Aktuelle Urol 2003; 34(6): 364-366
DOI: 10.1055/s-2003-45466
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kinder mit vesikoureteralem Reflux - Nierenfunktion kann szintigraphisch gut beurteilt werden

Roland Fath1
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Roland Fath

Frankfurt

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Publication Date:
27 October 2003 (online)

 
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Zusammenfassung

Kinder mit vesikoureteralem Reflux brauchen zur sicheren Beurteilung der relativen Nierenfunktion offenbar nicht katheterisiert zu werden. Einer US-Untersuchung zufolge liefert eine Nierenszintigraphie genauso zuverlässige Ergebnisse wie die Messung der Kreatinin-Clearance im 24-Stunden-Sammelurin nach Katheterisierung.

US-Wissenschaftler der Universität Iowa haben die Aussagekraft der Nierenszintigraphie bei 45 Kindern mit bilateralem vesikoureteralem Reflux, die für eine Operation vorgesehen waren, im Vergleich mit der Kreatinin-Clearance bewertet. Nierenszintigraphien im Verlauf von einer bis 3 Minuten nach Injektion eines radioaktiven Markers wurden im Mittel 2,5 Monate vor der Operation und 16 Monate nach dem Eingriff vorgenommen. Während der Operation wurden die Kinder beidseitig katheterisiert. Danach wurde im 24-Stunden-Sammelurin lateralisiert für jede Niere die Kreatinin-Clearance gemessen (Urology 2003; 61: 816-819).

Wie die Autoren der Studie berichten, betrug die präoperativ per Scan beurteilte relative Nierenfunktion 51 bis 94 % (im Mittel 61,3 %) einer gut funktionierenden Niere. Bei der postoperativen Nierenfunktionsprüfung lagen die Werte bei 47 bis 90 % (im Mittel 60,5 %). Sowohl bei den prä- als auch postoperativ gemessenen Werten gab es eine enge Korrelation zu den Werten der Kreatinin-Clearance.

Die Nierenfunktion ist ein wichtiger Parameter, um zu beurteilen, ob Kinder mit vesikoureteralem Reflux operiert werden sollten, betonen die Autoren. Mit der Szintigraphie steht zur Messung der Nierenfunktion eine nicht-invasive Methode zur Verfügung, die zuverlässige Werte liefert. Auf die Katheterisierung der Kinder kann daher verzichtet werden.

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Kommentar zur Studie

Die Exaktheit der nuklearmedizinischen seitengetrennten Nierenfunktionsbestimmung bei Kindern mit beidseitigem Reflux wurde durch die Studie bestätigt.

Seit nahezu 4 Jahrzehnten gilt die Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktion mithilfe der Nierensequenzszintigraphie als ein allgemein anerkannt exaktes Verfahren. In Deutschland wurde hierfür von Oberhausen der nach ihm benannte teilabgeschirmte Ganzkörpermessplatz entwickelt, der später durch die Verwendung von Gammakameras mit spezieller Software abgelöst wurde.

Die Exaktheit der nuklearmedizinischen seitengetrennten Nierenfunktionsbestimmung bei Kindern mit beidseitigem Reflux wurde jetzt auch von Untersuchern aus Iowa bestätigt. In der retrospektiven Untersuchung mit insgesamt 45 Kindern, bei denen teilweise präoperativ, teilweise postoperativ und teilweise prä- und postoperativ eine nuklearmedizinische Nierensequenzuntersuchung mit 2 verschiedenen Radiopharmaka erfolgt war, wurden die Ergebnisse mit der seitengetrennten Kreatinin-Clearance verglichen und eine gute Korrelation gefunden.

Auch wenn diese Arbeit zahlreiche methodische Mängel (z.B. falsche Beschreibung der nuklearmedizinischen Verfahren) aufweist, so kommt sie dennoch zu 2, zwar nicht neuen, aber dennoch wichtigen Aussagen:

  1. Mithilfe der Nierensequenzszintigraphie kann die seitengetrennten Nierenfunktion auch bei Kindern mit beidseitigem Reflux exakt bestimmt werden.

  2. Für eine Nierenfunktionsuntersuchung ist kein Blasenkatheter erforderlich.

Hinzuzufügen ist allerdings, dass beide Aussagen, zumindest in Europa, nie angezweifelt wurden.

Prof. Klaus Hahn, München

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Kommentar zur Studie

Der Goldstandard für die Detektion von Parenchymnarben ist derzeit der DMSA-Scan. Beim vesikorenalen Reflux liefert er in ausgewählten Fällen durch die Darstellung von Parenchymdefekten und die Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktionsanteile wertvolle Entscheidungshilfen für die Therapie.

Durch einen recht aufwändigen Untersuchungsansatz mit prä- und postoperativer Szintigraphie und seitengetrennter Kreatininclearance über bilaterale Ureterenkatheter ist die kinderurologische Arbeitsgruppe in Iowa der Frage nachgegangen, ob die szintigraphische Nierenfunktionsmessung durch einen vesikorenalen Reflux beeinflusst wird.

Wegen der relativ kleinen Fallzahl des heterogenen Patientenkollektivs, der Verwendung unterschiedlicher Substanzen (Glucoheptonat und Dimercaptosuccinat) und der schwierigen seitengetrennten Urinsammlung (mehrere Kinder mit Urinabflüssen > 25 % des Gesamturinvolumens über die suprapubische Zystostomie mussten von der Studie ausgeschlossen werden, suprapubische Urinverluste von bis zu 18 % der Sammelurinmenge wurden bei den eingeschlossenen Kindern akzeptiert) sind die Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren. Als Goldstandard für die Nierenfunktion ist die Kreatininclearance im übrigen generell nicht unproblematisch.

Die Daten der Arbeitsgruppe sprechen jedoch dafür, dass das Vorhandensein eines vesikorenalen Refluxes die szintigraphische Nierenfunktionsmessung nicht verfälscht. Insbesondere die hohe Korrelation zwischen präoperativ und nach Refluxbeseitigung erhobenen Messwerten stützen diese Hypothese. Die Autoren schlussfolgern, dass ein Blasenkatheter zur Verhinderung des Refluxes während der Untersuchung, wie er in der Literatur gelegentlich gefordert werde, nicht sinnvoll ist und dass die Szintigraphie bei VUR valide und seitengetrennte Nierenfunktionswerte liefert.

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Welche Konsequenzen ergeben sich für die Praxis?

Ein transurethraler Katheter gehört nicht zur Standardtechnik der szintigraphischen Nierenfunktionsdiagnostik im Säuglings- und Kindesalter. Dies entspricht aktuellen nuklearmedizinischen und kindernephrologischen Leitlinien. Für die Beurteilung der seitengetrennten Nierenfunktion ist die szintigraphische seitengetrennte Nierenclearance auch bei VUR geeignet. Es ist jedoch zweifelhaft, ob für die Therapieentscheidung (operatives oder konservatives Vorgehen) mögliche refluxinduzierte Abweichungen der szintigraphischen Messwerte von der tatsächlichen Funktion erhebliches Gewicht hätten. Neben der seitengetrennten Nierenfunktion sind es vielmehr das Vorhandensein von (pyelonephritischen) Parechnymdefekten, der Refluxgrad und die klinische Symptomatik, die das therapeutische Vorgehen bestimmen.

PD Rolf Beetz, Mainz

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Abb. 1 Refluxklassifikationen. Werden die Nieren mit einem vesikoureteralen Reflux szintigraphisch untersucht, ist eine Katheterisierung nicht mehr notwendig. (a) Klassifikation nach Heikel u. Parkkulainen (1966), (b) nach den Richtlinien der Internationalen Reflux Study Group (1985) (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).

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Roland Fath

Frankfurt

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Roland Fath

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Abb. 1 Refluxklassifikationen. Werden die Nieren mit einem vesikoureteralen Reflux szintigraphisch untersucht, ist eine Katheterisierung nicht mehr notwendig. (a) Klassifikation nach Heikel u. Parkkulainen (1966), (b) nach den Richtlinien der Internationalen Reflux Study Group (1985) (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).