In die doppelblinde, randomisierte und plazebokontrollierte Studie wurden 36 Patienten
aufgenommen. Sie wurde einer radikalen retropubischen Prostatektomie wegen eines Karzinoms
oder einer offenen retropubischen extravesikalen Prostatektomie nach Millin aufgrund
einer Prostatahyperplasie unterzogen. 8 Patienten erhielten 20 μg/kg Körpergewicht
des aktivierten Blutgerinnungsfaktors VII, 16 Patienten 40 μg und 12 Patienten Plazebo
(Lancet 2003; 361: 201-205).
Im Durchschnitt verloren die Patienten perioperativ in der 20-μg-Gruppe 1235 ml, in
der 40-μg-Gruppe 1089 ml und in der Plazebo-Gruppe 2688 ml Blut. 7 von 12 Patienten
in der Plazebo-Gruppe erhielten eine Erythrozytentransfusion, 3 in der 20-μg-Gruppe
und kein Patient in der 40-μg-Gruppe. Die Bolusgabe von aktiviertem Faktor VII hatte
keine unerwünschten Nebenwirkungen zurfolge.
Die Autoren Phillip W. Friederich und Kollegen, Amsterdam, geben zu Bedenken, dass
der Blutverlust nicht allein vom Gerinnungssystem abhängt. Auch die Art und die Dauer
der Operation, die Erfahrung des Operateurs und andere Faktoren sind von Bedeutung.
Den Ergebnissen der Studie zufolge verringert die intravenöse Bolusgabe von rekombinantem
aktivierten Gerinnungsfaktor VII den perioperativen Blutverlust bei großen Operationen
signifikant. Diese Maßnahme kann auch dann wichtig sein, wenn eine chirurgische Blutstillung
schwer zu erreichen ist.
Kommentar zur Studie
Kommentar zur Studie
Kommt es bei Prostatektomien zu schweren Blutungen, stellt die intravenöse Gabe von
Faktor VIIa eine interessante Therapieoption dar.
Rekombinanter aktivierter Faktor VII (Faktor VIIa) steht seit einigen Jahren zur Behandlung
schwerer Blutungsereignisse bei Patienten mit angeborener oder erworbener Hemmkörper-Hämophilie
zur Verfügung. Die mittlere Dosierung bei dieser Indikation beträgt 90 μg/kg Körpergewicht.
Auch außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches gibt es eine Reihe von Mitteilungen,
die belegen, dass der Faktor VIIa erfolgreich bei schweren Blutungen anderer Ätiologie
eingesetzt werden kann: Etwa bei polytraumatisierten Patienten, bei schweren perioperativen
chirurgisch nicht beherrschbaren Blutungen, bei gastrointestinalen Blutungen oder
bei Lebertransplantation - um nur einige zu nennen. Positive Erfahrungen konnte man
auch beim Einsatz von rekombinantem Faktor VIIa bei Patienten mit thrombozytären Gerinnungsstörungen
sammeln. Die initiale Befürchtung, dass es insbesondere durch hohe Dosen von Faktor
VIIa zu vermehrten Thromboembolien kommen könnte, hat sich bislang nicht bestätigt.
Beim rekombinanten Faktor VIIa handelt es sich um ein sicheres Präparat. Die Mortalität
anhand der aktuellen Daten wird auf 0,004 % pro Einzeldosis geschätzt. Bezüglich der
Nebenwirkungen des Präparates wird in Einzelfällen von kardialen Nebenwirkungen (Angina
pectoris und auch Rhythmusstörungen) berichtet. Ferner wurden zerebrovaskuläre Störungen
beobachtet.
Die vorliegende Studie von Philip Friederich stellt einen interessanten Ansatz dar.
Bei der retropubischen transabdominalen Prostatektomie kommt es perioperativ oft zu
ausgeprägten Blutverlusten. In die Studie wurden Patienten eingeschlossen, die eine
normale Blutgerinnung hatten. Diese Patienten erhielten intravenös einen Bolus des
Faktors VIIa in einer vergleichsweise niedrigen Dosierung von 20 bzw. 40 μg/kg Körpergewicht.
Durch die Gabe des Faktors VIIa konnte im Vergleich zur Plazebogruppe eine signifikante
Reduktion des Blutverlustes und der Notwendigkeit von Transfusionen beobachtet werden.
Dies gilt vor allem für die Patienten in der 40 μg/kg Körpergewicht-Gruppe. Unter
dem Therapieregime wurden keine unerwünschten Nebenwirkungen beobachtet.
In der Arbeit wird erstmals über eine Substitution von rekombinantem aktivierten Faktor
VII bei Patienten mit intakter Blutgerinnung und nicht präexistenten schweren Blutungen
berichtet. Die hier durchgeführte, prophylaktische Gabe des Faktors VIIa ist unter
pharmaökonomischen Gesichtspunkten nicht einem breiten Einsatz zu empfehlen. Bei Blutungskomplikationen
nach Prostatektomie haben nach wie vor die Antifibrinolytika ihren Stellenwert. Sollte
es jedoch nach derartigen Eingriffen zu massiven schweren, chirurgisch nicht beherrschbaren
Blutungen kommen, stellt die intravenöse Applikation von Faktor VIIa eine interessante
und wahrscheinlich effiziente Therapieoption dar.
PD Helmut Schinzel, Mainz
Kommentar zur Studie
Kommentar zur Studie
Die Applikation von Faktor VIIa sollte Notfallsituationen vorbehalten bleiben.
Die Autoren suchen nach einer Möglichkeit, den intraoperativen Blutverlust zu reduzieren.
Sie lösen das Problem, in dem sie den rekombinanten aktivierten Faktor VII (Faktor
VIIa) in einer Dosierung von 20 bzw. 40 μg/kg Körpergewicht verabreichen. Sie vermindern
damit signifikant den intraoperativen Blutverlust. Die Kosten hierfür belaufen sich
je nach Dosierung und Gewicht des Patienten auf rund 1000-2500 Euro - nicht unbeträchtlich
in der heutigen, zunehmend kostenbewussten Zeit. Mögliche Nebenwirkungen einer solchen
Behandlung sind anaphylaktische Reaktionen, thromboembolische Ereignisse, Thrombopenien,
Inaktivierung durch Antikörper und ein erhöhtes Infektrisiko bei nicht rekombinant
hergestellten Präparaten. Außer einem Herzinfarkt 14 Tage postoperativ sind allerdings
bei den 36 Patienten in der Studie keine weiteren, Faktor-VIIa-bedingten Nebenwirkungen
erwähnt worden.
Ein anderer, weit billigerer Lösungsansatz ist, die operativen Methoden weiterzuentwickeln
und die Chirurgen zu schulen. An der Universitätsklinik Bern verloren die letzten
100 Patienten, die sich einer offenen retropubischen radikalen Prostatektomie mit
ausgedehnter bilateraler Lymphadenektomie unterzogen, im Median (vom Anästhesisten
gemessen) 825 ml Blut (300-2500 ml). Je ein Patient bedurfte einer bzw. zweier Blutkonserven
(2 %). Dabei ist zu beachten, dass es sich um eine Weiterbildungsklinik handelt und
auch die Eingriffe der Lernenden eingeschlossen sind. Bei den erfahreneren Operateuren
ist der Blutverlust oder das Transfusionsrisiko noch wesentlich geringer. Um den intraoperativen
Blutverlust niedrig zu halten, ist neben der operativen Technik eine zurückhaltende
Volumensubstitution durch die Anästhesisten bis zur Entfernung des Operationspräparates
wichtig. Die Applikation von Faktor VIIa sollte Notfallsituationen vorbehalten bleiben.
PD George Thalmann, Prof. Urs E. Studer, Bern
Abb. 1 Radikale retropubische Prostatektomie. Der Blutverlust bei großen Operationen ist
nicht nur vom Gerinnungssystem abhängig. Wichtig sind auch Art und Dauer der Operation
sowie die Erfahrung des Operateurs (Bild: Ausgewählte urologische OP-Techniken, Thieme
1997).
Abb. 2 Erhalten Patienten während einer Prostatektomie eine Bolusgabe des Faktors VIIa,
verlieren sie weniger Blut (Bild: Archiv).