Eine Wunde ist definiert als Unterbrechung der Kontinuität zusammenhängender Gewebeschichten,
ist die intakte Haut durchbrochen, spricht man von einer offenen Wunde [11 ]. Läsionen entstehen durch Überschreiten mechanischer Festigkeitstoleranzen der einzelnen
Gewebe, wobei die auslösende Gewalt mechanisch bzw. traumatisch, thermisch oder chemisch
sein kann [3 ]. Als Sonderform können chronische Ulzera gelten, da der auslösende Pathomechanismus
kein definiertes, zeitlich akutes Ereignis sondern ein schleichender Prozess ist [4 ].
Prinzipiell können Wunden jede Körperregion oder Struktur, also auch innere Organe,
betreffen. Die Problematik der geschlossenen Wunde liegt im Übertritt von Wundsekret
und toxischen Zellzerfallsprodukten in das umgebende Gewebe sowie in den systemischen
Kreislauf [2 ], während das Problem offener Wunden vorrangig in der Keimbesiedelung mit potenzieller
Infektentstehung zu suchen ist [1 ]. [Tabelle 1 ] zeigt die verschiedenen Wundformen im Überblick.
Wundheilung
Wundheilung
Die Wundheilung per se ist ein physiologischer Vorgang, der prinzipiell unabhängig
von der Art, dem Ausmaß und der Ätiologie der Wunde verläuft. Zudem sind dessen einzelne
Phasen nicht scharf voneinander zu trennen und verlaufen überlappend [1 ]. Dennoch hat sich eine praktische Einteilung bewährt, die drei Phasen unterscheidet
[1 ].
Exsudative Phase (Tag 1-3)
Die so genannte exsudative Phase beginnt mit der Entstehung des Traumas. Erste Reaktionen
der Gefäße und Zellen umfassen die Hämostase und dauern etwa zehn Minuten, danach
wird durch Vasodilatation und Erhöhung der Kapillarpermeabilität eine vermehrte Exsudation
von Plasma in das Interstitium eingeleitet. Klinisch äußert sich dieser Vorgang im
Wundschmerz und Ödem [13 ]. Unter dem Einfluss von Thrombozyten entsteht ein Thrombus, welcher primär makroskopisch
den Wundgrund ausfüllt, die Blutungsphase beendet und die Stabilität der Wunde erhöht.
Durch die Freisetzung von Wachstumsfaktoren aus den Thrombozyten, beispielsweise dem
PDGF („platelet-derived growth factor”), werden Leukozyten - vor allem neutrophile
Granulozyten und Makrophagen - angelockt. Diese dienen der Infektabwehr und Phagozytose
vor allem von Detritus, kleinsten Fremdkörpern (Schmutz) und Keimen. Die Entstehung
der in dieser Phase physiologischen Entzündungssituation erklärt sich auch aus der
entsprechenden Freisetzung von Mediatoren der Granulozyten wie Zytokinen (Tumornekrosefaktor
α = TNF-α, Interleukine). In dieser Phase herrscht eine anaerobe Stoffwechsellage
mit saurem Wundmilieu vor.
Proliferationsphase (Tag 4-12)
In dieser Phase überwiegt die Defektauffüllung, vorzugsweise durch den Vorgang der
Granulation. Granulationsgewebe besteht aus Fibroblasten, die sich um neu gebildete
Kapillaren herum anordnen. [Abbildung 1 ] zeigt ein solches regelgerechtes Granulationsgewebe. Die Fibroblasten werden durch
eine entsprechende Enzyminduktion (z.B. durch Fibronektin) aktiviert, sie überziehen
dann das gesamte Wundareal mit dem typischen makroskopischen Aspekt des „Granulationsrasens”.
Der Proliferationsgipfel dieser Zellen liegt um den vierten bis zum siebten Tag nach
der Wundentstehung.
Die bereits oben erwähnten Wachstumsfaktoren initiieren die Angiogenese in der Wunde
mit der Aussprossung von Kapillaren [7 ]. Im Idealfall ist eine granulierende Wunde sehr suffizient durchblutet - bis zu
einem Viertel der Masse des Granulationsgewebes kann aus dem Kapillarnetz bestehen
[7 ]. Einzelne Autoren bezeichnen das gesunde Granulationsgewebe aufgrund seiner vielfältigen
Aufgaben als „Wundorgan” [4 ]
[7 ]. Bei regelgerechter Wundheilung ist dies die Ausgangssubstanz für eine spätere Narbenbildung.
Reparationsphase (etwa ab Tag 12)
Der zunehmende Anteil solider Faserelemente im Granulationsgewebe kennzeichnet dessen
Übergang zur Narbe [9 ]. Klinisch ist dieser Zustand durch die „Schrumpfung” der Wunde gekennzeichnet. Während
man früher davon ausging, dass diese Schrumpfung durch eine Verkürzung der Kollagenfasern
zustande kommt, setzt sich jetzt eher die Ansicht durch, dass sich die aktivierten
Fibroblasten in ihre „Ruheform”, die Fibrozyten und Myofibroblasten, umwandeln [6 ]. Da Letztere wie glatte Muskelzellen Actomyosin enthalten, führt deren Kontraktion
zum Phänomen der Wundschrumpfung.
Auf zellulärer Ebene ist dieser Prozess begleitet von einer mitotischen Teilung und
der Migration von Epidermiszellen vom Wundrand her. Er kann Wochen, Monate oder gar
Jahre in Anspruch nehmen [1 ]. Das Endergebnis als Abschluss der regulären Wundheilung ist ein straffes, derbes
Bindegewebe - die Narbe [Abb. 2 ].
Primäre oder sekundäre Wundheilung
Primäre oder sekundäre Wundheilung
Eine andere, quasi „quantitative” Einteilung der Wundheilung folgt der klassischen,
bereits von Galen getroffenen Unterscheidung zwischen „primärer” (per primam intentionem,
p.p.) und „sekundärer” (per secundam intentionem, p.s.) Wundheilung [10 ]. Galens „Intention” war hierbei nicht die Physiologie des Heilungsablaufes, sondern
die Absicht des Behandlers, nach Möglichkeit die primäre Variante mit nahe aneinander
liegenden, nicht klaffenden Wundrändern zu erreichen [10 ].
Eine primäre Wundheilung ist typisch für chirurgisch gesetzte Wunden, die mit geeignetem
Nahtmaterial primär verschlossen werden. Auch frische traumatische Wunden sind nach
Wundrandanfrischung potenziell primär verschließbar. Typisch ist die nach etwa acht
Tagen vereinigte, schmale und idealerweise reizfreie Wunde (die Zugfestigkeit stellt
sich je nach Lokalisation später ein). Erweitert wird der Begriff im aktuellen Sprachgebrauch
um die „verzögerte Primärheilung” - wenn also bei gefürchteter Infektionsgefahr Wunden
bewusst nicht sofort, sondern nach einer Frist der offenen Behandlung bei Ausbleiben
der Infektion verschlossen werden. Die sekundäre Wundheilung hingegen stellt sich
ein, wenn Gewebslücken aufzufüllen sind oder ein Infekt zu bekämpfen ist. Der Ablauf
entspricht dabei den oben beschriebenen Heilungsphasen.
Ebenfalls in jüngerer Zeit eingeführt wurde der Begriff der „chronischen” Wunde oder
Wundheilung, der gewählt wird, wenn der Heilungsvorgang mehr als acht Wochen in Anspruch
nimmt. Meist entwickeln sich diese Wunden infolge von Gefäßerkrankungen, Strahlenschäden,
Diabetes mellitus oder Tumoren.
Einflüsse auf die Wundheilung
Einflüsse auf die Wundheilung
Der menschliche Organismus ist prinzipiell in der Lage, Wunden aus eigener Kraft zu
heilen. Jede Therapie wird dieses Potenzial prinzipiell nur in gewissem Umfang unterstützen.
Diese Fähigkeit ist jedoch starken interindividuellen Schwankungen ausgesetzt. Hierbei
spielt sowohl der Zustand des Organismus als auch die Pathologie der Wundentstehung
eine Rolle [4 ]. Man unterscheidet prinzipiell zwischen allgemeinen und lokalen Einflüssen auf die
Wundheilung.
Zu den allgemeinen Einflüssen zählen
das Alter der Patienten: Eine allgemeine Reduktion der Zellteilungsaktivität stört
oder verzögert die oben beschriebenen Abläufe, häufig vorhandene Komorbiditäten oder
konsumierende Erkrankungen im Alter verzögern den Heilungsprozess weiter
der Ernährungsstatus: So führt eine Adipositas über eine oft diabetische Stoffwechsellage
und lokalen Druck mit der Gefahr von Dekubiti zur Beeinflussung der Wundheilung, während
Kachexie, Malnutrition und Vitaminmangel die Synthese des Granulationsgewebes und
die Phase der Reparation beeinflussen
Grunderkrankungen: Beispielsweise prädisponiert ein Diabetes mit dem konsekutiven
Ungleichgewicht des Steroidhaushalts zu Infektionen - vor allem in Zusammenhang mit
der Neuropathie, die Läsionen aufgrund der fehlenden Schmerzempfindung lange unentdeckt
lässt. Aber auch Malignome können aufgrund des Fehlens der Proteinsynthese die Wundheilung
stören
Medikamente: Immunsuppressiva, Zytostatika, Kortikoide aber auch Antikoagulanzien
stören nachgewiesenermaßen nicht nur die Wundheilung, sondern beispielsweise auch
die Frakturreparation [3 ]
[14 ].
Lokale Einflüsse dagegen sind
der Zustand der Wunde: Größe und Tiefe, die Beteiligung von Organen oder Knochen,
Zustand der Wundränder
die Lokalisation der Wunde
die Qualität der Durchblutung.
Gerade die Durchblutung ist einer der entscheidendsten Faktoren für eine regelgerechte
Wundheilung, da die oben beschriebenen Vorgänge ohne ausreichende Vaskularisation
zum Scheitern verurteilt sind.
Eine Wundinfektion ist gekennzeichnet durch Sekretion, Schmerzen, Schwellung und Rötung.
Spezielle Erreger führen einerseits zu typischen Farb- und Geruchsphänomenen (z.B.
der süßlich-fade Geruch und die grüne Farbe des Pseudomonas-aeruginosa-Eiters oder
die schwarzen Nekrosen und das „Gewebeknistern” bei Gasbrandinfektion, [Abb. 3 ] und [4 ]). Zu unterscheiden ist dabei stets zwischen der Keimbesiedelung der Wunde, die als
immer vorhanden anzusehen ist und lediglich in die therapeutischen Überlegungen mit
einbezogen werden muss, während eine manifeste Wundinfektion sämtliche Bemühungen
der Wundheilung innerhalb kürzester Zeit zunichte machen kann und im Übrigen den Gesamtzustand
oder gar das Leben des Patienten rasch progredient gefährdet [3 ]
[10 ].
Die Buchstabenkombination „ALPI” erinnert schlagwortartig an die wichtigsten Einfluss-
und Störungsfaktoren der Wundheilung (Allgemeinzustand des Patienten, Lokalisation
der Wunde, Perfusion/ Durchblutung, Infektion vorhanden?) und kann im klinischen Alltag
als „Eselsbrücke” herangezogen werden [2 ].
Diagnostik in der Wundbehandlung
Diagnostik in der Wundbehandlung
Bei der frischen, traumatischen Wunde steht das Einschätzen von Blutverlust und dem
Ausmaß des Gewebsuntergangs im Vordergrund [2 ]
[3 ]
[14 ]. Die Therapie von komplexen oder chronischen Wunden dagegen erfordert zunächst eine
präzise (Medikamenten-)Anamnese mit klinischer Untersuchung und Befunderhebung [Tab. 2 ]. Die klinische Untersuchung umfasst einen Ganzkörperstatus mit kardiovaskulärem
Status und neurologischer Untersuchung [Tab. 3 ]. Idealerweise wird schon beim Erstkontakt die Wunde morphometrisch erfasst. Ob eine
erweiterte Apparatediagnostik erfolgen muss, legt die klinische Erstuntersuchung fest
[Tab. 4 ]. Insbesondere die Indikation zur Angiografie ist großzügig zu stellen - vor allem,
wenn eine Amputation zu diskutieren ist.
Basisprinzipien der Wundtherapie
Basisprinzipien der Wundtherapie
Generelles Ziel jeder Wundbehandlung ist es, durch die Beseitigung störender Faktoren
die Voraussetzung zur Wundheilung zu schaffen. Die ungestörte Wundheilung selbst ist
ein physiologischer Vorgang, der - wenn er regelgerecht abläuft - nicht zu beeinflussen
ist.
Die chirurgische Wundversorgung sichert lediglich die Grundlagen zum Ablauf der physiologischen
Heilung. Sie umfasst bei frischen Wunden Reinigung, Blutstillung und temporären bzw.
definitiven Wundverschluss unter streng aseptischen Kautelen, während es bei chronischen
Wunden auf die Beseitigung von störenden Noxen ankommt (mangelnde Perfusion, Mangelernährung,
Infekte, Medikamenteninteraktionen). Die kausale Therapie von Problemwunden fordert
hier ein interdisziplinäres Vorgehen, wenn beispielsweise ein entgleister Diabetes
einzustellen ist.
Auslösende Noxen beseitigen
Hier ist beispielsweise die Druckentlastung von Dekubitalgeschwüren zu nennen, wobei
spezielle Lagerungstechniken oder Matratzen- und Bettsysteme verwendet werden. Bei
durch Mangeldurchblutung oder Mikroangiopathie aufgrund Diabetes entstandenen chronischen
Wunden der unteren Extremitäten ist entlastendes Schuhwerk unumgänglich.
Reperfusion
Jede lokale Wundbehandlung ist zum Scheitern verurteilt, wenn eine Mangeldurchblutung
oder ein mangelnder Blutabfluss im Wundgebiet herrscht [14 ]. Zuallererst steht hier die (invasive) Diagnostik: Vor jeder ablativen Maßnahme,
aber auch vor dem Einleiten einer aufwändigen Lokaltherapie, ist die Möglichkeit eines
rekonstruktiven gefäßchirurgischen Eingriffes zu prüfen - gegebenenfalls in Kombination
mit medikamentösen Maßnahmen (z.B. Alprostadil) oder interventionellen Methoden (perkutane
transluminale Angioplastie = PTA, Sympatikolyse). Die kausale Therapie venöser Abflussstörungen
besteht in der Kompressionsbehandlung oder aber chirurgischen Eingriffen (Fasziektomie,
Venenexhairese). Bei nachgewiesener Perfusionsstörung sind diese Maßnahmen vordringlich!
Nekrotisches Gewebe entfernen
Totes Gewebe gefährdet und behindert jegliche Wundheilung. Es ist deshalb auf geeignete
Weise zu entfernen (chirurgisch, chemisch oder „biologisch”). Ausgedehnte Mengen nekrotischen
Materials führen darüber hinaus über die Freisetzung toxischer Zerfallsprodukte zu
einer - unter Umständen vital bedrohlichen - Reaktion des Gesamtorganismus (Sepsis,
„systemic inflammatory response syndrome” = SIRS). Solche Nekrosezonen sind ideale
Keimnährböden, da sie von der körpereigenen Immunabwehr nicht oder nur insuffizient
zu erreichen sind [1 ]
[5 ]
[8 ].
Infektionen in der Wunde beseitigen
Jede chronische Wunde mit größerer Oberfläche gilt als mit Keimen besiedelt [4 ]. Bei intakter Abwehrlage, ungestörter Wundheilung und suffizienter Lokaltherapie
ist die Wundheilung dennoch regelgerecht. Überschreitet die Zahl der Keime in der
Wunde 105 /cm3 , so spricht man von einer Wundinfektion [1 ]
[4 ]. Abbildung 5 zeigt eine durch Wundinfekt gestörte und verzögerte Granulation.
Die Infektion behindert die Wundheilung und Gewebereparatur in vielfältiger Weise:
Toxische Zellzerfallsprodukte hemmen chemotaktisch die Migration von Fibrozyten und
Epithel, die Nekrose des eben entstandenen Granulationsgewebes erfolgt infolge septischer
Thrombosen der kleinen und kleinsten Gefäße. In dieser Situation muss schnell gehandelt
werden, da nicht nur eventuell mühsam erreichte Erfolge bei der Wundbehandlung durch
einen Infekt unter Umständen in Stunden zunichte gemacht werden können, vielmehr gefährdet
der Progress des Infektes durch die potenzielle Allgemeinreaktion des Organismus (Sepsis,
SIRS) den Patienten möglicherweises vital.
Die Behandlung umfasst die gezielte Antibiose, die chirurgische Beseitigung avitalen
Gewebes, den sinnvollen und gezielten Einsatz antiseptischer Wundauflagen, die Ruhigstellung
der Wundumgebung sowie gegebenenfalls additive Maßnahmen wie die hyperbare Sauerstofftherapie
bei Anaerobier-Infektionen. Insbesondere im Bereich der unteren Extremitäten ist beim
Auftreten von Infekten in chronischen Problemwunden nochmals sorgfältig nach Perfusionsstörungen
zu suchen. Hier droht ansonsten der Extremitätenverlust, der beim schwer kranken Patienten
nicht unnötig „vertagt” werden darf („live before limb”) [14 ].
Defektdeckung
Insbesondere bei langen Verläufen und chronischen, großflächigen Defektwunden ist
die natürliche Reparation durch sekundäre Wundheilung ein zeitraubender, Wochen oder
gar Monate in Anspruch nehmender Vorgang. Hierbei herrscht stets ein „labiles Gleichgewicht”:
Jederzeit kann eine Wundinfektion oder zum Beispiel die Entgleisung der Stoffwechseleinstellung
bei einem Diabetes mellitus die Heilung zum Stillstand bringen und den Patienten rasch
gefährden. Deshalb sind Methoden entwickelt worden, diesen Vorgang kontrolliert zu
beschleunigen [8 ].
Die Vakuumversiegelung sorgt für eine um den mehr als Faktor zwei beschleunigte und
qualitativ bessere Granulation [Abb. 6 ] [1 ]
[3 ]
[8 ]
[10 ]. Hat man durch dieses Verfahren eine Verkleinerung der Wunde und eine qualitativ
suffiziente Granulation erreicht, gelingt der definitive Verschluss häufig über eine
Spalthautdeckung (Meshgraft; [Abb. 7 ]). Dies kann den Wundverschluss um Wochen oder gar Monate verkürzen, was wiederum
für die oft multimorbiden und potenziell immobilen Patienten mit einem erheblichen
Gewinn an Lebensqualität verbunden ist [11 ]
[12 ]. Lokale oder „freie” gefäßgestielte Lappenplastiken sind bei großen, tiefen, areaktiven
Defekten mit freiliegendem Knochen oft zur Lösung der Situation unumgänglich. Vor
einer solchen Maßnahme ist die Vaskularisation durch Angiografie genau zu prüfen.
Zum Verschluss kleinerer Defekte eignet sich die „Dermatotraktion” oder „Skin-Streching”.
Bei diesem Verfahren wird mithilfe von kreuzweise angebrachten Kunststoffzügeln oder
dünnen Kirschnerdrähten ein kontinuierlicher Zug auf die Wundränder ausgeübt. Hierdurch
wird eine Gewebeproliferation mit Fibroblastenmigration induziert, was zu einem „echten”
Gewebezuwachs führt, der über die bloße mechanische Dehnwirkung hinausgeht [3 ]. Nach genügend langer, klinisch kontrollierter Anwendung gelingt der Verschluss
durch eine Sekundärnaht dann meist mühelos.
Wundauflagen und Verbandsstoffe
Wundauflagen und Verbandsstoffe
Jede länger bestehende Wunde bedarf der Abdeckung. Ausnahmen sind lediglich primär
heilende Operationswunden im fortgeschrittenen Stadium oder trockene, reizlos und
infektfrei überkrustete Schürfwunden. Eine Wundauflage hat die Aufgabe, eine Keiminvasion
der Wunde zu verhindern, Sekrete aufzunehmen, die Wundheilung dabei nicht zu stören
und gegebenenfalls lokal zu applizierende Externa an die Wunde zu bringen und dort
zu halten.
Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass dies ein „Standardverband” niemals generell
leisten kann. Vielmehr sind im Laufe der letzten Jahre eine Vielzahl sinnvoller Externa
entwickelt worden, um verschiedenen Wundformen gerecht zu werden [2 ]
[6 ]
[11 ]. Die im Folgenden getroffene Einteilung der Wundauflagen erhebt keinen Anspruch
auf Vollständigkeit, sie wurde unter dem Aspekt der Kapazität für die Flüssigkeitsaufnahme
der verschiedenen Verbandsstoffe getroffen:
Verbandsfolien
Transparente Folien aus Polyurethan nehmen quasi kein Sekret auf. Sie werden bei unkomplizierten,
p.p. heilenden Wunden verwendet, die geschützt werden sollen. Die Hautverträglichkeit
und der Patientenkomfort solcher Folien sind hoch. Im Normalfall sind sie wasserdampfdurchlässig.
Eine Sonderform sind die dichten Folien zur Herstellung des Vakuums (z.B. Opsite®).
Textile Wundauflagen
Seit „Urzeiten” sind textile Wundauflagen der klassische Verbandsstoff [2 ]. Sie nehmen viel Sekret auf, können mit Antiseptika getränkt werden und sind leicht
zu applizieren. Moderne Kompressen bestehen aus mehreren Lagen gewobenem Baumwollstoff,
bei intraoperativer Verwendung ist ein röntgenbildgebender Streifen eingewoben.
Nachteile der klassischen Kompresse sind das Austrocknen der Wunde oder das Verkleben
mit dem Granulationsgewebe, was beim Verbandswechsel zum schmerzhaften Aufreißen des
Granulationsrasens führt. Außerdem ist der Schutz der Wunde vor zusätzlicher Keimbesiedelung
mangelhaft. Trotzdem sind textile Wundauflagen die am häufigsten angewandten Wundverbände.
Eine Sonderform des textilen Wundverbandes ist der mit Silber bedampfte und mit Aktivkohle
gefüllte Auflagenverband, der bei starker Geruchsentwicklung eingesetzt wird (z.B.
Actisorb®).
Hydrogele, Hydrokolloide und Alginate
Diese Verbandsstoffe sind neuere Entwicklungen in der Wundbehandlung [2 ]
[11 ]. Sie absorbieren große Mengen an Flüssigkeit, schaffen ein leicht saures, feuchtes
und damit für die Granulation optimiertes Wundmilieu (2) und schützen die Wunden gut
vor äußeren Einflüssen.
Hydrokolloide (z.B. Cutinova®, Comfeel® oder Hydrosorb®) oder Alginate (Sea-Sorb®
oder Aquacel®) können - gegebenenfalls in Kombination mit Trägergelen (z.B. Nugel®)
- idealerweise als „Team” bei tiefen Problemwunden (Defekte, Dekubiti, Höhlen, Ulzera)
zum Einsatz kommen [Abb. 8 ]. Alginate eignen sich insbesondere zur Behandlung stark nässender und tief feuchter
Wunden. Unter diesen Bedingungen verwandelt sich die zunächst watteartige Konsistenz
des Alginats, das aus sterilen Meeresalgen besteht, in ein Gel.
Polymere Schwämme
Insbesondere im Rahmen der Vakuumversiegelung können polymere Schwämme - mit einer
Porengröße zwischen 0,2 und 1,0 mm - eine rasche Granulation, eine Qualitätsverbesserung
des Granulationsgewebes sowie ein Wunddebridement erreichen [1 ]
[8 ]
[10 ].
Einfache Schwämme bestehen aus Polyurethan und können mit antiinfektiösen Substanzen
getränkt sein (Primamed®) oder sie sind aus Silikon gefertigt (Mepilex®). Nachteil
diese Schwämme ist ihr rasches Austrocknen. Biologisch besser verträglich sind Hydroschwämme
aus Polyvinylalkohol wie Coldex® oder Vacuseal® (so genannter „weißer Schwamm”). Diese
Schwämme sind bei tiefen Defekten allein oder in Kombination mit der Vakuumtechnik
indiziert. Eine großporigere Variante, die eine noch stärkere Granulationsförderung
zeigt und bei einem Pseudomonas-Infekt der Wunde bakterizid wirken kann, ist der „schwarze
Schwamm” (VAC®) des amerikanischen Herstellers KCI, der mit einer besonderen Saugpumpe
angeboten wird.
Die Vakuumversiegelungstechnik
Die Vakuumversiegelungstechnik
Diese an der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Universität
Ulm entwickelte Methode kombiniert die oben beschriebene Wirkung von Polyvinylalkoholschwämmen
mit dem Effekt des subatmosphärischen Druckes eines Vakuums [1 ]
[8 ]
[10 ]. Dazu wird ein entsprechend zugeschnittener „schwarzer” oder „weißer” Schwamm mit
eingezogenem Drainagesystem (fertig erhältlich) in die chirurgisch debridierte Wunde
eingebracht und fixiert. Nach peinlich genauem Trocknen der Wundumgebung wird eine
transparente, nicht durchlässige Folie (Opsite®) aufgeklebt und eine Vakuumquelle
angeschlossen, die mindestens 0,8 bar erzeugen kann (je nach Größe der Konstruktion
Redon®-Flasche oder elektrische Saugpumpe) [Abb. 6 ].
Durch das Vakuum entsteht ein gleichmäßiger enger Kontakt zwischen Wunde und Schwamm.
Das Wundsekret wird im geschlossenen System kontinuierlich abgesaugt, es entwickelt
sich ein gleichmäßig feuchtes, keimarmes Wundmilieu. Unter ungestörten Bedingungen
kann sich so ein qualitativ hochwertiges, reich vaskularisiertes Granulationsgewebe
ausbilden - bei großen Defekten die ideale Ausgangslage für sekundäre plastische Maßnahmen.
Eine weiterte Indikation für diese Methode ist die Protektion frisch transplantierter
Spalthaut („Meshgraft”) bei Defekten oder Verbrennungen. Wird die transplantierte
Haut fünf Tage mit der beschriebenen Vakuumversiegelung geschützt, ergeben sich nahezu
100 %ige Einheilungsraten bei korrekter Technik.
Biochirurgie
Biochirurgie
Mit diesem Begriff bezeichnet man die Anwendung von sterilen Maden von Lucilia sericata
(Fliegen) zum hochselektiven Abräumen von nekrotischem Gewebe und gangränösem Material
in chronisch infizierten Problemwunden. Da die Maden ausschließlich nekrobiotisches
Material aufnehmen, ist die Schädigung des normalen Gewebes oder der Granulation ausgeschlossen
[4 ]
[5 ]. Darüber hinaus scheiden die Maden im Rahmen der Fermentverdauung ein mikrobizides
Sekret aus [4 ]. Der Effekt ist oft verblüffend: Gewebeschwellung, Schmerz und Entzündung bilden
sich zurück, und es entsteht ein funktionsfähiges Granulationsgewebe - auch bei vorher
völlig areaktiven Wunden.
Um den verständlichen Widerwillen der Patienten gegen diese Therapieoption zu überwinden,
wurden so genante „Biobags®” (z.B. Firma Biomonde, Barsbüttel) eingeführt [5 ]: Die Larven werden in kleinen, sekretdurchlässigen Säckchen auf die Wunde aufgebracht,
können sich aber nicht frei in der Wunde bewegen [Abb. 9 ].
Neue Entwicklungen
Neue Entwicklungen
Um schwierige und komplexe Situationen bei problematischen Wunden meistern zu können,
wurden in letzter Zeit spezielle Verfahren entwickelt: So kann beispielsweise mithilfe
des Tissue-Engineerings in vitro körpereigenes Gewebe gezüchtet werden, um große Defekte
behandeln zu können [6 ]. Ein weiteres Beispiel ist der niedrig energetische Ultraschall. Bei der Therapie
von Knochenfrakturen hat sich dieses Verfahren bereits bewährt. Bei der Wundbehandlung
kann mit dieser physikalischen Methode die Produktion gewebeproliferativer Zellen
(vor allem Fibroblasten) angeregt werden.
Fazit
Fazit
Die Behandlung komplexer, chronischer bzw. rezidivierender Wunden oder so genannter
„Problemwunden” ist eine hochkomplexe Aufgabe. Solche Läsionen können jederzeit vom
lokalen Ärgernis zur Lebensbedrohung für den Patienten werden. Das Behandeln dieser
Krankheitsbilder setzt zum einen Know-how, Erfahrung, Kenntnis der modernen Verfahren
und verfügbaren Therapeutika aber auch eine suffiziente Infrastruktur für die Diagnostik
voraus (Angiografie; Positronenemissionstomografie, PET). In Zeiten der zunehmenden
Ökonomisierung der Medizin muss darüber hinaus festgestellt werden, dass diese Behandlungen
sehr teuer sind und im DRG-System bisher eher stiefmütterlich berücksichtigt sind.
Traditionell ist die Behandlung von Problemwunden eine Basisdisziplin der Chirurgie
- der Chirurg kann zu jedem Zeitpunkt die notwendigen, unter Umständen rasch erforderlichen
operativen Schritte in der Notwendigkeit nicht nur erkennen, sondern auch einleiten
und ausführen. Der Komplexität des Problems Wunde mit seinen vielschichtigen Ursachen
wird dennoch nur ein interdisziplinäres Vorgehen gerecht. Interessante neue Ansätze
(Gewebezüchtung, Ultraschall) lassen für bisher ungelöste Problemfälle für die Zukunft
hoffen.
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6
Abb. 7
Abb. 8 Das Alginat wird in die Wunde eingebracht (a) und verwandelt sich aufgrund der feuchten
Umgebung in ein Gel (b)
Abb. 9 „Biobag” mit Maden zur Konditionierung einer infizierten und areaktiven Defektwunde
(a), fünf Tage nach Behandlungsbeginn zeigen die Fliegenmaden (Lucilia sericata) eine
deutliche Größenzunahme (b)
Tab. 1 Wundformen
mechanisch/offen
Schürfwunde
Stichwunde
Schnittwunde
Rissquetschwunde
Bisswunde
Schusswunde
mechanisch/geschlossen
chemisch
Säureverätzung
Laugenverätzung
thermisch
Erfrierung
Verbrennung
Verbrühung
andere
Tab. 2 Anamnese in der Wundbehandlung
systemische Vorerkrankungen
Medikamenteneinnahme
Glukokortikoide
Immunsuppressiva
Antibiotika
Tab. 3 Klinische Untersuchung
Inspektion der Wunde
Ausdehnung
Farbe
Beläge
Ränder
Sekretion
(Geruch)
Palpation der Wunde
Turgor der Haut
Temperatur
Druckschmerz
Pulse
Tab. 4 Apparative Diagnostik
invasiv
Angiografie
Phlebografie
Szintigrafie
Histologie
nichtinvasiv