Inhalt
Inhalt
Zusammenfassung 255
Abstract 255
Definitionen 256
Pathogenetischer Hintergrund der latenten tuberkulösen Infektion 257
Tuberkulin-Hauttest 257
Durchführung des Tuberkulin-Hauttests 257
Interpretation des Tuberkulin-Hauttests 258
Einfluss der Prävalenz der tuberkulösen Infektion auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
258
Einfluss von Kreuzreaktionen der zellulären Immunität nach der Infektion mit ubiquitären
nicht-tuberkulösen Mykobakterien auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
259
Einfluss der BCG-Impfung auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests 259
Einfluss von individuellen Risikofaktoren auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
259
Einfluss der individuellen Immunkompetenz auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
260
Kriterien für die Interpretation des gezielten Tuberkulin-Hauttests in definierten
Risikogruppen 260
Vorgehen bei positivem Tuberkulin-Hauttest 261
Vorgehen bei negativem Tuberkulin-Hauttest 261
Ziele der präventiven antimykobakteriellen Therapie 261
Epidemiologische Ziele 261
Individualmedizinische Ziele 262
Kriterien zur Beurteilung von Wirksamkeit und Effektivität der präventiven medikamentösen
Therapie der latenten tuberkulösen Infektion 262
Wirksamkeit, Effektivität und „number needed to treat”-Werte der präventiven Therapie
der latenten tuberkulösen Infektion 262
Therapieregime zur präventiven Therapie der latenten tuberkulösen Infektion 263
Präventive Chemotherapie mit Isoniazid 263
Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie mit Isoniazid bei Personen mit radiologischen
Residuen 263
Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie mit Isoniazid bei Personen mit Silikose
und dialysepflichtiger Niereninsuffizienz 264
Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie mit Isoniazid bei Personen mit HIV-Infektion
264
Dauer der protektiven Wirkung bei präventiver Chemotherapie mit Isoniazid 264
Optimale Dauer der präventiven Therapie mit Isoniazid 264
Tägliche versus intermittierende Gabe von Isoniazid in der präventiven Therapie 264
Alternativen zu Isoniazid 264
Präventive Therapie der latenten tuberkulösen Infektion nach Kontakt mit multiresistenter
Tuberkulose 265
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen der präventiven Therapie 266
Empfehlungen zur präventiven Therapie der latenten tuberkulösen Infektion in Deutschland
266
Besondere Patientengruppen 267
Kinder 267
Schwangerschaft und Laktation 267
BCG-geimpfte Personen 267
HIV-positive Personen 267
Patienten mit geplanter oder begonnener Therapie mit anti-TNF-alpha-Antikörpern 268
Prophylaxe der tuberkulösen Infektion 268
Danksagung 268
Literatur 268
Definitionen
Definitionen
Latente tuberkulöse Infektion
Unter der latenten tuberkulösen Infektion (LTBI) versteht man den Zustand nach der
primären Infektion mit Mycobacterium tuberculosis mit der Folge einer Persistenz vitaler Bakterien im Organismus ohne Organbefund,
bzw. ohne Erkrankung.
Tuberkulin-Hauttest
Intrakutane Injektion von gereinigtem Tuberkulin (Standardtestdosis: 10 Einheiten)
zur Überprüfung einer Mykobakterien-spezifischen zellulären Immunantwort zum Nachweis
einer tuberkulösen Infektion (latent oder behandlungsbedürftig).
Positiver Tuberkulin-Hauttest
Ein Tuberkulin-Hauttest wird als positiv gewertet, wenn ein Indurationsdurchmesser
überschritten wird, bei dem eine therapeutische Intervention erwogen werden muss (Interventionsgrenze).
Präventive Therapie der latenten tuberkulösen Infektion (Chemoprävention)
Behandlung der latenten tuberkulösen Infektion ohne tuberkulöse Erkrankung mit antimykobakteriell
wirksamen Medikamenten (Behandlung infizierter Personen).
Medikamentöse Prophylaxe (Chemoprophylaxe)
Behandlung mit antimykobakteriell wirksamen Medikamenten nach Exposition gegenüber
M. tuberculosis, um eine latente tuberkulöse Infektion bzw. eine Erkrankung an Tuberkulose zu verhindern
(Behandlung nicht-infizierter Personen).
Behandlungsbedürftige Tuberkulose
Behandlungsbedürftig bedeutet, dass eine Indikation zur Therapie einer tuberkulösen
Erkrankung mit einem vollständigen Regime antimykobakteriell wirksamer Medikamente
besteht (früher: aktive Tuberkulose).
Pathogenetischer Hintergrund der latenten tuberkulösen Infektion
Pathogenetischer Hintergrund der latenten tuberkulösen Infektion
Zum Verständnis der Tuberkulose ist es unabdingbar, zwischen der latenten Infektion
mit dem Erreger M. tuberculosis und der behandlungsbedürftigen Erkrankung zu unterscheiden [1]
[2]. Der Erreger wird durch Aerosole oder selten durch bakterienhaltigen Staub übertragen.
Wichtigste Infektionsquelle sind Personen mit behandlungsbedürftiger Tuberkulose der
Atmungsorgane (Lunge, Bronchien, Kehlkopf), bei denen mikroskopisch im Sputum-Direktpräparat
säurefeste Stäbchen nachweisbar sind. Sie setzen insbesondere beim Husten, aber auch
Niesen, Sprechen und Singen Aerosole frei, welche von Kontaktpersonen eingeatmet werden
können. Tuberkulosepatienten, bei denen der Erregernachweis allein kulturell aus dem
Sputum gelingt (mikroskopisch negativ), sind dagegen weit weniger infektiös. Bei „offenen”
Formen der extrapulmonalen Tuberkulose ist die Gefahr einer Kontamination der Umwelt
äußerst gering.
Nach der Passage durch die tiefen Atemwege in die Alveolen werden die Mykobakterien
durch Makrophagen phagozytiert. Mykobakterien besitzen die Fähigkeit, das Milieu des
Phagosoms so zu verändern, dass es als Lebensraum genutzt werden kann, indem sie der
Phagosomenansäuerung entgegenwirken und die Phagolysosomen-Bildung verhindern. Zusätzlich
sind sie aber auch gegenüber den intrazellulären Abtötungsmechanismen (reaktive Sauerstoff-
und Stickstoffmetabolite, lysosomale Enzyme) in erheblichem Ausmaß resistent. Um im
nährstoffarmen Phagosom überleben zu können, induzieren Mykobakterien die Bildung
von Poren in der Phagosomenmembran, die einen Zugang zum nährstoffreicheren Zytoplasma
gewährleisten [2].
Am Ort der bakteriellen Vermehrung entwickeln sich Granulome, die aus aktivierten
Makrophagen und diese umschließenden T-Lymphozytenpopulationen bestehen. Im Granulom
sind die intrazellulären vitalen Bakterien zwar eingedämmt, werden aber meist nicht
völlig abgetötet [3]. Im Zentrum der Granulombildung steht die Aktivierung von Makrophagen durch Interferon-γ
(IFN-γ), das von CD4 Th1-Zellen (Th-Zellen = T-Helferzellen) gebildet wird [4]. Da einige Antigene über den MHC-Klasse-I-Weg zytoplasmatisch prozessiert werden,
können auch CD8 T-Zellen stimuliert werden (MHC = Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex,
engl. major histocompatibility complex) [5]. Darüber hinaus werden auch T-Zellpopulationen aktiviert, die nicht nur Peptide,
sondern auch phosphorilierte Liganden und mykobakterielle Glykolipide erkennen. Auch
diese T-Zellpopulationen produzieren IFN-γ und tragen zur Makrophagenaktivierung bei.
Durch die immunologisch kompetente Zellformation des Granuloms gelingt bei immunkompetenten
infizierten Patienten eine Eingrenzung der Infektion, ohne dass eine behandlungsbedürftige
Erkrankung entsteht. Korrelate dieser Immunreaktionen sind der tuberkulöse Primäraffekt
(lokalisierte tuberkulöse Entzündungsherde) und der Primärkomplex (lokalisierter Entzündungsherd
mit reaktiv aktiviertem lokal drainierendem Lymphknoten). Das unkomplizierte Primärinfiltrat
ist meist so klein, dass es röntgenologisch unerkannt bleibt. Wird der Primärkomplex
bereits in diesem Stadium entdeckt, handelt es sich meist um einen Zufallsbefund,
da klinische Symptome zu diesem Zeitpunkt meist fehlen. Diese Reaktion auf die Infektion
tritt in 90 - 95 % der Infektionsfälle auf (tuberkulöse Infektion ohne behandlungsbedürftige
Erkrankung) [6]. Klinisch fassbar ist die latente Infektion in diesem Stadium durch den Tuberkulin-Hauttest,
der den Nachweis spezifisch determinierter Lymphozyten erlaubt.
Geringfügige Veränderungen in den komplexen Regulationsmechanismen der Granulome können
auch nach vielen Jahren dazu führen, dass die organisierte Struktur des Granuloms,
in dem sich in der Regel nur kleine Bakterienpopulationen befinden, zusammenbricht,
die Erreger sich ungehemmt vermehren, und eine behandlungsbedürftige tuberkulöse Erkrankung
ausbricht (Reaktivierung), wobei das Risiko jedoch in den ersten 2 Jahren nach der
Infektion am höchsten ist [7]. Die Reaktivierung spielt in der Epidemiologie der Tuberkulose in den industrialisierten
Ländern Europas und Nordamerikas vor allem bei älteren Menschen ein große Rolle [8].
Tuberkulin-Hauttest
Tuberkulin-Hauttest
Durchführung des Tuberkulin-Hauttests
Der Tuberkulin-Hauttest stellt zur Zeit immer noch die einzige belegte und in der
Routine einsetzbare Methode zur Erkennung einer Infektion mit M. tuberculosis dar [9]. Dabei muss zwischen der Infektion und der Fähigkeit des Organismus, auf iatrogen
zugeführte Proteine von M. tuberculosis mit einer spezifischen zellulären Immunantwort vom Typ der „delayed-type hypersensitivity”
(DTH) zu reagieren, in der Regel ein Zeitraum von 6 - 8 (minimal 2 Wochen) vergangen
sein [10]. Da es sich um ein biologisches System handelt, können sich in Einzelfällen, wie
in der Literatur beschrieben, Zeitspannen zwischen Infektion und Tuberkulinreaktion
von bis zu 12 Wochen ergeben.
Der Tuberkulin-Hauttest sollte heute ausschließlich nach der von Mendel und Mantoux
beschriebenen Methode durchgeführt werden [11]. Dabei erfolgt die streng intrakutane Injektion von 10 Einheiten (E) gereinigtem
Tuberkulin (GT) (die in Deutschland angebotenen 10 E GT entsprechen 5 internationalen
Einheiten Purified Protein Derivative - Standard (PPD-S)) in einem Volumen von 0,1
ml mittels einer 27G-Nadel und einer geeigneten kleinvolumigen (Tuberkulin-)Spritze
an der Beugeseite des Unterarms [11]. Die Ablesung des Tests erfolgt nach frühestens 48 Stunden, bevorzugt jedoch erst
nach 72 Stunden, spätestens nach einer Woche durch das Ausmessen der Induration in
der Querachse des Unterarmes [12]. Eine etwaige Rötung ohne Induration ist nicht zu beachten. Die Angabe und Dokumentation
des Testergebnisses erfolgen in Millimetern.
Andere Tuberkulin-Dosen (0,1 E, 1 E, 100 E, 1000 E) sind nicht standardisiert und
spielen daher für die Frage nach einer latenten Infektion keine Rolle. Sie haben allerdings
dann Bedeutung, wenn der Tuberkulintest im Rahmen der Diagnostik bzw. Differenzialdiagnostik
einer tuberkulösen Erkrankung eingesetzt wird.
Die so genannten Stempelteste sind heute für die Diagnose einer latenten Infektion
obsolet, da sie teilweise andere Tuberkulin-Dosen und Arten verwenden und das Applikationsverfahren
nur zu einer unsicheren intrakutanen Applikation des Tuberkulins führt, wodurch die
Sensitivität und damit auch die Spezifität unvorhersagbar variabel werden [11]
[13]. Aus den Ergebnissen der Stempelteste dürfen keine therapeutischen Konsequenzen
gezogen werden.
Immunologische Blutuntersuchungen, wie beispielsweise der von der Food and Drug Administration
in den USA zugelassene Quantiferon®-TB-Test, haben eine fragliche Sensitivität und
Spezifität (zumal als Vergleichstest lediglich der Tuberkulin-Hauttest zur Verfügung
steht) und sind derzeit bestenfalls als ergänzendes Testverfahren mit einer sehr eingeschränkten
Indikation zu sehen [14]. Manche Experten gehen aufgrund erster größerer klinischer Studien (z. B. mit ELISPOT)
jedoch davon aus, dass die Weiterentwicklung serologischer Testverfahren zukünftig
eine Alternative zum Tuberkulinhauttest darstellen könnte.
Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
Nach dem Ausmessen der Induration muss entschieden werden, ob das Ergebnis als positiver
oder negativer Test gewertet wird. Die Entscheidungsgrundlage dieser Interpretation
ist in Deutschland heute sehr komplex [15].
Dabei spielen vor allem fünf Faktoren eine Rolle:
-
Die Prävalenz der Infektion mit M. tuberculosis
-
Kreuzreaktionen der zellulären Immunität nach Infektion mit ubiquitären nicht-tuberkulösen
Mykobakterien
-
Kreuzreaktionen nach BCG-Impfung
-
Das Vorhandensein von Risikofaktoren für die Entwicklung einer behandlungsbedürftigen
Erkrankung bei latenter tuberkulöser Infektion
-
Die individuelle Immunkompetenz
Die Indikation, Interpretation und Aussagekraft des Tuberkulin-Hauttests bei tuberkulösen
Erkrankungen [11] sind nicht Gegenstand dieser Empfehlungen.
Einfluss der Prävalenz der tuberkulösen Infektion auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
Die Sensitivität des intrakutanen Tuberkulin-Hauttests beschreibt die Wahrscheinlichkeit
eines positiven Tests bei mit M. tuberculosis infizierten Personen. Sie ist bei regelhafter Durchführung des Tests vermutlich hoch
(90 - 95 %) [16]
[13]. Auch die Spezifität des Tests, die die Wahrscheinlichkeit eines negativen Tests
bei gesunden Personen beschreibt, kann bei Verwendung des Standard-Tuberkulins als
hoch veranschlagt werden (90 - 95 %) [16]
[13]. Hiermit wird allerdings schon deutlich, dass es weder eine absolute Sensitivität
noch eine absolute Spezifität gibt. Die entscheidende Frage ist daher, wie hoch der
prädiktive Wert eines positiven Tests (PPW: positiver prädiktiver Wert) ist, d. h.,
wie hoch die Proportion der tuberkulinpositiven Personen ist, bei denen tatsächlich
eine Infektion mit M. tuberculosis vorliegt. Der prädiktive Wert des positiven Tuberkulintests wird dabei entscheidend
von der Prävalenz der Infektion in der getesteten Population bestimmt [15]. Bei der Annahme einer Sensitivität und Spezifität von je 95 % ergibt sich bei einer
Prävalenz der Infektion von z. B. 30 % (entsprechend der Wahrscheinlichkeit einer
Infektion bei engem Kontakt zu Personen mit einem mikroskopischen Nachweis von Mykobakterien
im Sputumausstrich), ein prädiktiver Wert für einen positiven Test von 89 %, was bedeutet,
dass lediglich bei 11 % der als positiv getesteten Personen keine Infektion mit M. tuberculosis vorliegt [13]. Unter der gleichen Annahme für Sensitivität und Spezifität (je 95 %) ergibt sich
hingegen bei einer Prävalenz von 1 % (entsprechend einer vermutlich eher zu hoch eingeschätzten
Prävalenz der Infektion in Deutschland), ein prädiktiver Wert für einen positiven
Test von 16 %, was bedeutet, dass bei 84 % der als positiv getesteten Personen keine
Infektion mit M. tuberculosis vorliegt [13] (s. Tab. [1]).
Tab. 1 Sensitivität, Spezifität und prädiktiver Wert eines positiven Tests (PPW, positiv
prädiktiver Wert) [13]
a) Annahmen: Sensitivität: 95 %, Spezifität: 95 %, Prävalenz: 30 %, PPW: 89 %
|
|
tuberkulöse Infektion
|
Testresultat
|
ja |
nein |
gesamt |
positiv
|
2850 |
350 |
3200 |
negativ
|
150 |
6650 |
6800 |
gesamt
|
3000 |
7000 |
10 000 |
b) Annahmen: Sensitivität: 95 %, Spezifität: 95 %, Prävalenz: 1 %, PPW: 16 %
|
|
tuberkulöse Infektion
|
Testresultat
|
ja |
nein |
gesamt |
positiv
|
95 |
495 |
590 |
negativ
|
5 |
9405 |
9410 |
gesamt
|
100 |
9900 |
10 000 |
Dieses Beispiel zeigt, dass der positive Tuberkulintest nur dort über einen hinreichend
guten prädiktiven Wert verfügt, wo die Wahrscheinlichkeit einer Infektion im Vergleich
zur Situation in der Gesamtpopulation deutlich erhöht ist, und er sich somit als reines
Screening-Instrument für Populationen mit geringem Infektionsrisiko nicht eignet.
Andererseits wird deutlich, dass ein positiver Test in einer Population mit hoher
Infektions-Prävalenz, wie zum Beispiel bei Immigranten aus Gebieten mit hoher Tuberkulose-Inzidenz,
einen hohen prädiktiven Wert hat.
Einfluss von Kreuzreaktionen der zellulären Immunität nach der Infektion mit ubiquitären
nicht-tuberkulösen Mykobakterien auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
Die Infektion mit ubiquitären nicht-tuberkulösen Mykobakterien, deren Prävalenz eine
große regionale Streubreite zeigt, führt aufgrund speziesspezifischer gemeinsamer
antigener Determinanten der Erreger ebenfalls zu einer zellulären Reaktion nach der
Injektion von Tuberkulin [15]. Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass die Induration nach einer Infektion
mit ubiquitären Mykobakterien geringer ausfällt als nach einer Infektion mit M. tuberculosis. Die Trennschärfe des Tests zur Unterscheidung einer Infektion mit ubiquitären Mykobakterien
oder M. tuberculosis ist aber - wiederum prävalenzbedingt - nur hoch, wenn die Häufigkeitsverteilung der
Indurationsdurchmesser zwei eindeutige Häufigkeitsgipfel erkennen lässt [15]. Nur in einer solchen Situation ist eine eindeutige Unterscheidung von „positiven”
und „negativen” Testergebnissen möglich. Von einer solchen Situation kann aber in
Deutschland bei sehr geringer Tuberkulose-Prävalenz nicht mehr ausgegangen werden
[13].
Einfluss der BCG-Impfung auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
Die BCG-Impfung führt in der Regel nach 6 - 8 Wochen zu einem positiven Tuberkulin-Hauttest.
Es ist nicht bekannt, wie lange nach der Impfung der Hauttest positiv bleibt. Offensichtlich
verringert sich im Laufe der Zeit die Stärke der Reaktion, so dass mit größer werdendem
zeitlichen Abstand der Indurationsdurchmesser abnimmt [17]. Ein großer Indurationsdurchmesser nach langjährig zurückliegender BCG-Impfung kann
daher eher als ein Zeichen einer latenten tuberkulösen Infektion oder einer behandlungsbedürftigen
Erkrankung gewertet werden [18]
[16]. Eine lineare Beziehung zwischen Zeit und Reaktionsstärke existiert jedoch nicht.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass es durch die Tuberkulin-Hauttestung zu einer
Boosterreaktion der zellulären Immunität nach BCG-Impfung kommen kann. Insgesamt kann
also die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests bei BCG-geimpften Personen nur sehr
individuell erfolgen und bleibt stets mit einer gewissen Unschärfe behaftet [19].
Einfluss von individuellen Risikofaktoren auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
Die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests als positiv oder negativ muss zusätzlich
zu den oben erwähnten epidemiologischen Grundlagen auch gesicherte individuelle Risikofaktoren
berücksichtigen, die bei einer konkreten Person das Risiko für die Entwicklung einer
behandlungsbedürftigen tuberkulösen Erkrankung nach einer Infektion mit M. tuberculosis beschreiben.
Dabei ist zwischen Faktoren zu unterscheiden, die allgemein, d. h. unabhängig vom
Tuberkulin-Hauttest-Status, das Risiko einer behandlungsbedürftigen tuberkulösen Erkrankung
erhöhen (Tab. [2]) und Risikofaktoren, die die Inzidenz der Entwicklung einer behandlungsbedürftigen
Tuberkulose bei Personen mit positivem Tuberkulin-Hauttest steigern (Tab. [3]).
Tab. 2 Allgemeine Risikofaktoren für die Entwicklung einer tuberkulösen Erkrankung (modifiziert
nach [9])
Klinisches Charakteristikum |
Relatives Risiko (RR) oder relative Odds Ratio (OR) für die Entwicklung einer behandlungsbedürftigen
Tuberkulose im Vergleich zur einer Kontrollpopulation: RR/OR = 1 |
Silikose
|
30 [20]
[21]
|
Diabetes mellitus
|
2 - 4,1 [22]
[23]
[24]
|
chronisches Nierenversagen, Hämodialyse
|
10 - 25,3 [25]
[26]
[27]
|
Gastrektomie
|
2 - 5 [28]
[29]
[30]
|
jejunoilealer Bypass
|
27 - 63 [31]
[32]
|
Nierentransplantation
|
37 [33]
|
Herztransplantation
|
20 - 74 [34]
[35]
|
Kopf-Hals-Karzinome
|
16 [36]
|
Therapie mit TNF-α-Antikörpern
|
>5 [37]
[38]
|
Es wird angenommen, dass auch Personen, die längerfristig mit Steroiden (> 15 mg Prednisolonäquivalent/Tag
über 2 - 4 Wochen reduziert die Tuberkulinreaktivität) und/oder anderen immunsuppressiven
Medikamenten behandelt werden, ein erhöhtes Risiko einer Reaktivierung haben [39], das genaue Ausmaß dieses Risikos ist jedoch nicht bekannt [40].
Tab. 3 Risikofaktoren für die Entwicklung einer tuberkulösen Erkrankung bei Personen mit
positivem Tuberkulin-Hauttest (modifiziert nach [9])
Risikofaktor |
TB-Fälle pro 1000 Personen Jahre (Zum Vergleich: Deutschland 2000 : 0,11) |
Infektion vor weniger als 1 Jahr
|
12,9 [7]
|
Infektion vor 1 - 7 Jahren
|
1,6 [7]
|
HIV-Infektion
|
35 - 162 [41]
|
i. v. Drogen Abusus (HIV negativ)
|
10 [42]
|
Silikose
|
68 [43]
|
radiologische Zeichen einer früheren Tuberkulose
|
2 - 13,6 [44]
[45]
[46]
|
Untergewicht > 15 %
|
2,6 [47]
|
Aus beiden Tabellen kann gefolgert werden, dass bestimmte klinische Charakteristika
sowohl mit einem allgemein erhöhten Risiko für eine behandlungsbedürftige tuberkulöse
Erkrankung einhergehen, als auch mit einem erhöhten Risiko, bei positivem Tuberkulin-Hauttest
eine behandlungsbedürftige Tuberkulose zu entwickeln. Dieses muss bei der Interpretation
eines Tuberkulin-Hauttests bei Personen mit den entsprechenden Risikofaktoren Berücksichtigung
finden.
Einfluss der individuellen Immunkompetenz auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
Der Einfluss der individuellen Immunkompetenz auf die Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
muss unter zwei verschiedenen Aspekten gesehen werden. Zum einen ergibt sich aus einer
herabgesetzten Immunkompetenz ein erhöhtes Risiko für die Infektion und Erkrankung
[41]. Zum anderen kann eine herabgesetzte Immunkompetenz, insbesondere hinsichtlich der
zellulären Immunität, den Tuberkulin-Hauttest trotz einer tuberkulösen Infektion oder
einer behandlungsbedürftigen Erkrankung falsch negativ bleiben lassen [48]
[49]. Der negativ prädiktive Wert des intrakutanen Tuberkulin-Hauttests ist bei Immunkompetenten
sehr hoch (≥ 95 %). Das heißt, dass ein negativer Tuberkulin-Hauttest bei gesunden
Personen eine Infektion mit M. tuberculosis mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließt. Dieses gilt jedoch nicht bei Zuständen
einer definierten oder unspezifischen Immunsuppression (Tab. [4]) [11].
Tab. 4 Risikofaktoren für einen falsch-negativen Tuberkulin-Hauttest [11]
fulminante tuberkulöse Erkrankungen, wie z. B. Miliartuberkulosen
|
akute oder kurz zurückliegende schwere Virusinfektionen (z. B. Masern, Röteln, Windpocken
und Influenza)
|
nach Lebendimpfungen für zirka 6 Wochen
|
systemische Kortikoidtherapie
|
sehr hohes Lebensalter
|
Sarkoidose
|
schwere konsumierende Erkrankungen, z. B. Malignome
|
zelluläre Immundefekte wie z. B. HIV-Infektion, AIDS, oder lymphatische Systemerkrankungen
|
iatrogene zelluläre Immunsuppression wie z. B. nach Transplantation
|
Darüber hinaus kann der Tuberkulin-Hauttest auch bei einer erst kurz zurückliegenden
tuberkulösen Infektion (< 2 Monate) falsch negativ sein.
Kriterien für die Interpretation des gezielten Tuberkulin-Hauttests in definierten
Risikogruppen
Auf der Basis großer Studien, bei denen die Tuberkulin-Hautreaktion geprüft worden
ist, sind in den letzten Jahren relativ willkürliche, im besten Fall annäherungsweise
richtige Grenzen für die Indurationsdurchmesser festgelegt worden, ab denen ein Test
als positiv anzusehen ist [50]
[9]. Aus den oben dargestellten Gründen wird klar, dass bei der Interpretation des Tuberkulin-Hauttests
eine Fülle von Randbedingungen zu beachten sind. Da die Testinterpretation eng mit
individuellen Risikofaktoren gekoppelt ist, ergibt sich die eindeutige Forderung,
den Tuberkulin-Hauttest nur als gezieltes, individuelles diagnostisches Instrument
und nicht als allgemeines Screening-Instrument zur Untersuchung großer Populationen
zu verwenden.
Aus den oben genannten Daten wird deutlich, dass bei den komplexen Interpretationsbedingungen
die wichtigste Indikation für den Tuberkulin-Hauttest die Frage nach einer behandlungswürdigen
latenten tuberkulösen Infektion ist.
Um unter diesen Bedingungen den Tuberkulin-Hauttest als individuelles diagnostisches
Instrument in Ländern mit niedriger Prävalenz der tuberkulösen Infektion nutzbar zu
machen, haben zum Beispiel die „Centers for Disease Control and Prevention” (CDC)
in den USA erstmals im Jahre 1995 und nochmals im Jahre 2000 drei unterschiedliche
Indurationsdurchmesser definiert, die bei bestimmten Populationen als positiver Test
gewertet werden können [9]
[50] (Tab. [5]).
Tab. 5 Kriterien der American Thoracic Society (ATS) und CDC für die Positivität des Tuberkulin-Hauttests
nach Risikogruppen (modifiziert nach [9]
[50])
Gruppe 1: Positiver Tuberkulin-Hauttest mit einem Indurationsdurchmesser von ≥ 5 mm |
Gruppe 2: Positiver Tuberkulin-Hauttest mit einem Indurationsdurchmesser von ≥ 10 mm |
Gruppe 3: Positiver Tuberkulin-Hauttest mit einem Indurationsdurchmesser von ≥ 15 mm |
a) Kontakt zu Personen mit ansteckungsfähiger Tuberkulose innerhalb der vergangenen
2 Jahre [51]
b) radiologische Residuen einer alten Tuberkulose ohne Anhalt für behandlungsbedürftige
Erkrankung und ohne vorausgegangene Therapie [44]
c) Patienten nach Organtransplantation unter iatrogener Immunsuppression [33]
[34]
[35]
d) Patienten unter immunsuppressiver Therapie mit ≥ 15 mg Prednisolonäquivalent seit
≥ 1 Monat [39]
[52]
[53]
[54]
e) HIV-positive Patienten [41]
f) Personen mit geplanter oder laufender Therapie mit anti-TNF-α-Antikörpern [37]
|
a) Immigranten innerhalb von 5 Jahren nach der Einreise aus einem Land mit hoher Tuberkulose-Prävalenz
[50]
[55]
b) Kinder < 4 Jahre [56]
c) Kinder und Jugendliche nach Exposition gegenüber Personen mit ansteckungsfähiger
Tuberkulose [56]
d) Bewohner und Angestellte von folgenden Institutionen: Gefängnisse, Pflegeheime,
Krankenhäuser [50]
e) Personen mit einer der folgenden Grunderkrankungen: Silikose, Diabetes mellitus,
Maligne Lymphome, Leukämien, Kopf-Hals-Karzinome, Gewichtsverlust ≥ 10 % des Idealgewichtes,
Z. n. Gastrektomie, Z. n. jejunoilealem Bypass (Literatur siehe Tab. [2] und Tab. [3]) f) Mitarbeiter in mykobakteriologischen Laboratorien [50]
g) i.-v. Drogenabhängige [57]
|
a) alle Personen ohne aktuelle Risikofaktoren für eine tuberkulöse Infektion |
Unter der Prämisse, dass nur Personen getestet werden sollen, bei denen ein positiver
Test eine therapeutische Konsequenz haben sollte, spielt die Gruppe 3 der Tab. [5] für Deutschland keine Rolle. Bezüglich der Tuberkulintestinterpretation im Kindes-
und Jugendalter verweisen wir auf die entsprechende Literatur [119].
Vorgehen bei positivem Tuberkulin-Hauttest
Ergibt sich nach gezielter Tuberkulin-Hauttestung ein positiver Test, so muss eine
Röntgenaufnahme des Thorax erfolgen [11]. Finden sich hierbei radiologische Veränderungen, die mit einer Tuberkulose kompatibel
sein könnten, so muss immer eine behandlungsbedürftige Tuberkulose durch weitere geeignete
diagnostische Maßnahmen sicher ausgeschlossen werden (Sputum-Untersuchungen, ggf.
Bronchoskopie, weitere bildgebende Verfahren u. a.) [11]. Gegebenenfalls ist bis zum Erhalt der Kulturergebnisse eine anituberkulöse Kombinationstherapie
durchzuführen. Diese kann dann bei negativem Kulturergebnis und unverändertem Röntgenbefund
als Monotherapie im Sinne einer Therapie der LTBI fortgeführt werden. Bei HIV-infizierten
Personen mit respiratorischen Symptomen sollte auch im Fall einer unauffälligen Röntgenthoraxaufnahme
eine bakteriologische Untersuchung des Sputums erfolgen, da ein unauffälliger radiologischer
Befund hier eine behandlungsbedürftige Tuberkulose nicht immer ausschließt [9].
Kann eine behandlungsbedürftige Tuberkulose sicher ausgeschlossen werden, ergibt sich
die Diagnose einer latenten tuberkulösen Infektion, und es muss über die Indikation
zu einer präventiven medikamentösen Therapie entschieden werden. Wenn die präventive
Therapie seitens des Probanden abgelehnt wird oder eine Kontraindikation für eine
präventive Therapie einer latenten tuberkulösen Infektion besteht, ist zu prüfen,
ob, und wenn ja, welche Untersuchungen angezeigt sind, um eine sich entwickelnde Erkrankung
an Tuberkulose frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Vorgehen bei negativem Tuberkulin-Hauttest
Die Interpretation eines negativen Tuberkulin-Hauttests hängt vom Datum des letzten
Kontakts mit einer an Tuberkulose erkrankten Person (oder sonstigen Exposition) sowie
vom Vorliegen der in Tab. [4] aufgeführten Faktoren ab.
Bei sachgerechter Durchführung und Beachtung der Faktoren aus der Tab. [4] ist das Ergebnis eines negativen Tests zu akzeptieren, da er eine mykobakterielle
Infektion bis zirka 8 Wochen vor dem Test weitgehend ausschließt. Bestand allerdings
in den letzten 8 Wochen vor dem Testdatum eine weitere oder kontinuierliche Exposition,
so sollte der Tuberkulin-Hauttest 8 Wochen nach der letzten Exposition wiederholt
werden. Das Ergebnis dieses zweiten Tests ist dann als endgültig zu betrachten.
Besteht allerdings begründeter klinischer Verdacht auf einen falsch-negativen Test,
so kann am Ablesetag der Test in gleicher Weise auf dem kontralateralem Arm wiederholt
werden. Das Ergebnis diesen zweiten Tests ist dann als endgültig zu werten.
Individuell muss entschieden werden, ob eine Überprüfung der allgemeinen zellulären
Immunkompetenz durch eine intrakutane Testung mit anderen häufig positiven Recall-Antigenen
zur Interpretation eines negativen Tuberkulin-Hauttests hilfreich ist [49]. Ergibt sich die Konstellation eines negativen Tuberkulin-Hauttests und eines positiven
Anergie-Tests, so liegt bei der entsprechenden Person keine latente tuberkulöse Infektion
vor. Sind hingegen beide Teste negativ, so kann eine Aussage zur latenten tuberkulösen
Infektion nicht getroffen werden. In diesem Fall muss die entsprechende Person bei
gegebener Risikokonstellation mit geeigneten klinischen Methoden überwacht werden.
Es ist allerdings anzumerken, dass der einzige kommerziell erhältliche Antigen-Recall-Test
in Deutschland im Jahre 2003 vom Markt genommen wurde.
Liegen bei einer Person radiologische Veränderungen vor, die einer tuberkulösen Erkrankung
entsprechen könnten, so muss trotz eines negativen Tuberkulin-Hauttests eine behandlungsbedürftige
Tuberkulose sicher ausgeschlossen werden.
Ergibt sich bei einer exponierten Person ein negativer Tuberkulin-Hauttest, so ist
über die Indikation zur prophylaktischen medikamentösen Therapie zu entscheiden und
eine geeignete Überwachung sicherzustellen (s. „Prophylaxe der tuberkulösen Infektion”).
Letztlich gilt, dass ein negativer Tuberkulin-Hauttest im Einzelfall eine behandlungsbedürftige
Tuberkulose nicht sicher ausschließt, auch wenn keiner der in Tab. [4] genannten Faktoren bekannt ist. Daher sind tuberkuloseverdächtige Symptome oder
klinische Befunde auch bei negativem Tuberkulin-Hauttest weiter bis zum sicheren Ausschluss
einer behandlungsbedürftigen Erkrankung an Tuberkulose abzuklären.
Ziele der präventiven antimykobakteriellen Therapie
Ziele der präventiven antimykobakteriellen Therapie
Bei den Zielen der präventiven Therapie sind die epidemiologischen Ziele von den individualmedizinischen
Zielen zu unterscheiden.
Epidemiologische Ziele
Die epidemiologischen Ziele der präventiven antimykobakteriellen Therapie sind für
Länder mit hoher oder niedriger Tuberkulose-Prävalenz differenziert zu diskutieren.
In Ländern mit hoher Tuberkulose-Prävalenz ergäbe sich die Indikation zur Prävention
theoretisch sehr häufig. Das primäre Ziel dabei wäre, einen Einfluss auf die Erkrankungshäufigkeit
zu nehmen. Trotz dieser Überlegung wird die Prävention von der WHO und der IUATLD
in diesen Ländern vor allem aus folgendem Grund nicht empfohlen [58]
[59]: Länder mit hoher Tuberkulose-Prävalenz sind meist Länder, die über zu wenig finanzielle
Ressourcen verfügen, um bei der Indikationsstellung für eine präventive Therapie eine
behandlungsbedürftige Tuberkulose per Röntgenbild und Sputum-Mikroskopie und -Kultur
auszuschließen. Geschieht dies aber nicht, besteht die Gefahr, dass quantitativ bedeutende
Zahlen behandlungsbedürftiger Tuberkulosefälle mit einer Isoniazid-Monotherapie behandelt
werden. Damit nimmt das Resistenzproblem dramatisch zu, da bei der behandlungsbedürftigen
Erkrankung unter Umständen große Bakterienpopulationen vorliegen, die spontan Isoniazid-resistente
Mutanten enthalten können. Die vorhandenen Ressourcen sollen daher vorrangig für die
Fallfindung und die frühe und konsequente Therapie der aktiven Erkrankungen bereitgestellt
werden. Beide Maßnahmen führen nachweislich zum Rückgang der Tuberkulose-Prävalenz
und sind somit auch präventiv.
In Ländern mit niedriger Tuberkulose-Prävalenz besteht das epidemiologische Ziel der
Chemotherapie der latenten Tuberkuloseinfektion letztlich in der Eradikation der Tuberkulose
durch die Verhinderung der Reaktivierungen. Das wesentliche Problem ist jedoch der
ausgesprochen niedrige positive Vorhersagewert des Tuberkulin-Hauttests, der bei unkritischer
Verwendung etwa 80 % falsch positive Hauttests ergibt und somit die Anzahl derjenigen
Personen stark erhöht, die man unnötig behandeln müsste, um eine behandlungsbedürftige
Tuberkulose zu verhindern. Ein weiteres Problem besteht auch hinsichtlich der INH-Prävention
in der Risikogruppe der Immigranten, da in Deutschland, wie auch in anderen westeuropäischen
Ländern, die Immigration aus Ländern mit ungünstiger Isoniazid-Resistenzsituation
quantitativ bedeutend ist.
Individualmedizinische Ziele
Hierunter sind individuelle Indikationsstellungen gemeint, deren Ziel im Wesentlichen
die Verhinderung einer Reaktivierung bei Risikopatienten ist. Basis einer solchen
Indikationsstellung ist dabei die gezielte Tuberkulin-Hauttestung in den genannten
Risikopopulationen mit dem Ziel, bei positivem Tuberkulin-Hauttest auch eine präventive
Therapie zu initiieren (ATS: „decision to tuberculin test is decision to treat” [9]).
Kriterien zur Beurteilung von Wirksamkeit und Effektivität der präventiven medikamentösen
Therapie der latenten tuberkulösen Infektion
Kriterien zur Beurteilung von Wirksamkeit und Effektivität der präventiven medikamentösen
Therapie der latenten tuberkulösen Infektion
Unter der Wirksamkeit (efficacy) der präventiven Therapie versteht man die Proportion
behandlungsbedürftiger Tuberkulosen, die bei latent tuberkulös Infizierten im Vergleich
zu einer Kontrollgruppe unter den optimalen Bedingungen einer kontrollierten Prüfung
verhindert werden können [58]. Effektivität (efficiency) beschreibt hingegen die Wirksamkeit der präventiven Therapie
unter Alltagsbedingungen [58]. Quantitativ ergibt sich die Effektivität der präventiven Therapie als Produkt aus
der Richtigkeit der Indikationsstellung, also aus dem positiven prädiktiven Wert des
Tuberkulin-Hauttests, dem Risiko, infolge einer latenten Infektion an einer Tuberkulose
zu erkranken, der Wirksamkeit unter kontrollierten Bedingungen und der Compliance
[58]. Eine weitere wichtige Größe, um den Wert der präventiven Therapie zu beurteilen,
ergibt sich aus der Anzahl derjenigen latent infizierten Personen, die behandelt werden
müssen, um einen Fall einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose zu verhindern (number
needed to treat: NNT). Mathematisch ergibt sich der NNT-Wert aus dem Quotienten 1/Effektivität
[58].
Wirksamkeit, Effektivität und „number needed to treat”-Werte der präventiven Therapie
der latenten tuberkulösen Infektion
Um die Effektivität der präventiven Therapie beurteilen zu können, sollen im Folgenden
vier Modelle dargestellt werden, die entweder von einer schlechten Wirksamkeit (60
%) und gleichzeitig schlechter Compliance (30 %) ausgehen oder von guter Wirksamkeit
(90 %) und Compliance (80 %). Beide Modelle sind jeweils für eine Population mit geringem
Risiko (5 % behandlungsbedürftige Tuberkulosen bei allen latent tuberkulösen Personen)
und mit hohem Risiko (30 % behandlungsbedürftige Tuberkulosen bei allen latent tuberkulösen
Personen) berechnet [58] (Tab. [6]).
Tab. 6 Effektivität und „number needed to treat”-Werte (NNT) der präventiven Therapie der
latenten tuberkulösen Infektion (9 Monate Isoniazid) bei Annahme unterschiedlicher
Werte für Erkrankungsrisiko, Wirksamkeit und Patientencompliance
Tuberkulose-Risiko |
Wirksamkeit |
Compliance |
Effektivität |
NNT |
0,05
|
0,6 |
0,30 |
0,009 |
111 |
|
0,9 |
0,80 |
0,036 |
28 |
0,30
|
0,6 |
0,30 |
0,054 |
19 |
|
0,9 |
0,80 |
0,216 |
5 |
Diese Daten zeigen in ihren Extremwerten, dass einerseits eine präventive Therapie
bei niedrigem Risiko, mäßiger Wirksamkeit und schlechter Compliance sinnlos ist, da
111 Personen behandelt werden müssen, um eine einzige Erkrankung zu vermeiden, dass
andererseits bei hohem Risiko, guter Wirksamkeit und Compliance der NNT-Wert für eine
präventive Intervention mit 5 sehr günstig liegt.
Berücksichtigt man nun zusätzlich noch den von der Prävalenz der Tuberkulose abhängigen
positiven prädiktiven Wert des Tuberkulin-Hauttests (s. Kapitel 3.3), so ergibt sich
folgendes Bild für die NNT-Werte (Tab. [7]).
Tab. 7 Auswirkung des positiven prädiktiven Wertes (PPW) des Tuberkulintests auf Effektivität
und „number needed to treat”-Werte (NNT) der präventiven Therapie der latenten tuberkulösen
Infektion bei Annahme unterschiedlicher Werte für Erkrankungsrisiko, Wirksamkeit und
Patientencompliance
PPW des Tuberkulintests |
Tuberkulose-Risiko |
Wirksamkeit |
Compliance (als % der eingenommenen Dosen INH) |
Effektivität (Produkt der Spalten 1 - 4) |
NNT |
0,89
|
0,05 |
0,6 |
0,3 |
0,0080 |
125 |
|
|
0,9 |
0,8 |
0,032 |
31 |
|
0,3 |
0,6 |
0,3 |
0,0480 |
21 |
|
|
0,9 |
0,8 |
0,1922 |
5 |
0,16
|
0,05 |
0,6 |
0,3 |
0,0014 |
694 |
|
|
0,9 |
0,8 |
0,0058 |
173 |
|
0,3 |
0,6 |
0,3 |
0,0086 |
116 |
|
|
0,9 |
0,8 |
0,0345 |
29 |
Es wird also auch hier deutlich, dass die Faktoren Prävalenz der Tuberkulose, individuelles
Erkrankungsrisiko und Compliance selbst bei guter Wirksamkeit der präventiven Therapie
eine enorme Bedeutung für die NNT-Werte haben.
Therapieregime zur präventiven Therapie der latenten tuberkulösen Infektion
Therapieregime zur präventiven Therapie der latenten tuberkulösen Infektion
Die Behandlung der latenten tuberkulösen Infektion kann mit einer Monotherapie oder
einer Zweifachtherapie praktiziert werden. Dies ist im Gegensatz zur Behandlung der
behandlungsbedürftigen Tuberkulose möglich, da die bei der latenten Infektion vorhandenen
Keimpopulationen klein sind und vermutlich selten mehr als 104 Erreger umfassen [60]
[61]. Damit ist die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Resistenz sehr gering und eine
Monotherapie ausreichend.
Insgesamt stehen vier Therapieregime für die präventive antimykobakterielle Therapie
zur Verfügung. Die Erfahrungen mit den einzelnen Therapieregimen sind jedoch sehr
unterschiedlich. Bei weitem am besten ist die Wirksamkeit einer Isoniazid-Monotherapie
belegt.
Präventive Chemotherapie mit Isoniazid
Zur Beurteilung der Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie mit Isoniazid liegen
eine Reihe von Studien vor. Dabei sind durchaus differente Populationen unter verschiedenen
Fragestellungen untersucht worden.
Zwischen 1950 und 1970 sind weltweit mehr als 100 000 Personen in kontrollierten Prüfungen
hinsichtlich der Wirksamkeit einer präventiven Therapie mit Isoniazid untersucht worden.
Die Studienpopulationen waren Kinder mit primärer Tuberkulose, Kontaktpersonen zu
an offener Tuberkulose erkrankten Personen, Personen mit inaktiver Tuberkulose, Personen
mit positivem Tuberkulin-Hauttest und Patienten aus psychiatrischen Anstalten [62]
[63]
[64]
[65]
[66]
[67]
[68]
[69]. Isoniazid wurde überwiegend für 12 Monate in einer Dosis von 300 mg täglich verabreicht.
Es verwundert nicht, dass bei diesen heterogenen Gruppen die Wirksamkeit eine große
Streubreite von 25 - 92 % aufwies, der Vertrauensbereich der einzelnen Ergebnisse
weit war und in einigen Studien bis 0 % reichte. Wesentliche Gründe für die heterogenen
Ergebnisse waren die relativ weichen Einschlusskriterien der Probanden und die hieraus
folgende niedrige Inzidenz der Tuberkulose in den untersuchten Gruppen. In späteren
Analysen der Ergebnisse ist versucht worden, nur diejenigen Teilnehmer zu vergleichen,
bei denen ein positiver Tuberkulin-Hauttest vorlag und die zumindest 80 % der verordneten
Dosen Isoniazid eingenommen haben. Unter diesen Voraussetzungen lag die Wirksamkeit
über 90 % [44] (siehe auch Tab. [8]).
Insgesamt ergibt sich also aus diesen Studien ein uneinheitliches Bild, das aber unter
den genannten Voraussetzungen (positiver Tuberkulin-Hauttest und gute Compliance)
auf eine gute Wirksamkeit hinweist. Die Effektivität der präventiven Therapie in den
Gesamtkollektiven kann jedoch nicht als befriedigend angesehen werden. Besseren Aufschluss
über die Wirksamkeit versprechen Studien, bei denen Probanden untersucht worden sind,
die definierte Risikofaktoren für die Entwicklung einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose
nach einer Infektion aufwiesen.
Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie mit Isoniazid bei Personen mit radiologischen
Residuen
Patienten mit den radiologischen Residuen einer nicht-behandelten durchgemachten Tuberkulose
(z. B. fibrotische Narben) haben zum einen ein definierbares Reaktivierungsrisiko,
zum anderen stellen sie - insbesondere in Ländern mit einer niedrigen Tuberkulose-Inzidenz
- einen relevanten Anteil der Neuerkrankungen (Reaktivierungen). Es ist daher von
Interesse zu wissen, welche Wirksamkeit die präventive Therapie bei Patienten mit
radiologischen Residuen hat. 1982 veröffentlichte die Internationale Union gegen die
Tuberkulose die Daten einer Studie, in der zwischen 1969 und 1977 je Gruppe knapp
7000 Teilnehmer entweder mit Plazebo oder mit 300 mg Isoniazid täglich über 3, 6 und
12 Monate behandelt worden sind [44]. Dabei zeigten sich die in Tab. [8] aufgeführten Ergebnisse.
Tab. 8 Wirksamkeit der präventiven INH-Chemotherapie bei Personen mit fibrotischen Läsionen
in Abhängigkeit von der Therapiedauer (modifiziert nach [44])
|
5-Jahres-Tuberkulose-Inzidenz pro 1000 Patienten-Jahre |
Reduktion der Erkrankungswahrscheinlichkeit unter Isoniazid 300 mg/d (5-Jahres-Tuberkulose-Inzidenz pro 1000 Patienten-Jahre) |
Gruppen |
Plazebo |
3 Monate |
6 Monate |
12 Monate |
alle
(n = 27 830)
|
14,3 |
21 % (11,3) |
65 % (5,0) |
75 % (3,6) |
Adhärente* Teilnehmer
(n = 21 635)
|
15 |
31 % (9,4) |
69 % (4,7) |
93 % (1,1) |
radiologische Residuen < 2 cm2
(n = 18 663)
|
11,6 |
20 % (9,2) |
66 % (4,0) |
64 % (4,2) |
radiologische Residuen > 2 cm2
(n = 8428)
|
21,3 |
24 % (16,2) |
67 % (7,0) |
89 % (2,4) |
*Einnahme von ≥ 80 % der verordneten Medikamentenmenge |
Diese Daten demonstrieren, dass Patienten mit guter Compliance bei einer 12-monatigen
präventiven Isoniazidtherapie einen sehr guten protektiven Effekt erwarten können,
der umso größer ist, je ausgeprägter die radiologischen Residuen sind [70]. Der Einfluss der Therapieadhärenz und der -dauer wurde auch in einer anderen großen
Studie deutlich (U.S. Public Health Trial), bei welcher der protektive Effekt allerdings
nur bei knapp 70 % lag [65]. Zu beachten ist außerdem, dass bisher keine Daten zu Personen vorliegen, die radiologische
Residuen aufweisen, aber aus Regionen mit hohen Resistenzraten stammen.
Personen mit Veränderungen, welche für eine abgeheilte primäre Tuberkulose sprechen
(z. B. verkalkte solitäre noduläre pulmonale Herde [Granulome], verkalkte hiläre Lymphknoten,
apikale Pleuraverdickungen) haben kein erhöhtes Tuberkulose-Erkrankungsrisiko. Die
Indikation der Therapie einer LTBI sollte bei diesen Personen vom Vorliegen anderer
Risikofaktoren abhängig gemacht werden (s. Tab. [2] und Tab. [3]) [9].
Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie mit Isoniazid bei Personen mit Silikose
und dialysepflichtiger Niereninsuffizienz
Silikose und dialysepflichtige Niereninsuffizienz gelten als gut definierte Risikofaktoren
für eine behandlungsbedürftige Tuberkulose. Größere Studien haben aber in beiden Patientengruppen
nur einen begrenzten protektiven Effekt zwischen 30 % (6 Monate Isoniazid bei Silikose)
[71]
[43] und 40 % (12 Monate Isoniazid bei Niereninsuffizienz) [72] zeigen können.
Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie mit Isoniazid bei Personen mit HIV-Infektion
Die HIV-Infektion und die AIDS-Erkrankung stellen für die Tuberkuloseinfektion und
die behandlungsbedürftige Erkrankung die größten Risikofaktoren dar. Darüber hinaus
sind HIV-positive Patienten durch eine behandlungsbedürftige Tuberkulose auch hinsichtlich
ihrer Grunderkrankung gefährdet, da die gesteigerte TNF-α-Produktion bei der Formation
der tuberkulösen Granulome ein Faktor ist, der die Replikation der HI-Viren beschleunigt
[73]
[74]. Theoretisch wäre also zu erwarten, dass HIV-positive Patienten in besonderem Maße
von der präventiven Therapie ihrer latenten Tuberkulose profitieren. Die in den entsprechenden
Studien erreichte Wirksamkeit der präventiven Therapie mit Isoniazid ist jedoch in
der Praxis recht uneinheitlich und liegt quantitativ zwischen 40 und 83 % [75]
[76]
[77]
[78]
[79]
[80]
[81]. Ursächlich hierfür sind verschiedene Faktoren, von denen die unterschiedliche Tuberkulose-Inzidenz
in den geographischen Regionen, wo die Studien durchgeführt worden sind, und der inhomogene
Immunstatus der untersuchten Patienten die wichtigsten sind. Insbesondere bei anergen
HIV-Infizierten wurden zwischen Plazebo- und Verumgruppe keine signifikanten Unterschiede
gefunden [80]
[78]
[77], die ATS hält es daher für sinnvoll, die chemopräventive Therapie bei HIV-Infizierten
auf Tuberkulintestpositive zu beschränken [9]. Darüber hinaus zeigen neuere Daten zum Verlauf der HIV-Infektion bei behandlungsbedürftiger
Tuberkulose, dass die in vitro Annahme eines rascheren Verlaufes der HIV-Erkrankung
sich in vivo nicht belegen lässt [82].
Das häufige Vorliegen von Kontraindikationen und die oftmals niedrige Akzeptanz in
dieser Patientengruppe limitieren zudem den Einsatz der chemopräventiven Behandlung.
Im Rahmen einer großen italienischen Multicenterstudie, in welche 1705 HIV-positive
Patienten eingingen, haben von letztendlich 66 Patienten, bei welchen die Behandlungsindikation
einer LTBI gegeben war, nur 40 (60,6 %) einer chemopräventiven Therapie zugestimmt.
Lediglich 29 dieser Patienten (72,5 %) schlossen die Therapie auch ab, davon entwickelte
kein Patient im Beobachtungszeitraum (37,3 Personenjahre) eine behandlungsbedürftige
Tuberkulose [83].
Dauer der protektiven Wirkung bei präventiver Chemotherapie mit Isoniazid
Basierend auf der bisherigen Datenlage kann von einer langdauernden Protektion (>
5 Jahre bis 19 Jahre) ausgegangen werden [69]
[84]
[85]. Erneute Infektionen nach präventiver Therapie einer latenten tuberkulösen Infektion
sind aber trotzdem möglich [58]. Vor allem bei HIV-infizierten Patienten ist der Langzeitschutz wegen des fortbestehenden
Immundefektes wahrscheinlich unzureichend, wenn es nicht unter antiretroviraler Therapie
zu einer Rekonstitution des Immunsystems kommt.
Optimale Dauer der präventiven Therapie mit Isoniazid
Verschiedene Therapiezeiten hat bisher nur die Studie der IUAT randomisiert verglichen
(Tab. [8]) [44]. Aus dieser Studie und verschiedenen Metaanalysen anderer Studien geht hervor, dass
die optimale Therapiedauer wahrscheinlich bei 6 - 12 Monaten liegt [86]
[87]. Zwar scheinen die Ergebnisse der 12-monatigen Therapie mit Isoniazid geringfügig
besser zu sein als die der 9-monatigen Gabe, die Compliance lässt jedoch deutlich
in den letzten drei Monaten der 12-monatigen Therapie nach. Unter dem Aspekt der Effektivität
unter Einbeziehung von Praktikabilität, tatsächlicher Compliance, Nebenwirkungen der
Therapie und Kosten-Effekten liegt der optimale Therapiezeitraum daher vermutlich
bei 9 Monaten [86]. Die ATS empfiehlt generell 9 Monate Therapiedauer [9], wohingegen die British Thoracic Society (BTS) 6 - 12 Monate empfiehlt. Die längere
Therapiedauer (12 Monate) gilt dabei insbesondere für HIV-positive Patienten [88].
Tägliche versus intermittierende Gabe von Isoniazid in der präventiven Therapie
Ob die intermittierende Gabe von Isoniazid der täglichen Gabe bei der Prävention äquivalent
ist, kann nur auf der Datengrundlage verschiedener Studien vermutet werden, da vergleichende
Studien nicht vorliegen. Danach scheint die intermittierende Gabe von 15 mg/kg Körpergewicht
(maximal 900 mg Einzeldosis) zweimal pro Woche zwar auch wirksam zu sein, die Wirksamkeit
ist der täglichen Gabe jedoch wahrscheinlich unterlegen [58]. Die intermittierende Gabe, die stets als überwachte Medikamenteneinnahme durchgeführt
werden sollte, kann jedoch in Einzelsituationen große logistische Vorteile haben.
Für beide Therapieregime liegt die optimale Therapiedauer vermutlich bei 9 Monaten,
wenn man zur Wirksamkeit als Beurteilungskriterium noch die erreichbare Compliance
heranzieht [9]
[86].
Alternativen zu Isoniazid
Nach den vorausgegangenen Ausführungen ist die protektive Wirkung der präventiven
Therapie mit Isoniazid offensichtlich an eine längere Therapiedauer gebunden. Auf
der Basis tierexperimenteller Daten ist daher untersucht worden, ob eine kürzere Therapiezeit
durch den Einsatz von Rifampicin allein oder in Kombination mit Pyrazinamid ± Isoniazid
erreicht werden kann. Die Ergebnisse der hierzu vorliegenden klinischen Studien, die
vornehmlich HIV-positive Patienten in den Entwicklungsländern untersucht haben, sind
recht heterogen [43]
[76]
[77]
[89]
[90]
[91]
[92]. In der Summe kann jedoch festgestellt werden, dass die meisten Studien eine Äquivalenz
sowohl einer 2 - 3-monatigen Kombinationstherapie mit Rifampicin und Pyrazinamid als
auch einer 4-monatigen Rifampicin-Monotherapie zu einer 6 - 12-monatigen Isoniazid-Monotherapie
gezeigt haben. Nicht verwunderlich ist, dass die Complianceraten in den Kurzzeittherapiearmen
mit Rifampicin oder Rifampicin plus Pyrazinamid meist besser waren als in den Studienarmen
mit der längeren Isoniazidtherapie [93]
[94]
[95]. Allerdings sind die untersuchten Patientenzahlen, verglichen mit den großen Studien
zu Isoniazid, recht klein und die erreichten Wirksamkeiten (20 - 60 %) in allen Therapiearmen
(Mono- und Kombinationstherapie) deutlich schlechter als in den Isoniazid-Studien.
Zudem weisen die Studien erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Dosierungen und
Therapiedauer auf.
Rifampicin als Monotherapie mit der täglichen Gabe von 600 mg über 4 Monate ist bisher
nur einmal untersucht worden [43].
Für die Kombination von Rifampicin und Pyrazinamid liegen hingegen Daten zur täglichen
Gabe und zur intermittierenden Therapie vor [43]
[76]
[77]
[89]. Bei beiden Therapieregimen beträgt die Rifampicin-Einzeldosis 600 mg. Pyrazinamid
wird hingegen bei täglicher Gabe mit 15 - 20 mg/kg Körpergewicht und bei intermittierender
Gabe zweimal pro Woche mit 40 - 50 mg/kg Körpergewicht dosiert. Bei täglicher Gabe
der Kombination scheinen 2 Monate als Therapiedauer auszureichen. Erfolgt die Gabe
intermittierend zweimal pro Woche, so sind wahrscheinlich 3 Monate Therapiedauer notwendig
[9]
[43].
Zur Zeit muss eindeutig festgestellt werden, dass die Datenlage über die Wirksamkeit
der Kurzzeit-Präventionstherapie mit Rifampicin ± Pyrazinamid schwächer ist, als für
die 9 - 12-monatige Isoniazid-Monotherapie [9]
[96]. Zudem ist die Rate unerwünschter Arzneimittelreaktionen, vor allem die Hepatotoxizität,
höher [93]
[94]
[96]
[97]
[98]
[99]
[100]
[101]. Aufgrund hoher Hospitalisierungsraten (etwa 3/1000) und Todesfällen durch Leberversagen
(etwa 0,9/1000), welche unter Kurzzeit-Präventionstherapie mit Rifampicin ± Pyrazinamid
beobachtet wurden, empfehlen ATS und CDC dieses Therapieregime grundsätzlich nicht
mehr [99]. In ausgewählten Fällen, wo nach Einschätzung von Experten dennoch dieses Regime
indiziert ist und der Nutzen das Risiko überwiegt, soll die Behandlung nur unter engmaschiger
klinischer und laborchemischer Kontrolle zum Einsatz kommen [99].
ATS und CDC haben die vorhandenen Studien über die präventive Therapie der latenten
tuberkulösen Infektion nach den Kriterien des U.S. Public Health Service Rating System
bewertet [99]. Die Gewichtung der Therapieempfehlungen bezeichnet die empfohlene Standardtherapie
mit dem Buchstaben A, die empfohlene Alternative zur Standardtherapie mit B und die
Ausweichtherapie-Empfehlung, wenn A oder B nicht durchführbar sind, mit C. Der Buchstabe
D bedeutet, dass aufgrund der verfügbaren Daten das Regime nicht empfohlen werden
kann. Zusätzlich wird die Evidenz mit 3 Kategorien (I-III) angegeben, wobei I auf
das Vorliegen mindestens einer randomisierten Studie, II auf das Vorliegen klinischer
Studienergebnisse ohne Randomisierung und III auf die Meinung von Experten verweist.
In Tab. [9] sind die Empfehlungen von ATS und CDC für HIV-negative Personen und für HIV-positive
Personen mit ihrer jeweiligen Gewichtung dargestellt.
Tab. 9 Empfehlungen der ATS und den CDC zur präventiven medikamentösen Therapie der latenten
tuberkulösen Infektion bei HIV-negativen und HIV-positiven Personen [9]
[99]
Medikament |
Intervall |
Dosierung |
Dauer |
HIV-negativ Rating (Evidenz) |
HIV-positiv* Rating (Evidenz) |
Isoniazid
|
täglich |
300 mg |
9 Monate |
A (II) |
A (II) |
Isoniazid
|
2 ×/Woche |
15 mg/kg |
9 Monate |
B (II) |
B (II) |
Isoniazid
|
täglich |
300 mg |
6 Monate |
B (I) |
C (I) |
Rifampicin
|
täglich |
10 mg/kg |
4 Monate |
B (II) |
B (III) |
Rifampicin plus Pyrazinamid**
|
täglich |
10 mg/kg 25 mg/kg |
2 Monate |
D (II) |
D (II) |
Rifampicin plus Pyrazinamid**
|
2 ×/Woche |
10 mg/kg 50 mg/kg |
(2) - 3 Monate |
D (III) |
D (III) |
*keine gleichzeitige Behandlung mit Rifampicin und Proteaseinhibitoren (PI) oder nicht-nukleosidischen
Inhibitoren der reversen Transkriptase (NNRTI) (s. Text) **bezüglich der Kombination Rifampicin + Pyrazinamid siehe Text |
Insbesondere aus einer Institution in England wird über eine gute Wirksamkeit der
3-monatigen Gabe von Isoniazid und Rifampicin berichtet [102], welche die BTS auch als Alternative für Kinder und Erwachsene empfiehlt [103].
In einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie des Hong Kong Chest Service zur chemopräventiven
Behandlung von Silikosepatienten (6 H oder 3 R oder 3 HR) ergaben sich hinsichtlich
der Effektivität der unterschiedlichen Therapieregime keine signifikanten Unterschiede
(nach fünf Jahren unter Plazebo 27 % TB-Fälle, in den Chemopräventionsgruppen 13 %)
[43].
Johnson und Mitarb. stellten in einer plazebo-kontrollierten Studie zu Langzeitergebnissen
einer Chemoprävention bei HIV-positiven Patienten für RMP-haltige Regime eine Überlegenheit
gegenüber einer INH-Monotherapie fest (3 HR und 3 HRZ versus 6 H) [104].
Eine vergleichende Studie der 12-monatigen Isoniazid-Monotherapie mit 4-monatiger
Gabe von Isoniazid und Rifampicin bei Patienten mit radiologischen Residuen ergab
hinsichtlich der Komplettierungsraten, unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Wirksamkeit
keine wesentlichen Unterschiede, die Kombinationstherapie schien jedoch, auch bei
Vergleich mit einer 9-monatigen Monotherapie, kosteneffektiver zu sein. Allerdings
waren die untersuchten Kollektive relativ klein und die Nachbeobachtungszeiträume
kurz (H: 5,5 Jahre; H + R: 3,5 Jahre), so dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren
sind [105].
Präventive Therapie der latenten tuberkulösen Infektion nach Kontakt mit multiresistenter
Tuberkulose
Bezüglich des Vorgehens bei Vorliegen einer LTBI nach Kontakt zu einem multiresistenten
Tuberkulosepatienten existieren keine prospektiven Studien und auch keine einhellige
Expertenmeinung [106]. Die CDC empfehlen [107], sofern mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Infektion durch multiresistente Tuberkuloseerreger
vorliegt und ein hohes Erkrankungsrisiko besteht, die Gabe von Pyrazinamid und Ethambutol
oder Pyrazinamid in Kombination mit einem Fluorchinolon [108]. Dabei müssen die Resistenztestergebnisse des Indexfalles bei der Auswahl der Medikamentenkombination
Berücksichtigung finden. Immunkompetente Personen sollten entweder streng überwacht
werden oder sich einer Therapie von 6 Monaten unterziehen, während für Immunsupprimierte
(z. B. HIV-infizierte Personen) eine Therapiedauer über 12 Monate empfohlen wird.
In jedem Fall gehört die Therapie und engmaschige Kontrolle dieser Patienten in die
Hände von Experten.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen der präventiven Therapie
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen der präventiven Therapie
Die wichtigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) der Einzelsubstanzen, die
bei der präventiven Therapie eingesetzt werden, sind in Tab. [10] zusammengefasst [109]
[110].
Tab. 10 Wichtigste unerwünschte Arzneimittelwirkungen der zur präventiven Therapie der latenten
Infektion mit M. tuberculosis eingesetzten Substanzen Isoniazid, Rifampicin und Pyrazinamid
Substanz |
häufig |
selten |
sehr selten |
Isoniazid
|
Transaminasenerhöhung Akne |
Hepatitis kutane UAW Polyneuropathie |
Krampfanfälle Opticus-Neuritis Bewusstseins-störungen hämolytische Anämie aplastische Anämie Agranulozytose Lupus-Reaktion Arthralgien |
Rifampicin
|
Transaminasenerhöhung Cholestase Rotfärbung von Körperflüssigkeiten (Kontaktlinsen) |
Hepatitis kutane UAW Übelkeit Thrombopenie Fieber „Flu-like”-Syndrom |
Anaphylaxie hämolytische Anämie akutes Nierenversagen |
Pyrazinamid
|
Transaminasenerhöhung Übelkeit Flush-Syndrom Myopathie/Arthralgie Hyperurikämie |
Hepatitis kutane UAW |
Gicht Photosensibilisierung sideroblastische Anämie |
In der großen Studie des US Public Health Service wurde die Häufigkeit hepatischer
UAW bei fast 14 000 Patienten unter präventiver Therapie mit 300 mg Isoniazid/Tag
beobachtet [111]. Die Gesamtfrequenz einer klinisch relevanten, d. h. symptomatischen Hepatitis,
lag bei Erwachsenen bei 1,0 %. Es konnte jedoch eine deutliche Altersabhängigkeit
gezeigt werden. Während in der Gruppe der unter 20-jährigen Patienten und der Kinder
keine Hepatitis auftrat, lag die Frequenz bei den über 50-jährigen bei 2,3 %.
Darüber hinaus sind in der Literatur durchaus Todesfälle durch eine Hepatitis bei
präventiver Isoniazidgabe beschrieben [112]. Diese treten jedoch fast ausnahmslos unter den folgenden Bedingungen auf: Fälschlich
zu hohe tägliche Dosis, kein klinisches und/oder blutchemisches Monitoring der Therapie,
indolente Patienten, extensiver Alkoholkonsum, sowie mangelhafte Aufklärung über die
Symptomatik einer hepatischen UAW [111]
[113]
[114]
[115]
[116]. Allein der letzte Ansatz, d. h. die gute Aufklärung der Patienten über potenzielle
hepatische UAW und ihre Symptomatik, verbunden mit der Aufforderung, beim Auftreten
einer solchen Symptomatik die Therapie sofort zu unterbrechen, führt zu einer großen
Therapiesicherheit. So konnte der öffentliche Gesundheitsdienst in den USA zeigen,
dass es bei über 11 000 präventiven Therapien mit Isoniazid nach entsprechender standardisierter
Aufklärung der Patienten keinen Todesfall und insgesamt nur 11 medikamentenbedingte
Hepatitiden gab, von denen nur eine eine Krankenhausbehandlung notwendig machte [117]. Eine weitere Analyse von fast 3800 Patienten, die sich einer mindestens 6-monatigen
INH-Therapie unterzogen, ergab ebenfalls eine geringe Hepatitisrate (0,3 %) ohne Todesfälle
oder die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme [118]. Ergänzt man diesen Ansatz der guten Patientenaufklärung mit regelmäßigen Kontrollen
der Leberfunktionswerte (vor Therapie, 14 Tage nach Beginn, und weiter alle 4 Wochen),
so sind ernsthafte hepatische UAW nahezu ausgeschlossen. Bei asymptomatischen Patienten
kann - unter engmaschiger Kontrolle - ein Transaminasen-Anstieg bis zum Fünffachen
der Norm toleriert werden. Bei symptomatischen Patienten sollte die Therapie bereits
beim Ansteigen der Transaminasen auf das Dreifache abgebrochen werden [9].
Neben den hepatischen UAW ergeben sich noch andere seltene UAW (siehe Tab. [10]), die aber insgesamt nur in 1 - 2 % zum Abbruch der präventiven Isoniazid-Therapie
wegen UAW führen. Patienten mit einer Prädisposition für eine Polyneuropathie, z.
B. aufgrund anderer Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, chronischem Nierenversagen
oder Malnutrition, sowie Schwangere sollten zusätzlich Pyridoxin (Vitamin B6) erhalten [109].
Auch unter einer Rifampicin-Monotherapie sind schwerwiegende hepatische UAW mit 1
% selten. Die Abbruchrate einer präventiven Therapie mit Rifampicin wegen aller UAW
liegt bei 1 - 2 % [43]. In der gleichen Größenordnung traten UAW bei chemopräventiver Therapie mit RMP
in Kombination mit INH auf [43].
Problematischer ist dagegen die Frequenz schwerwiegender hepatischer UAW unter der
additiv hepatotoxischen präventiven Therapie mit Rifampicin und Pyrazinamid. Die Abbruchrate
dieser präventiven Kombinationstherapie liegt bei 2 - 4 %. In jüngster Zeit sind darüber
hinaus aus den USA unter einem solchen Therapieregime mehrere Todesfälle durch Leberversagen
berichtet worden [97]
[98]
[99]. Dies ist vermutlich eine Besonderheit in den USA, da ein routinemäßiges Monitoring
von Leberfunktionswerten vor und unter Therapie nicht durchgeführt wird. Erst nach
den bedauerlichen Zwischenfällen ist eine engmaschige klinische und möglichst auch
laborchemische Überwachung der Patienten von den Centers for Disease Control and Prevention
(CDC) und der American Thoracic Society (ATS) empfohlen worden [99].
Empfehlungen zur präventiven Therapie der latenten tuberkulösen Infektion in Deutschland
Empfehlungen zur präventiven Therapie der latenten tuberkulösen Infektion in Deutschland
Die Indikation zur präventiven Therapie sollte in Deutschland unter Berücksichtigung
des individuellen Erkrankungsrisikos an Tuberkulose gestellt werden. Eine ausführliche
Beratung der Patienten hinsichtlich des Risikos und Nutzens muss in jedem Fall erfolgen.
Bei Personen unter 50 Jahren, bei denen im Rahmen einer gezielten Tuberkulintestung
ein Indurationsdurchmesser von > 5 mm Durchmesser festgestellt und eine behandlungsbedürftige
Erkrankung an Tuberkulose ausgeschlossen wurde, ist die Indikation zur präventiven
Therapie in der Regel in den folgenden Situationen gegeben:
-
Wohngemeinschaft oder ähnlich enger Kontakt während des infektiösen Zeitraums des
Indexfalles zu einer Person (Indexfall) mit behandlungsbedürftiger Lungentuberkulose,
in deren Sputum oder Bronchialsekret säurefeste Stäbchen mikroskopisch im Direktpräparat
nachgewiesen wurden;
-
Radiologischer Nachweis narbiger Veränderungen im Lungenparenchym, die wahrscheinlich
Residuen einer postprimären inaktiven Tuberkulose sind (außer verkalkten Hiluslymphknoten,
verkalkten solitären Rundherden und Pleurakuppenschwielen) und die niemals antituberkulös
behandelt wurden;
-
Patienten nach Organtransplantation unter iatrogener Immunsuppression;
-
Patienten unter immunsuppressiver Therapie mit ≥ 15 mg Prednisolonäquivalent seit
≥ 1 Monat;
-
HIV-positive Personen;
-
Personen mit geplanter oder laufender Therapie mit anti-TNF-α-Antikörpern.
Empfohlen wird die 9-monatige Gabe von Isoniazid 300 mg täglich.
Bei Personen mit den Risikofaktoren a) - g), die 50 Jahre alt oder älter sind, muss
aufgrund des mit dem Lebensalter ansteigenden Risikos einer INH-Hepatitis oder anderer
Nebenwirkungen vor der Durchführung einer präventiven Therapie der latenten tuberkulösen
Infektion zusätzlich eine individuelle Risikogewichtung erfolgen.
Bei Personen unter 50 Jahren, auf die die von a) - g) aufgeführten Risikofaktoren
nicht zutreffen, und bei denen durch wiederholten Tuberkulintest binnen 2 Jahren eine
Zunahme des Indurationsdurchmessers um 10 mm oder mehr festgestellt wurde (Tuberkulinkonversion),
ist die Indikation zur präventiven Therapie nur ausnahmsweise gegeben. Eine ausführliche
Beratung der Patienten hinsichtlich des Risikos und Nutzens muss aber in jedem Fall
erfolgen.
Bei Personen unter 50 Jahren mit einem gezielten positiven Tuberkulin-Hauttest von
> 10 mm kann eine Indikation zur präventiven Therapie mit 300 mg Isoniazid für 9 Monate
bei folgenden Risikogruppen erwogen werden (für Personen ≥ 50 Jahre gilt das oben
erwähnte Vorgehen):
-
Patienten mit einer schwerwiegenden Grunderkrankung wie Silikose, Diabetes mellitus,
maligne Lymphome, Leukämien oder Kopf-Hals-Karzinomen;
-
Bei einem Z.n. Gastrektomie oder jejunoilealem Bypass;
-
Bei i. v. Drogenabhängigkeit;
-
Berufliches Risiko;
-
Enger Kontakt zu einem ausschließlich kulturell positiven Indexfall.
Die Risikogruppe der Immigranten mit einem positiven Tuberkulin-Hauttest von > 10
mm ist in Deutschland gesondert zu bewerten, da insbesondere bei den Immigranten aus
dem Staatsgebiet der ehemaligen Sowjetunion mit hohen Resistenzraten gegenüber Isoniazid
gerechnet werden muss. Liegt generell die Rate der Isoniazid-Resistenz im Herkunftsland
der Immigranten höher als 10 %, so kann die präventive Therapie mit Rifampicin (10
mg/kg Körpergewicht) und Pyrazinamid (25 mg/kg Körpergewicht) in täglicher Gabe unter
engmaschigen Laborkontrollen über 3 Monate erfolgen.
Bei Patienten ohne jeglichen Risikofaktor, die einen positiven Tuberkulin-Hauttest
> 15 mm Durchmesser aufweisen, ist die Indikation zur präventiven Therapie nur in
seltenen Einzelfällen gegeben.
Besondere Patientengruppen
Kinder
Für die Indikation zur präventiven und prophylaktischen Therapie bei Kindern liegen
von den pädiatrischen Fachgesellschaften eigene Empfehlungen vor [119], die sich allenfalls graduell von den hier vorliegenden Empfehlungen für Erwachsene
unterscheiden. Allerdings erfolgt die Dosierung von Isoniazid entweder nach der Körperoberfläche
(200 mg/m2) oder nach dem Alter (0 - 5 Jahre: 10 - 8 mg/kg; 6 - 9 Jahre: 8 - 7 mg/kg; 10 - 14
Jahre: 7 - 6 mg/kg).
Schwangerschaft und Laktation
Bei einer präventiven medikamentösen Therapie in der Schwangerschaft bedarf es einer
noch über das übliche Maß hinausgehenden gründlichen Abwägung von Vorteilen und potenziellen
Nachteilen, da es sich nicht um eine Therapie mit vitaler Indikation handelt. Schwangerschaft
und Laktation stellen keine Kontraindikation gegen die Einnahme von Isoniazid dar
[9]
[109]
[110], die präventive Therapie mit Isoniazid (+ Pyridoxin) ist also im Prinzip möglich.
Auch die Anwendung von Rifampicin wird als weitgehend sicher beurteilt, die routinemäßige
Gabe von Pyrazinamid wird jedoch aufgrund der eingeschränkten Datenlage zur Teratogenität
von der ATS nicht empfohlen [9]. Eine Therapie im ersten Trimester wird von den CDC nur in Fällen mit sehr hohem
Risiko für die Entwicklung einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose empfohlen (HIV-positive
Schwangere, frische Infektion) [120]
[121]. Da die in der Muttermilch erreichten Serumkonzentrationen beim Kind zu gering sind,
um unerwünschte Wirkungen zu erzeugen [122], kann unter der präventiven Therapie gestillt werden, das gestillte Kind sollte
bei präventiver Therapie der Mutter mit Isoniazid Pyridoxin erhalten.
BCG-geimpfte Personen
Wegen der mit großen Unsicherheiten versehenen Interpretation eines positiven Tuberkulin-Hauttests
[19] kann keine generelle Empfehlung gegeben werden. Es muss eine sorgsame Abwägung der
individuellen Situation erfolgen.
HIV-positive Personen
Bei HIV-positiven Personen, die eine Proteaseninhibitoren und/oder NNRTI enthaltende
antiretrovirale Therapie erhalten müssen, verbietet sich aus pharmakokinetischen Gründen
die Gabe von Rifampicin. Die Therapie der Wahl ist Isoniazid (s. Tab. [9]). Bei INH-Unverträglichkeit oder Infektion mit einem INH-resistenten Stamm bietet
sich die zweimonatige Gabe von Rifabutin in Kombination mit PZA an. Wegen vielfältiger
und komplexer Interaktionen mit Proteaseinhibitoren, die teilweise eine Reduktion
der Rifabutindosis erfordern, gehört die präventive Therapie dieser Patienten in die
Hand von Experten [9]
[123].
Patienten mit geplanter oder begonnener Therapie mit anti-TNF-α-Antikörpern
Wegen der großen Gefahr, dass sich unter einer immunsuppressiven Therapie mit anti-TNF-α-Antikörpern
aus einer latenten tuberkulösen Infektion eine behandlungsbedürftige schwere Tuberkulose
entwickelt, ist die Frage einer latenten Infektion stets abzuklären und bei Vorliegen
derselben die Indikation zur Prävention zu stellen [37]
[38]
[124].
Prophylaxe der tuberkulösen Infektion
Prophylaxe der tuberkulösen Infektion
Die Frage der medikamentösen Prophylaxe einer tuberkulösen Infektion kann nicht auf
der Basis ähnlich valider Studien entschieden werden, wie diese für die Prävention
der tuberkulösen Erkrankung bei latent infizierten Personen vorliegen. Bei Erwachsenen
ist eine prophylaktische Chemotherapie im Regelfall nicht erforderlich. Bei exponierten
Kontaktpersonen, die eine angeborene, erworbene oder medikamentös induzierte Immunschwäche
haben, kann eine prophylaktische Gabe von Antituberkulotika indiziert sein. Liegt
bei einer solchen Person eine eindeutige Exposition (Wohngemeinschaft oder ähnlich
enger Kontakt) zu einer Person (Indexfall) mit behandlungsbedürftiger Lungentuberkulose,
in deren Sputum oder Bronchialsekret säurefeste Stäbchen mikroskopisch im Direktpräparat
nachgewiesen wurden, vor, so sollte ein intrakutaner Tuberkulintest mit 10 E nach
Mendel-Mantoux durchgeführt werden. Ist der Test negativ, muss vor Einleitung einer
Chemoprophylaxe ein Röntgenbild des Thorax erfolgen, um ein frisches Inflitrat oder
eine behandlungsbedürftige Erkrankung an Tuberkulose nicht zu übersehen. Ergibt das
Röntgenbild einen unauffälligen Befund, so ist davon auszugehen, dass der Patient
sehr frisch infiziert sein kann, aber noch nicht erkrankt ist. In einem solchen Fall
kann bei Immunsuppression analog zu dem Vorgehen bei Kindern die Indikation zu einer
prophylaktischen Therapie mit 300 mg Isoniazid gestellt werden (vorausgesetzt, beim
Indexfall ist keine Resistenz gegenüber Isoniazid bekannt). Drei Monate nach dem letzten
Kontakt muss die Person erneut mit 10 E Tuberkulin nach Mendel-Mantoux getestet werden.
Bleibt der Tuberkulin-Hauttest weiterhin negativ und ist der Proband beschwerdefrei,
sollte die Isoniazidtherapie beendet werden. Ist der Test unter Berücksichtigung der
unter den Empfehlungen zur Prävention der latenten tuberkulösen Infektion aufgeführten
Kriterien und Risikofaktoren positiv geworden, kann, nach Ausschluss einer Organtuberkulose,
die Indikation zur Fortsetzung der Therapie mit 300 mg Isoniazid für weitere 6 Monate
(analog zur Prävention) gestellt werden. Wie bei der Prävention der Erkrankung bei
latent tuberkulös Infizierten ist jedoch eine gründliche Aufklärung und Beratung der
betroffenen Person hinsichtlich der Risiken und des potenziellen Nutzens notwendig.
Danksagung
Danksagung
Dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung danken wir für die Unterstützung.
Für die kritische Diskussion des Manuskriptes danken wir Herrn Dr. Michael Forßbohm/Gesundheitsamt
Wiesbaden.