Hintergrund: Anticholinergika bei COPD
Hintergrund: Anticholinergika bei COPD
Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist die vierthäufigste Todesursache
in den USA [41 ]. Schätzungen der WHO gehen von einer Prävalenz der COPD von 8/1000 (westliche Industrienationen)
bis zu über 25/1000 Einwohnern (China) aus [52 ]. Dabei ist die COPD die einzige Volkskrankheit mit steigender Mortalität, Morbidität
und Prävalenz. 2020 wird die COPD voraussichtlich an zweiter Stelle der wichtigsten
Kostenverursacher im Gesundheitswesen stehen [35 ]. Als Konsequenz der wachsenden globalen Bedeutung der COPD wurden einheitliche Richtlinien
für Diagnose und Therapie erarbeitet (,,Global Initiative for Obstructive Lung Disease”
= GOLD, Deutsche Atemwegsliga) [39 ]
[53 ], die insbesondere auch die Förderung der Grundlagen- und klinischen Forschung zur
Optimierung der derzeitigen Therapiemöglichkeiten betonen. Fachgesellschaften empfehlen
inhalative Anticholinergika und β2 -Sympathomimetika gleichwertig als Therapie der ersten Wahl für alle Stadien der COPD
[19 ]
[46 ]
[53 ]. Der hohe Stellenwert von Anticholinergika bei COPD erklärt sich insbesondere dadurch,
dass bei diesen Patienten neben der vagal kontrollierten Hypersekretion submuköser
Drüsen insbesondere die Erhöhung des Bronchialmuskeltonus durch cholinerge Mechanismen
die dominierende pathophysiologische Komponente der Bronchialobstruktion ist [3 ]
[16 ]. Die Wirksamkeit von inhalativen Anticholinergika bei COPD ist durch zahlreiche
klinische Studien belegt [6 ]. Mit dem langwirksamen inhalativen Anticholinergikum Tiotropium (Spiriva®) steht
eine Erweiterung der Therapiemöglichkeiten bei COPD zur Verfügung.
Pharmakologie inhalativer Anticholinergika
Pharmakologie inhalativer Anticholinergika
Die Regulation des Bronchialmuskeltonus unterliegt dem autonomen Nervensystem. Neben
bronchodilatativen Effekten, die über adrenerge Rezeptoren (β-Adrenorezeptoren) vermittelt
werden, regulieren vagale Mechanismen die Bronchokonstriktion. So ist beispielsweise
beim Gesunden die basale cholinerge Innervation die einzig reversible Komponente des
Bronchialmuskeltonus [2 ]
[42 ]. Cholinerge Nervenfasern der Atemwege entspringen aus Ästen des Nervus vagus. Die
parasympathischen Ganglien dieser Fasern sind in der Bronchialwand lokalisiert. Von
dort werden durch postganglionische Fasern glatte Muskelzellen und submukosale Drüsen
innerviert. Dabei wird als Transmittersubstanz Acetylcholin sezerniert, das über cholinerge
Muskarin-(M-)Rezeptoren bronchokonstriktorische und mukus-stimulierende Effekte vermittelt.
Bislang sind in der menschlichen Lunge drei Subtypen von M-Rezeptoren charakterisiert:
Bronchokonstriktion und Stimulation submuköser Drüsen werden über M3- bzw. M1-Rezeptoren
vermittelt, während der präsynaptische M2-Rezeptor über negative Feedbackmechanismen
eine adäquate Kontrolle der M1- und M3-Transmitterfreisetzung [4 ]
[32 ] bewirkt. Eine Blockade des M2-Rezeptors führt daher zu einer verstärkten Freisetzung
von Acetylcholin aus parasympathischen Fasern der Atemwege. Die Bedeutung weiterer
M-Rezeptor-Subtypen (M4, M5) konnte bislang beim Menschen noch nicht ausreichend belegt
werden [4 ]
[33 ].
Antimuskarine Anticholinergika wirken über die Blockade muskarinischer Rezeptoren
hemmend auf die Signalübertragung durch Neurotransmitterfreisetzung aus peripheren
Nervenendigungen (Vagolyse). Aus den unterschiedlichen physiologischen Aufgaben der
Muskarinrezeptorsubtypen folgt für die Therapie obstruktiver Atemwegserkrankungen,
dass ein ideales Anticholinergikum eine hohe Affinität für M1- und M3-Rezeptoren aufweisen
sollte.
Tiotropium (Ba 679 BR): Pharmakologie, präklinische und frühe klinische Daten
Tiotropium (Ba 679 BR): Pharmakologie, präklinische und frühe klinische Daten
Pharmakokinetik
Tiotropium (Ba 679 Br) ist ein neuer, hochpotenter und langwirksamer kompetetiver
Muskarinrezeptorantagonist [51 ]. Die Grundstruktur von Tiotropium enthält eine quartäre Stickstoffverbindung und
leitet sich vom Ipratropium ab. Tiotropium hat eine etwa 10fach höhere Muskarinrezeptoraffinität
als Ipratropium. In Rezeptorbindungsstudien mit Radioliganden in transfizierten Hamsterovarzellen
dissoziiert Tiotropium gegenüber Ipratropium etwa hundertfach langsamer von Muskarinrezeptoren
[21 ]
[51 ]. Dies gilt insbesondere für den M1- bzw. M3-Rezeptorsubtyp. Funktionell ergibt sich
somit eine gewisse M1/M3-Rezeptorsubtypspezifität für Tiotropium.
Tiotropium wird zum überwiegenden Teil renal eliminiert. Kleinere Substanzmengen unterliegen
jedoch auch einer nicht-enzymatischen Esterspaltung oder werden hepatisch metabolisiert.
Nach Inhalation einer Einzeldosis von Tiotropium werden nach ca. 5 Minuten maximale
Plasmaspiegel beobachtet. Innerhalb der ersten Stunde kommt es jedoch zu einem raschen
Abfall der Plasmaspiegel in einen extrem niedrigen Konzentrationsbereich (< 3 pg/ml).
Auf diesem Konzentrationsniveau liegt die Plasmahalbwertszeit unabhängig von der applizierten
Dosis bei 5 - 6 Tagen. Insgesamt darf die systemische Bioverfügbarkeit von Tiotropium
daher als sehr niedrig eingeschätzt werden [51 ]. Anpassungen der Tagesdosis werden bei Patienten mit hepatischer oder renaler Insuffizienz
nicht empfohlen. Wegen der vorwiegend renalen Ausscheidung sollten Patienten mit stark
eingeschränkter Nierenfunktion auf eventuelle systemische anticholinerge Effekte aufmerksam
überwacht werden (Spiriva® Fachinformation).
Bronchodilatation
Die bronchodilatatorischen Effekte von Tioptropium setzen gegenüber kurzwirksamen
Anticholinergika wie Ipratropium geringgradig verzögert ein und erreichen nach 90
- 120 Minuten ihr Maximum. Im Allgemeinen ist eine Bronchodilatation bereits nach
30 Minuten nachweisbar [12 ]. Bei Patienten mit COPD wurde die bronchodilatatorische Potenz von Tiotropium in
zahlreichen Studien untersucht.
In einer doppelblinden, plazebokontrollierten Crossover-Studie an 35 COPD-Patienten
mit mittelschwerer Atemwegsobstruktion (mittlere FEV1 44 % des Sollwertes) wurde der bronchodilatative Effekt von 9, 18, 36 und 72 µg Tiotropium
evaluiert [29 ]. Eine gegenüber Plazebo signifikante Bronchodilatation konnte dabei für alle Dosisstufen
beobachtet werden. Die Bronchodilatation setzte innerhalb der ersten 15 Minuten nach
Inhalation ein und erreichte ihr Maximum nach 1 - 4 Stunden. Für die Inhalation von
18, 36 und 72 µg Tiotropium konnte über den Beobachtungszeitraum von 32 Stunden hinaus
eine signifikante Bronchodilatation nachgewiesen werden (Abb. [1 ]). In allen Dosisstufen wurden keine klinisch relevanten Nebenwirkungen beobachtet.
Abb. 1 Bronchodilatation nach Einzeldosen von Tiotropium bei COPD-Patienten [Maesen 1995].
In einer plazebokontrollierten Studie schließlich wurde der Effekt einer regelmäßigen
Inhalation von Tiotropium in vier Dosierungen (4.5, 9, 18 und 36 µg Tiotropium 1 ×
täglich) an 169 Patienten mit COPD über einen Behandlungszeitraum von vier Wochen
überprüft [28 ]. Innerhalb der ersten Stunde nach Inhalation ließ sich für alle Patienten, die mit
Tiotropium behandelt wurden, eine gegenüber Plazebo signifikante Bronchodilatation
nachweisen. Darüber hinaus verbesserten alle Dosierungen das maximale FEV1 über 24 Stunden bzw. morgendliches FEV1 und forcierte Vitalkapazität zu Behandlungsende sowie die morgendlichen Peak-Flow-Werte.
Bezüglich des maximalen bronchodilatativen Plateaus zeigten sich für Dosierungen von
9 bis 36 µg Tiotropium nur geringe, statistisch nicht signifikante Unterschiede. Der
morgendliche Peak-Flow-Wert war in der hohen Dosierungsgruppe (36 µg) tendenziell
gegenüber den anderen Dosierungen verbessert. Angesichts eines Trends zu einer höheren
Inzidenz von unerwünschten Effekten in der Hochdosisgruppe (36 µg) wurde daher für
Langzeitstudien bei COPD eine Dosis von 18 µg Tiotropium täglich als optimal angesehen.
Bei leichtgradigen Asthmatikern konnte eine maximale Bronchodilatation nach Inhalation
von 10, 40 und 80 µg Tiotropium über 24 Stunden ohne nachlassenden Effekt dokumentiert
werden [36 ]. Erst nach 36 (10 und 40 µg Tiotropium) bzw. 48 Stunden (80 µg) kehrte in dieser
Studie die Lungenfunktion auf das Ausgangsniveau zurück.
Bronchoprotektion
Tiotropium inhibiert konzentrationsabhängig die Methacholin-induzierte Bronchokonstriktion
glatter Muskulatur von Trachealsegmenten des Meerschweinchens. Die maximale Inhibition
ist dabei derjenigen von Atropin, Glycopyrrolat und Ipratropium deutlich überlegen
[44 ]. In-vivo-Studien bei anästhesierten Hunden zeigten eine 100 %ige Bronchoprotektion
einer einmaligen Tiotropium-Inhalation gegenüber der Acetylcholin-induzierten Bronchokonstriktion
über einen Zeitraum von > 3 Stunden [13 ].
Eine Studie von O'Connor u. Mitarb. überprüfte die protektiven Eigenschaften von 10,
40 und 80 µg Tiotropium auf die Methacholin-induzierte Bronchokonstriktion bei Asthmatikern.
Eine signifikante Bronchoprotektion war in allen Dosierungstufen über 48 Stunden nachweisbar.
Die maximale Bronchoprotektion konnte etwa 2 Stunden nach Inhalation dokumentiert
werden und lag bei 5, 7, bzw. 8 Verdopplungsstufen der Methacholinschwellenkonzentration
(PC20 ) für 10, 40 bzw. 80 µg einer einmaligen Tiotropiuminhalation [36 ].
Tiotropium bei COPD: klinische Daten
Tiotropium bei COPD: klinische Daten
Vergleich mit Plazebo
Die vorgestellten Daten aus frühen klinischen, pharmakodynamischen und Dosisfindungsstudien
lassen für das langwirksame Anticholinergikum Tiotropium einen zentralen Stellenwert
in der symptomatischen Therapie der COPD erwarten. Bislang wurde die Wirksamkeit von
Tiotropium bei COPD in mehreren klinischen Studien überprüft. In der bereits erwähnten
plazebokontrollierten Studie von Littner u. Mitarb. konnte über einen Behandlungszeitraum
von 4 Wochen eine Verbesserung von FEV1 , FVC und der morgendlichen Peak-Flow-Werte unter Tiotropium festgestellt werden [28 ]. In einer weiteren plazebokontrollierten Studie wurde durch eine dreimonatige Behandlung
mit Tiotropium neben der Lungenfunktion auch die Symptomatik der behandelten COPD-Patienten
sowie der bedarfsadaptierte Gebrauch kurzwirksamer β2 -Sympathomimetika deutlich reduziert [11 ]. Diese Effekte konnten auch mit Daten aus Langzeituntersuchungen über ein Jahr bestätigt
werden [12 ]. In mehreren plazebokontrollierten Studien kam es durch die Behandlung mit Tiotropium
zu einer deutlichen Verringerung der Exazerbations- und Hospitalisierungshäufigkeit
[10 ], was zu einer Senkung der krankheitsassoziierten Gesamtkosten bei COPD-Patienten
führte [17 ]
[34 ]. Ob über eine Reduktion der Exazerbationen auch eine Verlangsamung der progredienten
Lungenfunktionseinbuße bei COPD erreicht werden kann [40 ], muss noch in klinischen Langzeitstudien geprüft werden. Eine entsprechende Studie
(UPLIFT-Studie) an geplanten 6000 Patienten, die über 4 Jahre neben ihrer Standardmedikation
mit Tiotropium oder Plazebo behandelt werden, wurde vor einigen Monaten begonnen.
In einer retrospektiven Analyse einer plazebokontrollierten klinischen Studie mit
Tiotropium [1 ] konnte zumindest nach einem Jahr Behandlungsdauer eine Verlangsamung des Lungenfunktionsverlustes
(ΔFEV1 ) gegenüber Plazebo beobachtet werden (- 0,9 % für Tiotropium vs. - 4,0 % für Plazebo).
Ein weiterer interessanter Aspekt der Behandlung mit Tiotropium wurde kürzlich publiziert
[45 ]. Hier wurden Patienten mit einer bereits zu Beginn der Behandlung nachweisbaren
Verbesserung der Lungenfunktion solchen mit einem initial geringeren Effekt gegenübergestellt
und der Verlauf der Lungenfunktion über 1 Jahr verglichen. Es zeigte sich, dass sich
auch diejenigen Patienten, deren initialer Effekt auf die Lungenfunktion eher gering
ausgeprägt war, in der Dauerbehandlung unter Tiotropium deutlich verbesserten. Offensichtlich
ist je nach Patient eine unterschiedlich lange Behandlungsdauer notwendig, um den
maximalen Therapieeffekt zu erreichen.
Neben dynamischen spirometrischen Messgrößen wie FEV1 oder FVC verbessert Tiotropium gegenüber Plazebo auch das Ausmaß der pulmonalen Überblähung
[30 ]. Diese scheint in besonderem Maße mit der Dyspnoe und der Minderung der Belastungstoleranz
zu korrelieren. Eine auf dem Jahreskongress der European Respiratory Society 2002
in Stockholm vorgestellte Untersuchung verglich den Effekt von Tiotropium gegenüber
Plazebo auf spiroergometrische Belastungsgrößen bei Patienten mit mittelschwerer bis
schwerer COPD. Dabei zeigte sich eine signifikante Verbesserung sowohl der Ausdauerbelastbarkeit
als auch der belastungsinduzierten Dyspnoe [37 ].
Vergleich mit kurzwirksamen Anticholinergika (Ipratropium und Oxitropium)
Van Noord u. Mitarb. verglichen die Wirksamkeit von 18 µg Tiotropium (1 × täglich
via HandiHaler®) gegenüber Ipratropium (4 × 40 µg via Dosieraerosol) an 288 Patienten
mit COPD über einen Behandlungszeitraum von 13 Wochen [48 ]. Dabei war Tiotropium Ipratropium bei vergleichbarer Verträglichkeit bezüglich aller
lungenfunktionellen Zielparameter (FEV1 , FVC und Peak Flow bei Studienende) überlegen (Abb. [2 ]). Darüber hinaus wurde auch der notfallmäßige Gebrauch kurzwirksamer β2 -Sympathomimetika (Salbutamol) unter Tiotropium stärker reduziert als unter Ipratropium.
Die Daten dieser Untersuchung belegen, dass Tiotropium gegenüber Ipratropium bei Patienten
mit COPD stärker und länger bronchodilatierend wirkt. Auch bei längerer Behandlungsdauer
(1 Jahr) [49 ] verbesserte Tiotropium in höherem Maße die morgendliche Ausgangslungenfunktion vor
Medikamenteninhalation („trough”-FEV1 ) als Ipratropium (Abb. [3 ]).
Abb. 2 Verlauf des morgendlichen Peak Flows (PEF) während einer dreimonatigen Behandlung
mit Ipratropium (4 × 40 µg) oder Tiotropium (1 × 18 µg) [Van Noord 2000]. *p < 0,05
vs. Ipratropium.
Abb. 3 Änderung des morgendlichen FEV1 vor Medikamenteninhalation („Trough-FEV1 ”) während einer einjährigen Behandlung mit Ipratropium (4 × 40 µg) oder Tiotropium
(1x18 µg) [Vincken 2002]. *p < 0,001 vs. Ipratropium zu allen Behandlungszeitpunkten.
Über die reine Beeinflussung lungenfunktioneller Messgrößen hinaus führte die Behandlung
mit Tiotropium zudem zu einer Verbesserung der krankheitsbezogenen Lebensqualität,
der Dyspnoe und anderer respiratorischer Symptome bei COPD-Patienten. Ein wichtiges
Ergebnis in dieser Langzeituntersuchung war, dass die Anzahl der COPD-Exazerbationen
unter Tiotropium um 24 % reduziert, und die Dauer bis zum Eintritt der ersten Hospitalisierung
aufgrund einer COPD-Exazerbation verlängert werden konnte (Abb. [4 ]). Die Reduktion der Exazerbationen in dieser Untersuchung dürfte am ehesten Ausdruck
der gleichmäßigen Verbesserung der Lungenfunktion aufgrund der 24-h-Wirkung von Tiotropium
sein. 24-Sunden-Lungenfunktionsmessungen von Calverley u. Mitarb. (2000) [10 ] mit Tiotropium im Vergleich zu Plazebo zeigten, dass die Verbesserung der FEV1 -Werte über den gesamten Messzeitraum in hohem Maße erhalten bleibt. Dabei gab es
auch in der Langzeittherapie keinen Hinweis auf eine nachlassende Wirksamkeit von
Tiotropium mit zunehmender Behandlungsdauer, und die Effekte waren vom COPD-Schweregrad
unabhängig [49 ]
[50 ]. Diese Daten untermauern die positiven Effekte einer lang anhaltenden Bronchodilatatortherapie
bei COPD-Patienten über rein spirometrische Größen wie FEV1 hinaus.
Abb. 4 Kaplan-Meier-Analyse für das Ausbleiben einer Exazerbation unter Behandlung mit Tiotropium
(1 × 18 µg) oder Ipratropium (4 × 40 µg) über den Zeitraum eines Jahres. Tiotropium
verlängerte den Zeitraum bis zur ersten Exazerbation signifikant (p = 0,008) [nach
Vincken 2002].
Seit kurzem liegen auch ergänzende Untersuchungen zum Vergleich zwischen Tiotropium
und Oxitropium, das als Ventilat® auch in Deutschland erhältlich ist, vor [23 ]
[25 ]. Die Studie verglich die Wirksamkeit von 18 µg Tiotropium (1 × täglich via HandiHaler®)
gegenüber hochdosiertem Oxitropium (3 × 200 µg via Dosieraerosol) über 1 Jahr. Die
Ergebnisse dieser bislang nur in Abstraktform publizierten Studie decken sich jedoch
im Wesentlichen mit den o. g. kontrollierten Untersuchungen im Vergleich zu Ipratropium
(4 × 40 µg).
Vergleich mit langwirksamen β2 -Sympathomimetika
Neben kurzwirksamen Anticholinergika zählen β2 -Sympathomimetika zu den am häufigsten verwendeten inhalativen Substanzen bei COPD.
Dies gilt auch für langwirksame Substanzen wie Salmeterol und Formoterol, deren Stellenwert
durch zahlreiche klinische Studien belegt ist [26 ]
[31 ] . Bislang liegen vergleichende Untersuchungen zu Tiotropium und Salmeterol über
6 Monate vor. In den doppelblinden, plazebokontrollierten Studien wurde Tiotropium
(1 × 18 µg via HandiHaler®) mit Salmeterol (2 × 50 µg via Dosieraerosol) über einen
Behandlungszeitraum von 6 Monaten bei insgesamt 1207 Patienten mit COPD verglichen
[8 ]
[15 ]. Gegenüber Plazebo verbesserten sowohl Salmeterol als auch Tiotropium die Lungenfunktion
(FEV1 , FVC) der behandelten Patienten. Jedoch war die Verbesserung des morgendlichen FEV1 unter Tiotropium im Behandlungsverlauf signifikant stärker ausgeprägt als unter Salmeterol.
Darüber hinaus reduzierte in dieser klinischen Studie lediglich die Behandlung mit
Tiotropium die Exazerbationshäufigkeit signifikant gegenüber Plazebo [18 ].
In einer der Studien versus Salmeterol wurde die Lungenfunktion über 12 Stunden gemessen.
Auch über diesen Zeitraum war Tiotropium bezogen auf die FEV1 -Verbesserung nach 6 Monaten statistisch signifikant überlegen (Abb. [5 ]). Hodder u. Mitarb. untersuchten in diesem Zusammenhang mittels einer Subgruppenanalyse
den Einfluss einer Begleittherapie mit inhalativen Kortikosteroiden auf die primären
Studienvariablen [24 ], da es bei Asthma bronchiale sowohl klinische als auch experimentelle Hinweise für
Synergieeffekte zwischen langwirksamen β2 -Sympathomimetika und inhalierbaren Kortikosteroiden gibt [5 ]. Auch in dieser Subgruppe von COPD-Patienten mit begleitenden inhalierbaren Kortikosteroiden
(die etwa 60 % des Gesamtkollektivs darstellte) wurden die Ergebnisse der Hauptuntersuchung
bestätigt.
Abb. 5 Änderung der 1-Sekunden-Kapazität (FEV1 ) nach Inhalation von Tiotropium (1 × 18 µg), Salmeterol (2 × 50 µg) oder Plazebo
zu Behandlungsbeginn (Tag 1) und nach 6 Monaten (Tag 169) [nach Donohue 2002]. *p
< 0,001 vs. Plazebo; **p < 0,01 Tiotropium vs. Salmeterol am Tag 169.
Ein erster Vergleich zu Formoterol liegt in Form einer 6-wöchigen Crossover-Studie
mit 74 Patienten vor. Am Ende der Studie wurden durch Tiotropium das „trough”-FEV1 (d. h. das morgendliche FEV1 vor der jeweils nächsten Medikamenteninhalation) und das durchschnittliche FEV1 über 12 Stunden nach Inhalation statistisch signifikant stärker gebessert als durch
Formoterol [47 ].
Verträglichkeit
Mögliche Nebenwirkungen von Tiotropium liegen in der anticholinergen Potenz der Substanz
begründet. Bei gesunden Probanden führten in Dosiseskalationsstudien auch hohe Dosen
von Tiotropium zu keinen relevanten Veränderungen von Vitalzeichen (Puls, Blutdruck),
Routinelaborparametern, Elektrokardiogramm, Pupillomotorik oder Speichelsekretion
[51 ]. Auch in klinischen Studien mit COPD-Patienten konnten für die verwendeten Dosen
(4,5 - 144 µg Tiotropium) keine Veränderungen der o. g. Parameter beobachtet werden.
Die häufigste antimuskarinerge Nebenwirkung von Tiotropium war ein trockener Mund,
insbesondere im Dosisbereich von ≥ 18 µg, wo zwischen 5,9 und 16 % der Patienten über
ein derartiges Symptom klagten [12 ]
[14 ]
[28 ]
[29 ]
[48 ]
[49 ]. Wie vergleichbare Substanzen sollte Tiotropium bei Patienten mit Engwinkelglaukom
oder Restharnbildung aufgrund einer Prostatahyperplasie nur unter besonderer Vorsicht
eingesetzt werden. Insgesamt bestätigen die bisherigen Daten zur Verträglichkeit von
Tiotropium das bekannt gute Nebenwirkungsprofil kurzwirksamer Anticholinergika bei
COPD [20 ].
In einer Studie von Hasani u. Mitarb. wurde der Effekt von 18 µg Tiotropium auf die
tracheobronchiale Clearance bei Patienten mit COPD untersucht [22 ]. In dieser Arbeit konnte mithilfe einer Radioaerosol-Technik keine relevante Hemmung
der tracheobronchialen Clearance durch Tiotropium nachgewiesen werden.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Tiotropium ist ein neuartiges, langwirksames Anticholinergikum, das für die inhalative
Therapie der COPD entwickelt wurde. Pharmakologische, präklinische und klinische Daten
belegen, dass Tiotropium klassischen Anticholinergika bei COPD überlegen ist. Die
pathophysiologische Bedeutung cholinerger Mechanismen bei COPD ist sehr gut belegt
und die Rolle kurzwirksamer Anticholinergika durch zahlreiche klinische Studien untermauert.
Das gegenwärtige Wissen zu Tiotropium aus klinischen Studien erlaubt die Schlussfolgerung,
dass die einmal tägliche Inhalation von Tiotropium die Lungenfunktion, Symptome und
Lebensqualität bei COPD-Patienten verbessert und die Symptome verringert. Darüber
hinaus sollte die Einmalgabe gegenüber der bisherigen Praxis der inhalativen Anticholinergikatherapie
(z. B. 4 - 6-mal täglich 2 Hübe Ipratropium Dosieraerosol) einen deutlichen Zugewinn
an Compliance bewirken, wie dies auch nach Einführung langwirkender Substanzen in
die Asthmatherapie beobachtet werden konnte.
Langzeitstudien belegen, dass die Dauertherapie mit Tiotropium die Häufigkeit von
Exazerbationen und Hospitalisierungen reduziert. Zudem könnte auch der progressive
Verlust an Lungenfunktion bei COPD positiv beeinflusst werden. Hier sind jedoch weitere
Untersuchungen notwendig, deren Studiendesign dann speziell auf die genannten Endpunkte
als primäre Zielvariablen ausgerichtet sein wird. Auch pharmakoökonomische Daten liegen
bislang nur für den holländischen Markt vor [38 ] und sollten bald für Deutschland erhoben werden.
Erste Langzeit-Vergleichsstudien mit Salmeterol zeigten eine Überlegenheit von Tiotropium
gegenüber Salmeterol in Bezug auf die Verbesserung der Lungenfunktion bei der Dauertherapie
von COPD-Patienten. Es bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten, den genauen Stellenwert
von Tiotropium im Vergleich zu den langwirksamen β2 -Sympathomimetika Formoterol und Salmeterol - als Einzelsubstanz bzw. Teil einer inhalativen
Festkombination [9 ]
[43 ] - zu definieren.
Bislang liegen keine vergleichenden Untersuchungen zwischen Tiotropium und retardiertem
Theophyllin bei COPD-Patienten vor. Im Vergleich zu kurzwirksamen Anticholinergika
oder ß2 -Sympathomimetika besitzt Theophyllin eine etwas schwächere bronchodilatatorische
Potenz [7 ], kann aber in Kombination mit Anticholinergika oder β2 -Sympathomimetika additive klinische Effekte bewirken [27 ]. Daher wird es auch von vorrangigem wissenschaftlichen und klinischen Interesse
sein, in welchem Maße Tiotropium als Kombinationspartner mit anderen Substanzen in
der COPD-Therapie eingesetzt werden kann (langwirksame β2- Sympathomimetika, inhalative Kortikosteroide oder Theophyllin).
Bislang weist Tiotropium ein gutes Verträglichkeitsprofil bei einer großen Zahl behandelter
Patienten auf. Dies ist von besonderer Bedeutung, da COPD-Patienten häufig ältere
Personen mit signifikanter Ko-Morbidität sind. Weitere Erfahrungen nach Zulassung
der Substanz liegen in zahlreichen Ländern bereits vor und werden so die Datenlage
zur Verträglichkeit von Tiotropium in einer breiten Patientenpopulation ergänzen.
Zusammenfassend untermauern die klinischen Daten bei COPD das Potenzial von Tiotropium
als Substanz der ersten Wahl für die Dauertherapie von COPD-Patienten. Dementsprechend
ist eine rasche Anpassung bisheriger Therapieempfehlungen wünschenswert. In den aktuellen
Empfehlungen der deutschen Atemwegsliga [53 ] und auch in dem kürzlich publizierten Update der GOLD-Richtlinie [19 ] ist dies bereits geschehen. Tiotropium wird in beiden Leitlinien zur Dauertherapie
der COPD ab dem Schweregrad II mit Evidenzgrad A empfohlen.