Es gibt wohl keinen zweiten bösartigen Tumor, dessen Geschichte eine ähnlich dramatische
Entwicklung genommen hat, wie die des Lungen- und Bronchialkarzinoms. Noch in der
Mitte des 19. Jahrhunderts war ein primäres Bronchialkarzinom unbekannt, die Abgrenzung
eines primären Lungenkarzinoms von Lungenmetastasen unsicher.
In dieser Arbeit wird versucht, wichtige Meilensteine in der Geschichte des Lungen-
und Bronchialkarzinoms vorzustellen, wobei der Schwerpunkt auf der pathologischen
Anatomie liegt.
In Rokitanskys Lehrbuch der Pathologischen Anatomie von 1862 (3. Auflage) lesen wir:
„An den Bronchien beobachtet man bisweilen eine vom Bronchialstamm an auf seine Verästelung
fortgesetzte krebsige Entartung, wobei die Wände der Bronchien verdickt, rigid, das
Lumen derselben verengt, die innere Fläche derselben höckerig uneben erscheinen. Die
Entartung trifft mit Carcinom der Bronchialdrüsen, mit ausgebreitetem Carcinom der
Costalpleura zusammen und geht ohne Zweifel von ihnen aus” [1]. Mit „Bronchialdrüsen” sind hier die bronchusnahen Lymphknoten gemeint. Obwohl also
Rokitansky einprägsam den makroskopischen Befund eines Bronchialkarzinoms schildert,
verlegt er doch den Ursprung des Tumors in die angrenzenden Lymphknoten.
Die epitheliale Genese der Karzinome ist zu dieser Zeit bekanntlich noch keineswegs
anerkannt, ja von Virchow bestritten. Erst mit den Arbeiten von Thiersch 1865 [2] und Waldeyer 1867/72 [3] wird sich die Lehre vom epithelialen Ursprung der Karzinome durchsetzen. So verwundert
es nicht, dass noch 1867 Theodor Langhans, damals Assistent am Pathologischen Institut
Würzburg, in einer umfangreichen Arbeit über Krebs und Kankroid der Lunge [4] Tumoren beschreibt, die er einmal aus dem bindegewebigen Gerüst der Lunge hervorgehen
lässt, zum anderen aber auch in der „Matrix” der Alveolen sucht. Er gewinnt seine
Befunde an Sammlungspräparaten. Die Beschreibung lässt zweifelsfrei erkennen, dass
es sich bei seinen Beobachtungen um Metastasenlungen handelt.
1871 veröffentlicht Langhans dann aus Marburg den ersten gesicherten Fall eines primären
Bronchialkarzinoms [5]. Der 40-jährige Mann leidet seit einem Jahr an Atembeschwerden mit wiederholten
Erstickungsanfällen. Bei der Autopsie findet man eine Stenose des rechten Hauptbronchus
(Abb. [1]). Es handelt sich um ein Plattenepithelkarzinom, das Langhans von den Schleimdrüsen
der Bronchialschleimhaut ausgehen lässt. Bei der Deutung der epithelialen Genese seines
Tumors bezieht er sich jetzt ausdrücklich auf Waldeyers Befunde an Mammakarzinomen.
1872 veröffentlicht M. Perls aus Königsberg den 2. Fall eines metastasierenden Bronchialkarzinoms
mit plattenepithelialem Bau [6]. Die Histogenese dieses Geschwulstleidens ist Perls jedoch keineswegs klar, lässt
er doch die Lebermetastasen aus den benachbarten Leberzellen hervorgehen und spricht
sich „entschieden gegen die Alleinherrschaft der Implantationstheorie aus, wie Waldeyer
sie lehrt” (pag. 462).
Abb. 1 Th. Langhans. Primärkrebs der Trachea und der Bronchien. Fig. 2 u. 3: „Die Endbläschen
der Drüsen in mannigfacher Umbildung zu Krebszellsträngen begriffen”. Virchows Arch
path Anat 1871; 53 : 470 - 484.
In den nachfolgenden Jahren mehren sich jedoch autoptische Berichte primärer Lungen-
und Bronchialkarzinome. Lapidar formuliert hierzu Rindfleisch 1873 in seinem Lehrbuch
der Pathologischen Gewebelehre [7] jedoch: „Die Lunge ist zu primärer Geschwulstbildung ausserordentlich wenig geneigt”.
Dabei ist es bemerkenswert, dass für Rindfleisch „ausschließlich das Stroma der Lunge”
für die Genese in Betracht kommt. Vom Bronchialkrebs ist bei Rindfleisch noch keine
Rede. Im damals tonangebenden britischen Lehrbuch Lectures of Pathological Anatomy
von S. Wilks und W. Moxon 1875, 2. Auflage, [8] wird eindeutig zwischen primären und sekundären Lungengeschwülsten unterschieden:
„We would therefore say that cancer of the lung is generally of two kinds - that in
which die parenchyma is filled with cancerous masses secondary to a similar affection
in another part; and that in which the lung is occupied by a mass of disease, perhaps
limited to the chest and which, in contradistinction to the other, may be called primary,
although it has its origin really in the bronchial tissues” (pag. 351). Freilich:
Auch Wilks und Moxon müssen gestehen: „A true primary cancer of the lung is so rare
that we have only one specimen to show” (pag. 352).
Eine Zusammenstellung von 70 kasuistischen Mitteilungen primärer Lungenkarzinome verdanken
wir 1896 H. Pässler aus Breslau [9]. Nur vollständige Autopsien können damals Klarheit über den primären Lungenkrebs
schaffen. Unter 54 Fällen, deren Beschreibung Pässler eine Beurteilung erlaubt, sind
47 primäre Bronchialkarzinome. Pässler ist wohl auch einer der ersten Autoren, die
eine mikroskopisch-zytologische Sputumuntersuchung für die Diagnose des Bronchialkarzinoms
am Patienten fordern. Unter 4 eigenen Fällen findet sich ein „kleinzelliger Cylinderzellenkrebs”,
ein verhornendes Plattenepithelkarzinom, ein Zylinderzellkarzinom mit Verschleimung.
„Eine Form des primären Lungenkarzinoms, welche sich ausschließlich auf das Lungenparenchym
mit völliger Freilassung aller großen und kleinen Bronchien beschränkt, ist nicht
sicher bekannt” (pag. 248).
Am Ende des 19. Jahrhunderts können über die Häufigkeit des Bronchialkarzinoms unter
bösartigen Geschwülsten Autopsiestatistiken verlässliche Auskunft geben. In Breslau
findet Pässler unter 870 Karzinomen 16 primäre Lungenkarzinome (1,83 %). Mit weitem
Abstand führt der Magenkrebs mit 319 Fällen die Liste an. In Chemnitz findet Briese
zwischen 1898 und 1916 60 Fälle von primärem Lungen- und Bronchialkrebs unter 1287
Krebsfällen, also 4,51 % [10]. Das ist der 6. Rang unter seinen Krebsfällen. Brieses eigene Beobachtung schildert
ein klassisches doppelseitiges Alveolarzellkarzinom.
Die Zunahme der Lungen- und Bronchialkarzinome in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts
ist deutlich an den Autopsiestatistiken aus Bern 1900 - 1939 [11], Hamburg-Eppendorf 1898 - 1923 [12], Leipzig 1920 - 1951 [13] und Dresden 1852 - 1951 [14] erkennbar. In Bern steigt der Anteil von 1,2 % auf 7,6 % aller Karzinome, in Hamburg
von 1,7 % auf 9,4 %, in Leipzig von 9 % auf 21 %. Bei den Männern nimmt in Leipzig
am St. Georg Krankenhaus in den Jahren 1942 - 1951 der Lungenkrebs mit 35 % aller
Krebsfälle eine Spitzenposition ein, der Magenkrebs wird an relativer Häufigkeit übertroffen.
Zu Recht stellt H. Grosse in seiner 100-jährigen Lungenkrebsstatistik aus dem Pathologischen
Institut Dresden-Friedrichstadt fest: „Da die Gesamtkrebshäufigkeit bei den Männern
im Laufe der 100 Jahre um das 3,3fache, die Lungenkrebshäufigkeit aber um das 18fache
zunimmt, darf die Lungenkrebszunahme als eine echte, nicht allein durch Überalterung
bedingte Zunahme angesehen werden” (pag. 332).
Die Autopsiestatistiken sagen natürlich nichts über bevölkerungsbezogene Inzidenzen
aus. Die erhebliche Zunahme des Lungen- und Bronchialkarzinoms haben die nach dem
2. Weltkrieg eingerichteten epidemiologischen Krebsregister weltweit offengelegt [15]. In den letzten 20 Jahren beobachtet man eine divergierende Entwicklung bei Männern
und Frauen, wie am Beispiel der Bevölkerung des Saarlandes gezeigt werden kann (Abb.
[2] und Abb. [3]) [16]. Bei den Männern ist seit 1970 kein Anstieg, eher ein Trend zur Reduktion der Inzidenz
und Mortalität zu beobachten. Bei den Frauen kommt es dagegen fast zu einer Verdreifachung
der Werte [17]. Der weibliche Lungenkrebs macht 1997 im Saarland 4,8 % aller Krebserkrankungen
bei Frauen aus und ist nun etwa gleich häufig wie der Mastdarmkrebs bei der Frau.
Mit 17,5 % nimmt der Lungenkrebs bei den Männern immer noch eine Spitzenposition ein,
jetzt dicht gefolgt vom Prostatakrebs.
Abb. 2 Saarländisches Krebsregister. Inzidenz und Mortalität des Bronchialkarzinoms (ICD
162) (Europa-Standard) 1970 - 2000, Frauen.
Abb. 3 Saarländisches Krebsregister. Inzidenz und Mortalität des Bronchialkarzinoms (ICD
162) (Europa-Standard) 1970 - 2000, Männer.
Rauchen als ätiologischer Faktor
Rauchen als ätiologischer Faktor
Die fast explosive Zunahme des Lungenkrebses seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat
alle Forscher herausgefordert, den Ursachen nachzugehen. Zunächst wurden im Gefolge
der Grippeepidemie 1918 Plattenepithelmetaplasien der Bronchialschleimhaut gesehen
und von Siegmund [18] als Präkanzerosen beschrieben. Auch Berblinger [19] weist auf die Zunahme der Lungenkrebse nach der Grippeepidemie und auf die Bedeutung
der Influenza als mögliche Krebsursache hin. Eine der ersten Anmerkungen zum Thema
Rauchen und Lungenkrebs stammt 1923 von Theodor Fahr, Hamburg. In einer Diskussionsbemerkung
auf der 19. Tagung der Deutschen Pathologischen Gesellschaft in Göttingen zu einem
Vortrag von Teutschländer über „Metaplasie und Krebsbildung” bemerkt er: „Als Reiz
für die Entstehung des Bronchialkrebses kommt m. E. nur eine chronisch wirkende Schädlichkeit
in Betracht, schwerlich eine Vergiftung mit Kampfgasen, viel eher das Inhalieren beim
Zigarettenrauchen, welches zweifellos zugenommen hat” [20].
Eine frühe zusammenfassende Übersicht über „Tabak und Tabakrauch als ätiologischer
Faktor des Bronchialcarcinoms” wird 1930 von Lickint, Chemnitz, publiziert [21]. Zu dieser Zeit ist schon lange bekannt, dass man experimentell mit Tabakteerpinselungen
Epithelproliferationen an der Haut von Ratten, Mäusen und Kaninchen erzeugen kann.
Auch sind die Zusammenhänge zwischen Lippen-, Mundschleimhaut- und Zungenkrebs mit
dem Rauchen bekannt. Lickint weist nicht nur auf „die erschreckende Zunahme des Zigarettenrauchens”
hin, er sieht ein Risiko auch im Passivrauchen: „Es gelangen also tagtäglich sowohl
bei Rauchern als aber auch in nicht zu unterschätzendem Maße beim Nichtraucher durch
Aufenthalt in rauchigen Räumen Tabakverbrennungsprodukte an das Epithel der Luftwege”.
In einer zweiten Arbeit veröffentlicht Lickint 1935 selbst erhobene Raucheranamnesen
bei Patienten mit Bronchialkrebs [22]. Von 36 Männern sind 34 starke Raucher.
1937 berichtet A. H. Roffo, Buenos Aires, von seinen Erfahrungen mit „Tabak als krebserzeugendes
Agens” in der sog. Rauchstraße: Lippe - Zunge - Larynx - Gaumensegel - Pharynx. Unter
5000 krebskranken Frauen finden sich nur 42 Fälle von Krebs in der sog. Rauchstraße,
aber alle sind starke Raucherinnen. Experimentell belegt er, dass es die Kohlenwasserstoffe
im Tabakteer seien, die kanzerogen sind [23].
1940 veröffentlicht H.F. Müller Zahlen des Statistischen Reichsamtes über den Tabakkonsum
in Deutschland [24]. Der Verbrauch an Zigaretten ist seit 1907 um das 5fache gestiegen. Müller führt
daraufhin systematische Raucheranamnesen bei den Patienten der Kölner Universitäts-Poliklinik
ein und erforscht diese auch mit Fragebogen bei den Angehörigen verstorbener Bronchialkarzinom-Patienten.
Gegenüber einer Vergleichsgruppe findet er bei 96 Krankheitsfällen ein starkes Überwiegen
extremer und starker Raucher [24].
Der letzte und schlüssige Beweis von der überragenden Rolle des Rauchens in der Ätiologie
des Bronchialkarzinoms wird nach dem 2. Weltkrieg von der analytischen Epidemiologie
erbracht. An 684 Fällen belegen 1950 E. L. Wynder und E. A. Graham, St. Louis, dass
96 % der Patienten mit Lungenkrebs länger als 20 Jahre geraucht haben. Über die Hälfte
dieser Patienten waren exzessive oder Kettenraucher. In einer Kontrollgruppe waren
nur 19,1 % vergleichbar starke Raucher. 2 % der männlichen Patienten sind Nichtraucher
[25].
Seit dieser ersten, umfassenden epidemiologischen Studie gibt es eine kaum mehr überschaubare
Zahl retro- und prospektiver Studien aus zahlreichen Ländern der Welt, die das Zigarettenrauchen
an die erste Stelle der Ursachen des Bronchialkarzinoms stellen. Gemeinhin wird die
kanzerogene Wirkung des Tabakrauchs auf 3,4 Benzpyren bezogen. H. Druckrey und R.
Preussmann haben aber schon 1962 auf die im Tabakrauch nachweisbaren stark kanzerogenen
Nitrosamine hingewiesen [26].
Uranbergbau und Lungenkrebs
Uranbergbau und Lungenkrebs
Unter den beruflichen Risiken spielt in Deutschland der sog. Schneeberger Lungenkrebs
eine bedeutende Rolle. Die „Bergsucht” der Bergleute in den schon seit 1168 betriebenen
Silberminen im Erzgebirge war bereits Paracelsus bekannt. 1879 erkennen Härting und
Hesse, dass es sich bei dieser Bergkrankheit um Lungenkrebs handelt [27]. 1926 wird der Schneeberger Lungenkrebs, seine Klinik und Pathologie von Rostoski,
Saupe und Schmorl dargestellt [28]. Von 154 untersuchten Bergleuten sind im Laufe der Beobachtungszeit von 3œ Jahren
21 gestorben, davon 13 an einem Lungenkarzinom. Histologisch findet Schmorl plattenepitheliale,
undifferenzierte und kleinzellige Typen, wobei ihm häufige Mischformen auffallen.
Die Ätiologie des Schneeberger Lungenkrebses ist zu dieser Zeit noch unbekannt. Man
vermutet, dass der eingeatmete Staub entweder besonders gefährliche Eigenschaften
aufweist, oder es müssen konkurriende Momente hinzutreten. Rostoski und Saupe denken
dabei auch an eine „aktinisch bedingte Reizwirkung”, liegt doch der Radiumgehalt des
Staubes in Gesteinsproben über dem „als normal zu betrachtenden Grad” (pag. 373).
Das Drama des Uranbergbaus im Erzgebirge wird in Deutschland erst nach der Wiedervereinigung
in seinem ganzen Umfang offengelegt. Bis dahin war das Geschehen von der Betreibergesellschaft,
der „Wismut AG”, einer strengen Geheimhaltung unterworfen. Piekarski und Morfeld haben
1997 die Geschichte dieses Dramas eindrucksvoll dargelegt [29]. Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften konnte jetzt eine „Zentrale
Erfassungs- und Betreuungsstelle Wismut” einrichten. Hier werden sowohl die alten
Daten ausgewertet, als auch alle neuen Befunde bei den noch lebenden ehemaligen Bergleuten
gesammelt. Die aktuellen Schätzungen liegen z.Zt. bei etwa 11 000 Lungenkrebsfällen
bei 400 000 Bergleuten unter Risiko. Die bisher größte prospektive Kohorten-Studie
an über 58 000 Uranbergarbeitern der früheren Wismut AG wird 2002 von Kreuzer und
Mitarbeitern vorgelegt [30]. Neue histologische Befunde an 240 Lungenkarzinomen, die zwischen 1991 und 1995
beobachtet wurden, zeigen, dass der dominierende Typ mit 43 % das Plattenepithelkarzinom
ist, gefolgt vom Adenokarzinom (26 %) und dem kleinzelligen Karzinom mit 23 %. 8 %
sind sonstige Typen [31].
Nachdem 1997 die Quarzstaubbelastung von der International Agency for Research on
Cancer (IARC) als karzinogen eingestuft wurde, ergab sich für den Bergbau die Frage,
ob die Bergleute im Steinkohlenbergbau einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt sind.
Für den deutschen Steinkohlenbergbau wird dies an einer Kohorte von 4632 Bergleuten
des saarländischen Steinkohlenbergbaus prospektiv geprüft [32]. Die bisherigen Ergebnisse der Mortalitätsstudie haben keine erhöhte Gesamt- oder
Krebsmortalität (SMR 0,80) ergeben. Auch besteht keine erhöhte Lungenkrebsmortalität
(SMR 0,79). In enger Zusammenarbeit mit dem Saarländischen Krebsregister werden die
Inzidenzraten der noch lebenden Bergleute weiter verfolgt [32].
Asbest und Krebsrisiko
Asbest und Krebsrisiko
Unter den beruflichen Risiken spielt heute Asbest die überragende Rolle. Im Jahr 2000
verzeichnet der Hauptverband der Gewerblichen Berufsgenossenschaften in Deutschland
957 Todesfälle durch Asbest, hier etwa zur Hälfte Folge eines Mesothelioms oder eines
Lungenkrebses [33]. Zwischen 1993 und 2002 schwankt die Zahl anerkannter Asbest-bedingter Lungen- und
Kehlkopfkrebse (BK 4104) zwischen 436 und 786. Auf einer Konferenz der New York Academy
of Sciences: „Biological Effects of Asbestos” 1965 wird Asbest als das „Mineral des
20. Jahrhunderts” bezeichnet, dessen Anwendung in 60 Jahren um das 1000fache gestiegen
sei [34]. Die ersten Beobachtungen von Lungenkarzinomen bei Asbestose stammen aus den 30er-Jahren.
1938 fordert M. Nordmann, Hannover, mit 2 eigenen Beobachtungen die Anerkennung eines
Berufskrebses beim Asbestarbeiter [35]. Ein Zentrum der Asbestindustrie in Deutschland war Dresden. Auf der New Yorker
Konferenz berichten Jacob und Anspach über ihre Erfahrungen an 2636 Asbestarbeitern
der Dresdner Industrie - Männer und Frauen - aus den Jahren 1952 - 1964 [36]. Sie beobachten 721 Fälle von Asbestose mit 22 Lungenkarzinomen und 6 Pleuramesotheliomen.
Charakteristisch ist eine im Mittel 30 Jahre währende Latenzzeit zwischen dem Beginn
der Exposition und der Krebserkrankung. Bekannt ist die exponenzielle Steigerung des
Krebsrisikos durch Rauchen. Nach Selikoff u. Mitarb. ist das Risiko des rauchenden
Asbestarbeiters gegenüber dem Nichtraucher ohne Asbestexposition auf das 92fache erhöht
[37].
Der Hauptverband der Gewerblichen Berufsgenossenschaften erwartet das Maximum Asbest-bedingter
Erkrankungen in Deutschland erst zwischen 2005 und 2015.
Histologische Klassifikation
Histologische Klassifikation
Die histologische Klassifikation der Lungen- und Bronchialkarzinome folgt heute den
Empfehlungen der WHO, die dafür bereits 1958 ein Referenzzentrum etabliert hat [38]. Die Nomenklatur wird durch die morphologische Vielfalt kompliziert. Bereits 1931
hatte W. Fischer darauf hingewiesen, dass im gleichen Tumor wechselnde histologische
Befunde gefunden werden können [39]. Die Häufigkeitsverteilung der einzelnen Typen ist in einem unausgelesenen autoptischen
Beobachtungsgut anders als in operativ gewonnenen Lungen. 1954 gibt G. Kahlau [40] aus dem laufenden Frankfurter Obduktionsgut mit 190 Lungenkrebsfällen der Jahre
1949 - 1952 folgende Verteilung an:
-
Plattenepithelkrebse 36,9 %
-
Kleinzellige Krebse 46,3 %
-
Polymorphzellige Krebse 7,4 %
-
Atypische Krebse 3,2 %
-
Zylinderzellkrebse 6,8 %
Lüdecke hat schon 1953 gezeigt, dass im Operationsgut der Chirurgischen Universitätsklinik
München unter 125 Bronchialkarzinomen der Plattenepithelkrebs mit 70,4 % bei weitem
überwiegt, was zweifellos mit der oft günstigeren Topografie und dem langsameren Wachstum
dieses Typs im Vergleich zu den undifferenzierten, vor allem kleinzelligen Formen
zusammenhängt [41].
Die Veränderungen des Bronchialepithels in ihrer Abhängigkeit vom Rauchen wurde 1957
von O. Auerbach und seiner Gruppe ausführlich dargestellt [42]. Die Häufigkeit abnormer Epithelbefunde steigt mit steigendem Tabakkonsum.
Auf die Basalzellwucherungen und Plattenepithelmetaplasien hatte schon 1924 Krompecher
aufmerksam gemacht. Er sieht in den Basalzellwucherungen präneoplastische Veränderungen
und will sie Dysplasie nennen [43].
Die Geschichte des Sonderfalles „kleinzelliges Bronchialkarzinom” beginnt mit der
Abgrenzung dieses Tumors von Sarkomen, speziell des Mediastinums. Die kleinen, undifferenzierten
Zellen werden als haferkornähnlich (oat-cell carcinoma) beschrieben. 1926 betont Barnard,
dass diese Tumoren Karzinome sind: „The so-called oat-cell sarcoma of the posterior
mediastinum is a medullary carcinoma of bronchi” [44]. Bei Marchesani aus Innsbruck 1924 heißen diese Tumoren noch Basalzellenkrebse.
Er leitet sie richtig von den Basal- bzw. Reservezellen des Bronchialepithels ab [45]. Dass es sich dabei um einen eigenständigen Tumortyp handelt, wird ausführlich 1962
von Watson und Berg dargestellt [46]. In den Zellen lassen sich neurosekretorische Granula nachweisen [47]. Histogenetisch leitet sich der Tumor vom Helle Zellen-System der Bronchialschleimhaut
ab [48]
[49]. Entsprechend können kleinzellige Bronchialkarzinome hormonell aktiv sein. Bereits
1958 haben Cheng u. Mitarb. eine erste Beobachtung eines Cushing-Syndroms bei Bronchialkarzinom
aus China mitgeteilt [50].
1967 wird die erste internationale histologische Klassifikation der Lungentumoren
der WHO von Kreyberg, Liebow und Uehlinger vorgelegt [51], der 1977 eine überarbeitete Fassung folgt [52].
Ein eigenständiger seltener Lungentumor ist das bronchiolo-alveoläre Karzinom, das
vielfach einfach als Alveolarzellkarzinom bezeichnet wird. 1876 beschreibt L. Malassez
die erste Beobachtung eines doppelseitigen multinodulären Alveolarzellkarzinoms [53]. Über den diffusen, einer Lobärpneumonie ähnelnden Typ berichtet 1903 J. H. Musser
[54].
Ein klassisches Beispiel eines doppelseitigen Alveolarzellkarzinoms wird 1920 von
Briese aus Chemnitz mitgeteilt: „Beide Lungen fühlen sich fest an und sind ungemein
schwer. Die Schnittflächen werden, man mag einschneiden, wo man will, von graurötlichen
oder mehr grauen, durchscheinenden, vielfach geradezu glasig-schleimigen Erhebungen
eingenommen. Die entscheidenden Veränderungen spielen sich im Inneren, am Alveolarepithel
ab. An die Stelle der Plattenzellen sind hohe, dicht gedrängte, gegen die Lichtung
hin oft überquellende, nicht flimmernde Zylinderzellen in einer Schicht getreten”.
Für die Ableitung dieses Neoplasmas vom Alveolarepithel spricht alles und nichts spricht
dagegen, so Briese [10].
Es gehört seit je zur Definition des Alveolarzellkarzinoms, dass makroskopisch die
Bronchien unbeteiligt sind und dass bei der Autopsie kein anderweitiger Primärtumor
gefunden wird. Die Diagnose Alveolarzellkarzinom wird damit zum Teil eine Diagnose
per exclusionem, können doch metastatische Absiedelungen in den Lungen, etwa von einem
Pankreas- oder Rektumkarzinom, das Bild eines Alveolarzellkarzinoms vortäuschen, wenn
die Geschwulstzellen die Alveolarwände besiedeln und wie eine Tapete auskleiden. Eck,
der besonders auf diesen Metastasierungstypus aufmerksam gemacht hat, geht in seiner
Schlussfolgerung aber sicher zu weit, wenn er meint, das „Alveolarzellkarzinom” sei
„nichts anderes als eine eigenartige Form der Krebsmetastasierung” [55].
Schon die gelungene Heilung eines Alveolarzellkarzinoms nach Lob- oder Pneumonektomie
spricht für die Eigenständigkeit dieses Lungenkarzinoms, wie schon ein früher Fall
von Skorpil 1941 zeigt [56]. 1949 haben Delarue und E.A. Graham ein weiteres erfolgreich behandeltes Alveolarzellkarzinom
publiziert [57]. Der Terminus Lungenadenomatose [58] hat sich nicht durchgesetzt. In der Klassifikation der WHO 1977 werden als Lungenadenome
nur noch eindeutig gutartige epithelial-drüsige Tumoren zusammengefasst [59].
Das bronchiolo-alveoläre Karzinom ist mit 1 - 2 % der primären Lungen- und Bronchialkarzinome
selten. Watson und Smith haben am Memorial Hospital New York 33 Fälle unter 1585-malignen
Lungentumoren beobachtet, 70 % davon gehören zum nodulären und 30 % zum diffusen Typ
[60]. Histogenetisch kommen sowohl Zellen des bronchiolären Epithels wie auch Pneumozyten
Typ II in Betracht. Die Tumorzellen können schleimbildend sein, teilweise enthalten
sie elektronenmikroskopisch nachweisbare osmiophile, lamelläre Einschlusskörperchen,
wie Pneumozyten vom Typ II [61]
[62].
Die Prognose des Lungenkrebses (ICD 162) ist nach wie vor schlecht. In den deutschen
epidemiologischen Krebsregistern der ehemaligen DDR und des Saarlandes liegen die
relativen 5-Jahres-Überlebensraten um 10 % [63].