Einleitung
Einleitung
Trotz der untergeordneten Rolle, die der Musikunterricht heute noch in unseren Schulen
spielt, gibt es doch kaum ein Kind, das nicht wenigstens einmal in seinem Leben ein
paar Stunden Blockflötenunterricht genommen hat. Dementsprechend gibt es auch eine
kleine Zahl von Lehrern und Lehrerinnen, die Unterricht erteilen. Blockflöten aus
Kunststoff oder einer einheimischen Holzart sind günstig zu erstehen. Sie werden jedoch
achtlos liegen gelassen, wenn die Freude am Blockflötenspiel erlischt oder das Kind
in eine höhere Klasse kommt und sich anderen Interessen zuwendet. Anders ist es mit
denjenigen, die ihren Lebensunterhalt mit dem Unterricht verdienen und daher auf ein
gutes, d. h. teureres Instrument zurückgreifen. Unterrichtende besitzen häufig mehrere
Blockflöten, doch unter diesen befindet sich eine, die sie besonders gerne spielen:
die Cocoboloflöte. Diese Zuwendung hat ihren besonderen Grund. Die Blockflöte aus
Cocobolo sieht nicht nur sehr dekorativ aus, besitzt hervorragende physikalische und
besondere Klangeigenschaften, sondern muss auch vor dem Unterricht kaum eingespielt
werden. Bei dieser Flöte ist es nicht notwendig, eine Viertelstunde „Vorlauf” zu geben,
um sie dann auf die richtige Tonhöhe einstellen zu können. Der Kern des Cocoboloholzes
(Dalbergia spc. „Mittelamerika”, Familie Fabaceae) ist prall mit Inhaltsstoffen gefüllt, gelblich
über orange bis violettbraun gefärbt, oft mit einer violetten bis schwarzen Streifung
versehen und später tief rotbraun nachdunkelnd. Es zeigt in seinen Poren dunkle, glänzende
Einlagerungen, die das Gefäß in seiner ganzen Länge verstopfen. Die dadurch bedingte
äußerst geringe Wasseraufnahme, zusammen mit seiner dichten Oberfläche, hohen Härte
und guten Bearbeitbarkeit machen es zu einem der besten Flötenhölzer der Welt [1]. Dank seiner aromatischen Inhaltsstoffe (Dalbergione und verwandte Verbindungen)
ist das Holz so pilz- und insektenresistent, dass es sich auch hervorragend als Wasserbauholz
eignet [2]. Trotz der seit über hundert Jahren bekannten, krank machenden Eigenschaften dieses
Holzes werden bis heute allergische Kontaktdermatitiden beobachtet, weil Cocobolo
durch kein gleichwertiges anderes Holz ersetzt werden kann. Man verwendet es wegen
der genannten Eigenschaften nach wie vor für Blockflöten und Teile anderer, hochwertiger
Blasinstrumente (z. B. Klarinettenbecher), mechanisch beanspruchte Teile von Streich-
und Zupfinstrumenten (z. B. Gitarrenstege) sowie für Billardstöcke, Holzschmuck (Armbänder,
Holzketten u. a. Gegenstände des Kunstgewerbes), Griffe und Griffschalen, Intarsien,
Bürstenrücken und gelegentlich im Innenausbau. In dem hier vorgestellten Fall handelte
es sich um eine Flötenlehrerin.
Kausistik
Kausistik
Im August 2002 stellte sich eine 62-jährige Lehrerin, die seit 27 Jahren den Beruf
einer Flöten- und Gitarrenlehrerin ausübt, mit Schwellungen und feinlamellärer Schuppung
an den Lippen vor, die nicht abheilten. Sie berichtete über Juckreiz und Kribbeln
an den Augen, der Nase und der Zunge bis in den Hals hinein, Atembeschwerden und das
Gefühl, ständig abhusten zu müssen. An der rechten Stirnseite zeigte sich eine 5 mm
große, scharf begrenzte Macula. An der linken Wange fand sich eine 5 mm große, homogen
hellbraun pigmentierte Lentigo senilis mit einem ca. 1 mm großen dunkleren „Einsprengsel”.
Gegenüber der Oberlippe war die Unterlippe ungefähr um das Vierfache angeschwollen
(Abb. [1]). Von dort ausgehend setzten sich die ekzematischen Veränderungen bis zum Unterrand
des Kinns fort (Abb. [2]).
Abb. 1 Schwellung der Unterlippe nach Spielen der verdächtigten Blockflöte.
Abb. 2 Ekzematische Veränderungen durch das Mundstück im Kinnbereich.
Die Patientin brachte zur Untersuchung eine Tasche voller Instrumente mit. Aus diesen
26 Palisander-, Rosen-, Kirschen-, Eben- und Ahornholzflöten fischte sie eine sehr
dekorative heraus, die sie am ehesten als Ursache ihrer Hautveränderungen und Missempfindungen
ansah. Das Instrument wies bei näherer Inaugenscheinnahme nach Maserung, Härte und
Farbton alle Merkmale einer Flöte aus Cocoboloholz auf. Die Patientin berichtete,
sie habe sich gleich zwei dieser Flöten gekauft, nach kurzem aber gemerkt, dass es
gar nicht nötig sei, auf die andere auszuweichen, weil man mit dem ersten Instrument
„stundenlang spielen könne”. Ein Aufquellen des Holzes durch Aufnahme von Feuchtigkeit
trete nicht ein, der Ton würde sich nicht verändern. Dafür würde das aus der Atemluft
stammende Kondenswasser während und nach dem Spielen in Form eines Rinnsals aus der
Flöte austreten.
Allergologische Untersuchungen
Allergologische Untersuchungen
Nachdem der Flötenhersteller das Holz als Cocobolo bestätigt hatte, wurde auf die
Entnahme von Spänen verzichtet und stattdessen gleich eine Epikutantestung mit den
aus früheren Untersuchungen vorliegenden Kontaktallergenen aus Dalbergia-Arten begonnen (Tab. [1]). Da die beschriebenen Symptome auch den Verdacht einer Allergie vom Frühtyp nahelegten,
führten wir einen Scratchtest mit frisch angefertigten feinen Spänen aus authentischem
Cocoboloholz, einen Pricktest mit 15 Atopenen und eine CAP-Untersuchung durch. Die
in der Pricktestung erhaltenen Hinweise auf allergische Frühreaktionen durch Frühblüher,
Gräser und Milben bestätigten sich durch folgende CAP-Befunde: Erle (Klasse I), Liesch-
und Knäuelgras (Klasse II), Hausstaub- und Mehlmilbe (Klasse III), Birke (Klasse IV).
Das Gesamt-IgE lag bei 62 KU/L. Der Scratchtest mit den Cocobolospänen blieb bei der
Patientin und drei Kontrollpersonen negativ. Im Epikutantest mit fünf Dalbergionen
aus Cocobolo, verwandten Palisanderarten und einem Chinonmethid erhielten wir ausschließlich
positive Testreaktionen auf die Cocobolo-Inhaltsstoffe Obtusachinon und sein korrespondierendes
Chinon (R)-4-Methoxydalbergion (Tab. [1]).
Tab. 1 Ergebnis der Testuntersuchungen
Allergene |
Konz. |
24 h |
72 h |
96 h |
120 h |
(R)-4-Methoxydalbergion |
1 % |
Ø |
? a |
+ |
++ |
(S)-4-Methoxydalbergion |
1 % |
Ø |
Ø |
Ø |
Ø |
Obtusachinon |
1 % |
Ø |
+++ |
+++ |
+++ |
(R)-3,4-Dimethoxydalbergion |
0,01 % |
Ø |
Ø |
Ø |
Ø |
(S)-4,4‘-Dimethoxydalbergion |
1 % |
Ø |
Ø |
Ø |
Ø |
(S)-Hydroxy-4-methoxydalbergion |
1 % |
Ø |
Ø |
Ø |
Ø |
Therapie und Verlauf
Therapie und Verlauf
Unter der Testung kam es zu einer Verstärkung der Lippenschwellung. Das Meiden der
Flöte führte zum Abklingen der Ekzemreaktion. Beim ersatzweisen Spielen von Instrumenten
aus Kirschen-, Rosen- und Ebenholz traten keine Rezidive auf.
In Absprache mit dem Flötenhersteller wurde die Anfertigung eines neuen Mundstückes
aus Olivenholz, Buchenholz (mit anschließender Anpassung durch Einfärben) oder Kunststoff
vereinbart. Beim Besuch des Flötenbauers im Vogtland hielt sich die Patientin für
zwei Stunden in dessen Werkstatt auf. Am nächsten Tag kam es zu einem Rezidiv mit
starker Schwellung der Lippen und Streuherden des Ekzems auf benachbarte Bezirke im
Gesicht, obwohl kein direkter Kontakt mit dem Cocoboloholz bestanden hatte. Der Flötenbauer
konnte sich jedoch nicht entschließen, ein anderes Holz für das Mundstück zu verwenden,
da er den Klang erhalten wollte. Stattdessen lackierte er es mit einem wasserfesten
Lack. Die Patientin verzichtete aber auf das weitere Benutzen der Cocoboloflöte, hatte
sie doch beobachtet, dass das Kondenswasser der Atemluft aus dem Inneren der Flöte austritt. Sie hegte die berechtigte Befürchtung, die Allergene könnten
in diesem Rinnsal enthalten sein und ein Wiederauftreten der Hautveränderungen provozieren.
Sie legte das Instrument daher beiseite und spielt seither nur auf den anderen Flöten.
Diskussion
Diskussion
Auch wenn seine Bedeutung zurückgegangen ist, hat Cocobolo seinen Ruf als „Exklusivholz”
bis heute nicht verloren. Daran ändern auch die beobachteten allergischen Reaktionen
nichts, die bereits im Jahre 1891 erstmals beschrieben wurden [3]. Vor dem 2. Weltkrieg stellte man etwa 90 % aller Blockflöten aus Cocobolo her.
Die dabei beobachtete Zunahme von Dermatitiden (im perioralen Bereich) und Cheilitiden
führte in Musikzeitschriften, Fachblättern der Musikinstrumentenhersteller, dermatologischen
Journalen und sogar Tageszeitungen zu heftigen Diskussionen. Im Jahre 1933 zog das
Arbeits- und Wohlfahrtsministerium des Deutschen Reiches ein Verbot der Verarbeitung
von Cocobolo in Erwägung [4], in England blieb ein solches Verbot längere Zeit in Kraft. Nach 1945 flaute das
Interesse an diesem Holz zunächst ab, wurde aber im Laufe der zunehmenden Prosperität
der Bundesbürger wieder geweckt [5]
[6]. Aus anderen Ländern Europas sowie Nordamerika liegen inzwischen ebenfalls Fallbeschreibungen
über Sensibilisierungen durch Holzschmuck, Billardstöcke, Furniere und Einbaumöbel
vor [7]
[8]
[9]
[10]. Bei einer dänischen Patientin kam es durch das Tragen eines Holzarmbandes zu einer
EEM-ähnlichen Reaktion [11].
Botanisch steht das Cocoboloholz dem Rio-Palisander (D. nigra All.), Ostindisch-Palisander (D. latifolia Roxb.), Grenadill (D. melanoxylon Guill. & Perr.) und anderen Dalbergia-Arten nahe, enthält aber im Gegensatz zu diesen als Hauptallergen ein Chinonmethid
- das Obtusachinon -, dessen Sensibilisierungsvermögen jenes der (R)- und (S)-Dalbergione
wesentlich übersteigt [6]. Zum schwächeren Allergen (R)-4-Methoxydalbergion (R-4-MD) steht Obtusachinon in
einer direkten Beziehung. Durch Isomerisierung des R-4-MDs zum Obtusachinon und vice
versa, wie sie bei der Biogenese in der Natur stattfindet, verläuft dieser Vorgang
(engl.: rearrangement), enzymatisch gesteuert, auch in der Haut. Da man Obtusachinon
bei der Isolierung aus dem Holz gewöhnlich in größerer Ausbeute (als R-4-MD) gewinnt
und ihm gleichzeitig die höhere Sensibilisierungspotenz zukommt [6], erklärt sich auch, warum Obtusachinon regelmäßig in der Epikutantestung eine stärkere
Testreaktion hervorruft als R-4-MD. So auch in unserem Fall. Kreuzreaktionen auf andere
Dalbergione werden kaum beobachtet. Auch mit dem stärksten aller sensibilisierenden
Dalbergione, dem (R)-3,4-Dimethoxydalbergion aus der botanisch verwandten Art Machaerium scleroxylon Tul. (Pao ferro) zeigte unsere Patientin keine Kreuzreaktion (Tab. [1]).
Eine Allergie vom Frühtyp gegenüber Cocobolo ließ sich bei der atopischen Patientin
nicht nachweisen.
Die früher üblichen Bezeichnungen Dalbergia retusa Hemsl. und D. obtusa Lec. sind obsolet. Heute rechnet man der Spezies Cocobolo aufgrund der holzanatomischen Struktur vier Arten zu: Dalbergia granadillo Pittier, D. hypoleuca Pittier, D. lineata Pittier und D. retusa Hemsl. Da sich diese Arten jedoch in ihren Inhaltsstoffen nicht unterscheiden, differenziert man sie nicht weiter, sondern subsummiert sie unter
der Bezeichung Dalbergia spc. „Mittelamerika” [12].
Mit dem hier vorgestellten Fall bestätigt sich erneut die stark sensibilisierende
Wirkung des Cocoboloholzes. Die in der 72-Stundenablesung mit ?a eingestufte Testreaktion
auf R-4-MD verstärkte sich in den darauf folgenden Tagen auf ++, während die bereits
in der 24-Stundenablesung +++-fach positive Reaktion auf Obtusachinon weiterhin stark
zunahm und auch nach zwei Wochen noch deutlich sichtbar war. Das nach dem Werkstattbesuch
auftretende, aerogen ausgelöste Rezidiv unterstreicht ebenfalls die hohe Potenz der
allergenen Inhaltsstoffe. Die Sensibilisierung hatte sich innerhalb eines relativ
kurzen Zeitraumes eingestellt: Die Flöte war bis zur erstmaligen Vorstellung in der
Klinik (August 2002) erst ein Jahr lang benutzt worden.
In vier weiteren, bisher unveröffentlichten Fällen einer Cocobolo-Kontaktallergie
wurde mit den von uns zur Verfügung gestellten Dalbergionen und Obtusachinon Testuntersuchungen
vorgenommen. Im ersten Fall handelte es sich um einen kanadischen Tischler mit Handekzem.
Die Hautveränderungen traten nach der Verarbeitung von Cocobolo für Einbaumöbel auf.
Während seiner Tätigkeit kam es zu Streuherden im Gesicht und an den Armen. Ein übersandtes
Muster wurde sowohl holzanatomisch als auch durch Nachweis seiner charakteristischen
Inhaltsstoffe als Cocobolo identifiziert. Der Patient reagierte bereits nach sechs
Stunden so heftig auf das Obtusachinon, dass das Testpflaster entfernt werden musste.
Auch R-4-MD ergab in der 72-Stundenablesung eine starke Reaktion (priv. Mitt. Dr.
J. C. Mitchell, Vancouver). Im zweiten Fall entwickelte ein Professor für Pflanzenphysiologie
und nebenbei begeisterter Violinspieler eine allergische Kontaktdermatitis auf seinen
Geigenkinnhalter. Holzanatomisch erwies sich der in Polen gefertigte Kinnhalter eindeutig
als Dalbergia granadillo Pittier. Die Epikutantestung führte zu zweifach-positiven Reaktionen auf (R)- und
(S)-4-MD und einer einfach-positiven auf (S)-4,4’-Dimethoxydalbergion, während Obtusachinon
bereits in der 48-Stundenablesung eine +++-Reaktion zeigte. Möglicherweise hatte ein
früherer Geigenkinnhalter aus Rio- oder Ostindisch-Palisander bestanden, worauf die
Testreaktionen der beiden anderen Dalbergione einen Hinweis lieferten. Auch auf das
Geigenharz (Kolophonium) war der Pflanzenphysiologe allergisch (priv. Mitt. aus Belgien).
Der dritte Fall eines Ekzems am Handgelenk ereignete sich kürzlich in der Bundesrepublik.
Einzelheiten der Testuntersuchungen mit den übersandten Allergenen liegen nicht vor.
Das auf einer Urlaubsreise erstandene Holzarmband (Abb. [3]) wurde als aus Cocobolo bestehend identifiziert, die bekannten Inhaltsstoffe nachgewiesen.
Im vierten Fall gelangte das Holz über einen kalifornischen Dermatologen in unsere
Hände. Sein Patient hatte sich daraus einen dekorativen Griff für seine Sportpistole
(Abb. [4]) anfertigen lassen. In der dünnschichtchromatographischen Analyse eines Chloroformextraktes
ließen sich Obtusachinon und R-4-MD nachweisen. Der Epikutantest mit den übersandten
Allergenen fiel positiv aus. Trotz Nachfragens konnten keine weiteren Details in Erfahrung
gebracht werden, der Fall blieb ebenfalls unveröffentlicht. Nicht unerwähnt bleiben
soll eine 24-jährige Neurodermitikerin aus Linz, bei der sich ein halbes Jahr nach
dem Üben auf einer neuen Cocoboloflöte (zum Vorspielen auf dem Konservatorium) Ekzemreaktionen
im Gesicht entwickelten. Obwohl der Schweizer Flötenbauer eine Probe des Holzes zur
Verfügung stellte und die von uns isolierten Inhaltsstoffe anschließend an die Dermatologische
Abteilung des Krankenhauses in Linz gesandt wurden, konnte sich die Patientin zu jenem
Zeitpunkt nicht dazu durchringen, die Epikutantestung durchführen zu lassen. Danach
verloren wir sie aus den Augen.
Abb. 3 Ein im Urlaub erstandenes Cocobolo-Holzarmband. Die Trägerin entwickelte ein Kontaktekzem
am Unterarm.
Abb. 4 Pistolengriff eines amerikanischen Sportschützen. Epikutantest mit den Inhaltsstoffen
des Cocoboloholzes positiv.