mit Getreideabfall und Staub bedeckt war. Alle vorgenannten Arbeitsgänge wurden von Herrn W. vor Ort überwacht; er war hierdurch den dabei entstehenden massiven Staubmengen ausgesetzt. Atemschutz wurde nicht getragen.

Eigenanamnese: Seit 1996 bemerkte der bis dahin gesunde Patient bevorzugt in den Erntemonaten Juli bis September arbeitsbezogen Kopfschmerzen, verstopfte Nase, Druck hinter den Augen, Husten und Heiserkeit, leicht pfeifende und erschwerte Atmung, jedoch kein Fieber. Auch bei dem fast täglichen Kontakt mit kleineren Mengen Getreide, z. B. bei der Qualitätsprüfung, werden Husten und Kopfdruck bemerkt. Am Feierabend klangen die Beschwerden nach 2 - 3 Stunden ab. Während des Wochenendes und im Urlaub waren die Symptome nicht vorhanden. Kalte Witterung, starke Gerüche oder körperliche Belastung führten nicht zu Luftnot. Seit 10 Monaten wird der Kontakt mit Getreidestaub weitgehend gemieden; seither sind die Beschwerden deutlich gebessert.

Medikation: Budesonid-Dosieraerosol intermittierend.

Körperliche Untersuchung: Leichtes Übergewicht. Leichter Klopfschmerz über Stirn- und Kieferhöhlen. Unauffällige Haut und Schleimhäute an Kopf und Hals. Über der Lunge vesikuläres Atemgeräusch, kein Giemen. Erhöhter Blutdruck (160/110 mm Hg). Weiterer Befund unauffällig.

Allergietests: Im Pricktest leichte bis mäßiggradige Reaktion auf Vorratsmilben, diskrete Reaktion auf Mehle, Sojabohne und Rhizopus nigricans; im Reibtest keine Reaktion auf Getreidemischstaub; im EAST kein Nachweis spezifischer IgE-Antikörper gegen Getreidemischstaub, Getreidespreu (Weizen), Hausstaub- und Vorratsmilben, Schimmelpilze und Pollenmischung (Tab. [3]).

Lungenfunktionswerte: In Ruhe Normalwerte, keine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität (in Vorbefunden vor 1 und vor 2 Jahren Hyperreagibilität objektiviert); die inhalative bronchiale Provokation mit einem Extrakt von Acarus siro führte zu keiner Reaktion; die arbeitsplatzbezogene Expositionstestung mit einer Nierenschale voll patienteneigenem Weizenspreustaub (durchgeführt durch kräftiges Schütteln) löste eine mittelstarke asthmatische Sofortreaktion mit anhaltender Verteilungsstörung und mittelgradigen Allgemeinsymptomen aus (Tab. [3]).

Gesamt-IgE: 25 kU/L.

Röntgenthoraxbefund: keine Pathologika.

Endotoxinaktivität in dem vom Patienten mitgebrachten Getreidespreustaub (Weizen): > 935 EU/mg (Limulus-Amöbozyten-Lysat-Test; Dr. Linsel, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin).

Besprechung

Beide Patienten zeigen ähnliche Befunde: Sie berichten über Getreidestaub-induzierte rezidivierende Asthma-Symptome, leichte ODTS-Symptome und Chronifizierungstendenzen; sie sind Atopiker mit Polysensibilisierungen gegenüber beruflichen und ubiquitären Allergenen (laut Pricktest gegen Vorratsmilben, Graspollen und diskret gegen Maiskorn bzw. Mehl, Sojabohne, Rhizopus; EAST, z. T. auch Anamnese und Provokationstest geben allerdings keine Hinweise auf eine aktuelle Relevanz dieser Sensibilisierungen). Gegen eine klinisch relevante Vorratsmilbensensibilisierung sprechen das Fehlen spezifischer IgE-Werte und das negative Provokationstestergebnis im Fall 2. Der Reibtest mit Getreidestaub, der eine geringe Sensitivität aufweist, zeigte keine entsprechenden Sensibilisierungen an. Auch waren keine IgE-Antikörper gegen selbst hergestellte Getreidestaubextrakte nachweisbar. Die Auslösung asthmatischer Sofortreaktionen auf Roggenstaub (Roggenkorn) bzw. auf eine hohe Belastung mit Weizenspreustaub ist beachtenswert und stellt nach eigenen Erfahrungen und nach Literaturmitteilungen ein eher seltenes Krankheitsbild dar.

Zur Pathogenese und zu dem zugrunde liegenden ursächlichen Staubbestandteil lassen sich derzeit folgende Aussagen machen: Das Fehlen des Nachweises von IgE-Antikörpern und Reibtestreaktionen auf die die Asthmareaktionen auslösenden Stäube spricht gegen eine allergische Soforttypsensibilisierung. Möglich erscheinen chemisch-irritative Reaktionen auf die Endotoxine in diesen Stäuben. Nach tierexperimentellen Untersuchungen lassen sich die durch subchronische Getreidestaubexposition hervorgerufene persistierende Hyperreagibilität und Atemwegsinflammation auf den Endotoxin-Gehalt zurückführen [23].

Für die Praxis ist von Bedeutung, dass die Allergiediagnostik in ihrer bisherigen Form für die Getreidestaub-bedingte Asthmaerkrankung offensichtlich nicht geeignet ist. Einzig der Expositionstest führte zu einer wegweisenden Aussage. Auffallend ist die im zweiten Fall zum Untersuchungszeitpunkt fehlende unspezifische bronchiale Hyperreagibilität. Letzteres dürfte bei anders lautenden Vorbefunden auf die seit knapp einem Jahr bestehende weitgehende Meidung des auslösenden Agenz zurückzuführen sein. Nach Chan-Yeung u. Mitarb. [10] geht das Getreidestaubasthma typischerweise mit einer Hyperreagibilität einher. Andererseits beobachtet man aber auch „falsch negative” Hyperreagibilitätsteste; so fanden wir in 20 - 30 % aller in spezifischen Provokationstests mit verschiedenen Berufsnoxen getesteten Berufsasthmafällen ein negatives Methacholintestergebnis [2].

Die leichte ODTS-Symptomatik, die beide Patienten seit Beginn des Getreidestaubkontakts hatten, ist als eine separate, eher als normal einzustufende Erscheinung nach starker Exposition gegenüber endotoxinreichen Stäuben anzusehen. Hierfür spricht insbesondere die Auslösung entsprechender Symptome bereits beim ersten Kontakt, wie doPico u. Mitarb. [16] [17], Broder u. Mitarb. [5], Clapp u. Mitarb. [11] mit Getreidestaub, Malmberg u. Mitarb. [28] mit Staub aus Schweineställen und Palmberg u. Mitarb. [31] während des Wiegens von Schweinen im Stall unter einem Großteil der freiwilligen Versuchspersonen zeigen konnten.

Hinsichtlich der Prävention wird auf die aktuelle Grenzwert-Diskussion über Endotoxine, die besonders in der Massentierhaltung in hohen Konzentrationen auftreten, verwiesen. Zur Zeit werden gesundheitsbasierte Grenzwerte, die im Bereich von 50 EU/m³ liegen, diskutiert [20]. Aus mehreren Untersuchungsreihen ist bekannt, dass Landwirte während der Getreide- oder Kartoffelernte, aber auch in der Geflügel- und Schweinehaltung Konzentrationen von 2000 bis 5000 EU/m³ (mit Spitzen bis 10 000 EU/m³) ausgesetzt sind [1] [3] [30]. Diese hohen gesundheitsrelevanten Belastungen sollten Anlass sein, in Arbeitsbereichen, in denen eine effektive Primärprävention nicht möglich ist, bei derart exponierten Arbeitnehmern arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (G 23) grundsätzlich durchzuführen, um gesundheitsadverse Effekte frühzeitig zu erkennen und sekundärpräventiv im noch reversiblen Stadium gegensteuern zu können.

Literatur

Prof. Dr. med. Xaver Baur

Ordinariat und Zentralinstitut für Arbeitsmedizin Hamburg

Adolph-Schönfelder-Str. 5

22083 Hamburg

eMail: xaver.baur@bug.hamburg.de

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