In der Onkologie wird die Entwicklung von Leitlinien als ein interdisziplinärer Prozess
angesehen, in dem die Federführung einer Fachdisziplin angetragen wird. Der Entscheidungsprozess
hierüber fand Ende der 90er Jahre in der Deutschen Krebsgesellschaft statt. Der Arbeitsgemeinschaft
Dermatologische Onkologie wurde die Federführung für die Leitlinienentwicklung für
Hauttumoren übertragen. Anzumerken bleibt, dass die Arbeitsgemeinschaft für Internistische
Onkologie die Federführung insbesondere für das maligne Melanom und für eine Reihe
weiterer solider Tumoren ebenfalls forderte, hier aber eine Entscheidung zugunsten
der Organfächer getroffen wurde. Eine wichtige Voraussetzung für die Übernahme der
Federführung in der Leitlinienentwicklung war die bis dahin erfolgte Etablierung der
Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie innerhalb der Deutschen Krebsgesellschaft.
Eine erste Fassung „Diagnostische und therapeutische Standards in der Dermatologischen
Onkologie” wurde bis 1998 fertiggestellt. Hier erfolgte eine engmaschige Abstimmung
mit den deutschen Fachgesellschaften für Chirurgie, Innere Medizin, Hämatologie und
Onkologie, Pathologie, Frauenheilkunde, Radioonkologie und der Deutschen Röntgengesellschaft.
Insgesamt wurden Leitlinien zu 7 Tumorentitäten erstellt (Tab. [1]). Die Leitlinien wurden sowohl als ein Band in der Reihe „Qualitätssicherung in
der Onkologie” im Zuckschwerdt Verlag publiziert als auch im „Hautarzt”. Es wurden
bis zum Jahr 2000 kurzgefasste, interdisziplinäre Leitlinien fertiggestellt, die in
der Reihe „Qualitätssicherung in der Onkologie” von der Deutschen Krebsgesellschaft
in dem Band „Kurzgefasste Interdisziplinäre Leitlinien”, herausgegeben vom Informationszentrum
für Standards in der Onkologie (ISTO), publiziert wurden.
Tab. 1 Leitlinienentwicklung 2004
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Überarbeitete Langfassungen der Leitlinien 2004 auf S2-Stufe
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| Basalzellkarzinom |
| Plattenepithelkarzinom der Haut einschließlich des Lippenrots |
| Merkelzellkarzinom |
| malignes Melanom |
| Dermatofibrosarkom |
| Kaposi-Sarkom |
| kutane Lymphome |
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Neufassung von Leitlinien 2004
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| aktinische Keratosen (in Arbeit) |
| melanozytäre Nävi (in Vorbereitung) |
Neufassung der Leitlinien 2004
Neufassung der Leitlinien 2004
Im Jahre 2002 wurde ebenfalls unter Federführung der ADO damit begonnen, die bisher
vorliegenden Leitlinien gründlich zu überarbeiten. Hierbei wurde angestrebt, den Standard
der Leitlinienentwicklung von S1-Leitlinien auf S2-Level anzuheben (Tab. [2]). Dazu ist es erforderlich, den Prozess der Leitlinienentwicklung über eine interdisziplinäre
Expertenkonferenz zu organisieren und über das Informationszentrum für Standards in
der Onkologie alle beteiligten Fachgesellschaften und Arbeitsgemeinschaften der Deutschen
Krebsgesellschaft mit einzubeziehen (Abb. [1]). Weiterhin müssen bei S2-Leitlinien die Empfehlungen mit Literaturzitaten belegt
werden und die Evidenzlevel für die Empfehlungen sind anzugeben. Die Evidenzlevel
wurden entsprechend der Vorschläge der „Canadian Medical Association” übernommen (Tab.
[3]). Der Prozess der Leitlinienüberarbeitung ist weitgehend abgeschlossen und die fertiggestellten
Leitlinien werden im Laufe des Jahres 2004 publiziert werden.
Abb. 1 Abstimmungsprozess der Leitlinien in der Dermatologischen Onkologie.
Tab. 2 Drei-Stufen-Konzept der Leitlinienentwicklung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen-Medizinischen
Fachgesellschaften (AWMF)
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1. Stufe: Expertengruppe |
Eine repräsentativ zusammengesetzte Expertengruppe der Wiss. Med. Fachgesellschaft
erarbeitet im informellen Konsens eine Leitlinie, die vom Vorstand der Fachgesellschaft
verabschiedet wird. |
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2. Stufe: Formale Konsensusfindung |
Vorhandene Leitlinien der Stufe 1 werden in einem der bewährten formalen Konsensusverfahren
beraten und als LL der Stufe 2 verabschiedet. Formale Konsensusfindungsmethoden sind
nominaler Gruppenprozess, Delphimethode und Konsensuskonferenz. Sie enthalten eine
Diskussion der Evidenz für die verabschiedeten Statements. Für die Durchführung ist
die Mitarbeit von Methodikern hilfreich. |
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3. Stufe: Leitlinien mit allen Elementen systematischer Erstellung |
Der formale Konsensusprozess wird durch weitere systematische Elemente erweitert:
- logische Analyse (klinischer Algorithmus) - Evidenz-basierte Medizin - Entscheidungsanalyse - Outcomeanalyse |
Tab. 3 Evidenzlevel entsprechend der „Canadian Medical Association” für Leitlinien in der
Medizin
| Evidenzlevel I |
Die Evidenz ist aufgrund randomisierter kontrollierter Studien (oder Metaanalysen)
von genügendem Umfang derart, dass die Gefahr, dass sie falsch positive oder falsch
negative Resultate beinhalten, gering ist. |
| Evidenzlevel II |
Die Evidenz basiert auf randomisierten kontrollierten Studien, welche jedoch zu klein
sind, um ihnen Level I zuzusprechen; sie können positive Trends, welche jedoch statistisch
nicht signifikant sind oder gar keine Trends zeigen. Sie sind mit einem hohen Risiko
falsch negativer Resultate verbunden. |
| Evidenzlevel III |
Die Evidenz basiert auf nicht randomisierten Kontroll- oder Kohortenstudien, Fallserien,
Fallkontrollstudien oder Querschnittsstudien. |
| Evidenzlevel IV |
Die Evidenz basiert auf der Meinung angesehener Experten oder Expertengremien, wie
sie in publizierten Konsenskonferenzen oder in Leitlinien angegeben werden. |
| Evidenzlevel V |
Die Evidenz basiert auf der Meinung derjenigen Personen, welche diese Leitlinien geschrieben
oder aktualisiert haben, beruhend auf ihrer Erfahrung, ihrer Kenntnis der einschlägigen
Literatur und der Diskussion mit ihren Fachkollegen. |
Neue Leitlinien in der Dermatologischen Onkologie
Neue Leitlinien in der Dermatologischen Onkologie
Es wurden zwei Arbeitsgruppen gebildet, um Leitlinien für aktinische Keratosen und
für melanozytäre Nävi zu entwickeln (Tab. [1]). Für aktinischen Keratosen fand bereits ein Expertentreffen statt und der Entwurf
einer Leitlinie liegt vor. Für melanozytäre Nävi ist ein Expertentreffen für den Juni
2006 terminiert. Für diese Leitlinien wird ebenfalls angestrebt, sie als S2-Leitlinien
zu entwickeln.
Weiterhin wurde in der Leitlinienkommission Dermatologische Onkologie angedacht, die
Leitlinien für das maligne Melanom, das Basalzellkarzinom und das Plattenepithelkarzinom
als S3-Leitlinien weiterzuentwickeln. Hierfür ist allerdings eine Finanzierung erforderlich.
Vorbereitungen für eine Antragsstellung einer solchen Finanzierung wurden bereits
getroffen. Das 3-Stufen-Konzept der Leitlinienentwicklung, wie es von der AWMF, der
Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher-Medizinischer Fachgesellschaften, entwickelt
wurde, ist in Tab. [3] zusammengefasst.
Ausblick
Ausblick
Die Leitlinienentwicklung wird in Zukunft voraussichtlich noch eine größere Bedeutung
erhalten als bereits in den letzten Jahren. Mittels der Leitlinien wird es auch in
Zukunft gelingen, Erkenntnisse aus evidenzbasierten Studien schneller als in der Vergangenheit
in die tägliche medizinische Praxis umzusetzen. Die Leitlinienerstellung fördert die
Rezeption der Literatur und neuer Ergebnisse und ihre Implementierung in die Praxis.
Leitlinien bieten dem Arzt den Vorteil einer Orientierungshilfe auf dem neuesten Stand.
Leitlinien werden aber auch zunehmend zur Klärung forensischer Fragestellungen herangezogen.
Leitlinien sind für Patienten frei zugänglich und sind im Internet auf der Homepage
der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften einsehbar.
Leitlinien scheinen auch eine zunehmende Relevanz im Hinblick auf erstattungsrechtliche
Fragen zu gewinnen. So ist eine Erstattung von Medikamenten im off-label-use dann
eher zu erwarten, wenn eine entsprechende Leitlinienempfehlung für den Einsatz des
Medikamentes vorliegt. Ähnlich verhält es sich offenbar mit diagnostischen Vorgehensweisen.
Aus diesem Grunde ist mit der Entwicklung der Leitlinien auch eine besonders weitgehende
Verantwortung verbunden.