Aktuelle Urol 2003; 34(7): 431-432
DOI: 10.1055/s-2003-814724
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Vesikoureteraler Reflux - Abwartende Haltung als erste Maßnahme sinnvoll

Ralph Hausmann1
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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Publication Date:
04 December 2003 (online)

 
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Zusammenfassung

Das optimale Vorgehen bei Neugeborenen mit vesikoureteralem Reflux wird kontrovers diskutiert. Es gibt nur wenige Untersuchungen über den Langzeitverlauf bei konservativer, abwartender Behandlung.

In einer Studie von Jyoti Upadhyay und seinen Kollegen, Toronto, Kanada, wurden 25 Kinder mit pränatal diagnostizierter Hydronephrose und primärem vesikoureteralem Reflux mit 2 mg/kg Trimethroprim täglich behandelt und im Mittel über 48 Monate ab der Geburt nachbeobachtet. Endpunkte der Studie waren eine komplette Rückbildung oder eine Verbesserung des Refluxes, Harnwegsinfektionen, Miktionsstörungen (z.B. Urge-Symptomatik, Dysurie), Funktion und Wachstum der Niere, Körperwachstum und Auftreten einer Hypertonie (J Urol 2003; 169: 1837-1841).

Von den 25 Patienten wurde bei 7 % ein Reflux Grad I, bei 20 % Grad II, bei 34 % Grad III, bei 16 % Grad IV und bei 23 % Grad V diagnostiziert. 16 Jungen und 3 Mädchen hatten einen bilateralen Reflux, 2 Jungen und 4 Mädchen einen einseitigen.

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Blasenfunktion als prognostischer Faktor

Bei 13 Kindern (52 %) bildete sich der Reflux komplett zurück, bei 6 Patienten (24 %) besserte er sich. Bei Kindern mit Grad I bildete sich der Reflux in den Harnleitern zu 100 % komplett zurück, bei Grad II zu 77 %, bei Grad III zu 53 %, bei Grad IV zu 28 % und bei Grad V 40 %. Die Besserungsraten betrugen für Grad II 13 %, Grad IV 14 % und Grad V 30 %.

Harnwegsinfektionen traten bei 4 Patienten mit einem Reflux Grad IV und V auf, Miktionsbeschwerden bei 5 Kindern. Es bestand kein Unterschied in der Nierenlänge bei Patienten mit rückgebildetem gegenüber solchen mit weiter bestehendem oder schwerem Reflux. Bei allen Kindern verlief das Körperwachstum während der Beobachtungszeit normal, bei keinem trat ein Bluthochdruck auf.

Insgesamt hatte sich der vesikoureterale Reflux im Alter von 4 Jahren in 76 % der Harnleiter zurückgebildet oder gebessert. Ein Reflux hohen Grades bildete sich bei 59 % der betroffenen Nieren unter der abwartenden Haltung zurück. Auch die Patienten mit einer hochgradigen Erkrankung hatten ein normales Nierenwachstum und eine normale Nierenfunktion.

Bei den meisten Kindern, bei denen sich der Grad des Refluxes während der Beobachtungszeit nicht verändert hatte, wurden Miktionsbeschwerden diagnostiziert. Störungen der Blasenfunktion können demnach als negativer prognostischer Faktor für die Rückbildung eines Refluxes gelten. Die abwartende Haltung ist sicher und sollte als erste Maßnahme bei einem vesikoureteralen Reflux bei Neugeborenen in Erwägung gezogen werden, schließen die Autoren.

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Kommentar zur Studie

Die vorliegende prospektive Studie beschreibt den klinischen Verlauf, die Refluxmaturation und Nierenparenchymbefunde bei 25 Kindern mit neonatal diagnostiziertem vesikoureteralen Reflux (VUR) über einen durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von mindestens 4 Jahren.

Mit dem intrauterinen und postnatalen sonographischen Nierenscreening hat sich in den letzten Jahrzehnten das Verständnis der Refluxnephropathie erheblich verändert. Bei den asymptomatischen Neugeborenen mit höhergradigem vesikorenalen Reflux, die sonographisch durch eine Dilatation der Harnwege auffallen, handelt es sich um ein gegenüber älteren, symptomatischen Kindern mit (rezidivierenden) Harnwegsinfektionen völlig differentes Kollektiv. In ihm finden sich vorwiegend männliche Säuglinge; viele refluxive Niereneinheiten weisen bereits konnatale Parenchymschäden auf. Der Anteil von bereits chronisch niereninsuffizienten kleinen Patienten ist relativ hoch.

Damit ist der neonatal diagnostizierte VUR durchaus nicht immer prognostisch so günstig, wie die Schlussfolgerung der Autoren vordergründig suggeriert. Immerhin hatten die Autoren primär 6 von ursprünglich 31 Kindern aus der Studie ausgeschlossen, bei denen eine inkontinente Vesikostomie bei hochgradigem VUR und Nierenfunktionseinschränkung (n = 3), eine Ureterreimplantation (n = 2) oder eine Nephrektomie erforderlich geworden waren. Bei verbliebenen 25 Kindern wurde szintigraphisch in 23 % der refluxiven Niereneinheiten eine erhebliche Einschränkung der ipsilateralen Nierenfunktion auf unter 35 % gefunden. Zu denken gibt im Übrigen der Verlauf zweier refluxiver Niereneinheiten, bei denen es zu einer Abnahme des ipsilateralen Funktionsanteiles von 34 auf 19 % bzw. von 45 auf 17 % kam, ohne dass Harnwegsinfektionen aufgetreten waren.

Bis auf diese beiden nicht näher begründeten Funktionsverschlechterungen sahen die Autoren unter antibakterieller Infektionsprophylaxe keine relevanten klinischen Komplikationen im Rahmen ihres konservativen Therapiekonzepts. Die häufige Beobachtung überraschend weitgehender Rückgänge des Refluxgrades im ersten Lebensjahr ist nicht neu: In keiner anderen Lebensphase findet ein vergleichbarer Wachstumsschub statt. Er hat einen erheblichen Einfluss auf Ureterverlauf und -weite - nicht nur beim primären VUR, sondern auch beim primären Megaureter. Die Folgen der konnatalen Refluxnephropathie werden von der „Refluxmaturation” jedoch wahrscheinlich nicht beeinflusst.

Praktisch wichtig ist der Hinweis der Autoren auf die klinischen Symptome nicht neurogener Blasenfunktionsstörungen bei 5 ihrer Patienten im Kleinkindesalter. Sie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, ist unverzichtbarer Bestandteil des konservativen Therapiekonzepts bei VUR. In der internationalen Refluxstudie wurde der Zusammenhang zwischen Blasenfunktionsstörungen und Refluxpersistenz eindeutig belegt. Angesichts der niedrigen Komplikationsrate und der - sofern untersucht - geringen Inzidenz von relevanten progressiven Nierenfunktionseinschränkungen bestätigt die Studie das vielerorts verfolgte Konzept der konservativen Therapie bei asymptomatischem dilatierenden Reflux. Mangels einer operativ versorgten Vergleichsgruppe erlaubt die Studie jedoch keine abschließende Aussage über das optimale Therapiekonzept.

Während zahlreiche Untersuchungen zum natürlichen Verlauf bei älteren Refluxpatienten existieren, fehlen uns bislang Follow-up-Studien bei neonatal diagnostiziertem, primär asymptomatischen VUR. Längsschnittstudien über große Beobachtungszeiträume sind gerade im Kindesalter enorm wichtig. Nur auf diese Weise können reifungs- und wachstumsbedingte Veränderungen richtig eingeschätzt und beurteilt werden. Insofern ist diese Studie ausgesprochen wertvoll. Sie stimuliert zur Bestätigung der Ergebnisse an größeren Kollektiven und zur Konzeption randomisierter, prospektiver Studien mit der Frage der Effektivität der antibakteriellen Infektionsprophylaxe oder der operativen Refluxkorrektur bei primär asymptomatischen Refluxpatienten. Nicht zuletzt liefern sie Aussagen zum Wert eines neonatalen Nierenscreenings, das in Deutschland bislang nicht als obligate Vorsorgeleistung eingeführt ist.

Diese Studie ist ausgesprochen wertvoll: Sie liefert Aussagen zum Wert eines neonatalen Nierenscreenings.

PD Rolf Beetz. Mainz

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Abb. 1 Miktionszystourethrogramm eines männlichen Säuglings mit sekundärem Reflux (aus:Praxis der Urologie, GTV, 2003).

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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

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Dr. Ralph Hausmann

Frankfurt

 
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Abb. 1 Miktionszystourethrogramm eines männlichen Säuglings mit sekundärem Reflux (aus:Praxis der Urologie, GTV, 2003).