Aktuelle Urol 2003; 34(4): 192-193
DOI: 10.1055/s-2003-45354
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nierenzellkarzinom mit Einbruch in die Vena cava - Potenziell heilbare Erkrankung

Ralph Hausmann1
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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Publication Date:
25 August 2003 (online)

 
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Zusammenfassung

Bei einem Nierenzellkarzinom kommt es in 4-10 % der Fälle zu einem Tumoreinbruch in die Vena cava inferior. Ein nicht-metastasierender Tumor mit Invasion in die Vene ist eine potenziell heilbare Erkrankung, wie eine Studie erneut zeigt.

Nabil K. Bissada und Kollegen, University of South Carolina, Charleston, USA, berichten über ihre Langzeiterfahrungen mit 75 Patienten im Alter zwischen 27 und 92 Jahren. Die Nachbeobachtungszeit betrug zwischen 25 und 144 Monaten (Urology 2003; 61: 89-92). Von den 54 operierten Patienten mit einem Nierenzellkarzinom litten 6 an Metastasen. Bei 32 war der Tumor in die infrahepatische oder untere retrohepatische Vena cava inferior eingebrochen, bei 7 in die obere intrahepatische Vene. Bei 15 Patienten wurde eine Tumorausdehnung in den rechten Vorhof festgestellt. In 7 Fällen hatte der Tumor die Venenwand befallen. Bei 4 Patienten wurde eine teilweise Exzision der Venenwand vorgenommen, bei 3 der betroffenen Venenbereich komplett reseziert. 3 Patienten starben in der postoperativen Phase, davon 2 mit Metastasen

Bei den 48 Patienten ohne Metastasen betrug die perioperative Mortalitätsrate 2 %. 22 Patienten (47 %) waren während der Nachbeobachtungszeit frei von Metastasen, 4 % entwickelten Einzelmetastasen und 36 % multiple Absiedlungen.

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Enttäuschende operative Ergebnisse

Die Autoren unterstreichen die enttäuschenden operativen Ergebnisse beim metastasierenden Nierenzellkarzinom mit Einbruch in die Vena cava inferior. Zum einen kam es zu einer hohen perioperativen Mortalitätsrate von 33 %, zum anderen betrug die 3-Jahres-Überlebensrate nur 25 %.

Andere Autoren haben berichtet, dass bei ausgewählten Patienten mit metastasierendem Karzinom ein langfristiges krankheitsfreies Überleben durch eine radikale Nephrektomie, Cava-Thrombektomie und postoperative Immuntherapie erreicht werden kann. Damit wurde eine 5-Jahres-Überlebensrate von 17 % erzielt. Patienten mit solitären Lungenmetastasen hatten eine 5-Jahres-Überlebensrate von 43 %, diejenigen mit einem Tumor niedrigen Malignitätsgrades von 52 %.

Die Autoren kommen aufgrund ihrer Erfahrungen zu dem Schluss, dass ein nicht-metastasierendes Nierenzellkarzinom mit Invasion in die Vena cava inferior eine potenziell heilbare Erkrankung ist, wenn der Tumor komplett entfernt werden kann. Patienten mit solitären Lungenmetastasen und einem Tumor niedrigen Malignitätsgrades können von einer Operation vor der Immuntherapie profitieren.

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Kommentar zur Studie

Nicht unerwartet konnten einige Patienten mit einem Nierenzellkarzinom mit Einbruch in die Vena cava durch alleinige radikale Operation geheilt werden.

Um die praktische Relevanz dieser Mitteilung zu prüfen, sollte man die Stadieneinteilung der UICC (Union International Contre le Cancer, Paris; eine WHO-Organisation) nach dem TNM-Schema (Tumor, (Lymph)Nodulus, Metastase) zugrunde legen. Sie ist wegen der nachgewiesenen prognostischen Relevanz der Stadieneinteilung für uns in Europa verbindlich. Alle 5 Jahre erfolgt eine Aktualisierung, derzeit ist die Version 2002 gültig.

Da die Lymphknotenausräumung bei positivem N-Stadium therapeutisch umstritten ist, kommen 2 T-Stadien (T3B: Tumor unterhalb des Zwerchfells und T3C: Tumor oberhalb des Zwerchfells) sowie 2 M-Stadien (M0/M1: Metastasen Nein/Ja) zur Analyse. Die Faktoren weisen unabhängig voneinander prognostische Signifikanz auf und ergeben 2 in der Potenz von 2 (= 4) Möglichkeiten, die weiter besprochen werden:

  1. T3CM1: Schlechteste Stadienkombination mit infauster Prognose. Ein größerer chirurgischer Eingriff ist nicht indiziert.

  2. T3CM0: Potenziell durch alleinige Operation kurables Stadium. Aufgrund der erhöhten perioperativen Morbidität und gelegentlichen Mortalität, sollte eine sehr strenge Indikationsstellung erfolgen. Der Eingriff ist zudem kostenintensiv und häufig wird der chirurgische Erfolg durch die biologische Aggressivität des Krebses (spätere Metastasenbildung) relativiert.

  3. T3BM1: Keine realistische Heilungschance, da die Ergebnisse der nachfolgenden Immuntherapie quo ad vitam sehr begrenzt sind. Mögliche palliative Effekte mit Überlebensverlängerung sind dokumentiert. So wurden in der großen EORTC-Studie 30947 (1) auch Patienten dieses Stadiums eingeschlossen, die in der Subgruppenanalyse keine schlechteren Ergebnisse als Patienten mit niedrigerem Primärtumorstadium aufwiesen. Eine Verallgemeinerung sollte aufgrund der geringen Fallzahlen vorsichtig erfolgen; dies gilt auch für die Indikationsstellung zur Operation für dieses Stadium.

  4. T3BM0: Die radikale Operation ist die alleinige Behandlungsmöglichkeit mit realistischer Aussicht auf Heilung. Daher stellt sie die anerkannte Standardbehandlung dar (Guidelines der EAU (2)). Die tatsächliche Heilungsrate dieses Stadiums liegt bei 30- 50 % 10 Jahre CSF (cancer specific survival) in Abhängigkeit von der biologischen Aggressivität des Tumors (grading).

Diese ernüchternden Zahlen sollten präoperativ mit dem Patienten besprochen werden; eine sinnvolle Alternative zur Operation besteht derzeit nicht.

Prof. Gerald H. Mickisch, Bremen

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Abb. 1 Nierenzellkarzinom des oberen Nierenpols. Kann der Tumor komplett entfernt werden, ist ein nicht metastasierendes Nierenzellkarzinom auch bei Invasion in die Vena cava eine potenziell heilbare Erkrankung (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).

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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

 
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Abb. 1 Nierenzellkarzinom des oberen Nierenpols. Kann der Tumor komplett entfernt werden, ist ein nicht metastasierendes Nierenzellkarzinom auch bei Invasion in die Vena cava eine potenziell heilbare Erkrankung (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).