Aktuelle Urol 2003; 34(7): 417-418
DOI: 10.1055/s-2003-814718
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Spermienqualität - Haben Neoplasien einen Einfluss?

Sabine Adler1
  • 1Mülsen St. Nicla
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Dr. Sabine Adler

Mülsen St. Niclas

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Publication Date:
04 December 2003 (online)

 
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Zusammenfassung

Für Patienten mit Hodenkrebs (TC) und Morbus Hodgkin (HD) hat sich die Prognose deutlich verbessert. Da beide Neoplasien am häufigsten bei jungen Männern auftreten und anstehende Behandlungen die Spermatogenese beeinträchtigen, ist die Kryo-konservierung der Spermien für diese Patienten essenziell. Aber nicht nur Chemo- und Strahlentherapie beeinflussen die Spermatogenese, sondern auch die Erkrankung selbst.

Nahezu 53 % der Patienten mit Hodenkrebs hatten bereits im Vorfeld der Therapie eine Oligozoospermie. Auch für Patienten mit der systemischen Erkrankung Morbus Hodgkin wird eine Oligozoospermie und/oder Asthenozoospermie und/ oder Teratozoospermie in 30 bis 65 % der Fälle angenommen.

Die Qualität der Spermien ist für eine Kryokonservierung natürlich von Interesse. L. Gandini und Kollegen analysierten deshalb Unterschiede in der Spermienqualität zwischen Patienten mit Hodenkrebs und Morbus Hodgkin vor geplanter Chemo- und Strahlentherapie (Human Reproduction 2003; 4: 796-801). Fokussiert wurde dabei auf Unterschiede zwischen den Patientengruppen, inwieweit die Samenqualität vom Histotyp des Tumors und bestimmten Tumormakern abhängig ist und, für HD-Patienten, die Spermienqualität in Abhängigkeit des Krankheitsstadiums. Dazu wurden Spermienproben von 342 Patienten (222 mit TC und 106 mit HD) auf Ejakulatvolumen, Spermienkonzentration, Motilität und Morphologie untersucht. Bei allen TC-Patienten erfolgte die Evaluierung etwa einen Monat nach Orchidektomie.

Im Vergleich zur HD-Gruppe zeigten sich in der TC-Gruppe eine signifikant verminderte Spermienkonzentration, Spermienanzahl und Spermienmotilität sowie eine signifikante Zunahme atypischer Spermienformen. Unterschiede im Prozentsatz azoospermischer/kryptozoospermischer Patienten in der TC- bzw. in der HD-Gruppe waren statistisch nicht signifikant. Hinsichtlich der Spermienanzahl ergaben sich jedoch Unterschiede. So hatten 35,5 % der TC-Patienten eine Spermienanzahl von < 40x 106/Ejakulat im Vergleich zu 19,8 % der HD-Patienten. Während der histologische Tumortyp keine Assoziation mit den Spermienvolumina von TC-Patienten hatte, waren die Spermienparameter für Seminomapatienten besser als für Patienten mit anderen histologischen Tumortypen. TC-Patienten mit einem pathologischen Wert des Tumormarkers βCG wiesen im Vergleich zu Patienten mit normalen Werten signifikante Unterschiede in allen Spermienparametern auf. Für HD-Patienten zeigte sich mit zunehmend höherem Krankheitsstadium eine signifikante Abnahme von Spermienkonzentration, Spermienanzahl und Spermienmotilität. Lediglich 24,5 % hatten eine Spermienanzahl von < 40x106/Ejakulat.

Die Daten zeigen eine bessere Spermienqualität für Patienten mit Morbus Hodgkin als für Patienten mit Hodenkrebs. Ob es daran liegt, dass testikuläre Neoplasien anders auf die Pathogenese der Oligozoospermie wirken als systemische Neoplasien, ist noch nicht geklärt.

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Kommentar zur Studie

Die Autoren analysierten retrospektiv 222 Patienten mit Hodentumoren und 106 Patienten mit M. Hodgkin, die sich von 1996-2001 im Rahmen ihrer Therapie einer Kryokonservierung von Spermatozoen vor Chemotherapie unterzogen haben.

Die mittleren Spermatozoendichten lagen bei Hodentumorpatienten im Mittel bei 30 ± 32 Mio. Spermatozoen pro ml und bei Hodgkin-Patienten im Mittel bei 52 ± 40 Mio. Spermatozoen pro ml. Der Unterschied zwischen den Patientengruppen war dann statistisch signifikant, wenn man Gruppen verglich, die weniger als 40 Mio. Spermatozoen pro ml aufwiesen. Die Schlussfolgerung der Autoren bietet weder eine Erklärung für den Unterschied zwischen den Gruppen an, noch kann erklärt werden, warum diese Werte deutlich über den bislang berichteten Werten liegen. In der jüngsten Analyse der prospektiven Hodentumorstudie der AUO/GTCSG im Stadium I des nicht seminomatösen Hodentumors fiel in Übereinstimmung mit der gesamten bislang berichteten Literatur auf, dass etwa 12 % der Patienten bereits bei Diagnose eines Hodentumors azoosperm waren. Insgesamt lagen 67 % der Patienten unterhalb des WHO-Normwerts von 20 Mio. Spermatozoen pro ml. Diese Werte wurden in den letzten 20 Jahren übereinstimmend von allen Autoren berichtet, die Analysen der Ejakulatparameter vor oder nach Ablatio testis durchgeführt haben (Tab. 1).

Vor diesem Hintergrund sind die Beobachtungen der Autoren sehr kritisch zu beurteilen. Auch die Erklärungen für den Unterschied zwischen Hodgkin- und Hodentumorpatienten liegen auf der Hand. Die Beeinflussung der hypothalamisch-hypophysären Achse durch eine Erhöhung des Serum-beta-HCG ist unstrittig, da eine fast 100 %ige Homologie zum LH vorliegt und damit der Regelkreis beeinflusst wird. Stress spielt sicher für die Spermatozoendichte eine untergeordnete Rolle, schon gar nicht der vermeintliche Stress einer Ablatio testis, die von den Autoren als „a very distressing surgical removal” interpretiert wird. In der Zusammenschau der gesamten Literatur müssen die berichteten Ergebnisse daher als überraschend gewertet werden. Nur prospektive Studien mit entsprechenden Hormonprofilen, longitudinalen Messpunkten und Schwangerschaftsdaten sind hilfreich, um die Fertilitätsproblematik von Tumorpatienten beurteilen zu können.

Prof. Peter Albers, Kassel

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Abb. 1 Spermien. Färbung nach Papanicolaou (aus: Endokrinologie, Reproduktionsmedizin, Andrologie, GTV, 1997).

Tab.1 Pathologische Ejakulat-befunde vor oder nach Ablatio testis

 

n

Dichte < 20 Mio/ml

Motilität < 60 %

Thachil (1981)

42

52 %

50 %

Fossa (1982)

35

57 %

77 %

Hendry (1983)

208

73 %

 

Berthelsen (1983)

54

56 %

52 %

Schill (1988)

137

42 %

20 %

Hansen (1989)

97

53 %

81 %

Foster (1994)

51

45 %

 

Albers (2002)

58

67 %

 

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Dr. Sabine Adler

Mülsen St. Niclas

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Mülsen St. Niclas

 
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Abb. 1 Spermien. Färbung nach Papanicolaou (aus: Endokrinologie, Reproduktionsmedizin, Andrologie, GTV, 1997).