Die präoperative Risikoeinschätzung und Diagnostik hat nicht das primäre Ziel,
einen Patienten als „operabel” oder „nicht operabel” zu klassifizieren, sondern
die perioperative Morbidität und Sterblichkeit zu senken. Die wichtigsten perioperativen
Risikofaktoren sind Herz-Kreislauferkrankungen. Diese sind präoperativ oft
in einem vertretbaren Zeitraum zu diagnostizieren und zu behandeln.
Erkennen des Risikopatienten
Das perioperative Risiko wird durch vorbestehende Erkrankungen des Patienten sowie
die Art des operativen Eingriffes bestimmt. Man spricht daher von patienten- bzw.
operationsspezifischen Faktoren.
Tab. 1 Risikogruppen der American Society of Anesthesiology (ASA).
<TD VALIGN="TOP">
I
</TD><TD VALIGN="TOP">
gesund, keine Medikamenteneinnahme
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
II
</TD><TD VALIGN="TOP">
geringe Gesundheitsstörung ohne Einschränkung und Medikamentenpflichtigkeit
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
III
</TD><TD VALIGN="TOP">
medikamentenpflichtige Gesundheitsstörung, geringe Einschränkung der Aktivität
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
IV
</TD><TD VALIGN="TOP">
schwere Gesundheitsstörung, dauerhafte schwere Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
V
</TD><TD VALIGN="TOP">
moribund, Lebenserwartung < 24 h
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
VI
</TD><TD VALIGN="TOP">
Notfalleingriffe unabhängig von I-V
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
Modifiziert nach American Society of Anesthesiology (ASA)
</TD>
Risikogruppen
Um eine rasche klinische Klassifikation von Risikogruppen vorzunehmen, hat sich
die Einteilung von Grad I bis VI der American Society of Anesthesiology bewährt
(Tab. [1]). Ihr liegt die klinische Ausprägung möglicherweise vorliegender Gesundheitsstörungen
zugrunde. Da mit dem Lebensalter die Inzidenz von Herz-Kreislauferkrankungen steigt,
hat das American College of Cardiology in Zusammenarbeit mit der American Heart
Association (ACC/AHA) Leitlinien für die perioperative Risikoevaluation entwickelt.
Hier werden kardiale Risikofaktoren basierend auf systematischen Evaluierungen
in großen Patientenkollektiven in drei Risikoklassen einteilt [1]
[2] (Tab. [2]).
Tab. 2 Patientenspezifisches Risiko (modifiziert nach [1]
[2]).
<TD VALIGN="TOP">
geringes Risiko
</TD><TD VALIGN="TOP">
mäßiges Risiko
</TD><TD VALIGN="TOP">
hohes Risiko
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
fortgeschrittenes Alter
</TD><TD VALIGN="TOP">
milde Angina Pectoris
</TD><TD VALIGN="TOP">
instabiles Koronarsyndrom
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
EKG-Abnormalitäten
</TD><TD VALIGN="TOP">
vorheriger Myokardinfarkt
</TD><TD VALIGN="TOP">
dekompensierte Herzinsuffizienz
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
andere Rhythmen außer Sinusrhythmus
</TD><TD VALIGN="TOP">
kompensierte oder frühere Herzinsuffizienz
</TD><TD VALIGN="TOP">
schwerwiegende Arrhythmien
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
geringe Funktionelle Kapazität
</TD><TD VALIGN="TOP">
Diabetes mellitus
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Schlaganfall in der Anamnese
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
schlecht eingestellte arterielle Hypertonie
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
Operationsspezifisches Risiko
Mit dem Lebensalter steigt nicht nur die Inzidenz von Herz-Kreislauferkrankungen,
sondern auch die Häufigkeit eines operativen Eingriffes. Zusätzlich zu den patientenabhängigen
Faktoren bestimmen Invasivität und Dauer des operativen Eingriffes das Auftreten
perioperativer Komplikationen [3] [4]. ACC und AHA haben unter Berücksichtigung der gesamten vorliegenden Literatur
chirurgische Eingriffe hinsichtlich ihres Risikos analysiert und eine operationsspezifische
Risikoeinteilung entwickelt [1]
[2] (Tab. [3]). Es hat sich gezeigt, dass sowohl große vaskuläre Eingriffe als auch Operationen
von langer Dauer oder mit ausgeprägten Flüssigkeitsverschiebungen das höchste
kardiovaskuläre Risiko bergen.
Tab. 3 Operationsspezifisches Risiko (modifiziert nach [1]
[2]).
<TD VALIGN="TOP">
geringes Risiko
</TD><TD VALIGN="TOP">
mäßiges Risiko
</TD><TD VALIGN="TOP">
hohes Risiko
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
endoskopische und oberflächliche Eingriffe
</TD><TD VALIGN="TOP">
Carotis-Endarterektomie
</TD><TD VALIGN="TOP">
Eingriffe an Aorta, andere große Gefäßoperationen sowie an peripheren Gefäßen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Katarakt-OP
</TD><TD VALIGN="TOP">
Kopf- und Halschirurgie
</TD><TD VALIGN="TOP">
langanhaltende Operationen mit großem „Volumenshift” und/oder Blutverlust
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Brust-Chirurgie
</TD><TD VALIGN="TOP">
intraperitoneale, intrathorakale und orthopädische Eingriffe sowie Prostatachirurgie
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
Punktesysteme zur Risikoeinschätzung
In den letzten 20 Jahren wurden unter Zuhilfenahme der verfügbaren Literatur und
von mathematisch statistischen Berechnungsverfahren (Wahrscheinlichkeitstheorie)
zahlreiche Klassifizierungen des perioperativen Risikos nach Punktesystemen eingeführt
und kontinuierlich weiterentwickelt [5-11]. Symptome oder Befunde, die statistisch mit einer erhöhten Komplikationsrate
verbunden sind, erzielen einen hohen Punktewert. Einer der ersten kardialen Risikoindices
ist der von Goldman et al. 1977 entwickelte, welcher in den folgenden Jahren mehrfach
reevaluiert und modifiziert wurde [6-10] (Abb. [1]A). Aus diesem Punktesystem geht z. B. hervor, dass die koronare Herzerkrankung
das perioperative Risiko besonders stark beeinflusst. Neben spezifischen Vorerkrankungen
gehen aber auch Faktoren wie schlechter Allgemeinzustand, Alter und die Tatsache,
ob es sich um eine Notfalloperation handelt, in die Bewertung mit ein. Die
Operationsletalität bei 0 - 5 Punkten beträgt etwa 1 % bei Patienten über 40 Jahre.
Bei 6 - 12 Punkten ist mit einer 3 %igen Letalität zu rechnen, bei 13 - 15
Punkten mit 15 % und bei über 26 Punkten mit ca. 30 % [6]. Lee et al. 1999 vereinfachten den von Goldman erstellten Risikoindex. Es zeigte
sich, dass durch die anamnestische bzw. laborchemische Erhebung der in Abb. [1]B aufgelisteten Risikofaktoren ein einfaches 6-Punkte System ausreicht, um das
perioperative Risiko eines Patienten adäquat abzuschätzen [11]. Patienten mit 0, 1, 2 oder 3 Risikofaktoren haben demnach ein geschätztes perioperatives
Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen von 0,4, 0,9, 6,6 bzw. 11,0 %.
Abb. 1 A) Goldman-Klassifikation der präoperativen Risikobeurteilung. VES = ventrikuläre Extrasystolen (modifiziert nach Goldman et al., 1977, 1978, 1988,
1994). B) Unabhängige Prädiktoren eines erhöhten perioperativen Risikos (modifiziert nach
Lee et al., 1999).
Obwohl das individuelle Risiko sich natürlich von diesen statistischen Abschätzungen
deutlich unterscheiden kann, ist festzuhalten, dass die koronare Herzkrankheit,
eine manifeste Herzinsuffizienz und die Aortenstenose zu den wichtigsten Risikofaktoren
für perioperative Komplikationen zählen.
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kurzgefasst: Für die präoperative Risikoeinschätzung gibt es klinische Prädiktoren und
operationsspezifische Risiken. Deren Zuordnung lässt sich anhand von Leitlinien
entsprechender Fachgesellschaften treffen.
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Spezifische perioperative Risiken kardiovaskulärer Erkrankungen
Koronare Herzkrankheit
Die koronare Herzkrankheit ist eine Hauptursache perioperativer Komplikationen.
Das perioperative Risiko für Komplikationen steigt bei Patienten, die bereits
einen Myokardinfarkt erlitten haben um 10 - 50 % an [12]. Manche Autoren berichten von einer Letalität des perioperativen Reinfarktes
von 23 - 50 % [4]. Charakteristisch für den perioperativen Reinfarkt ist, dass das Risiko des
Auftretens und die Letalität um so höher ist, je kürzer der Myokardinfarkt zurückliegt.
Typischerweise treten mehr als 90 % der Reinfarkte innerhalb der ohnehin kritischen
ersten 48 h postoperativ auf [13]. Zur Pathogenese perioperativer Myokardischämien tragen Sympathikusstimulation
mit erhöhter Herzfrequenz durch Schmerzreize sowie Blutdruckschwankungen bei größeren
abdominellen oder thorakalen Eingriffen bei. Auch die perioperativ veränderte
Hämostase mit erhöhter Thrombozytenaggregation oder Vasospasmen durch Aktivierung
humoraler Substanzen und Mediatoren spielen eine Rolle. Die Anästhesieverfahren
selbst haben wohl eher einen geringen Einfluss [13]. Neben Patienten mit einer manifesten koronaren Herzerkrankung sollen auch Patienten, die ein erhöhtes Risiko tragen und bei denen eine KHK
bisher klinisch stumm verlaufen ist (Diabetiker!), erkannt werden. Bei der präoperativen
Anamnese ist daher neben der Frage nach Angina pectoris-Beschwerden insbesondere
auf die bekannten Risikokonstellationen wie Zigarettenrauchen, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie,
Adipositas sowie eine positive Familien-anamnese zu achten. Ergibt sich hieraus der Verdacht
auf eine koronare Herzerkrankung, empfiehlt sich eine weitergehende Diagnostik.
Bei älteren Patienten gehört das Ruhe-EKG zur Diagnostik. Bei beschwerdefreien Patienten unter 40 Jahren ohne Risikofaktoren
ist es verzichtbar. Ist die Beschwerdesymptomatik nicht eindeutig und liegen Risikofaktoren
vor, sollte auch bei jüngeren Patienten vor einer Vollnarkose ein EKG angefertigt
werden. Die ACC/AHA Leitlinien [1]
[2] empfehlen ein EKG bei asymptomatischen Männern mit ³2 kardiovaskulären Risikofaktoren
bereits ab 45 Jahren, bei Frauen erst ab einem Alter von 55 Jahren. Das Röntgenbild
des Thorax ist wichtig zur Beurteilung der kardiopulmonalen Verhältnisse im Rahmen
einer Herzinsuffizienz (Lungenstauung, Herzgröße) oder bei pulmonalen Erkrankungen.
Es ist ungeeignet zur Identifizierung einer koronaren Herzerkrankung.
Bei den meisten Patienten mit dem Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung ist das Belastungs-EKG das Verfahren der Wahl. Es erlaubt durch Veränderungen des EKG und der Hämodynamik
sowie die unter Belastung auftretenden Beschwerden eine Identifizierung von myokardialen
Ischämien und die Beurteilung der funktionellen Kapazität des Patienten. Wenn
bei Patienten aufgrund orthopädischer Behinderungen, einer peripheren arteriellen
Verschlusskrankheit oder Nicht-Verwertbarkeit des EKGs (z.B. Schenkelblockbilder,
Hypokaliämie, Herzglykosidtherapie oder ausgeprägte Myokardhypertrophie) eine
Ergometrie nicht sinnvoll ist, sollte eine pharmakologische Stress-Testung durchgeführt
werden. Die beiden häufigsten Methoden zur nicht-invasiven Ischämiediagnostik
sind Dobutamin-Stressechokardiographie (DSE) und Dipyridamol-Thallium-Myokardszintigraphie.
Pharmakologische Belastungstests beruhen auf der Induktion von koronaren Steal-Syndromen
(z. B. Dipyridamol, Adenosin) oder auf einer Steigerung des Sauerstoffverbrauches
durch positiv inotrope Substanzen (z. B. Dobutamin).
Ergibt sich aus den nicht-invasiven diagnostischen Maßnahmen der dringende Verdacht
auf eine koronare Herzerkrankung, ist eine invasive Koronarangiographie indiziert.
Patienten mit instabiler Angina pectoris oder Postinfarktangina sollten ohne vorherige
nicht-invasive (Belastungs-)maßnahmen der Angiographie zugeführt werden. Grundsätzlich
entsprechen die Indikationen für eine präoperative Koronarangiographie denen für
die Angiographie ohne nachfolgende Operation. Eine Ausnahme ist ein kürzlich durchgemachter
Infarkt. Da innerhalb der ersten 3 Monate nach einem Infarkt das perioperative
Reinfarktrisiko besonders hoch ist, ist bei solchen Patienten die Indikation zur
Angiographie großzügiger zu stellen.
Arterielle Hypertonie
Das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie ist von großer Bedeutung: Zum einen
ist eine arterielle Hypertonie eng mit dem Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung
verknüpft. Zum anderen prädisponieren perioperative hypertensive Phasen zu myokardialen
Ischämien. Da perioperative Ischämien ein Prädiktor für kardiovaskuläre Komplikationen
sind, ist die effektive Behandlung einer Hypertonie zur perioperativen Risikoreduktion
essentiell. Eine nicht effiziente Analgesie und die Unterbrechung oder Verminderung
einer präoperativ bestehenden antihypertensiven Therapie sind häufige Ursachen
für krisenhafte Blutdruckanstiege in der perioperativen Phase.
Herzinsuffizienz
Nur ein geringer Prozentsatz von Patienten mit Herzinsuffizienz wird von Kardiologen
oder Internisten/Allgemeinärzten betreut. Ein größerer Anteil leidet unter einer
nicht diagnostizierten oder nicht ausreichend behandelten Herzinsuffizienz; man
spricht vom so genannten „Eisbergphänomen” [14]. Dies ist ein Problem, da die Prävalenz dieses Syndroms, aber auch die Häufigkeit
und die Invasivität von Operationen, mit dem Alter deutlich zunehmen. Neben der
koronaren Herzkrankheit ist die Herzinsuffizienz ein wichtiger Risikofaktor für
perioperative Komplikationen. Patienten mit Zeichen der manifesten Herzinsuffizienz
(Ödeme, dritter Herzton, Halsvenenstauung, verminderte linksventrikuläre Ejektionsfraktion
(<35 %), verminderte Belastungstoleranz) haben eine bis zu 20 %ige Letalität
bei größeren nicht-kardialen Eingriffen. Insbesondere drei perioperative Faktoren
gefährden herzinsuffiziente Patienten. Zum einen führt die Narkose durch die verabreichten
Anästhetika oft zu negativ inotropen Effekten mit der Folge bedrohlicher Blutdruckabfälle.
Bei ausreichender Narkosetiefe kann der Blutdruck nicht aufrecht erhalten werden.
Zum anderen birgt die dann oft notwendige intravenöse Volumengabe zur Aufrechterhaltung
der Nierenfunktion die Gefahr eines Lungenödems. Der dritte wesentliche Faktor
ist die perioperative Aktivierung des sympathischen Nervensystems durch Schmerzreize:
Das Herzfrequenzspektrum verschiebt sich hin zu höheren Frequenzen - es drohen
Pumpversagen und Lungenödem. Bedrohliche tachykarde Rhythmusstörungen (anhaltende
oder nicht-anhaltende Kammertachykardien) und Myokardinfarkte sind v.a. in der
frühen postoperativen Phase eng mit einer höheren Herzfrequenz assoziiert [8].
Die Anamnese hat in der Diagnostik der Herzinsuffizienz eine besondere Bedeutung.
Eine Belastungseinschränkung wird nach Grad I-IV der NYHA( = New York Heart Association)-Klassifikation
eingeteilt. Bei der körperlichen Untersuchung sind pulmonale Rasselgeräusche
und periphere Ödeme wegweisend. Das EKG zeigt bei der chronischen Herzinsuffizienz
keine spezifischen Zeichen. Blockbilder, Extrasystolen, Zeichen der linksventrikulären
Hypertrophie sowie Hinweise für abgelaufene Myokardinfarkte können jedoch auf
eine kardiale Grunderkrankung mit der möglichen Folge einer Herzinsuffizienz hinweisen.
Die Sensitivität einer Röntgen-Thoraxuntersuchung zur Diagnose einer Herzinsuffizienz
ist relativ gering und sollte nur bei klinischem Verdacht auf einen die Therapie
beeinflussenden Befund durchgeführt werden. Eine Routine-„Thoraxuntersuchung” ist obsolet. Die Echokardiographie hingegen ist ein bildgebendes Verfahren, mit dem mit besonders hoher Sensitivität
und Spezifität Pumpfunktionsstörungen und Klappenerkrankungen (s. u.) diagnostiziert
werden können [15].
Seit kurzer Zeit steht mit der (mittlerweile auch als Serum-Schnelltest verfügbaren)
Bestimmung des natriuretischen Peptids NT-proBNP (N-terminal pro-brain natriuretic peptide) ein diagnostischer Marker für die
Herzinsuffizienz zur Verfügung. Dies wird auch in den aktuellen Leitlinien der
europäischen und amerikanischen kardiologischen Fachgesellschaften erstmals
erwähnt [16]
[17]. NT-proBNP zeichnet sich besonders durch eine hohe Sensitivität und einen hervorragenden
negativ prädiktiven Wert bei Feststellung einer Herzinsuffizienz aus. Bei Werten
im Referenzbereich kann somit eine Herzinsuffizienz mit großer Sicherheit ausgeschlossen
werden. Da nicht überall die Möglichkeit zur Echokardiographie gegeben ist (viele
Notfallambulanzen), kann die Bestimmung des NT-proBNP zur ersten Unterscheidung
zwischen kardial und nicht-kardial bedingter Luftnot in Erwägung gezogen werden
[18]. Bei deutlich erhöhten Plasmawerten (z.B. >100 pg/ml) sollte der Patient einer
weiterführenden kardialen Diagnostik zugeführt werden. Der Stellenwert dieses
neuen diagnostischen Verfahrens in der präoperativen Routinediagnostik ist jedoch
noch Gegenstand von Studien und sollte aufgrund der bisher erst geringen Erfahrung
im Umgang mit diesem Surrogatparameter der Herzinsuffizienz bis zum Vorliegen
der Ergebnisse nicht überbewertet werden.
Klappenerkrankungen
Die Risikobeurteilung von Patienten mit Herzklappenfehlern ist von Typ und Schweregrad
der Klappenerkrankung abhängig. Die symptomatischen Herzklappenstenosen sind mit einem besonders hohen perioperativen Risiko assoziiert.
Unter den Herzklappenerkrankungen trägt die Aortenstenose am meisten zur Erhöhung des perioperativen Risikos bei. Die Aortenklappenstenose
ist - in der westlichen Welt - die häufigste Herzklappenerkrankung und liegt bei
2 -9 % aller Erwachsenen über 65 Jahren vor. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem
Alter und ist bei Männern höher als bei Frauen [19]. Eine Aortenklappenstenose allein birgt ein 5fach erhöhtes Risiko für perioperative
Komplikationen, der Schweregrad der Aortenklappenstenose korreliert mit dem perioperativen
Risiko [20]. So erhöht sich bei einer gesicherten symptomatischen Aortenstenose mit einem
relevanten Druckgradienten die perioperative Letalität um das 14fache [6]
[7]. Klinische Leitsymptome sind Belastungsdyspnoe, Linksherzinsuffizienz, Angina
pectoris und Synkopen. Treten Symptome auf, ist die Lebenserwartung bei Aortenstenose
bereits deutlich reduziert.
Die größte Bedeutung in der präoperativen Diagnostik von Klappenerkrankungen hat
die Echokardiographie. Mit ihr wird der Schweregrad des Vitiums erkannt. Außerdem
können Folgen eines chronisch bestehenden Herzklappenfehlers, wie z. B. eingeschränkte
Pumpfunktion, Myokardhypertrophie, linksatriale und linksventrikuläre Dilatation
und pulmonale Hypertonie erkannt werden. Die Dopplerechokardiographie erlaubt
zudem die nichtinvasive Bestimmung der Klappenöffnungsfläche sowie die Quantifizierung
von Klappeninsuffizienzen.
Herzrhythmusstörungen
Das Auftreten von Herzrhythmusstörungen in der perioperativen Phase weist auf
eine kardiopulmonale Grunderkrankung, Elektrolytstörungen oder Medikamentennebenwirkungen
hin und ist ein zusätzlicher Indikator für ein erhöhtes perioperatives Risiko
[7]
[21]. Ätiologisch müssen daher bei der Diagnostik von Rhythmusstörungen insbesondere
Myokardinsuffizienz, KHK, Klappenerkrankungen, Schilddrüsenfunktionsstörungen,
Alkoholanamnese, Hypokaliämie, Hyperkaliämie, andere Elektrolytstörungen und evtl.
auslösende Medikamente (Herzglykoside, Katecholamine, Inodilatatoren, trizyklische
Antidepressiva, Lithium, Antiarrhythmika, Neuroleptika, β-Blocker, Kalziumantagonisten
und andere Antihypertensiva) berücksichtigt werden. Letztlich können Rhythmusstörungen
über eine Bradykardie oder Tachykardie hämodynamisch wirksam werden und somit
selbst das perioperative Risiko erhöhen. Bei Tachykardien erhöht sich zum einen durch die vermehrte Herzarbeit der myokardiale Sauerstoffbedarf,
während zum anderen durch die Verminderung der diastolischen Füllungszeit die
koronare Durchblutung abnimmt. In gleicher Weise kann die Abnahme des Blutdrucks
durch Bradykardien zu einer Verminderung der Koronardurchblutung führen.
|
kurzgefasst: Erst nach sorgfältiger Anamnese und körperlicher Untersuchung treten technische
Untersuchungen hinzu. Ein EKG ist bei älteren Patienten und Vorliegen von
Risikofaktoren sinnvoll. Bei Risikogruppen und bei Patienten mit Symptomen ist
die Indikation zur Ergometrie großzügig zu stellen. Eine Röntgen-Thoraxuntersuchung
ist als „Routineverfahren” nicht wegweisend. Die Echokardiographie ist ein hervorragendes
Diagnoseverfahren zur Erkennung von Klappenerkrankungen und eingeschränkter
Pumpfunktion. Langzeit-EKG und Langzeit-RR eignen sich im Einzelfall Analyse
vorbestehender Herzrhythmusstörungen bzw. Blutdruckerhöhungen. Eine Koronarangiographie
sollte nur durchgeführt werden, wenn die üblichen Indikationen erfüllt sind
und sich mögliche therapeutische Konsequenzen hieraus ergeben. Die Beurteilung
der „OP-Fähigkeit“ reicht als Indikation nicht aus!
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Ökonomische Gesichtspunkte
Bei der Veranlassung von invasiven und nicht-invasiven diagnostischen Maßnahmen
sind zunehmend auch ökonomische Gesichtspunkte von Bedeutung. Es sollte daher
auf eine rational begründete und mit kostengünstigen Untersuchungen beginnende
Diagnostik gesteigerter Wert gelegt werden. Grundsätzlich sollten keine Untersuchungen
angeordnet werden, die keine therapeutische Konsequenzen nach sich ziehen.
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kurzgefasst: Da die präoperative Diagnostik in zunehmendem Maße auch ökonomische Gesichtspunkte
zu berücksichtigen hat, sollten nur Maßnahmen ergriffen werden, die eine therapeutische
Konsequenz nach sich ziehen.
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Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma
haben, deren Produkt in dem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer
Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).