Aktuelle Dermatologie 2003; 29(6): 243-246
DOI: 10.1055/s-2003-40569
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Eosinophile Zellulitis (Wells-Syndrom)

Eosinophilic Cellulitis (Wells' Syndrome)M.  Brunner1 , H.-D.  Göring1
  • 1Hautklinik und Immunologisches Zentrum des Städtischen Klinikums Dessau (Chefarzt: Prof. Dr. med. H.-D. Göring), Akademisches Lehrkrankenhaus der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Herrn Prof. Dr. W. Nikolowski zum 85. Geburtstag gewidmet
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Dr. med. Martina Brunner

Hautklinik und Immunologisches Zentrum des Städtischen Klinikums Dessau

Auenweg 38 · 06847 Dessau

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Publication Date:
15 July 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Der histologische Nachweis von flame figures bei einer Reihe anderer Erkrankungen mit Gewebseosinophilie hat das Wells-Syndrom als eigene Entität zunächst infrage gestellt. Sorgfältige klinische und histopathologische Studien haben inzwischen die Eigenständigkeit des Krankheitsbildes unterstrichen. Die Dermatose ist durch sich rasch ausbreitende erythemato-ödematöse anuläre bis bullöse Läsionen, später morpheaartige Plaques gekennzeichnet. Histologisch finden sich flame figures und Eosinophilie. Bluteosinophilie ist nicht obligat. Es wird über zwei Patienten mit dieser seltenen eosinophilen Dermatose unbekannter Ätiopathogenese berichtet. Bei beiden Patienten wurde die Diagnose aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes, paraklinischer Befunde mit Bluteosinophilie sowie des charakteristischen histologischen Bildes gestellt. Auslöser waren im ersten Fall ein Insektenstich, im zweiten Fall eine Polychemotherapie bei Mammakarzinom. Die Erscheinungen heilten im ersten Fall unter 40 mg Prednisolon und im zweiten Fall spontan ab.

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Abstract

The observation of flame figures in some other diseases with tissue eosinophilia called in question the existence of Wells' syndrome as a distinct entity. But several clinical and histopathological studies has proved the Wells' syndrome as a distinct entity. It is defined by the following criteria: sudden onset of annular erythemato-edematous and bullous lesions, in a later stage morphea-like blue-slate-colored plaques; a histological picture usually characterized by the presence of flame figures; non-constant blood hypereosinophilia. We report the cases of two patients with this rare eosinophilic dermatosis with an uncertain etiopathogenesis that was diagnosed because of the typical clinical picture, the blood hypereosinophilia and the histological features. Potential precipitating events were in our first patient an insect bite, in the other patient a polychemotherapy because of breast carcinoma.

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Einleitung

Das Wells-Syndrom ist eine seltene, chronisch-rezidivierende entzündliche Dermatose unbekannter Pathogenese und Ätiologie. Die Erstbeschreibung erfolgte durch Wells 1971 als rezidivierende granulomatöse Dermatitis mit Eosinophilie, 1979 erhielt sie durch Wells und Smith die heutige Bezeichnung eosinophile Zellulitis [1] [2]. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine typische Klinik mit erythematös-lividen, ödematösen, z. T. bullösen, rezidivierenden Hauterscheinungen, Fieber, Krankheitsgefühl, Bluteosinophilie (nicht obligat) sowie durch charakteristische histologische Merkmale mit Gewebseosinophilie und flame figures (Flammenfiguren) und im weiteren Verlauf einem granulomatösen Infiltrat. Ätiologisch wird eine Hypersensitivitätsreaktion auf verschiedene Fremdantigene angenommen. Die Dermatose spricht prompt auf systemische Kortikoide an oder heilt spontan ab.

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1. Fallbericht

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Anamnese

Bei dem 26-jährigen Patienten entwickelten sich am Folgetag nach einem Insektenstich in die linke laterale Fußkante eine bläulich-livide Verfärbung und ein Ödem in Umgebung und am linken Fußrücken. Zwei Tage später war der gesamte linke Fuß betroffen. Am 3. Tag dehnten sich die Hauterscheinungen in Form von Erythemen und kleinen Bläschen auf das linke Bein aus mit Ausbildung einer Blase am linken 2. Zeh. Der Patient berichtete auch über die Anwendung von Ansudor-Puder (Dialuminium-chlorid-pentahydroxid-Komplex, Triclocarban), allerdings zuletzt 3 Tage vor Auftreten der Läsionen.

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Hautbefund

An beiden Fußrücken findet sich ein Ödem, links > rechts. Am linken lateralen Fuß und Fußrücken livides flächiges Erythem sowie exkoriierte Einstichstelle und Blase am linken 2. Zeh (Abb. [1]). Am linken Knie und Oberschenkelstreckseite, in der linken Kniekehle, am Thorax rechts, an beiden Armen und am Kinn papulovesikulöse Effloreszenzen, z. T. gruppiert, z. T. konfluierend (Abb. [2]). Guter AZ, keine LKS, kein Fieber.

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Abb. 1 Lokalbefund am linken Fuß.

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Abb. 2 Erythematös-vesikulöse Läsionen am linken Bein.

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Labor

Eosinophilie von 30 % im peripheren Blut (Kontrolle nach 7 Tagen: normwertig).
Auto-AK negativ, zirk. IK normwertig.
Mikrobiologie: Kein Anhalt für Virus-, Chlamydien-, Borrelieninfektion.
Allergologie: Ges.-IgE erhöht (695 kU/l).

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Histologie

Im Corium auffallende Gewebseosinophilie sowie Nachweis von flame figures (Abb. [3]). DIF (blasige Hautläsion): Nachweis von IgA- u. IgM-Niederschlägen in der Gefäßintima aller Schichten.

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Abb. 3 Gewebseosinophilie und flame figures im Corium (HE 100fach).

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Therapie und Verlauf

Unter einer systemischen Therapie mit initial 40 mg Prednisolon/die war die Dermatose nach 11 Tagen vollständig abgeheilt.
Eine spätere Testung mit Insektengiften (in vivo/in vitro) und Ansudor-Puder verlief negativ.

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2. Fallbericht

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Anamnese

Die 46-jährige Patientin entwickelte 1 Monat nach Beendigung der Polychemotherapie mit Cyclophosphamid, Mitoxantron und 5-Fluorouracil aufgrund eines invasiv duktalen Mammakarzinoms (Zustand nach Mamma-Ablatio rechts mit LK-Entfernung) eine Pneumonie und im Anschluss daran juckende Papeln, rötlich-livide, schmerzhafte bis handflächengroße Infiltrate am Stamm und an den Oberarmen. Einen Monat später verschlechterte sich das Allgemeinbefinden mit Fieber bis 38,8 °C, Mattigkeit und Knochenschmerzen.

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Hautbefund

Am Stamm und an den Oberarmen finden sich juckende Papeln sowie rötlich-livide, schmerzhafte bis handflächengroße Infiltrate (Abb. [4]).

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Abb. 4 Rötlich-livider, ödematöser schmerzhafter Plaque am Oberarm.

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Labor

BSR 70/92, Hb 6,4, EOS 54 %, Fe 6,1, Gamma-Glob. 26,6 %.
Übrige Laborparameter sowie Ges. IgE normwertig.
Auto-AK negativ bis auf ANF (1 : 160, gesprenkelt).
Kein Paraprotein, zirk. IK normwertig.
Mittels Knochenmarkuntersuchung fand sich kein Hinweis auf eine Eosinophilenleukämie.
In der CT und Skelettszintigraphie kein Anhalt für Knochenmetastasen.

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Histologie

Zahlreiche Eosinophile im Corium, flame figures, Histiozyten und Riesenzellen (Abb. [5]).
DIF: C3-Niederschläge in der Gefäßintima des mittleren Coriums.

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Abb. 5 Granulomatöses Stadium mit Eosinophilen, Histiozyten, Riesenzellen und flame figures (HE 400fach).

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Therapie und Verlauf

Die Hauterscheinungen bildeten sich über rötlich-bräunliche Residuen zurück und waren nach 2,5 Monaten spontan abgeheilt.
Epikutan- und Scratchtest mit den verwendeten Zytostatika waren negativ.

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Diskussion

Das Wells-Syndrom verläuft gewöhnlicher Weise in zwei Stadien nach einem kurzen Prodromalstadium mit Juckreiz und Brennen. Das erste oder zelluläre Stadium, welches einige Tage bis zu 3 bis 4 Wochen persistiert, ist gekennzeichnet durch multiple, selten solitäre klein- und großflächige Erytheme mit urtikarieller Note und scharfer Randbegrenzung, Ödem, Blasen mit rascher peripherer Ausbreitung an Stamm und Extremitäten, Pruritus, evtl. Schmerzen. Das zweite oder sklerodermiforme Stadium zeigt eine zentrale Rückbildung des Erythems mit einem zunächst blasseren, dann rotbraunen bis blaugrauen Farbton, der Rand wird rötlich oder violett wie bei der Morphea [3] [4].

Systemische Zeichen wie Fieber und Krankheitsgefühl sind selten vorhanden. Bluteosinophilie ist ein häufiges, aber nicht obligates Merkmal und korreliert nicht mit der Schwere des momentanen Erkrankungszustandes. Die Rückbildung erfolgt spontan oder unter Therapie mit systemischen Kortikosteroiden ohne Residuen. Die Mehrzahl der Patienten hat Rezidive in den gleichen Arealen, auch nach langer Latenzzeit [5] [6]. Eine Alters- und Geschlechtsbevorzugung liegt nicht vor. Die Dauer der Erkrankung ist sehr variabel. Sie kann subakut für Monate bis Jahre verlaufen oder in die komplette Remission gehen [5].

Histologisch finden sich je nach Stadium unterschiedliche Befunde: akutes Stadium mit Eosinophilen im Gewebe und Ödem; subakutes Stadium mit Histiozyten, Eosinophilen und flame figures; Rückbildungsstadium mit Histiozyten in Umgebung der flame figures, granulomatöses Infiltrat, histiozytische Nekrobiose und Persistieren der flame figures [3].

Als assoziierte Erkrankungen oder Auslöse- bzw. Triggerfaktoren sind Insektenstiche, Parasiten (Onchocerciasis u. Ascaris lumbricoides), virale Infektionen (Varizellen, Mumps), unerwünschte Arzneimittelreaktionen, zugrundeliegende myeloproliferative/hämatologische Erkrankungen, Neoplasien, Autoimmunerkrankungen, atopische Diathese, mykotische Infektionen, Ektoparasiten; Impfungen, mit Penicillin behandelte Erysipele sowie Diabetes mellitus bekannt [3] [5] [7] [8]. Bei unseren vorgestellten Patienten kamen auslösend bzw. assoziiert zum einen vermutlich ein Insektenstich und zum anderen die Chemotherapie bei Mammakarzinom oder die Pneumonie in Betracht. Bei beiden Patienten fiel die allergologische Diagnostik negativ aus.

Ätiopathogenetisch wird eine Hypersensitivitätsreaktion auf verschiedene Fremdantigene angenommen [6] [9] [10]. Nach Antigen-Stimulation infiltriert eine hohe Anzahl eosinophiler Granulozyten die Region, degranuliert und verursacht eine exzessive Gewebszerstörung. Das eosinophile major basic protein (MBP) mit zytotoxischen Eigenschaften ist im betroffenen Gewebe nachzuweisen und ca. zur Hälfte in den Granula der Eosinophilen enthalten, es stimuliert die Histaminausschüttung aus Basophilen, neutralisiert Heparin und stimuliert die Plättchenaggregation. MBP ist während der Degranulation erhöht, kann sich an Kollagenfasern binden mit dem Resultat einer strukturellen und morphologischen Alteration der Fasern. Die von MBP umgebenen Kollagenfasern werden als flame figures (Flammenfiguren) bezeichnet [3] [6]. Flame figures repräsentieren Eosinophilenaktivität und Degranulation, sie sind nicht pathognomonisch für das Wells-Syndrom und kommen auch bei anderen Dermatosen mit eosinophiler Infiltration vor [4], wie beispielsweise bullösem Pemphigoid, Insektenstichreaktionen, Parasiten- und Dermatophytenbefall, Hypereosinophiliesyndrom und eosinophiler Pannikulitis. Das Wells-Syndrom lässt sich von den genannten Dermatosen gut durch die typische Klinik abgrenzen.

Die im Allgemeinen benigne verlaufende Erkrankung ist wahrscheinlich häufiger als bisher angenommen und sollte in die Differenzialdiagnose urtikarieller, morpheaartiger und auch blasenbildender Erkrankungen sowie auf Antibiotika nicht ansprechende zunächst diagnostizierte Erysipele oder Phlegmonen einbezogen werden.

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Literatur

  • 1 Wells G C. Recurrent granulomatous dermatitis with eosinophilia.  Trans St John's Hosp Dermatol Soc. 1971;  57 46-59
  • 2 Wells G C, Smith N P. Eosinophilic cellulitis.  Br J Dermatol. 1979;  100 101-108
  • 3 Anderson C R, Jenkins D, Tron V, Prendiville J S. Well's syndrome in childhood : case report and review of the literature.  J Am Acad Dermatol. 1995;  33 857-864
  • 4 Selvaag E, Roald B. Eosinophil activation in Wells' syndrome demonstrated immunohistochemically with antibodies against eosinophilic cationic protein.  Acta Derm Venereol. 2000;  80 63-64
  • 5 Ferroli C, Pinna A L, Atzori L, Aste N. Eosinophilic cellulitis (Wells' syndrome): a new case description.  JEADV. 1999;  13 41-45
  • 6 Holm K S, Morris D O, Gomez S M, Peikes H, Byrne K P, Goldschmidt M H. Eosinophilic dermatitis with edema in nine dogs, compared with eosinophilic cellulitis in humans.  JAVMA. 1999;  215 649-653
  • 7 Chang D KM, Schloss E, Jimbow K. Wells' syndrome: vesiculobullous presentation and possible role of ectoparasites.  Int J Dermatol. 1997;  36 276-301
  • 8 Aroni K, Aivaliotis M, Liossi A, Davaris P. Eosinophilic cellulitis in a child successfully treated with cetirizine.  Acta Derm Venereol. 1999;  79 332
  • 9 Tsuda S, Tanaka K, Miyasato M, Nakama T, Sasai Y. Eosinophilic cellulitis (Wells' syndrome) associated with ascariasis.  Acta Derm Venereol (Stockh). 1994;  74 292-294
  • 10 Stam-Westerveld E B, Daenen S, Van der Meer J B, Jonkman M F. Eosinophilic cellulitis (Wells' syndrome): treatment with minocycline.  Acta Derm Venereol (Stockh). 1998;  78 157

Dr. med. Martina Brunner

Hautklinik und Immunologisches Zentrum des Städtischen Klinikums Dessau

Auenweg 38 · 06847 Dessau

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Literatur

  • 1 Wells G C. Recurrent granulomatous dermatitis with eosinophilia.  Trans St John's Hosp Dermatol Soc. 1971;  57 46-59
  • 2 Wells G C, Smith N P. Eosinophilic cellulitis.  Br J Dermatol. 1979;  100 101-108
  • 3 Anderson C R, Jenkins D, Tron V, Prendiville J S. Well's syndrome in childhood : case report and review of the literature.  J Am Acad Dermatol. 1995;  33 857-864
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  • 6 Holm K S, Morris D O, Gomez S M, Peikes H, Byrne K P, Goldschmidt M H. Eosinophilic dermatitis with edema in nine dogs, compared with eosinophilic cellulitis in humans.  JAVMA. 1999;  215 649-653
  • 7 Chang D KM, Schloss E, Jimbow K. Wells' syndrome: vesiculobullous presentation and possible role of ectoparasites.  Int J Dermatol. 1997;  36 276-301
  • 8 Aroni K, Aivaliotis M, Liossi A, Davaris P. Eosinophilic cellulitis in a child successfully treated with cetirizine.  Acta Derm Venereol. 1999;  79 332
  • 9 Tsuda S, Tanaka K, Miyasato M, Nakama T, Sasai Y. Eosinophilic cellulitis (Wells' syndrome) associated with ascariasis.  Acta Derm Venereol (Stockh). 1994;  74 292-294
  • 10 Stam-Westerveld E B, Daenen S, Van der Meer J B, Jonkman M F. Eosinophilic cellulitis (Wells' syndrome): treatment with minocycline.  Acta Derm Venereol (Stockh). 1998;  78 157

Dr. med. Martina Brunner

Hautklinik und Immunologisches Zentrum des Städtischen Klinikums Dessau

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Zoom Image

Abb. 1 Lokalbefund am linken Fuß.

Zoom Image

Abb. 2 Erythematös-vesikulöse Läsionen am linken Bein.

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Abb. 3 Gewebseosinophilie und flame figures im Corium (HE 100fach).

Zoom Image

Abb. 4 Rötlich-livider, ödematöser schmerzhafter Plaque am Oberarm.

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Abb. 5 Granulomatöses Stadium mit Eosinophilen, Histiozyten, Riesenzellen und flame figures (HE 400fach).