Aktuelle Urol 2003; 34(4): 183-184
DOI: 10.1055/s-2003-45350
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Retropubische Prostatektomie - Rekombinanter aktivierter Faktor VII verringert Blutverlust

Ralph Hausmann
  • Frankfurt
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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Publication Date:
25 August 2003 (online)

 
Table of Contents #

Zusammenfassung

Bei der retropubischen transabdominalen Prostatektomie verlieren die Männer perioperativ zwischen 800 und 3500 ml Blut. In einer niederländischen Studie wurde untersucht, inwieweit die intravenöse Bolusgabe von rekombinantem aktivierten Faktor VII den Blutverlust bei Patienten mit normalem Gerinnungssystem verringert.

In die doppelblinde, randomisierte und plazebokontrollierte Studie wurden 36 Patienten aufgenommen. Sie wurde einer radikalen retropubischen Prostatektomie wegen eines Karzinoms oder einer offenen retropubischen extravesikalen Prostatektomie nach Millin aufgrund einer Prostatahyperplasie unterzogen. 8 Patienten erhielten 20 μg/kg Körpergewicht des aktivierten Blutgerinnungsfaktors VII, 16 Patienten 40 μg und 12 Patienten Plazebo (Lancet 2003; 361: 201-205).

Im Durchschnitt verloren die Patienten perioperativ in der 20-μg-Gruppe 1235 ml, in der 40-μg-Gruppe 1089 ml und in der Plazebo-Gruppe 2688 ml Blut. 7 von 12 Patienten in der Plazebo-Gruppe erhielten eine Erythrozytentransfusion, 3 in der 20-μg-Gruppe und kein Patient in der 40-μg-Gruppe. Die Bolusgabe von aktiviertem Faktor VII hatte keine unerwünschten Nebenwirkungen zurfolge.

Die Autoren Phillip W. Friederich und Kollegen, Amsterdam, geben zu Bedenken, dass der Blutverlust nicht allein vom Gerinnungssystem abhängt. Auch die Art und die Dauer der Operation, die Erfahrung des Operateurs und andere Faktoren sind von Bedeutung.

Den Ergebnissen der Studie zufolge verringert die intravenöse Bolusgabe von rekombinantem aktivierten Gerinnungsfaktor VII den perioperativen Blutverlust bei großen Operationen signifikant. Diese Maßnahme kann auch dann wichtig sein, wenn eine chirurgische Blutstillung schwer zu erreichen ist.

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Kommentar zur Studie

Kommt es bei Prostatektomien zu schweren Blutungen, stellt die intravenöse Gabe von Faktor VIIa eine interessante Therapieoption dar.

Rekombinanter aktivierter Faktor VII (Faktor VIIa) steht seit einigen Jahren zur Behandlung schwerer Blutungsereignisse bei Patienten mit angeborener oder erworbener Hemmkörper-Hämophilie zur Verfügung. Die mittlere Dosierung bei dieser Indikation beträgt 90 μg/kg Körpergewicht. Auch außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches gibt es eine Reihe von Mitteilungen, die belegen, dass der Faktor VIIa erfolgreich bei schweren Blutungen anderer Ätiologie eingesetzt werden kann: Etwa bei polytraumatisierten Patienten, bei schweren perioperativen chirurgisch nicht beherrschbaren Blutungen, bei gastrointestinalen Blutungen oder bei Lebertransplantation - um nur einige zu nennen. Positive Erfahrungen konnte man auch beim Einsatz von rekombinantem Faktor VIIa bei Patienten mit thrombozytären Gerinnungsstörungen sammeln. Die initiale Befürchtung, dass es insbesondere durch hohe Dosen von Faktor VIIa zu vermehrten Thromboembolien kommen könnte, hat sich bislang nicht bestätigt. Beim rekombinanten Faktor VIIa handelt es sich um ein sicheres Präparat. Die Mortalität anhand der aktuellen Daten wird auf 0,004 % pro Einzeldosis geschätzt. Bezüglich der Nebenwirkungen des Präparates wird in Einzelfällen von kardialen Nebenwirkungen (Angina pectoris und auch Rhythmusstörungen) berichtet. Ferner wurden zerebrovaskuläre Störungen beobachtet.

Die vorliegende Studie von Philip Friederich stellt einen interessanten Ansatz dar. Bei der retropubischen transabdominalen Prostatektomie kommt es perioperativ oft zu ausgeprägten Blutverlusten. In die Studie wurden Patienten eingeschlossen, die eine normale Blutgerinnung hatten. Diese Patienten erhielten intravenös einen Bolus des Faktors VIIa in einer vergleichsweise niedrigen Dosierung von 20 bzw. 40 μg/kg Körpergewicht. Durch die Gabe des Faktors VIIa konnte im Vergleich zur Plazebogruppe eine signifikante Reduktion des Blutverlustes und der Notwendigkeit von Transfusionen beobachtet werden. Dies gilt vor allem für die Patienten in der 40 μg/kg Körpergewicht-Gruppe. Unter dem Therapieregime wurden keine unerwünschten Nebenwirkungen beobachtet.

In der Arbeit wird erstmals über eine Substitution von rekombinantem aktivierten Faktor VII bei Patienten mit intakter Blutgerinnung und nicht präexistenten schweren Blutungen berichtet. Die hier durchgeführte, prophylaktische Gabe des Faktors VIIa ist unter pharmaökonomischen Gesichtspunkten nicht einem breiten Einsatz zu empfehlen. Bei Blutungskomplikationen nach Prostatektomie haben nach wie vor die Antifibrinolytika ihren Stellenwert. Sollte es jedoch nach derartigen Eingriffen zu massiven schweren, chirurgisch nicht beherrschbaren Blutungen kommen, stellt die intravenöse Applikation von Faktor VIIa eine interessante und wahrscheinlich effiziente Therapieoption dar.

PD Helmut Schinzel, Mainz

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Kommentar zur Studie

Die Applikation von Faktor VIIa sollte Notfallsituationen vorbehalten bleiben.

Die Autoren suchen nach einer Möglichkeit, den intraoperativen Blutverlust zu reduzieren. Sie lösen das Problem, in dem sie den rekombinanten aktivierten Faktor VII (Faktor VIIa) in einer Dosierung von 20 bzw. 40 μg/kg Körpergewicht verabreichen. Sie vermindern damit signifikant den intraoperativen Blutverlust. Die Kosten hierfür belaufen sich je nach Dosierung und Gewicht des Patienten auf rund 1000-2500 Euro - nicht unbeträchtlich in der heutigen, zunehmend kostenbewussten Zeit. Mögliche Nebenwirkungen einer solchen Behandlung sind anaphylaktische Reaktionen, thromboembolische Ereignisse, Thrombopenien, Inaktivierung durch Antikörper und ein erhöhtes Infektrisiko bei nicht rekombinant hergestellten Präparaten. Außer einem Herzinfarkt 14 Tage postoperativ sind allerdings bei den 36 Patienten in der Studie keine weiteren, Faktor-VIIa-bedingten Nebenwirkungen erwähnt worden.

Ein anderer, weit billigerer Lösungsansatz ist, die operativen Methoden weiterzuentwickeln und die Chirurgen zu schulen. An der Universitätsklinik Bern verloren die letzten 100 Patienten, die sich einer offenen retropubischen radikalen Prostatektomie mit ausgedehnter bilateraler Lymphadenektomie unterzogen, im Median (vom Anästhesisten gemessen) 825 ml Blut (300-2500 ml). Je ein Patient bedurfte einer bzw. zweier Blutkonserven (2 %). Dabei ist zu beachten, dass es sich um eine Weiterbildungsklinik handelt und auch die Eingriffe der Lernenden eingeschlossen sind. Bei den erfahreneren Operateuren ist der Blutverlust oder das Transfusionsrisiko noch wesentlich geringer. Um den intraoperativen Blutverlust niedrig zu halten, ist neben der operativen Technik eine zurückhaltende Volumensubstitution durch die Anästhesisten bis zur Entfernung des Operationspräparates wichtig. Die Applikation von Faktor VIIa sollte Notfallsituationen vorbehalten bleiben.

PD George Thalmann, Prof. Urs E. Studer, Bern

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Abb. 1 Radikale retropubische Prostatektomie. Der Blutverlust bei großen Operationen ist nicht nur vom Gerinnungssystem abhängig. Wichtig sind auch Art und Dauer der Operation sowie die Erfahrung des Operateurs (Bild: Ausgewählte urologische OP-Techniken, Thieme 1997).

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Abb. 2 Erhalten Patienten während einer Prostatektomie eine Bolusgabe des Faktors VIIa, verlieren sie weniger Blut (Bild: Archiv).

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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Dr. Ralph Hausmann

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Abb. 1 Radikale retropubische Prostatektomie. Der Blutverlust bei großen Operationen ist nicht nur vom Gerinnungssystem abhängig. Wichtig sind auch Art und Dauer der Operation sowie die Erfahrung des Operateurs (Bild: Ausgewählte urologische OP-Techniken, Thieme 1997).

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Abb. 2 Erhalten Patienten während einer Prostatektomie eine Bolusgabe des Faktors VIIa, verlieren sie weniger Blut (Bild: Archiv).