Balint Journal 2004; 5(1): 2-7
DOI: 10.1055/s-2004-818930
Medizin und Kultur
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die „Krebsstation” von Alexander Solschenizyn

Eine literaturethische Betrachtung”The Cancer Ward” by Alexander SolschenizynM. Bormuth1
  • 1Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Univ. Tübingen
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Publication Date:
26 March 2004 (online)

Zusammenfassung

Der Roman „Krebsstation” von Alexander Solschenizyn ist zwar auch als antitotalitäre Kritik zu lesen, aber vielmehr lässt sich das Buch als klassische und realistische Darstellung des konfliktreichen Krankenhausalltages vestehen. In medizinethischer Hinsicht steht besonders das Problem der freiwilligen Behandlungszustimmung des Patienten im Vordergrund. Im Zusammenhang damit zeigt der Autor, welche Bedeutung das selbständige Lesen für den Prozess der individuellen Patientenaufklärung besitzt. Der Aufsatz beschreibt zuerst die kulturhistorischen und -theoretischen Voraussetzungen solchen Lesens, bevor er dem Zusammenhang von Lesen und Aufklärung in Hinblick auf zwei Protagonisten des Romanes nachgeht. Hierbei spielt in entwicklungspsychologischer Hinsicht die Alters- und Erfahrungsdifferenz zwischen dem jugendlichen und dem erwachsenen Patienten eine entscheidende Rolle. Der Aufsatz versteht sich als ein Plädoyer für das individuelle Lesen als möglichem Aufklärungsmittel in der Medizin.

Literatur

  • 1 Solschenizyn wurde 1961 mit „Ein Tag im Leben des Ivan Denissowitsch” fast über Nacht zum gefeierten Autor, dem es in der Tauwetterperiode unter Chrustschow endlich erlaubt war, das Lagerschicksal der Stalin-Ära offen darzustellen. Später distanzierte man sich im Namen des „sozialistischen Realismus” von seiner Forderung nach unbedingter Aufrichtigkeit in der Literatur. Wie die „Krebsstation” durfte auch das Hauptwerk, der dreibändige „Archipel Gulag”, wie auch die epische Schilderung der Revolutionszeit in einzelnen „Knoten”-Romanen nur im Westen erscheinen. Vgl. zu Werk und Biografie: Neumann-Hoditz, R. (1974): Solschenizyn. Reinbek u. Thomas, D.M. (1998): Alexander Solzhenitsyn. London. 
  • 2 Solschenizyn A. Krebsstation. Buch 1, Neuwied u. a. u. Solschenizyn, A. (1969): Krebsstation. Buch 2, Neuwied u.a 
  • 3 Bobbert M. Moralpsychologie/Moralentwicklung. In: Düwell u. a. (Hg.) 2002: S. 428-432
  • 4 Solschenizyn A. Djomka freute sich über Oleg [Kostoglotow, M.B.], als wäre es sein älterer Bruder. 1969: S. 133
  • 5 Solschenizyn A. Nobelpreis-Rede 1970. In: Markstein, E. u. a. (Hg.) Über Solschenizyn. Aufsätze, Berichte Materialien. Neuwied u. a. 1973: S. 246-266
  • 6 Augustinus A. Bekenntnisse. München; 1983
  • 7 Solschenizyn A. 1973: S. 248f
  • 8 Solschenizyn A. 1973: S. 258
  • 9 Böll H. Vorwort. In: Solschenizyn 1968: S. 5-9, 6
  • 10 Vico J B. Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Das Werk erschien erstmals 1725 in Neapel. Hamburg; 1990
  • 11 Vico J B. 1990: S 142f
  • 12 Oser F, Althof W. Moralische Selbstbestimmung. Modelle der Entwicklung und Erziehung im Wertebereich. Stuttgart; 1992
  • 13 Nietzsche F. Kritische Studienausgabe 1, darin: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. Berlin u. a.; 1980: S. 243-334
  • 14 Beauchamp T L, Faden R. History of Informed Consent. In: Reich, W.T. (Hg.) Encyclopedia of Bioethics. New York; 1995: S. 1232-1238
  • 15 Kant I. Was ist Aufklärung? Aufsätze zur Geschichte und Philosophie. Göttingen; 1985: S. 55

Matthias Bormuth

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