ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2003; 112(6): 245
DOI: 10.1055/s-2003-40411
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Geflügelte Worte

Cornelia Gins
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Publication Date:
07 July 2003 (online)

Es gab einmal einen berühmten Politiker, der sagte, was interessiert mich heute mein Geschwätz von gestern. Dieses geflügelte Wort spiegelt leider die Inhalte der heutigen Politik wider. So wie sich Eichels Zahlenprognosen über Steuerausfälle und Neuverschuldung fast stündlich ändern, scheinen auch Frau Schmidts Vorschläge zur Neugestaltung des Gesundheitswesens schier unerschöpflich zu sein. Die Abstände werden immer kürzer, in denen neue Varianten der Sparmodalitäten diskutiert werden. Es ist daher durchaus möglich, dass der Inhalt dieses Editorials auch morgen schon ein alter Hut ist.

Welche Eckdaten werden nun derzeit diskutiert: Ausgrenzung versicherungsfremder Leistungen, Verschärfung bei der Zuzahlung bei Medikamenten, Krankenhausaufenthalten, Brillen und Zahnersatz sowie eine eventuell anfallende Praxisgebühr bei nicht vorherigem Aufsuchen des Hausarztes. Krankenkassen sollen sich leichter zusammenschließen können, nachdem ja vor nicht allzu langer Zeit die freie Kassengründung und auch -wahl erst ermöglicht wurde. Zur Verbesserung der Patientenrechte soll eine „Stiftung Warentest” eingerichtet werden. Patienten können sich hier über Nutzen und Qualität von Medikamenten und Behandlungen informieren. Ärzte sollen zur Fortbildung verpflichtet werden. Bei nicht vorhandenem Nachweis ist ein Zulassungsentzug durch die Kassen möglich. Gesundheitszentren sind auch wieder im Gespräch. Die Kompetenzen der K(Z)Ven sollen massiv beschnitten werden. Leistungskomplexe und Fallpauschalen sollen den Geldfluss regulieren.

Der Protest vom politischen Gegenlager und von (zahn)ärztlicher Seite war und ist natürlich groß. Selbstverständlich gelten unsere Sympathien als direkt Betroffene den Protestlern. Doch Verständnis hin oder her, es zeigt sich auch hier ein für unsere Zeit typisches Verhalten: Es betrifft allgemein das Umgehen mit Reformen. Es besteht ja durchaus bei den Politikern, Bürgern, Berufsgruppen und Verbänden die zentrale Einsicht, dass es so nicht weitergeht, dass etwas geschehen muss. Es besteht ein Konsens in der Forderung, dass das soziale System einer dringenden Heilung bedarf, allerdings - und hier liegt der Knüppel beim Hund - soll es nicht weh tun, weder den Patienten noch den Ärzten. Gebetsmühlenartig werden immer wieder dieselben Forderungen wiederholt, von denen jeder weiß, dass sie im Kern richtig sind, aber es wird gekniffen, wenn es ernst werden soll. Denn da gibt es noch ein weiteres geflügeltes Wort, das sich auf den derzeitigen Mainstream bestens übertragen lässt: lieber Heiliger Florian beschütz' mein Haus, zünd' andere an. Wenn schon Einschnitte, dann also erst einmal bei den anderen. Dass dieses Verhalten völlig kontraproduktiv ist, weiß zwar auch jeder, aber mit dem Dagegensein hat man vermeintlich an Profil gewonnen.

So stehen wir also sehenden Auges mehr oder weniger am Rande eines Kollaps. Niemand hat das Sagen, aber jeder hat das Nein-Sagen. Mit dem Ergebnis, dass das, was getan wird, keiner gewollt hat, und dass das, was geschieht, keiner verantworten will.

Dr. med. dent. Cornelia Gins

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