Anhand epidemiologischer, seit 1981 kontinuierlich erhobener Daten aus dem „Oxford
Community Stroke Project” und der „Oxford Vascular Study” zeigte Peter Rothwell in
seiner unlängst im Lancet publizierten Arbeit, dass heute signifikant weniger Schlaganfälle
aufgrund intrazerebraler Blutungen (> 50 %) und schwere Schlaganfälle mit ungünstigem
Ausgang (Tod/ schweres Defizit) auftreten als noch vor 20 Jahren. Laut der sorgfältigen
Analyse der mit diesen Ereignissen assoziierten Risikofaktoren ging zum einen der
Anteil an Rauchern zurück, zum anderen werden mehr oder minder kontinuierliche Medikationen
mit Antihypertensiva, Lipidsenkern und Plättchenantagonisten im Vorfeld eines Schlaganfalls
für diesen Erfolg angeführt.
Liest man unsere Beiträge in dieser Ausgabe des klinikarzt zum Blutdruckmanagement
beim akuten Schlaganfall und in der Nachsorge, so kontrastiert der Mangel an evidenzbasierten
Daten zur Sekundärprophylaxe mit diesen Befunden zur Primärprävention aus angelsächsischen,
traditionell epidemiologisch-wissenschaftlich stark engagierten Ländern: Scheinbar
einfache Fragen bleiben weit gehend unbeantwortet: Sollen die in der Akutphase eines
Schlaganfalls gemessenen hohen Blutdruckwerte medikamentös gesenkt werden - wenn ja,
ab wann und in welchem Umfang? Sollen erhöhte oder auch im Normbereich liegende Blutdruckwerte
nach einer transitorischen ischämischen Attacke oder einem Schlaganfall langfristig
gesenkt werden - wenn ja, in welchem Ausmaß und mit welchen Substanzen?
Während die medizinische Grundlagenforschung schon wegen der mangelnden Eignung ihrer
experimentellen Modelle auch nicht annäherungsweise den Versuch unternommen hat, solchen
klinisch wichtigen Fragen nachzugehen, sind klinische Studien, soweit sie denn existieren,
entweder überholt, vom Design inadäquat oder nicht aussagekräftig angelegt. Dies liegt
wesentlich an der mangelnden Förderung klinischer Forschungsprojekte, gerade auch
in Deutschland. Neben Studien, die durch das einseitige Interesse an bestimmten Substanzen
seitens der pharmazeutischen Industrie geprägt sind, ist es nicht gelungen, randomisierte
prospektive klinische Therapiestudien, die aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll wären,
zum Gegenstand klinischer Forschung zu machen. Im Gegensatz zu den angelsächsischen
Ländern, wo das „National Institute of Health” (NIH) und das „Medical Research Council”
(MRC) solche Studien massiv finanziell unterstützen oder wenigstens auf eine hohe
Qualität achten, haben wichtige Therapiestudien hierzulande keine Chance: Weder die
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) noch das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) sind daran interessiert.
Erst vor wenigen Monaten hat sich die DFG auf massives Drängen hin bereit erklärt,
einen minimalen Anteil ihrer Mittel zur Evaluation der dann in der Regel wegen mangelnder
Finanzkraft abgelehnten Anträge zu klinischen Studien zu benutzen: Zwar fordert der
Wissenschaftsrat, Strukturen und Organisationen an den medizinischen Fakultäten zu
verändern, um die klinische Forschung zu stärken, gleichzeitig empfiehlt er aber den
Universitätskliniken, ihre Aufgaben in der Krankenversorgung drastisch zu reduzieren.
Für Volkskrankheiten wie Schlaganfall und Herzinfarkt ist es jedoch unerlässlich,
einen ausreichenden Zugang zu großen Patientenzahlen zu behalten, um aus einem großen
Screeningpool geeignete Rekrutierungen für randomisierte klinische Studien zu schaffen
und diese dann über Jahre zu betreuen.
Die neuen Gesetze bzw. Richtlinien der zwölften Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG)
gestalten bislang vom Standort initiierte klinische Prüfungen bzw. Studien so kompliziert,
dass selbst mit einem universitären Monitoring bislang erfolgreiche Phase-I/II-Studien
(von Phase III gar nicht zu reden), an exorbitanten Kosten und hohem Dokumentationsumfang
scheitern werden. Hinzu kommt neben allen bürokratischen Erschwernissen ein wachsendes
Desinteresse der Pharmaindustrie an deutschen oder europäischen Kooperationspartnern,
sie verlagert ihre Aktivitäten ins angelsächsische Ausland.
Wie soll aber evidenzbasierte Medizin funktionieren, wenn der Datenstrom aus der klinischen
Forschung versiegt? Neue wissenschaftliche Konzepte gibt es reichlich: Zum Beispiel
existiert schon seit mehreren Jahren die Idee, durch eine „Polypille” das kardio-zerebro-vaskuläre
Risiko möglicherweise höchst wirksam und kosteneffizient zu senken - allein die Umsetzung
verharrt mangels gescheiter, entschlossener Forschungsförderung weiter in trauriger
Unbeweglichkeit! So haben sich die pathophysiologischen Konzepte und die methodischen
Strategien zur Beeinflussung erkannter Krankheitsursachen zwar im Laufe der Jahrhunderte
erweitert, therapeutisch verharren wir aber weiterhin im 18. bzw. 19. Jahrhundert,
wenn sich an diesen Strukturen und Forschungsgegebenheiten nichts ändert.