Rofo 2003; 175(12): 1625-1626
DOI: 10.1055/s-2003-45337
Laudatio
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nachruf: Professor Dr. Gerhard Breitling

In Memoriam: Professor Dr. Gerhard BreitlingW.  Seeger1
  • 1Dr. W. Seeger, Weilerhalde 43, 72070 Tübingen
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Publication History

Publication Date:
08 December 2003 (online)

Am 20. Juli 2003 verstarb im Alter von 82 Jahren Professor Dr. rer. nat. Gerhard Breitling, emeritierter ordentlicher Professor für Medizinische Strahlenphysik der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen. Einem verdienten Wissenschaftler, dem die Radiologie viel zu verdanken hat, soll an dieser Stelle gedacht werden.

Sein Weg zum Studium war, der damaligen Zeit entsprechend, durch die Ableistung des Reichsarbeitsdienstes, einer halbjährigen Tätigkeit bei der Allgemeinen Rentenanstalt Stuttgart und der anschließenden Einberufung zur Wehrmacht zunächst versperrt. Verwundet geriet Gerhard Breitling 1945 in Gefangenschaft, aus der er dann im September entlassen wurde.

Bis zum Beginn des Studiums der Physik an der Technischen Hochschule Stuttgart arbeitete er als gebürtiger Stuttgarter tatkräftig am Wiederaufbau der Technischen Hochschule mit. Von 1950 bis 1956 war er bei Prof. Dr. R. Glocker, dem Direktor des Röntgeninstitutes der Technischen Hochschule, der als international bekannter Strahlenphysiker auch enge Beziehungen zur klinischen Radiologie besaß. Hier lernte der Assistent, Diplomand und Doktorand Breitling die Art der wissenschaftlichen Bearbeitung von Problemen im Grenzgebiet zwischen Physik einerseits und Medizin andererseits wahrzunehmen. In Fortführung seiner Diplomarbeit über „Die Atomanordnung in amorphen Stoffen mittels Strukturanalysen” promovierte er 1952 mit dem Thema „Über die Wellenlängenabhängigkeit der Fluoreszenz organischer Leuchtstoffe im Röntgengebiet”. Schon bald richtete sich sein Forschungseifer auf die damals aktuellen Fragen der radiologischen Dosimetrie, die großes Interesse auf sich gezogen und Gerhard Breitling bekannt gemacht haben. 1955 erfolgte die Habilitation und nach drei Monaten bereits die Ernennung zum Dozenten.

Mit der Errichtung des neuen Medizinischen Strahleninstituts der Universität Tübingen (Prof. Robert Bauer) und der Installation des ersten 15-MeV-Betatrons, erhielt Gerhard Breitling im Juli 1956 eine viel versprechende Aufgabe, die Betreuung des Kreisbeschleunigers zu übernehmen, die zugleich eine Herausforderung für den noch jungen Wissenschaftler in sich barg. Nach der Umhabilitation 1959 an die Mathematisch Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen wurde er Wissenschaftlicher Rat und 1962 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Einem Ruf auf den Biophysikalischen Lehrstuhl der Universität Bonn ist er nicht gefolgt.

In Anerkennung seines großen Wissens und seiner fachlichen Kompetenz, aber auch um deutlich zu machen, dass Physik eine Heimat auch in der Radiologie haben muss, wurde Gerhard Breitling 1964 zum Abteilungsvorsteher der strahlenphysikalischen Abteilung am Med. Strahleninstitut der Universität Tübingen bestellt.

Die Nachfolge von Prof. Robert Bauer trat im April 1968 Prof. Walter Frommhold als Direktor des Medizinischen Strahleninstituts an. Geprägt durch die Institutionalisierung der so genannten dezentralisierten Zentralisation der Radiologie begann der notwendige Strukturwandel im überkommenen Organisationsgefüge der Röntgendiagnostik. Die Medizinische Fakultät kann sich rühmen, schon 1971 den ersten Lehrstuhl für dieses so wichtige Gebiet der Medizinischen Strahlenphysik errichtet und ihn mit der Ernennung von Gerhard Breitling zum ordentlichen Professor besetzt zu haben. Der gigantischen Weiterentwicklung der Strahlentherapie konnte, dank Prof. Frommhold, des steten Förderers und Freundes der Physik, diese Abteilung damit Schritt halten. Telekobaltgerät und Betatron wurden durch moderne Linearbeschleuniger ersetzt. Baumaßnahmen konnten geplant und beendet werden, die dem Patienten zugute gekommen sind, die aber auch die Voraussetzungen für bessere Organisationsformen und höhere Behandlungssicherheit geschaffen haben. Nach diesem erfüllten und dynamischen Lebensabschnitt wurde Prof. Gerhard Breitling 1985 emeritiert.

Unter seiner Anleitung entstanden von 1956 bis zur Emeritierung eine Vielzahl von Diplomarbeiten, 6 Promotionen in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, deren kooptiertes Mitglied Professor Breitling zusätzlich war. Mehrere Habilitationen in der Medizinischen Fakultät folgten. Über 100 Publikationen in nationalen wie internationalen Zeitschriften, Buchbeiträgen und Vorträgen spannen den weiten Bogen von der detaillierten Grundlagenforschung in der Strukturuntersuchung von Metallschmelzen bis hin zur Anwendung ionisierender Strahlung in der Weichteildiagnostik, konventioneller Diagnostik einschließlich der Schnittbildverfahren und der Strahlentherapie. Dort waren es Untersuchungen energiereicher Elektronen an verschiedenen Grenzflächen in gewebeähnlichen Materialien, im Besonderen die Dosimetrie und die Vergleiche berechneter Dosisverteilungen mit den am Beschleuniger gemessenen Werten.

Als Hochschullehrer besaß er die Gabe schwierige Zusammenhänge klar und verständlich darzustellen, ohne die exakte mathematische Begründung zu vernachlässigen. Seine hohe Sachkompetenz zeichnete in unvergleichlicher Weise seine Vorträge und Diskussionsbeiträge aus.

Aufgrund seines profunden Wissens war er Mitglied im Normenausschuss Radiologie, in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und vielfältiger Berater von Gremien.

Sein Führungsstil brillierte durch fachliche Sicherheit und menschliche Hilfsbereitschaft, unter dem sich im Lauf der Jahre ein leistungsfähiges und engagiertes Team von Physikern und Assistenten entwickelte, die den naturwissenschaftlichen, präzisen Stil und die viel bewunderte Arbeitsmoral „ihres Professors” übernommen haben.

Im Strahleninstitut, aber oft auch von anderen Einrichtungen der Universität, wurde er stets gern um Rat gefragt. Da Prof. Gerhard Breitling über ein gutes handwerkliches Geschick verfügte, setzte er sich ganz besonders für den Ausbau der Feinmechanischen Werkstatt ein.

Nach seiner Emeritierung widmete er sich mehr der geliebten klassischen Musik, den Violinkonzerten und Opernaufführungen. Mit Leidenschaft und Perfektion legte er sich eine enorme Sammlung zu, um sich jederzeit am Kunstgenuss erfreuen zu können.

Die Deutsche Gesellschaft für Radiologie dankt Prof. Gerhard Breitling für sein wissenschaftliches, berufliches und menschliches Engagement.

Dr. W. Seeger

Weilerhalde 43

72070 Tübingen

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