Patienten mit langjähriger chronisch-entzündlicher Darmerkrankung (CED) und Kolonbefall
haben ein erhöhtes Risiko für das kolorektale Karzinom (KRK). In dieser Arbeit
werden Empfehlungen zur endoskopischen Überwachung von Patienten mit CED gegeben
und unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur diskutiert.
Erhöhtes Risiko für KRK
Erhöhtes Risiko für KRK
Obwohl lediglich 1 - 2 % der Erkrankungen an einem KRK auf eine CED zurückzuführen
sind, bedeutet es für die Patienten mit langjähriger Colitis ulcerosa (CU) oder
Crohn-Colitis ein ernstzunehmendes Risiko und ist für bis zu 1/6 der Todesfälle
bei CED verantwortlich [2 ]
[3 ]
[14 ]. Das Risiko zur Entstehung eines KRK bei CU steigt eindeutig mit Erkrankungsdauer,
Ausdehnung der Entzündung sowie frühem Krankheitsbeginn. Nach einer Metaanalyse
(116 Studien) beträgt die Prävalenz des KRK bei CU-Patienten 3,7 % [3 ]. In dieser Studie lagen die KRK-Inzidenzraten bei 2,1 % nach einer Erkrankungsdauer
von 10 Jahren, bei 8,5 % nach 20 und bei 17,8 % nach 30 Jahren. Neben der
Dauer ist die Ausdehnung der CU einen eindeutigen Risikofaktor für die Entstehung
eines KRK. Patienten mit reinem Befall des Rektums erkranken deutlich seltener
als Patienten mit einer Pancolitis ulcerosa an einem KRK. Darüber hinaus steigt
das Risiko für das KRK signifikant bei Vorliegen einer primär sklerosierenden
Cholangitis, wobei es dann häufig im proximalen Kolon liegt und eine deutlich
ungünstigere Prognose aufweist. Das kumulative Dysplasie- und Karzinomrisiko
ist bei diesen Patienten nach 30 Jahren um einen Faktor 5 - 10 gegenüber Patienten
mit einer alleinigen CU erhöht [8 ]. Eine Risikoerhöhung wird dabei nicht nur direkt für das KRK, sondern bereits
für das Vorliegen einer Dysplasie oder DNA-Aneuploidie beobachtet. Ein Überwachungsprogramm
sollte insbesondere die Patienten mit erhöhtem Risiko einschließen (Tab. [1 ]).
Tab. 1 Risikofaktoren für die Karzinomentstehung bei CED.
<TD VALIGN="TOP">
Risikofaktor
</TD><TD VALIGN="TOP">
RR
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
Colitis ulcerosa
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Befallsmuster:
- Proktitis
- Linksseiten-Colitis
- Pancolitis
</TD><TD VALIGN="TOP">
1,7
2,8
14,8
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Langjährige Colitis (> 8 Jahre)
- 10 Jahre
- 20 Jahre
- 30 Jahre
</TD><TD VALIGN="TOP">
5 - 19
2,1
8,5
17,8
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Primär sklerosierende Cholangitis
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 - 18
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Positive Familienanamnese für KRK
</TD><TD VALIGN="TOP">
2,3
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
Morbus Crohn
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Colitis Crohn
</TD><TD VALIGN="TOP">
1- 5,6
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="2">
RR = relatives Risiko. KRK = kolorektales Karzinom. CED = chronisch entzündliche
Darmerkrankungen
</TD>
Patienten mit Crohn-Colitis scheinen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines
KRK zu haben, sofern die Krankheitsdauer und das Ausmaß des Kolonbefalls berücksichtigt
wird. Ekbom et al. [4 ] beschreiben bei 1655 Patienten mit Morbus Crohn ein 2,5-fach erhöhtes Risiko,
bezogen auf die Patienten mit Kolonbefall sogar ein 5,6-fach erhöhtes Risiko.
Bei Ileozökalbefall betrug das relative Risiko 3,2, bei reinem Dünndarmbefall
war das Risiko für das KRK nicht erhöht [4 ]. Das Risiko für das Kolonkarzinom bei Morbus Crohn steigt mit der Dauer der
Erkrankung und dem Ausmaß des Kolonbefalls, weist einen vergleichbaren Verlauf
und Prognose wie bei der CU auf und geht ebenfalls aus intraepithelialen Neoplasien
(IEN) hervor [2 ]. Im Gegensatz zum sporadischen oder CU-assoziierten Karzinom tritt jedoch das
Kolonkarzinom bei Morbus Crohn, entsprechend des entzündlichen Befalls, vor allem
proximal auf [2 ]. Drei größere Studien weisen bei langjährigem Morbus Crohn, allerdings ohne
extensiven Kolonbefall, kein erhöhtes Risiko für das KRK auf, zeigen jedoch ein
15 - 60fach erhöhtes Risiko für die Entstehung des insgesamt sehr seltenen
Dünndarmkarzinoms [6 ].
kurzgefasst: Bei langjähriger Colitis ulcerosa und Morbus Crohn mit Kolonbefall (Crohn-Colitis)
steigt das Risiko für ein KRK mit Dauer der Erkrankung und Ausdehnung der Entzündung.
Dysplasie-Karzinom-Sequenz des Colitis-assoziierten KRK
Dysplasie-Karzinom-Sequenz des Colitis-assoziierten KRK
Nach heutigem Wissen entsteht das Karzinom bei CED aus intraepithelialen Neoplasien
(früher Dysplasien). Molekulargenetisch sind die klassischen Veränderungen beim
sporadischen KRK wie Mutationen des APC- oder DCC-Gens beim Colitis-assoziierten
Karzinom deutlich seltener nachweisbar, wogegen sich in bis zu 50 % der Colitis-assoziierten
Karzinome K-ras- und p53-Mutationen finden. Bisher gibt es keine Marker, die
routinemäßig in der breiten Untersuchung von Risikopatienten eingesetzt werden
könnten, Mutationsnachweise in abgeschilferten Epithelien aus dem Stuhl sind aber
prinzipiell möglich.
Überwachungsstrategie zur Früherkennung von Colitis-assoziierten Neoplasien
In retrospektiven Studien wurde gezeigt, dass die koloskopische Überwachung mit
multiplen Biopsieentnahmen zu einer Reduktion der KRK-Mortalität durch vermehrten
Nachweis von IEN und Karzinomen in frühen Stadien führt. Da die Prognose des KRK
in erster Linie vom Tumorstadium bei Diagnose abhängt, wird allen Patienten mit
einem über 8-jährigen Verlauf einer (sub)totalen CU eine jährliche endoskopische
Überwachung (im Remissionsstadium) empfohlen [8 ]. Zu diesem Zeitpunkt beträgt das Krebsrisiko etwa 3 %. Auch jugendliche Patienten
mit ausgedehnter Colitis sollten nach 8-jährigem Verlauf in ein Überwachungsprogramm
eingeschlossen werden, unklar ist jedoch, ob dies auch bei lediglich distalem
Befall zu gelten hat [8 ]
[10 ]. Da IEN und Karzinome bei der linksseitigen Colitis erst später auftreten, sollte
hier nach 15-jährigem Krankheitsverlauf (im Remissionsstadium) eine jährliche
Koloskopie mit Biopsien erfolgen. Überwachungs-Koloskopien sollten unbedingt im
entzündungsfreien Intervall erfolgen, da entzündliche Veränderungen häufig
sehr schlecht von intraepithelialen Neoplasien (IEN) zu unterscheiden sind.
Der Nachweis einer IEN gilt als Goldstandard, um Risikopatienten zu identifizieren.
Die IEN ist als eine Neoplasie des Epithels definiert. Einschränkend muss jedoch
bemerkt werden, dass die Identifikation einer IEN in flacher, nicht-polypoider
Schleimhaut sehr von der Erfahrung des beurteilenden Pathologen abhängig ist und
die Klassifikation einer erheblichen inter- und intraindividuellen Variabilität
unterworfen ist. Die Anzahl der entnommenen Biopsien bei jeder Überwachungskoloskopie
ist ein entscheidender Faktor in der Detektion von dysplastischen oder karzinomatösen
Veränderungen. Aus einer Untersuchung an Resektaten lässt sich ableiten, dass
bei Entnahme von 33 Biopsien pro Koloskopie dysplastische Veränderungen zu 90
% nachgewiesen werden können. Bei Entnahme von 56 Biopsien steigt die Sensitivität
auf 95 %. In einer anderen Studie [13 ] wurden unter Imitation der endoskopischen Biopsieentnahme bei 100 Kolektomiepräparaten
(von Patienten mit einem Kolonkarzinom bzw. mit einer hochgradigen Dysplasie)
jeweils 4 Biopsien aus 8 unterschiedlichen Lokalisationen entnommen. Bei 26 %
der Kolektomiepräparate mit einem Karzinom konnte keine Dysplasie nachgewiesen
werden. Somit lässt sich die Sensitivität und Spezifität mit jeweils 74 % für
die Detektion eines Karzinoms berechnen. Aufgrund der vorliegenden Datenlage wird
somit empfohlen, je 4 Kolonbiopsien in 10 cm Abständen aus allen Kolonabschnitten,
d. h. insgesamt 40 - 50 Biopsien zu entnehmen. Zudem wird jedes suspekte Areal
separat biopsiert.
Entscheidend für die Prognose der Patienten mit CU ist natürlich das gezielte
Auffinden prämaligner Schleimhautabschnitte. Das Erkennen von Colitis-assoziierten
neoplastischen Schleimhautveränderungen während der Koloskopie ist schwierig,
da diese Veränderungen auch in makroskopisch unauffälliger Darmschleimhaut
gefunden werden können. Vielversprechende Ergebnisse wurden in den letzten Jahren
zu verfeinerten endoskopischen Untersuchungsmethoden (Chromo-, Fluoreszenz- und
Zoom-Endoskopie) vorgestellt [7 ]. Diese diagnostischen Verfahren haben bislang noch keinen gesicherten Stellenwert
in der Routinediagnostik.
kurzgefasst: Zur Überwachung von Colitis-Patienten wird empfohlen, bei der jährlichen Koloskopie
je 4 Kolonbiopsien im Quadranten in 10 cm Abständen aus allen Kolonabschnitten,
d. h. insgesamt 40 - 50 Biopsien zu entnehmen.
IEN und Therapiekonsequenz
IEN und Therapiekonsequenz
Bei eindeutiger, durch einen auswärtigen Referenzpathologen bestätigter hochgradiger
intraepithelialer Neoplasie ist dem Patienten eine Proktokolektomie zu empfehlen
(Abb. [1 ]). Beim Nachweis von niedriggradigen IEN und deren Bestätigung durch einen auswärtigen
Referenzpathologen kann alternativ zur sofortigen Proktokolektomie mit dem Patienten
eine Intensivierung der Überwachungsprogramms (kürzere Endoskopieintervalle
von z. B. 3 - 6 Monaten, Chromo- bzw. Zoom-Endoskopie) und die Proktokolektomie
erst beim Nachweis von hochgradigen IEN vereinbart werden [9 ]. Diese Empfehlung der Expertenkommission (Konsensus-Konferenz CU, Berlin 2004)
berücksichtigt neben früheren Studien und einer zusammenfassenden Analyse
von Bernstein [1 ] v. a. die Arbeit von Lim et al. (9), in der das Risiko einer histopathologischen
Progression bei initial diagnostizierter niedriggradiger IEN bei 10% (nach 10
Jahren) lag.)
Abb. 1: Karzinomprophylaxe bei Colitis ulcerosa: Konsequenzen bei Nachweis einer intraepithelialen
Neoplasie. IEN = intraepitheliale Neoplasie in flacher Mukosa. DALM (d ysplasia- a ssociated l esion or m ass) = intraepitheliale Neoplasie in erhabener Läsion, die in entzündeter Mukosa
gelegen oder davon umgeben ist.
Bei der Klassifikation „fragliche IEN” liegt eine besonders schlechte Übereinstimmung
der histologischen Beurteilung zwischen verschiedenen Pathologen vor. Eine Analyse
von 10 prospektiven Studien hat allerdings gezeigt, dass „fragliche IEN” bei
28 % der Patienten eine Progression zur hochgradigen IEN und bei 9 % der Patienten
zum Karzinom aufweisen [1 ]. Daher wird bei Vorliegen von fraglichen IEN eine endoskopische Kontrolle nach
Intensivierung der antiinflammatorischen Therapie innerhalb von 3 - 6 Monaten
empfohlen. Bestätigt sich dann eine niedriggradige IEN, kann alternativ zu weiteren
intensivierten Kontrollen die Proktokolektomie empfohlen werden. Bei Vorliegen
eines ausgeprägten Pseudopolypenrasens kann auch ohne Nachweis von IEN die
Empfehlung zur Proktokolektomie sinnvoll sein, da ein solcher Darm nicht überwacht
werden kann.
DALM versus sporadische adenomatöse Polypen
Sporadische adenomatöse Polypen treten bei CED-Patienten genauso häufig auf wie
in der Normalbevölkerung. Die Unterscheidung der sporadischen adenomatösen Polypen
von der D ysplasia A ssociated L esion or M ass (DALM), die sich auf endoskopisch-makroskopische und histologische Kriterien
stützt, hat für den Colitis-Patienten wesentliche therapeutische Konsequenzen.
Es liegen zwei Studien mit größerer Fallzahl vor [5 ] [12 ], in denen nach alleiniger Polypektomie von sporadischen adenomatösen Polypen
bei CU über eine Nachbeobachtungszeit von 3,5 bzw. 4 Jahren erneut Adenome, jedoch
keine Karzinome oder Schleimhautareale mit IEN nachgewiesen wurden. Bei Nachweis
von IEN in der benachbarten Schleimhaut liegt jedoch ein erhöhtes Karzinomrisiko
vor. Die Konsensus-Konferenz CU (Berlin 2004) empfiehlt daher bei Nachweis eines
sporadischen adenomatösen Kolonpolypen bei CU-Patienten die alleinige Polypektomie,
wenn im Restkolon durch multiple Stufenbiopsien keine IEN nachgewiesen werden.
kurzgefasst: Bei hochgradiger intraepithelialer Neoplasie (IEN) ist eine Proktokolektomie
zu empfehlen, bei niedriggradigen IEN kann nach Einschätzung der individuellen
Risiken eine Kontrollkoloskopie innerhalb von 3 - 6 Monaten durchgeführt
werden. Adenomatöse Polypen in nicht-dysplastischer umgebender Schleimhaut können
auch bei CED-Patienten endoskopisch abgetragen werden.
Primärprävention des KRK
Primärprävention des KRK
Retrospektive Fall-Kontroll-Studien wiesen auf den Nutzen der anti-entzündlichen
Therapie mit 5-Aminosalicylaten (5-ASA) und Sulfasalazin in der Primärprävention
desKRK bei CU hin. Dabei wurde eine Senkung des Karzinomrisikos durch eine regelmäßige
5-ASA-Einnahme (mindestens 1,2 g/d) bis zu 75 % gezeigt. Die Bedeutung der
Entzündungsaktivität für das Entartungsrisiko wird dennoch kontrovers diskutiert.
Eine Fortführung der Aminosalicylattherapie zur Karzinomprophylaxe sollte mit
dem Patienten individuell anhand vorliegender Risikofaktoren besprochen werden.
Sie ersetzt nicht die regelmäßige endoskopische Überwachung. Bei gleichzeitig
bestehender primär sklerosierender Cholangitis wird empfohlen, Ursodeoxycholsäure
einzusetzen. In einer plazebokontrollierten Studie konnte bei diesen Patienten
das Darmkrebsrisiko dadurch um 74 % gesenkt werden [11 ].
Fazit
Patienten mit langjähriger Colitis ulcerosa, und wahrscheinlich auch mit Crohn-Colitis,
haben ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines KRK und sollten daher nach langjährigem
Verlauf regelmäßig koloskopisch-bioptisch überwacht werden. Bei Nachweis von
niedriggradigen IEN kann alternativ zur Proktokolektomie eine Intensivierung des
Überwachungsprogramms in Form einer Kontrollendoskopie in 3 - 6 Monaten erwogen
werden. Bei einer durch einen Referenzpathologen bestätigten hochgradigen IEN
oder DALM sollte dem Patienten eine Proktokolektomie empfohlen werden. Ein adenomatöser
Polyp in einem nicht dysplastischen Kolon kann analog zur Situation bei Nicht-CED-Patienten
polypektomiert werden. Die konsequente Einnahme von Sulfasalazin bzw. 5-ASA-Präparaten
kann das Karzinomrisiko senken.