PiD - Psychotherapie im Dialog 2004; 5(2): 186
DOI: 10.1055/s-2003-814997
Aus der Praxis
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Warum über 70 % der Täter[1] Frauen sind …

Wilhelm  Rotthaus
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Publication Date:
28 May 2004 (online)

Ja, Sie haben richtig gelesen: Über 70 % der Täter sind Frauen - nicht in der Realität, aber im Fernsehkrimi. Zugegeben: Diese Zahl gründet nicht auf einer hinreichend großen empirischen Grundlage, und sie ist auch nicht mit einer Strichliste erfasst, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde. Sie basiert jedoch auf einer doch inzwischen mehrjährigen empirischen Basis des Autors, der - natürlich nur gelegentlich! - gerne einmal abends einen Krimi im Fernsehen sieht, wenn er von des Tages Müh und Last und insbesondere von vielem Lesen erschöpft ist. Die Suche nach dem Täter gestaltet sich dabei erfreulich einfach, da man Männer als mögliche Kandidaten von Anfang an ausschalten kann. Zwar bemühen sich die Krimiautoren oft, einige besonders fiese, moralisch bedenkenlose oder in sonstiger Weise unerfreuliche männliche Gestalten als mögliche Täter anzubieten. Doch der erfahrene Fernsehkrimikenner weiß: Es kommt nur eine Frau infrage! In dem auf diese Weise schon stark eingeengten Kandidatenkreis muss dann nur noch nach derjenigen geforscht werden, die ein starkes emotionales Motiv hat: Verletztheit, Eifersucht, Hass, Liebe, Aufopferung für einen anderen und ähnliches.

Warum nun ist die Realität des Fernsehkrimis der Realität des wahren Lebens so vollkommen entgegengesetzt? Nun, der Fernsehkrimi will natürlich nicht das wahre Leben spiegeln. Er will vielmehr eine gute Geschichte erzählen. Und das Wesen einer guten Geschichte besteht darin, dass sie emotional plausibel ist. Für den Fernsehkrimi heißt das: Es muss ein starkes emotionales Motiv geben, das die Gefühle der Zuschauer anspricht und ihr Interesse wach hält. Dies ist zwar im Fernsehkrimi nicht mehr ganz so wichtig wie in der Oper des italienischen Verismo, aber für eine gute Geschichte nach wie vor unverzichtbar.

Und damit kommen wir zum Kern dieses spannenden Phänomens: Die Autoren der Fernsehkrimis trauen Männern offensichtlich große Gefühle nicht zu. Und sie stehen mit dieser Erkenntnis auf Augenhöhe mit der jüngsten Forschung, nach der die meisten Männer - zumindest partiell - an Alexithymie leiden, einer reduzierten Fähigkeit, Gefühle hinreichend wahrzunehmen und zu beschreiben sowie sich in andere Personen hineinzuversetzen. Der wissenschaftlich interessierte Lehrer kann sich darüber im Spiegel-Heft 49/2003 bestens informieren, ggf. noch etwas substanzieller, wenn er A. R. Damasios hochinteressantes Buch „Der Spinoza-Effekt” (München: List, 2003) studiert.

Und damit wären wir nun schon wieder bei der psychotherapeutischen Arbeit mit dem Täter angekommen. Geht es nicht wesentlich darum, dass die - vorwiegend männlichen - Patienten oder Klienten lernen, ihre Gefühle besser wahrzunehmen und zu beschreiben? Bemühen wir uns nicht darum, die Täter zu ermutigen, sich möglicherweise auch heftigen gefühlsmäßigen Stürmen zu stellen? Und dienen nicht viele unserer therapeutischen Techniken dem Ziel, bei den Patienten oder Klienten die Entwicklung einer besseren Empathiefähigkeit anzuregen?

1 In diesem Beitrag wird in durchaus männlicher Absicht - wie man so schön sagt: der sprachlichen Vereinfachung wegen - stets die männliche Form gewählt. Frauen sind jedoch gleichermaßen gemeint.

1 In diesem Beitrag wird in durchaus männlicher Absicht - wie man so schön sagt: der sprachlichen Vereinfachung wegen - stets die männliche Form gewählt. Frauen sind jedoch gleichermaßen gemeint.

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Wilhelm Rotthaus

Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Rheinischen Kliniken Viersen

Horionstraße 14

41749 Viersen

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