Männer und Frauen, die an einer Geschlechtsidentitätsstörung leiden, fühlen sich unwohl
in ihrem Körper und haben den Wunsch, in möglichst allen Bereichen wie ein Angehöriger
des anderen Geschlechts zu leben. Es handelt sich um ein vielgestaltiges Phänomen,
das aus unterschiedlichen psychischen Konstellationen und Entwicklungen hervorgeht.
Die auch beim Laienpublikum bekannteste und zugleich extremste Erscheinungsform ist
der Transsexualismus. Als „transsexuell” werden Menschen bezeichnet, die sich subjektiv
dem anderen biologischen Geschlecht zugehörig empfinden und fast immer geschlechtsangleichende
Maßnahmen anstreben. Dass eine körperliche „Geschlechtsumwandlung” medizinisch machbar
und die Geschlechtszugehörigkeit juristisch veränderbar ist, kann Patienten und beteiligte
Fachdisziplinen dazu verleiten, diesen vorgezeichneten Weg geradezu schablonenhaft
einzuschlagen und einer sorgfältigen Differentialdiagnostik und Erörterung alternativer
Lösungsmöglichkeiten zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Ein in sich stimmiges Selbstbild,
eine kontinuierliche Lebenszufriedenheit und eine stabile psychosoziale Integration
werden, katamnestischen Untersuchungen zufolge, nur bei einem Teil der geschlechtsidentitätsgestörten
Patienten primär durch Hormonbehandlung und Transformationsoperation erreicht. Als
viel bedeutungsvoller stellte sich vielmehr der Einfluss einer länger währenden psychotherapeutischen
Begleitung dar. In diese können bei gut abgewogener Indikationsstellung körperliche
Veränderungsmaßnahmen eingebettet sein (z.B. [9]
[11]).
Dieser Beitrag verfolgt das Ziel, interessierten Behandlern pragmatische Hinweise
zum Umgang mit geschlechtsidentitätsgestörten Menschen zu geben, Herangehensweisen
an besondere Prägnanztypen darzustellen und Mut zu machen, sich auf dieses vielgestaltige
und in mancher Hinsicht auch faszinierende Phänomen einzulassen und so den betroffenen
Personen zu einer besseren Lebensqualität zu verhelfen.
Diagnostik und Differential-diagnostik
Diagnostik und Differential-diagnostik
Für die Diagnostik und Behandlung von transsexuellen Patienten im engeren Sinne gibt
es seit 1979 von internationalen Expertengremien erstellte Leitlinien, die sog. „Standards
of Care” der Harry Benjamin International Gender Dysphoria Association. In Anlehnung
an diese und in Anpassung an hiesige rechtliche Gegebenheiten wurden von deutschen
sexualmedizinischen Fachgesellschaften entsprechende „Standards der Behandlung und
Begutachtung von Transsexuellen” entwickelt und 1997 veröffentlicht [2], siehe auch psycho 1998 (Sonderausgabe IV/98). Im Folgenden werden wichtige Auszüge
aus diesen Standards referiert, da sie eine unverzichtbare Grundlage für den Umgang
mit geschlechtsidentitätsgestörten Patienten im Allgemeinen bilden und strukturierte
Leitlinien für das Vorgehen bei transsexuellen Patienten im engeren Sinne darstellen.
Die Diagnose der Transsexualität nach den deutschen Standards of Care von 1997 basiert
auf den Definitionen des aktuellen internationalen Diagnosemanuals ICD-10 [12] und auf der amerikanischen DSM-Klassifikation [1]. Es müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
-
tiefgreifende und dauerhafte gegengeschlechtliche Identifikation
-
anhaltendes Unbehagen hinsichtlich der biologischen Geschlechtszugehörigkeit bzw.
Gefühl der Inadäquatheit in der entsprechenden Geschlechtsrolle und
-
klinisch relevanter Leidensdruck und/oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen
oder anderen wichtigen Funktionen.
In den Standards von 1997 wird detailliert ausgeführt, wie es am ehesten gelingen
kann, diese Kriterien verantwortungsvoll zu diagnostizieren, die mangels objektiver
pathognostischer Befunde im wesentlichen auf subjektiver Eindrucksbildung basieren,
und dass die unabdingbare Voraussetzung dafür ein längerer, mindestens einjähriger
diagnostisch-therapeutischer Beobachtungsprozess ist. Diese Zeit wird benötigt, um
eine sorgfältige biografische und Sexualanamnese zu erheben, um das psychosoziale
Funktionsniveau und das Struktur- und Intelligenzniveau der Persönlichkeit mit ihren
Defiziten zu erfassen und um neurotische Konflikte, eventuelle Süchte sowie suizidale
oder selbstschädigende Impulse zu erkennen.
Mit diesen Informationen kann dann eine differentialdiagnostische Abgrenzung (siehe
auch 8) von passageren Identitätskrisen oder vorübergehenden Schwierigkeiten, sich
mit den gängigen Geschlechtsrollenerwartungen zu arrangieren, gelingen. Es können
Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen und/oder umfassenden Identitätsdiffusionen
herausgefiltert werden, wie z.B. Borderline-Störungen. Es kann transsexuelles Empfinden
im Rahmen psychotischer Realitätsverkennung erkannt werden. Weiterhin gilt es, transvestitische
und fetischistisch-transvestitische Störungsbilder bei biologisch-männlichen Patienten
auszuschließen, bei denen gegengeschlechtliche Kleidung ohne oder mit sexueller Erregung
getragen wird, in jedem Fall aber ohne den Wunsch nach körperlichen Veränderungen
und nur vorübergehend. In krisenhaften Verfassungen kann es auch bei diesen Störungsbildern
zu phasenweisem Geschlechtswechselwunsch kommen. Sorgfältig abzuklären ist darüber
hinaus, dass nicht eine abgewehrte homosexuelle Orientierung zu Problemen mit der
Geschlechtsidentitätsfindung führt.
Spätestens vor der Einleitung körperlicher oder rechtlicher Veränderungsschritte ist
eine körperliche Untersuchung durchzuführen bzw. zu veranlassen, mit Erhebung eines
gynäkologischen bzw. andrologisch-urologischen und endokrinologischen Status, ggf.
auch genetischen Befundes. Es müssen somatische Abweichungen und mögliche Risikofaktoren
für eventuelle Hormonbehandlung und körperliche Eingriffe erkannt werden. Die Möglichkeiten
und Grenzen operativer Maßnahmen sollten mit dem Patienten frühzeitig reflektiert
werden.
Psychotherapie/Psycho-therapeutische Begleitung
Psychotherapie/Psycho-therapeutische Begleitung
„Die Psychotherapeutische Begleitung hat in Verbindung mit dem Alltagstest zentrale
Bedeutung in der Behandlung transsexueller Patienten und muss in jedem Fall vor der
Einleitung somatischer Therapiemaßnahmen stehen”. Der Behandler soll sich neutral
gegenüber dem transsexuellen Wunsch verhalten, das Bedürfnis nach Geschlechtswechsel
weder fördern noch „wegzutherapieren” versuchen. Die Therapie dient der Diagnosesicherung
und der Bearbeitung individueller Probleme des Patienten.
„Zusammen mit dem Alltagstest soll die Psychotherapie dem Betroffenen dazu verhelfen,
die adäquate Lösung für sein spezifisches Identitätsproblem zu finden.” Frequenz und
Dauer psychotherapeutischer Behandlungsmaßnahmen werden von der individuellen Bedürfnislage
des Patienten abhängig gemacht. Die Therapie soll sich möglichst über den gesamten
körperlichen Veränderungsprozess und die Zeit nach der Operation erstrecken, um dem
Patienten das Einfinden in die gewünschte Geschlechtsrolle zu erleichtern und Enttäuschungen
und Konflikte bearbeiten zu können.
Indikationsstellung zur Hormonbehandlung
Indikationsstellung zur Hormonbehandlung
Die Indikationsstellung zur gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung erfolgt in Form
einer schriftlichen Stellungnahme und hat zur Voraussetzung, dass der Therapeut
-
den Patienten seit mindestens einem Jahr kennt
-
die diagnostischen Kriterien überprüft hat
-
zu dem klinisch begründeten Urteil gekommen ist, dass bei dem Patienten die innere
Stimmigkeit und Konstanz des Identitätsgeschlechts und seiner individuellen Ausgestaltung,
die Lebbarkeit der gewünschten Geschlechtsrolle und die realistische Einschätzung
der Möglichkeiten und Grenzen somatischer Behandlungen gegeben sind und
-
dass der Patient das Leben in der gewünschten Geschlechtsrolle mindestens ein Jahr
lang kontinuierlich erprobt hat (Alltagstest).
Indikationsstellung zur Transformationsoperation
Indikationsstellung zur Transformationsoperation
Diese Standards umfassen zunächst alle für die Hormonbehandlung geforderten Voraussetzungen
und verlangen zusätzlich, dass
-
der Therapeut den Patienten mindestens seit 1,5 Jahren kennt,
-
der Patient das Leben in der gewünschten Geschlechtsrolle mindestens seit 1,5 Jahren
kontinuierlich erprobt hat
-
und dass der Patient seit mindestens einem halben Jahr hormonell behandelt wird.
Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz (TSG)
Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz (TSG)
Das Transsexuellengesetz ist 1981 in Kraft getreten und ermöglicht transsexuellen
Menschen nach entsprechender sexualmedizinischer Begutachtung die Änderung ihres Vornamens
(§ 1 TSG) und nach geschlechtsangleichender Operation die Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit
im Geburtsregister (§ 8 TSG). Der Gesetzestext kann nachgelesen werden bei Clement
& Senf [6] oder im Internet (http://bundesrecht.
juris.de/bundesrecht/tsg/index.html). Die Vornamensänderung, irreführend auch „kleine
Lösung” genannt, wurde vom Gesetzgeber eingeführt, um dem Antragsteller eine Erprobung
in der gewünschten sozialen Rolle zu ermöglichen. Die dafür erstellten Gutachten werden
jedoch häufig dafür missbraucht, eine operative Geschlechtsumwandlung geradezu zu
erzwingen. Daraus ist ersichtlich, dass die Befürwortung einer Vornamensänderung,
auch wenn ausdrücklich keine Operationsindikation gestellt wird, den Einstieg in körperliche
Maßnahmen darstellen kann.
Kriterien für die Gutachtenerstellung und interpretative Hilfen für die juristischen
Formulierungen finden sich ebenfalls bei den „Standards der Behandlung und Begutachtung
von Transsexuellen” [2]. Die meisten Gerichte beauftragen Sachverständige, die nicht in einem Behandlungsverhältnis
zu den Antragstellern stehen oder gestanden haben. Dieses Vorgehen hat möglicherweise
den Vorteil der Unbefangenheit des Gutachters gegenüber dem Antragsteller, auf der
anderen Seite aber den Nachteil nur begrenzt zur Verfügung stehender Informationen.
Der Gutachter muss u.a. entscheiden können, ob der Antragsteller „mindestens drei
Jahre unter dem Zwang steht, seinen Vorstellungen entsprechend zu leben”. Ein verantwortungsvoller
Gutachter wird daher in vielen Fällen fremdanamnestische Zusatzinformationen einbeziehen.
Dabei ist die Einschätzung des Psychotherapeuten, der den Patienten am längsten und
genauesten kennt, nahezu unverzichtbar. Einige Gerichte legen entsprechende, von den
Antragstellern verfügte Schweigepflichtsentbindungen bereits den Gutachtenaufträgen
bei.
Therapeutisches Vorgehen
Therapeutisches Vorgehen
Die eingangs angesprochene Vielgestaltigkeit von Störungen der Geschlechtsidentität
zeigt sich im klinischen Alltag darin, welche Verlaufsform und welchen Ausprägungsgrad
die geschlechtsdysphorische Symptomatik aufweist und ob diese in Kombination mit weiteren
psychiatrischen Diagnosen und/oder Persönlichkeitsvariationen vorliegt.
Patientensubgruppen
Patientensubgruppen
Aus einem insgesamt breiten Spektrum mit fließenden Übergängen werden im folgenden
einige charakteristische Prägnanztypen phänomenologisch beschrieben und differenzierte
Behandlungsansätze dargestellt. Nach DSM-IV werden drei Subgruppen von Patienten mit
Geschlechtsidentitätsstörungen unterschieden, zum einen die biologischen Frauen und
zum anderen zwei Typen biologischer Männer mit transsexueller Geschlechtsidentitätsstörung
[4].
Biologische Frauen mit Geschlechtsidentitätsstörungen
Die Patienten stellen sich meistens zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr vor, gelegentlich
auch früher. Sie haben sich häufig schon in der Kindheit jungentypisch verhalten und
weisen eine durchgehende Aversion gegen langes Haar und Mädchenkleidung auf. Mit Eintritt
in die Pubertät nehmen sie voller Erschrecken wahr, dass sie sich zu einer Frau entwickeln,
verstecken bestmöglich ihre Brüste und leiden unter ihrer Menstruation. Sie ziehen
sich von da an häufig immer weiter zurück und werden nicht selten depressiv. In Kleidung
und Haartracht versuchen sie, so männlich wie möglich zu wirken, betreiben viel Sport
(besonders Fußball) und schließen sich Jungencliquen an, wo sie sich manchmal betont
rowdyhaft geben und/oder Alkohol (Bier) konsumieren.
Sie berichten überwiegend von einer sexuell-erotischen Ausrichtung auf Frauen und
leben nicht selten bereits in festen Beziehungen mit heterosexuellen Partnerinnen.
Bei der körperlichen Diagnostik findet sich überdurchschnittlich häufig das Vorhandensein
polyzystischer Ovarien mit Androgenwerten über der weiblichen Norm, Hirsutismus, Oligomenorrhoe
u.a. [5].
Tendenziell gestalten sich die Verläufe bei diesen Patienten unkomplizierter als bei
„Mann-zu-Frau-Transsexuellen”. Es gibt nicht wenige „Frau-zu-Mann-Transsexuelle”,
die bis auf die Geschlechtsdysphorie weitgehend unauffällige Persönlichkeiten aufweisen.
Es findet sich darüber hinaus aber auch ein weites Spektrum an psychopathologischen
Merkmalen bis hin zu aggressiv-antisozialen Persönlichkeitszügen mit Substanz-Abusus
oder schwerem selbstschädigenden Verhalten bei Borderline-Struktur.
Behandlungsempfehlungen: Bei bestmöglich gesicherter Diagnose einer Transsexualität und weitgehend „gesunder”
psychischer Konstellation sowie vorhandenem Leidensdruck ist ein Behandlungsschema
angemessen, wie es in den deutschen Leitlinien niedergelegt ist (s. Abschnitt „Die
Gesunden”). Bei psychopathologischen Begleitsymptomen oder schweren Persönlichkeitsstörungen
hingegen sind, unter der üblichen neutralen Haltung gegenüber der Geschlechtsdysphorie
(inklusive adäquater Dokumentation), primär die defizitären Persönlichkeitsanteile
sozio- und/oder psychotherapeutisch zu fokussieren. Patienten mit Suchtmittelgebrauch
sollten beispielsweise mindestens ein Jahr abstinent gelebt haben, bevor körperliche
Veränderungen in Angriff genommen werden (Folgenschwere Entscheidungen sind mit klarem
Kopf zu treffen!). Die Patienten müssen Eigenverantwortung bei der Abwägung medizinischer
Risiken und Compliance bei notwendigen Kontrolluntersuchungen aufweisen. Ist ein langjähriger,
überzeugender transsexueller Werdegang anamnestizierbar und gibt es Hinweise auf einen
günstigen prognostischen Einfluss, so können rechtliche oder somatische Schritte sogar
bei ausgeprägten psychischen Defektsyndromen vertretbar sein, dann aber unter Einbeziehung
eines rechtlichen Betreuers.
Grundsätzlich gilt: Je pathologischer sich die psychische Ausgangskonstellation darstellt,
desto mehr Zeit wird für Diagnostik, Behandlung und Vorbereitung benötigt und desto
kritischer ist zu würdigen, ob die mit den somatischen Behandlungsmassnahmen einhergehenden
Risiken vertretbar sind und zu einer Lebensverbesserung beitragen würden. Entscheidet
man sich für eine gegengeschlechtliche Hormonbehandlung, so ist der Patient besonders
ausführlich über die psychischen Nebenwirkungen aufzuklären, wie u.a. Stimmungslabilisierung,
Aggressivitäts- und Aktivitätssteigerung, vermehrte sexuelle Appetenz. Es kann notwendig
werden, den Endokrinologen oder Gynäkologen auf die instabile psychische Konstitution
des Patienten hinzuweisen, damit er diese bei der Dosierung berücksichtigt. Die Erfahrung
zeigt, dass Diagnostik, Aufklärung und Betreuung bei vielen, die gegengeschlechtliche
Hormonverordnung vornehmenden Ärzten, ausgesprochen dürftig ausfällt [7]
[8]. Das bedeutet, dass auch der Psychotherapeut die üblichen Dosierungen der Hormonpräparate
kennen sollte sowie deren endokrinologische Wirkungen und Nebenwirkungen, dass er
den Patienten ggf. an Spiegelkontrollen erinnern sollte und sich diese auch hin und
wieder zeigen lassen sollte. Er hat ja möglicherweise die Indikation für diese Behandlung
gestellt.
Gleiches trifft auf die Operationsvorbereitung zu, die nicht erst am Vortage der Operation
stattfinden sollte. Der Patient sollte vielmehr im ambulanten Vorfeld bereits Vorgespräche
mit potentiellen Chirurgen über die jeweiligen Operationstechniken, die Risiken und
Komplikationen führen und sich ggf. Operationsergebnisse bei anderen Transsexuellen
ansehen, um zu einer ausgereiften Entscheidung kommen zu können oder auch von seinem
Operationsvorhaben vorerst zurücktreten zu können.
Biologische Männer mit trans-sexueller Geschlechtsidentitäts-störung
Bei biologischen Männern können zwei Subtypen unterschieden werden, deren wichtigste
Charakteristika der jeweilige Altersgipfel und die sexuelle Orientierung repräsentieren.
Darüber hinaus zeigen sie eine Vielzahl weiterer Besonderheiten, wie im folgenden
dargestellt.
Androphil orientierte Mann-zu-Frau-Transsexuelle (MFT)
Diese Patienten stellen sich in der Regel im Alter von 18 bis Mitte 20 Jahren vor
und empfinden sich als heterosexuelle Frauen, d.h. sie streben Partnerschaften mit
heterosexuellen Männern an oder sie leben bereits in solchen Beziehungen. Sie berichten
davon, ab dem Vorschulalter ein „mädchenhaftes”, z.B. schüchternes Verhalten gezeigt
und sich für Puppen und Handarbeiten interessiert zu haben. In der Pubertät schwärmen
sie für andere Jungen und fantasieren sich bei der Selbstbefriedigung in die Rolle
einer von Männern begehrten attraktiven Frau.
Zum typischen Verhaltensmuster gehört ein heimlich betriebenes Cross-dressing (Anziehen
von gegengeschlechtlichen Kleidungsstücken), bei dem eine sexuelle (fetischistisch-transvestitische)
Erregungskomponente eher unbedeutend ist. Sie fühlen sich in Frauenkleidung vielmehr
einfach „wohl” und im Einklang mit ihrem inneren Weiblichkeitserleben. Homosexuelle
Arrangements scheitern meist, da der abgelehnte männliche Körper nicht lustvoll eingebracht
werden kann.
Persönlichkeitsdiagnostisch findet man, abgesehen vom Geschlechtswechselwunsch, auch
bei dieser Gruppe weitgehend unauffällige Merkmale, bisweilen aber auch depressive
und dependente Bilder sowie Abhängigkeitserkrankungen.
Behandlungsempfehlungen: Das psychotherapeutische Vorgehen entspricht im Wesentlichen dem im Absatz zuvor
beschriebenen bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen. Es ist für den Psychotherapeuten wichtig
zu wissen, und er sollte die Patienten auch entsprechend darüber aufklären, dass die
körperlichen Auswirkungen einer adäquat dosierten gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung
erst nach frühestens einem Jahr voll ausgeschöpft sind. Die Hälfte der Mann-zu-Frau-Transsexuellen
erreicht allein mit Hormonbehandlung die Entwicklung „schöner weiblicher Brüste”.
Barthaarepilation und chirurgische Mammaaugmentation mögen bei manchen Patienten zu
gegebener Zeit indiziert sein, gehören aber nicht zu frühzeitigen Routinemaßnahmen.
Weiterhin müssen die Patienten darüber aufgeklärt sein, dass nach etwa halbjähriger
hochdosierter gegengeschlechtlicher Hormonbehandlung eine irreversible Schädigung
der Keimdrüsen eingetreten sein kann.
Gynäphil orientierte Mann-zu-Frau-Transsexuelle
Diese Personengruppe weist bei ihrer ärztlich/psychotherapeutischen Kontaktaufnahme
durchschnittlich ein Alter von Ende 30 bis weit darüber hinaus auf (sog. late-onset
Transsexuelle). Sie haben bis dahin ein heterosexuelles Leben als Mann geführt, waren
ein- oder mehrmals verheiratet und haben häufig eigene Kinder. Für die Kindheit wird
gelegentlich von Cross-dressing berichtet, dann meist aber mit einem fetischartigen
Kleidungsstück der Mutter. In der Pubertät beziehen sie weibliche Kleidungsstücke
in ihre Masturbationsrituale ein, posieren heimlich vor dem Spiegel und fantasieren
sich dabei in die Rolle einer begehrenswerten Frau. Ihr Auftreten im Alltag ist weitgehend
unauffällig maskulin, und häufig werden „typisch männliche Berufe” gewählt.
Mit Aufnahme einer sexuellen Partnerbeziehung verliert die transvestitisch-fetischistische
Masturbationspraxis zunächst ihren Reiz, keimt dann aber allmählich wieder auf und
wird in Form eines sehr belastenden Doppellebens neben der heterosexuellen Partnerschaft
ausgelebt. Innere Zerrissenheit und Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation
führen oft zu Alkoholmissbrauch, Beziehungsabbrüchen, Arbeitsplatz- und Wohnsitzwechseln.
Das Ausfüllen einer männlichen Sozialrolle wird als immer unerträglicher empfunden,
und die Patienten versuchen, immer häufiger Frauenkleidung auch im normalen Alltag
zu tragen, was ihnen ein beruhigendes, wohltuendes Gefühl vermittelt. Oft tragen sie
Damenunterwäsche oder -strümpfe unter ihrer normalen männlichen Arbeitskleidung. Der
sexuell erregende Charakter weiblicher Kleidung verliert allmählich an Bedeutung,
und sie streben schließlich eine lesbische Partnerschaft an, nicht selten mit der
letzten Lebenspartnerin, wodurch Konflikte vorprogrammiert sind.
Behandlungsempfehlungen: Das therapeutische Vorgehen bei diesen Patienten wird ganz
wesentlich davon bestimmt, in welcher Ausgangsverfassung sie sich befinden. Sie stellen
sich oft in hoch problematischen Krisensituationen mit hohem Leidensdruck vor, sind
depressiv oder gar suizidal. In diesen Fällen ist eine klassische Krisenintervention
durchzuführen, möglicherweise auch mit medikamentöser Unterstützung oder sogar kurzfristigem
stationären Klinikaufenthalt. Diese Patienten benötigen ein verlässliches Beziehungsangebot
und einen therapeutischen Schutzraum, in dem aktuelle Lebenskonflikte, möglicherweise
auch unter Einbeziehung der Angehörigen, entschärft werden können.
Sie sind unter allen geschlechtsidentitätsgestörten Patienten diejenigen mit den prononciertesten
psychopathologischen Auffälligkeiten. Es finden sich histrionische und antisoziale
Persönlichkeitszüge, auch Borderline-Pathologien. Sie drängen oft vehement auf eine
schnellstmögliche Umwandlungsbehandlung in der Hoffnung auf einen „Neuanfang als Frau”,
bisweilen verbunden mit geradezu magischen Vorstellungen eines völlig (zum positiven)
verwandelten Menschen. Vorgeschichte und psychosoziale Begleitumstände dieser Patienten
machen jedoch nicht selten deutlich, dass der Geschlechtswechselwunsch hier eine Lösungsschablone
für umfassendere Identitäts- und Lebensprobleme ist, die vorrangig im Fokus der psychotherapeutischen
Begleitung stehen sollten [8].
Subgruppen nach psycho-sozialem Funktionsniveau
Subgruppen nach psycho-sozialem Funktionsniveau
Die Erfahrung des therapeutischen Alltags hat gezeigt, dass sich Patienten mit Geschlechtsidentitätsstörungen
auch nach ihrem psychosozialen Funktionsniveau in Gruppen unterscheiden lassen, die
vom Behandler entsprechend unterschiedliche therapeutische Einstellungen und Techniken
erfordern. Drei typische Subgruppen werden im Folgenden vorgestellt, ergänzt durch
auf die jeweiligen Besonderheiten abgestimmte Therapiehinweise. Die Bezeichnungen
dieser Gruppen sind absichtlich plakativ gewählt.
„Die Gesunden”
Es gibt Patienten, die bis auf ihre Geschlechtsidentitätsproblematik psychisch weitgehend
gesund erscheinen, sozial integriert sind, in stabilen Partnerschaften leben, einer
soliden Berufsausbildung nachgehen und Besonnenheit und Kooperativität bei ihren Geschlechtswechselwünschen
vermitteln. Die Anamnese hinterlässt dann oft den Eindruck, als hätten sie „schon
immer” in der gewünschten Rolle gelebt. Manchmal werden sie schon jahrelang mit einem
Vornamen des gewünschten Geschlechts oder einem neutralen Spitznamen angesprochen
und haben sie fantasievolle Techniken entwickelt, die äußeren Merkmale ihres Geburtsgeschlechtes
zu verbergen oder fehlende Attribute zu ergänzen.
Ihr Ziel ist es, die bereits durch ihre ganz persönliche Lebensführung konsolidierten
Fakten nun auch offiziell verändern zu lassen und dabei alles möglichst unauffällig
abzuwickeln, die sozialen Bezüge nicht zu gefährden, nach der Personenstandsänderung
vielleicht zu heiraten und ein ganz normales „bürgerliches” Familienleben mit den
angestrebten sozialen Rollenerwartungen zu führen. Häufig werden auch Kinderwunsch
geäußert und Möglichkeiten der Adoption oder Insemination diskutiert.
Behandlungsempfehlungen: Diese Patienten sind in der Regel die unkompliziertesten und mehr oder weniger „Selbstläufer”.
Sie drängen nicht sehr intensiv, da ihr Leben bereits stabil organisiert ist und sie
mit der Operation keine illusionären „Heilserwartungen” mehr verknüpfen. Sie haben
sich bereits erfolgreich in der gewünschten Rolle erprobt, oft schon über Jahre, aber
sie akzeptieren auch die Forderungen der Behandlungsstandards. Sie können „an der
langen Leine geführt werden”, also etwa vierwöchentlich zu Verlaufsgesprächen einbestellt
werden. Dennoch nutzen diese Patienten nicht selten dankbar das Angebot, über alltagsrelevante
Probleme zu sprechen, seien es transsexualitätsbezogene oder andere.
Bei diesen Patienten wird relativ schnell und sicher die Diagnose einer transsexuellen
Geschlechtsidentitätsstörung gestellt werden können, und im Einzelfall und mit entsprechender
Begründung können die zeitlichen Intervalle bis zu den somatischen Behandlungsschritten
(siehe [2]) verkürzt werden. So leiden manche Frau-zu-Mann-Transsexuelle beispielsweise erheblich
unter ihren Brüsten, die sie mit strammen Bandagen zu kaschieren versuchen, deretwegen
sie eine krumme Körperhaltung einnehmen und auf sportliche Aktivitäten verzichten.
Hier kann eine Mastektomie früher als nach 1,5 Jahren Betreuungszeit gerechtfertigt
sein.
„Die Unverdorbenen”
Eine andere Gruppe von Patienten mit Geschlechtsidentitätsstörungen berichtet in der
Regel scheu und schamhaft davon, dass sie sich nicht wohl fühlen mit oder in ihrem
Körper, dass sie sich irgendwie anders fühlen als die Menschen um sie herum, dass
sie selbst nicht einordnen können, was mit ihnen los ist, dass sie sich viel zurückziehen
und träumen, sich in den Körper des anderen Geschlechts hineinfantasieren und sich
zu Hause manchmal heimlich Kleidungsstücke des anderen Geschlechts anziehen. Diese
Patienten haben zuweilen vom Phänomen der Transsexualität noch gar nichts gehört und
sind vielleicht noch „unverdorben” von den plakativen Darstellungen in den Medien
und den manchmal tendenziösen (im Sinne von uneingeschränkt fördernden) Einflüssen
von Transsexuellen-Selbsthilfegruppen.
Behandlungsempfehlungen: Bei diesen Patienten hat der Therapeut die Chance, zu einem relativ frühen Zeitpunkt
Einfluss zu nehmen auf die weitere Entwicklung dieser zunächst einmal unspezifischen
Identitätsunsicherheit. Der Schwerpunkt der psychotherapeutischen Begleitung liegt
hier auf einem empathischen, langfristigen Beziehungsangebot und bei der Hilfe zur
„Selbstfindung”. Es sollte vermieden werden, vorschnell den transsexuellen Weg in
die Diskussion zu bringen, denn diese Patienten suchen nach „schnellen Lösungen”,
nach Identifikationsmöglichkeiten und der Geborgenheit unter „ihresgleichen”.
Es besteht die Gefahr, dass die individuelle Weiterentwicklung des Patienten und die
Erarbeitung eines persönlichen Lösungsweges gestoppt werden, bevor die differentialdiagnostische
Würdigung der Persönlichkeitsfacetten, der sexuellen Vorlieben und Fantasien überhaupt
begonnen hat oder gar abgeschlossen ist. Es geht auch um die Abklärung des psychosozialen
Funktionsniveaus und des Ausschlusses anderer psychischer oder somatischer Erkrankungen.
In manchen Fällen mag auch eine Psychopharmakotherapie mit Antidepressiva, Affektstabilisatoren,
Anxiolytika, möglicherweise auch Neuroleptika notwendig werden.
Diese Patienten brauchen ein fest strukturiertes, eher engmaschiges und vor allem
langfristiges Setting, manchmal auch sozialpsychiatrische Hilfestellung. Bezüglich
der Förderung „transsexueller Aktivitäten” ist große Zurückhaltung geboten. Wenn den
Patienten die Hintergründe dieses Vorgehens erklärt werden, eine „transsexuelle Lösung”
nicht grundsätzlich „verweigert” wird und ihnen die Attraktivität der ganz persönlichen
Weiterentwicklung nahegebracht wird, kann es durchaus gelingen, ein tragfähiges Arbeitsbündnis
herzustellen.
Die „Fordernden”, „Emanzipierten” oder Transsexuellenrechtler
Eine andere Gruppe von Patienten konfrontiert den Behandler bereits beim ersten Kontakt
mit der selbst gestellten, unverrückbaren Diagnose einer Transsexualität und den damit
verbundenen Forderungen nach Hormonen, Bescheinigungen oder Gutachten für Krankenkassen,
Arbeitgeber, Gericht und andere Ärzte, über Wehrdienstuntauglichkeit usw. Diese Patienten
sind besonders anstrengend und „unbeliebt”, da sie im Therapeuten meist heftige Gegenübertragungen
und Reaktanzen hervorrufen, da man sich quasi als Dienstleister missbraucht fühlt
und der Patient keine Infragestellung duldet, letztlich nur eine „Therapieauflage”
erfüllen bzw. absitzen möchte. Häufig haben sich diese Patienten im Internet belesen
oder sind von Selbsthilfegruppen genauestens informiert worden, welche Rechte und
Möglichkeiten ihnen „als Transsexuelle” zustehen.
Kompliziert wird die diagnostische Einschätzung nicht selten durch die eigenmächtige,
oft hoch dosierte Einnahme von gegengeschlechtlichen Hormonen, die bereits zu körperlichen
Veränderungen und damit zu einer „Transsexualisierung” geführt hat. Hormone können
heute nicht nur problemlos über das Internet oder den Schwarzmarkt beschafft werden,
sondern sind auch über „in der Szene” bekannte Ärzte leicht zu erhalten.
Behandlungsempfehlungen: Bei diesen Patienten ist „die transsexuelle Schiene” meist
schon so festgefahren, dass mangelnde Akzeptanz seitens des Behandlers oder der Versuch
alternativer Deutungen und Erklärungen von den Patienten als Vertrauensbruch und Inkompetenz
erachtet und zum Anlass genommen werden, das Behandlungsverhältnis abzubrechen, bevor
es überhaupt zustande gekommen ist.
Sich auf diese schwierige Patientengruppe einzulassen und eine dem transsexuellen
Wunsch gegenüber abstinente Haltung einzunehmen, kann am ehesten mit psychodynamischem
Verständnis für ihr Symptom gelingen. Nach Becker 1998 stellt der transsexuelle Wunsch
einen Selbstheilungsversuch dar, eine Abwehrleistung mit protektiver Funktion für
das Selbst im Sinne der „narzisstischen Plombe” (Morgenthaler 1974). Der transsexuelle
Wunsch schütze den Patienten in diesem Falle vor schwerer narzisstischer Depression
(vor Gefühlen der Leere, der Nicht-Existenz, der Nicht-Identität) und vor Desintegration.
In diesem Sinne stelle der transsexuelle Wunsch einen narzisstischen Stabilisierungsversuch
dar und mache es Sinn, diesen als (über)lebensnotwendige Abwehr zu respektieren. In
der Psychotherapie gehe es dann darum zu klären, ob und inwieweit der transsexuelle
Wunsch und seine Realisierung diese protektive Abwehrfunktion erfüllen kann und ob
infolgedessen dem Patienten im anderen Geschlecht mehr psychische Entwicklung bzw.
Individuation möglich ist.
Es sollte gerade bei diesen Patienten berücksichtigt werden, dass die Forderungen
an den Therapeuten Ausdruck inadäquater Suche nach Kontakt und Aufmerksamkeit sein
kann und letztlich eine verzerrte Manifestation ihrer Hilfsbedürftigkeit und ihres
Angewiesenseins auf Unterstützung.
Patientenbeispiel 1
Patientenbeispiel 1
27-jährige Patientin mit dunklem Bürstenschnitt und zartem Schnurrbart, insgesamt
burschikos-männliches Auftreten. Sie stellte sich vor zur gutachterlichen Untersuchung
für eine Vornamensänderung. Anamnestisch waren zerrüttete Kindheitsverhältnisse mit
Gewalterfahrungen und Heimaufenthalten, unsteter Lebenswandel und zeitweilige Prostitution
zu erfahren. Die Patientin berichtete von männlichem Selbsterleben und Ausleben einer
sozialen Jungenrolle von frühester Kindheit an. Durchgehend gynäphile Orientierung
mit mehreren, heterosexuell gestalteten Frauenbeziehungen. Seit 2,5 Jahren in sexualmedizinischer
Betreuung. Seit 1,5 Jahren gegengeschlechtliche Hormonbehandlung, zuletzt selbst appliziert,
da die Probandin als „Altenpfleger” arbeitete. Insgesamt verbalisationsgehemmte, wenig
reflexionsfähige, emotionsarme und isoliert lebende Persönlichkeit.
Bei gezieltem Nachfragen berichtete sie überraschend von drei psychiatrischen Klinikaufenthalten
im Verlaufe des vorausgegangenen halben Jahres wegen Suizidversuchen sowie Alkohol-
und Tablettenmissbrauches. Auch aktuell bestätigte sie Substanzmissbrauch und Selbstmordimpulse
infolge vielfältiger psychosozialer Konflikte.
Die gutachterliche Entscheidung wurde nach Rücksprache mit dem Auftrag gebenden Gericht
ausgesetzt bis zum Abschluss einer freiwillig aufgenommenen mehrmonatigen stationären
Psychotherapie, während der sie durchgehend und überzeugend männlich wahrgenommen
wurde und eine schizoide, beziehungsgestörte Persönlichkeitsstörung mit Substanzmissbrauch
diagnostiziert wurde. Eine Vornamensänderung wurde schließlich in Abstimmung mit dem
Psychotherapeuten befürwortet. Zeitpunkt und Indikation für eventuelle operative Maßnahmen
wurden ausdrücklich der Verantwortung des betreuenden Psychotherapeuten überlassen.
Patientenbeispiel 2
Patientenbeispiel 2
24jähriger, effeminiert wirkender, blonder junger Mann in androgyner Kleidung. Extrem
schüchternes, angespannt-ängstliches Verhalten, manierierte Gestik und Mimik. Fraglich
psychotische Denkstörungen, auch sensitive situative Umdeutungen und coenästhetisch
anmutende Missempfindungen. In einigen Gesprächen konnte mühsam rekonstruiert werden,
dass eine Unsicherheit der geschlechtlichen Zugehörigkeit seit der Pubertät bestand
und er bereits zahlreiche Ärzte und Psychologen aufgesucht hatte.
Es gab noch keine partnerschaftlichen sexuellen Beziehungen, wohl aber mehr oder weniger
unbefriedigende Kurzkontakte zu Männern und Frauen. Von einer Selbsthilfegruppe sei
ihm schließlich ein „Transsexuellentherapeut” genannt worden. Dieser hätte ihm empfohlen,
Frauenkleidung zu tragen. Es hätte ihn große Überwindung gekostet, in dieser Kleidung
in die Öffentlichkeit zu gehen. Er hätte immer stärkere Ängste und Kopfschmerzen entwickelt,
seine Wohnung schließlich nicht mehr verlassen. Er hätte viele Wochen krank geschrieben
werden müssen und Neuroleptika verordnet bekommen, fast seinen Arbeitsplatz verloren.
Wiederholte Versuche, seinen Therapeuten zu erreichen, wären gescheitert. Dieser hätte
ihn schließlich an eine Selbsthilfegruppe verwiesen. Dort hätte man ihm weibliche
Hormone empfohlen, die er sich daraufhin übers Internet beschafft und eingenommen
habe. Darunter hätte er jedoch starke Ängste vor körperlichen Schäden entwickelt.
Mit dem Wunsch nach ärztlicher Kontrolle hatte er sich schließlich an uns gewandt.
Dem Patienten wurde zunächst das Angebot regelmäßiger Gesprächskontakte gemacht, worunter
er allmählich Vertrauen fasste und über seine ängstigenden Erlebnisse und seine Sehnsucht
nach Halt und Struktur zu sprechen begann. Der Wunsch nach gegengeschlechtlichen Hormonen,
die er selbst wieder abgesetzt hatte, war in den Hintergrund getreten.
Patientenbeispiel 3
Patientenbeispiel 3
50jähriger Mann in übertrieben weiblicher Aufmachung. Aus der Vorgeschichte waren
Sonderschulbesuch, eine Schlosserausbildung ohne Abschluss, längere Perioden der Arbeitslosigkeit
und zuletzt eine Frühberentung zu erfahren. Er hatte einen 20jährigen Sohn aus einer
inzwischen geschiedenen Ehe und war insgesamt mehrere heterosexuelle Frauenbeziehungen
eingegangen.
Er berichtete davon, seit der Pubertät immer wieder phasenweise weibliche Unterwäsche
und Strumpfhosen getragen und diese in Masturbationsrituale einbezogen zu haben. Seit
etwa drei Jahren betriebe er komplettes Cross-dressing und seit zwei Jahren bekäme
er Androcur und Östrogene verordnet, deren Dosis er von sich aus erhöht habe. Eine
längere psychotherapeutische Begleitung hätte nicht stattgefunden. Im November 2001
hätte er nach Inkrafttreten des neuen Eherechts für gleichgeschlechtliche Paare einen
ebenfalls Mann-zu-Frau-transsexuellen Partner geheiratet. Beide gaben sich nach außen
hin als lesbisches Paar, wirkten extrem auffällig und tragikomisch. Eine rechtliche
Vornamensänderung und eine operative Geschlechtsangleichung wurden von beiden nicht
angestrebt. Sie praktizierten ein leidenschaftliches Sexualleben in wechselnden Geschlechtsrollen,
unter lustvollem Einsatz ihrer männlichen Genitalien und mit Einbezug biologisch-weiblicher
Partnerinnen.
Der Patient stellte sich vor, um ein Indikationsschreiben für eine Hodenresektion
zu erhalten. Er legte ein Attest seines die Hormone verordnenden Internisten vor,
der diesen Eingriff bei der Diagnose Transsexualität befürwortete. Bei genauerem Nachfragen
war zu erfahren, dass der Patient seit Höherdosierung der Östrogene phasenweise krampfartige
Hodenschmerzen verspürte. Die Blutspiegel der weiblichen Sexualhormone lagen nachweislich
erheblich über der weiblichen Normgrenze. Dem Patienten wurde erläutert, dass eine
so folgenschwere Entscheidung erst nach einem längeren Beobachtungsprozess getroffen
werden könne. Er wurde, auch gemeinsam mit seinem Partner, zu weiteren Gesprächen
einbestellt, in deren Verlauf insgesamt ungeordnete Lebensverhältnisse deutlich wurden.
Der Patient genoß die Zuwendung der Therapeutin und konnte von seinem Wunsch nach
Kastration schließlich zurücktreten.
Abb. 1