Aktuelle Urol 2003; 34(4): 188-190
DOI: 10.1055/s-2003-45352
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hodentorsion - Ein Drittel dreht nach lateral

Ralph Hausmann1
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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Publication Date:
25 August 2003 (online)

 
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Zusammenfassung

Bisher wird die Lehrmeinung vertreten, dass Hodentorsionen in erster Linie in medialer Richtung auftreten. Eine US-Arbeitsgruppe hat dies überprüft.

Eine Hodentorsion tritt bei einem von 4000 jungen Männern im Alter bis zu 25 Jahren auf. Bei einem entsprechenden Verdacht ist eine operative Exploration notwendig. Ob der Hoden gerettet werden kann, hängt von der Dauer der Ischämie und dem Grad der Rotation ab.

Annette Sessions und Kollegen haben die klinischen Erfahrungen der letzten 20 Jahre auf der Abteilung pädiatrische Urologie des Universitätsklinikums Rochester, USA, bei der Behandlung von Hodentorsionen mit dem Focus auf Drehungsrichtung und Grad der Torsion ausgewertet. Dazu wurden die Krankenakten von 200 männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 18 Monaten und 20 Jahren herangezogen, die zwischen 1980 und 2000 mit der Diagnose Hodentorsion aufgenommen worden waren (J Urol 2003; 169: 663-665). Bei 186 Untersuchungen traten die Symptome zu 52 % auf der linken und zu 48 % auf der rechten Seite auf. Bei 108 von 162 auswertbaren Patienten (67 %) wurde eine mediale Drehrichtung des Hodens diagnostiziert. Bei 54 Jungen (33 %) war eine laterale Rotation aufgetreten, ohne Unterschiede zwischen dem linken und dem rechten Hoden.

Eine Torsion von im Mittel 540 Grad trat bei den 70 Orchiektomie-Fällen auf (38 %); bei den 116 geretteten Hoden (62 %) betrug die mittlere Verdrehung 360 Grad. Ein manueller Detorquierungsversuch wurde in 53 Orchidopexiefällen vorgenommen, dabei wurde eine nicht vollständig behobene Torsion bei 17 Jungen (32 %) festgestellt. Eine Hodenatrophieentwickelten 27 % der Patienten.

Die Autoren geben zu Bedenken, dass ein gleich großer Grad der Verdrehung und eine ähnlich lange Dauer der Torsion einerseits einen Hodeninfarkt verursachen kann, der zur Orchiektomie führt. Andererseits wird in einer ähnlichen Situation der Hoden auch gerettet. Der Grund dafür könnte sein, dass bei gleichen Voraussetzungen dünnere Samenstränge eine Torsion länger ohne Schaden für den Hoden tolerieren als dickere. Diese klinischen Beobachtungen jedenfalls hat die Arbeitsgruppe aus Rochester gemacht. Obgleich die meisten Torsionen in die mediale Richtung drehen, verläuft immerhin ein Drittel in lateraler Richtung. Deshalb sollte bei einem manuellen Detorquierungsversuch diese Tatsache berücksichtigt werden, meinen die Autoren. Eine chirurgische Hodenfreilegung ist nach wie vor notwendig, auch wenn es zu einer Besserung der klinischen Symptome nach manueller Intervention kommt. Denn eine noch nicht völlig beseitigte Torsion kann die Funktionsfähigkeit des Hodens gefährden.

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Kommentar zur Studie

Das Fazit des Artikels: „Wird der Hoden Dir zur Qual, leg ihn frei im OP-Saal.”

„Wird der Hoden Dir zur Qual, dreh' ihn rasch nach lateral.” Die meisten Urologen sind innerhalb ihrer Laufbahn beim Thema Hodentorsion mit diesem oder einem ähnlichen Merksatz konfrontiert worden. Vermutlich entstammt dieser Spruch aus einer Zeit, in der anders als heute keine flächendeckende urologisch-chirurgische Versorgung gewährleistet war. Immer noch wird in Lehrbüchern die Möglichkeit einer manuellen Detorsion als Therapieoption diskutiert. Dieses ist insbesondere darauf zurückzuführen, da unverändert die Lehrmeinung vertreten wird, dass fast alle Hodentorsionen durch eine Verdrehung des Samenstrangs in medialer Richtung entstehen.

Nun ist in diesem Zusammenhang in der referierten Studie von Annette E. Sessions anschaulich dargestellt worden, was die meisten von uns sicherlich schon vermutet haben: Der Hoden dreht im Rahmen einer Torsion keineswegs ausschließlich nach medial, sondern nur bei rund 2 Dritteln der Patienten. Weiterhin von großem Interesse ist das Ausmaß der Torsion, im Mittel zwischen 360 und 540 Grad im untersuchten Kollektiv von immerhin 186 auswertbaren Patienten. Bereits aus diesen beiden Ergebnissen lassen sich die Hauptprobleme der manuellen Detorsion zur Therapie der Hodentorsion ableiten: 1. In welche Richtung soll die Detorsion erfolgen und 2. wie viele Umdrehungen sind erforderlich? Bei immerhin 56 der 186 Patienten (30 %) in der aktuellen Untersuchung wurde ein manueller Detorsionsversuch unternommen, der in nahezu einem Drittel der Fälle insuffizient war. Die Erfolgskontrolle erfolgte durch eine operative Freilegung.

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Operative Freilegung hat erste Priorität

Legt man nun die Ergebnisse dieser Arbeit und die Tatsache zugrunde, dass eine der häufigsten Diagnosen bei Schlichtungsverfahren ärztlicher Behandlungsfehler in Deutschland die Hodentorsion bzw. die Differenzialdiagnose des akuten Skrotums betrifft, muss bei entsprechender Symptomatik und der Verdachtsdiagnose „Hodentorsion” die operative Freilegung des Hodens erste Priorität haben. Denn keine andere Methode klärt die Situation definitiv auf. Der Versuch einer manuellen Detorsion ist nur dann gerechtfertigt, falls innerhalb einer vertretbaren Zeitspanne kein Krankenhaus mit der Möglichkeit einer operativen Exploration des Hodens erreichbar sein sollte. In diesem Fall kann die manuelle Detorsion zu einer Verbesserung der Durchblutung des Hodens führen und so die Zeitspanne bis zu einer irreversiblen Hodenschädigung verlängern. In jedem Fall muss auch nach manueller Detorsion möglichst umgehend eine operative Freilegung erfolgen, um den Erfolg zu kontrollieren. Die alleinige Verbesserung der klinischen Symptomatik kann nicht als sicheres Kriterium für eine erfolgreiche Detorsion herangezogen werden.

Als Fazit für die Praxis kann der Artikel eigentlich nur folgendermaßen kommentiert werden: „Wird der Hoden Dir zur Qual, leg ihn frei im OP-Saal.”

Dr. Florian Seseke, Göttingen

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Abb. 1 Hodentorsion. a) intravaginal, b) supravaginal. Der Erfolg einer manuellen Detorsion muss durch eine operative Freilegung des Hodens überprüft werden (Bild: Kinderurologie, Thieme 2000).

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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

 
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Abb. 1 Hodentorsion. a) intravaginal, b) supravaginal. Der Erfolg einer manuellen Detorsion muss durch eine operative Freilegung des Hodens überprüft werden (Bild: Kinderurologie, Thieme 2000).